Prompt 14: Rote Schuhe
Die roten Schuhe waren das Erste, was an ihm auffiel. Er trug sie immer, egal ob es stürmte, schneite oder die Sonne die Erde verbrannte – Jason liebte diese Schuhe, wie sehr auch die Farbe dieser in den Augen stach und wie wenig sie zu auch zu seinem generellen Kleidungsstil passten.
Ihm war es egal, die ganze Zeit über, die ich ihn schon kannte. Jason war einer dieser Menschen, die in der Masse vollkommen untergingen, so unauffällig und austauschbar war sein Äußeres. Doch kannte man diesen Jungen mit dem Allerweltsgesicht genauer verstand man, wie gern er der Welt eigentlich zeigte, wie beschissen er sie fand.
»Rot ist die Farbe der Wut«, erklärte er mir einst, als ich ihn nach dem tieferen Sinn hinter diesen hässlichen Schuhen fragte. Dabei grinste Jason, dass es mich das Fürchten lehrte. »Wenn ich diese Schuhe trage, fühle ich mich, als könnte ich die ganze Welt allein mit der Wut in meinem Inneren in ihren Grundfesten erschüttern.«
Dieser Junge schien sich so klein und unbedeutend zu fühlen, wenn er diese Schuhe nicht trug. Sie waren für Jason das Wichtigste auf der Welt – wer etwas gegen diese Schuhe sagte, war sein erbitterter Feind, wie sehr der Junge diesen Jemand zuvor auch ins Herz geschlossen haben mochte. Die roten Schuhe machten Jason zu einem vollkommen anderen Menschen und er hegte und pflegte diese, als würde sein Leben von ihnen abhängen.
Er trug sie auch an dem Tag, als er mich fragte, ob ich nicht mit ihm nach der Schule gemeinsam heimgehen wollte. Das hatte er mich noch nie gefragt, in all den Jahren nicht, die wir uns schon kannten. Dementsprechend perplex war ich, doch sagte ich ihm sofort zu, so sehr freute ich mich darüber, dass er wieder mit mir sprach. Immerhin hatte er es mir doch recht übel genommen, dass ich vor einigen Tagen erneut seinen Hang zu den roten Schuhen infrage gestellt hatte.
Auf dem Heimweg fragte ich Jason dann leichtsinnig wie ich war, ob er mir wirklich nicht mehr böse war deswegen, so empfindlich wie er in der Situation reagiert hatte. Er schüttelte trotz meiner Bedenken nur mit dem Kopf und schaute mich direkt an.
»Nein, bin ich nicht«, gab der Junge recht kurz angebunden, zurück, als wäre er zu tief in Gedanken versunken, um sich recht auf dieses Gespräch konzentrieren zu können. »Es sind doch nur ein paar blöde, alte Schuhe. Du hattest recht, ich sollte endlich lernen, loszulassen.«
Als diese Worte gesprochen waren, schaute Jason sich kurz um, packte mich an der Schulter und brachte mich so abrupt zum Stehen. Irritiert von dem Lächeln auf seinen Lippen sah ich das Messer nicht kommen, das er mir nur den Bruchteil einer Sekunde später schon in den Bauch rammte. Immer wieder stach der Junge auf mich ein und drehte bei jedem Stich die Klinge in meinem Fleisch, so lange, bis der Schmerz mir alle Sinne nahm.
Doch egal wie blind ich in diesem Moment war, Jasons Lächeln brannte sich in mein Gedächtnis ein und bis zu meinem letzten Atemzug hatte ich es deutlich vor Augen.
Dann ließ Jason mich einfach liegen. Mitten auf dem Gehweg, genau in dem Schmutz, den er so gern aufwirbeln wollte. Er hatte loslassen wollen. Und ich war sogar für einen Moment fast stolz auf ihn gewesen deswegen. Ich Narr. Wie hatte ich nur denken können, dass dass er sich für mich ändern würde?
Ich war ein Niemand für diesen Jungen, der auch für alle anderen unsichtbar war. Und dann war ich auch noch so dumm, ihm und seinem neuen, stärkeren Selbst im Wege zu stehen. Nur weil ich ihn nicht verstand, wie es wohl niemand auf dieser Welt tat. Jason war ein Mysterium, das immer mehr in die Dunkelheit abdriftete und mit seiner Unsicherheit dieses Egomonster nährte, das da in seinem Inneren immer größer wurde. Letztendlich hatten diese roten Schuhe ihn zum Mörder gemacht, so wenig konnte er von diesem Gedanken ablassen, dass sie ihn zu etwas Besonderem machten.