Eigentlich hatten Poul und er in die Kneipe gehen wollen. Noch in der Kaserne aber waren sie Jeanne begegnet und sie hatte ihr altes Versprechen wahr gemacht, ihnen einen besonders starken und guten Trunk zu besorgen. Nun sassen sie da und lachten alle, aber Less konnte nicht aufhören, über die letzten Tage nachzudenken. Poul und er hatten sich gründlich gewaschen und Jeanne hatte ihnen versichert, dass sie nicht nach Abfluss rochen. Innen aber fühlte sich Less immer noch schmutzig und weggeworfen.
„… dann sagte ich zu ihr: ‚Das ist aber eine freudige Gurke!‘ und sie schaut mich an und erzählt mir, dass die Gurke bei ihnen oben ein sehr ernstes Gemüse sei. Ich lache natürlich und will ihr das noch einmal genauer erklären. Da beugt sie sich doch einfach etwa so vor und sagt: ‚Nej, was glaubst du, wie ernst es uns mit den Gurken wird im Norden, wenn es bestimmten Freunden wieder zu kalt ist?‘“, laberte Poul und fand sich dabei viel zu lustig.
„Ha! Den habe selbst ich noch nie gehört! Meint sie das denn ernst?“, ging Jeanne sogar noch darauf ein.
„So ernst wie die Gurken meint sie das! … näi, natürlich meint sie das nicht ernst! Also, das denke ich zumindest?“
„Pfs!“, machte Less und verdrehte die Augen. „Du kennst sie erst seit drei Wochen und doch geht mir dein ständiges Geplapper über sie bereits verdammt auf den Sack.“
„Halt, halt!“, rief Poul und deutete anklagend mit dem Zeigefinger auf ihn. Zumindest war das seine Absicht. Aber der Alkohol schlug bei ihm eine ganze Ecke schlimmer an und deswegen richtete er zusätzlich dazu seinen kleinen Finger auf Less.
„Was, halt?“, wiederholte Less.
„Erstens: Es sind drei Wochen und ein Tag! Ein ganzer Tag mehr, mein Freund! Zweitens: Ich kenne Rena schon länger als nur ‚drei Wochen‘! Es ist einfach so, dass wir uns erst an Grossmuhme Winoras Mittjahrfest näher gekommen sind im Fall!“
„Sechzehn Tage, Milander. Ich könnte schon kotzen. Im Fall!“
„Ne, ne! Das ist nur der Vetseg, der raus will, Leather! Im Fall!!“, quatschte Jeanne amüsiert dazwischen.
„Äfft mich nicht nach, ihr Dialekt-Hasser! Ich kann doch nichts dafür“, jammerte Poul und leerte seinen Becher. „Sie ist so wunderbar und schön war sie schon immer, aber sie ist auch lustig und wir können über alles reden und ich würde halt gerne ihre Gurken sehen.“
„Natürlich würdest du das gerne“, sagte Less.
„Also ich würde das nicht gerne“, kommentierte Jeanne.
Less ging nicht weiter darauf ein.
„Was ist das überhaupt für ein Gesöff“, stellte er stattdessen die Frage, die sie vielleicht vor dem Konsumieren hätten beantworten sollen.
Jeanne zwirbelte ihr goldenes Haar und fühlte sich ihm deutlich überlegen. Erst als sogar der betrunkene Poul ruhig war und sie anstarrte, gab sie eine Antwort:
„Na Vetseg. Den habe ich aus dem Norden für euch mitgebracht. Ist sehr beliebt bei den Echsenstämmen dort überall.“
„Pha! Dämonengesöff! Darum schmeckt es so widerlich!“, erkannte Less und nahm trotzdem einen weiteren Schluck der dunklen Brühe. Er dachte an die Ratten im Abwassersystem. Einige hatten es hier tatsächlich noch beschissener als er. Aber er war kein Dämon. Er war nur ein Ödländer, doch die Darken hassten alles, was ihnen fremd war.
„Echsen sind keine Dämonen“, behauptete Jeanne.
„Was sollen sie dann sein? Niedliche, liebliche Lichtwesen?“, blaffte Less.
Poul fand das aus irgendeinem Grund sehr lustig. Less musste unfreiwillig mitlachen und selbst Jeanne kicherte kurz, jedoch verstummten sie bald und dann sagte keiner mehr was.
Less konnte es nicht verstehen. Er hatte sich solche Mühe gegeben! Natürlich waren die Mittelländer engstirnige Leute und die Darken waren das erst recht. Zumindest alle bis auf Jeanne und Poul. Die zwei waren selbst jetzt noch mit ihm befreundet. Er konnte gar nicht verstehen, warum sie sich das antaten. Für Poul war es wohl irgendein rebellischer Akt gegen die Familie. Aber Poul sprach auch besonders stark Dialekt, obwohl er aus dem klebrigen Hochadel kam. Und Jeanne? Jeanne gab sich offen, weil sie in einem Wald aufgewachsen war, aber eigentlich wollte sie lediglich besser als alle anderen dastehen. Noch etwas funkelnder. Ja, das mussten die Gründe sein.
Während sein Freund an Mittjahr die Liebe jäh getroffen hatte, hatte Less seine anscheinend jäh verloren. Seine Ira hatte ihn verstossen und ihm zudem hin ein übles Abschiedsgeschenk mitgegeben. Er hatte ihr alles gegeben, alles versucht und sich ganz ihrem Kommando unterstellt. Doch es war ihr nicht genug gewesen. Er war nicht genug gewesen. Er sass hier, mit einem Fluch, der ihn wie einen verdammten Kobold aussehen liess, und der blöde Poul Frido redete ständig von dieser Nordländerin und erinnerte ihn an all die Dinge, die er verloren hatte. Wieso war Ira nicht hier? Wieso hatte sie Liskias Anfrage, seinen Hilferuf, ignoriert?!
Ein Fingerschnippen liess Less blinzeln und aufblicken. Jeanne schaute ihn kritisch an. In ihrer linken Hand hielt sie die zweite Flasche Vetseg des Abends.
„Ich fragte, ob du auch noch mehr davon willst.“
„Ha … Lieber nicht, danke“, brummelte Less. „… verfluchtes Dämonengesöff.“
Jeanne zuckte mit den Schultern und füllte ihren Becher. Poul war ebenfalls bei der nächsten Runde angelangt. Er lehnte sich schwer und anhänglich an Less’ Seite, aber Less ging nicht auf ihn ein. Der musste nicht von seiner Nordländerin schwärmen und dann auf einmal Körperkontakt suchen. Less fühlte sich bereits genug benutzt und weggeworfen.
Jeanne schlug ihm unsanft auf die Schulter.
„Ich hatte dich vor ihr gewarnt, Less. Auch wenn ich natürlich verstehe, dass es weh tut.“
„Verstehen? Du hast das doch nie“, schnaufte Less und schob erst Poul und dann Jeannes Hand zur Seite.
„Du solltest dich ablenken“, schlug Jeanne vor.
„Was denkst du, versuche ich gerade?! Aber der Scheisser da“, Less deutete kurz auf Poul, der daraufhin entsetzt Luft einsog, „redet die ganze Zeit über seine schöne, neue, eklige Liebesbeziehung und du … du machst es nicht besser!“
„Gut. Gut! Themenwechsel!“
Jeanne klatschte in die Hände und sprang auf. Poul lag jetzt mehr auf der Bank als dass er sass. Wieso waren sie überhaupt hier? Alles war auf einmal so anders. Nichts passte. Es hatte nie gepasst, nicht mit ihm, dem verfluchten, öden Vimmer.
„Lasst uns über die Frühlingsspiele reden!“, schlug Jeanne vor.
„Ja! Die besten Spiele! Wir werden gewinnen!“, rief Poul.
„Es geht nicht ums Gewinnen, sondern um Gemeinsamkeit“, belehrte Jeanne.
„Es geht immer ums Gewinnen“, widersprach Less trocken.
„Papi-Papa! Es geht darum, dass wir alle unser Bestes geben und nächsten Sommer mehr junge, motivierte Leute in unseren Reihen haben, die das Land schützen und pflegen!“
Beinahe hätte Less wieder gelacht. Aber eben nur beinahe. Die Darken wollten keinen Zuwuchs. Zumindest nicht, wenn er aus irgendeiner anderen Volksgruppe als der eigenen stammte. Er hatte es heute wieder besonders gut zu spüren gekriegt.