Auf dem Weg nach Niderborgen hatte Less reichlich Zeit nachzudenken. Er wusste nicht, ob ihm das gefiel. Er war kein Denker, er war ein Macher. Je länger er warten und eben nachdenken musste, desto unruhiger wurde er. Alle starrten ihn an und wussten genau Bescheid, so zumindest fühlte es sich an.
Obwohl Less auf halber Strecke das Pferd ausgetauscht hatte, war es schon wieder Abend, als er Niderborgen endlich erreichte. Der Ort war klein. Tatsächlich schien hier keiner überrascht, als sie ihn und sein verfluchtes Gesicht sahen. Als hätten sie bereits Bescheid gewusst. Sie wussten es und starrten ihn beinahe belustigt an.
Diese verdammten Darken.
Less versuchte erst recht hoch erhobenen Hauptes durch das Dorf zu reiten. Er war ein Ritter. Sie waren alle gegen ihn, aber er hatte es dennoch so weit gebracht und das konnten sie ihm nicht nehmen.
Bei der Dorfkneipe hielt Less. Da er in Niderborgen gewesen war, wann immer es der Beruf zugelassen hatte, kannte die Wirtsfamilie ihn gut. Er gab ihnen das Pferd in Obhut. Wenn alles klappte, würde er es vor dem nächsten Morgen nicht wieder brauchen. Es war kein gutes Pferd, hatte ihn auf den ersten Metern beinahe abgeworfen und bei der letzten Rast nach seinem Ohr geschnappt.
„Auf dem Weg zum Anwesen, nehme ich an?“, fragte die Herrin der Wirtschaft, als sie ihm ein kleines Essen an den Tresen brachte.
„Gibt wenig andere Orte in dem Kaff, die ich aufsuchen könnte“, entgegnete Less.
Sie schnaufte und reichte ihm ein Bier zum Essen.
„Nur damit Ihr es wisst, mein Herr: Es könnte aktuell schwierig werden, ein freies Zimmer für Euch zu finden.“
„Ich werde kein Zimmer brauchen“, behauptete Less.
Für das Getränk bedankte er sich nicht. Ihm gefiel ihre jähe Feindseligkeit nicht. Trinkgeld würde sie diesmal keines kriegen, diese undankbare Krähe.
Less machte gleich nach dem Essen wieder los. Er wollte nicht noch länger warten. Dementsprechend verärgert schnaufte er, als ihn der Wirtsjunge aufhielt.
„Ihr solltet der Dame Blumen mitbringen, Herr Ritter“, piepste der Junge. „Also ich zumindest fände Blumen sehr schön.“
„Ha! Ich habe ihr schon viel grössere Geschenke gemacht. Was will sie mit ein paar lausigen Blumen?“, antwortete Less.
Der Junge senkte den Kopf und nuschelte etwas, aber Less ging bereits weiter. Kinder. Jeder, der sich so einen Sack Steine aufbinden liess, war ein armer, dummer Teufel. Aber eines war doch richtig. Er hatte Ira viele Geschenke gemacht. Was würde sie denn von ihm halten, wenn er heute mit leeren Händen vor ihrer Tür stand? Wenn sich alles als ein Missverständnis herausstellte und er nicht einmal eine Entschuldigung bereit hatte? Die Darken waren grässlich romantisch und hatten umfängliche Sitten, das hatte Ira ihm gleich nach seiner Ankunft beigebracht und seither immer wieder bewiesen. Er hätte ihr ein Geschenk mitbringen sollen. Dummer, armseliger Trottel!
Mit eingezogenem Kopf und finsterer Miene lief Less weit genug, um den Blicken aus der Wirtsstube zu entkommen, ehe er die Gärtnerei des Ortes aufsuchte. Das Geschäft hatte natürlich zu, dennoch hämmerte Less gegen die Tür. Schon bald konnte er Stimmen hinter einem Fenster im ersten Stock hören. Er hämmerte ein zweites Mal und wartete. Ein alter Mann öffnete die Tür. Less grüsste ihn knapp und schob sich an ihm vorbei. Niesel hatte eingesetzt. So war die Gegend am Sirring. Wenn nicht überall dicker Nebel klebte, regnete es. Eklig.
„Es ist spät, mein Herr“, sagte der Alte, als wäre das Less nicht selbst klar gewesen.
„Darum habe ich’s auch dringend. Hast du etwas Besonderes im Angebot? Etwas Seltenes? Aber nicht zu gross? So ne Pflanze halt.“
„Wir haben viele Pflanzen. Ihr müsst schon genauer –“
„Pfs, in Ordnung! Was ist das hier?“
Less hatte keine Geduld und zeigte auf die erstbeste Blume, die ihm aktiv auffiel.
„… das sind Gerbera, mein Herr“, erklärte der Alte besonders gemütlich. „Sehr beliebt wegen ihrer starken Farbe und einfachen Pflege. Wir können sie als Schnittblumen oder als ganzen Topf mitgeben. Ihre Ruhephase beginnt erst im Spätherbst, weswegen sie so lange wie nur wenige Blumen das Auge erfreuen und mit bescheidener Schönheit der Göttin der Wahrheit und Tatsachen huldigen.“
„Ja, hm … Hast du auch etwas, das nicht das Symbol einer Gottheit ist?“, fragte Less, weil er nicht wusste, wie Ira auf so etwas reagiert hätte. Immerhin huldigte sie als dunkle Hexe keinen echten Göttern, sondern dem Nichts und seinen Propheten. Wenn sie denn überhaupt jemandem ausser ihrer eigenen Strebsamkeit folgte.
„Wisst Ihr“, begann der Alte mit einem äusserst kritischen Blick, den Less natürlich umso argwöhnischer erwiderte, „Ich kann nicht garantieren, dass sich die hohe Dame an Blumen erfreut. Aber wenn Ihr Wert darauf legt, habe ich vielleicht etwas da.“
Er verschwand in einem Nebenraum, den er extra mit einem Schlüssel aus der Jackentasche aufschliessen musste. Less starrte in die Finsternis hinter der Tür, doch selbst seine verfluchten Augen konnten nichts erkennen. Nervös wirbelte er mit dem Schweif dürre Blätter vom Boden auf und wäre beinahe wieder gegangen. Doch da kehrte der Alte zurück und in der Hand hielt er eine seltsame Pflanze. Ihre Blätter und die Stängel waren mehr braun als grün, aber nicht, weil sie trocken gewesen wären. Die Blüten formten grosse, fleischige Becher in einem zarten Rosa mit violetten Sprenkeln.
„Das hier, werter Herr Less, ist eine magische Blume mit dem Namen Zodriba Lithrilkan. Sie wurde von den Synten der alten Tage geschaffen und ist sehr selten in unserem Land“, erzählte der Alte ehrwürdig.
„Ach ja?“, fragte Less und trat näher. Langsam verpuffte sein Ärger, da er sich endlich ernst genommen fühlte. Wenn eine Blume Ira gefallen mochte, dann wohl diese. Die Blume strömte einen süssen Duft aus, der ihn an Karamell erinnerte.
„Sicher doch. Gerade ist sie schon in der Ruhephase, doch mit dem Frühling und der richtigen Pflege erwacht sie und ihre Kelche füllen sich mit einem süssen Nektar. Für einige Nasen mag der Geruch unangenehm wirken, jedoch benutzten die Zwischenwesen den Nektar für die Herstellung ganz besonderer Leckereien. Mit etwas Glück verwandelt der Saft jedes kleine Insekt und Steinchen, das in den Kelch fällt, in Gold. Alles wird überzogen mit einer wunderschön funkelnden Schicht und kann nach dem Trocknen als Dekoration verwendet werden. Man muss nur etwas aufpassen, wenn man die eigenen Finger hineinsteckt.“
Less wusste nicht, ob er dem Mann glauben konnte. Er kannte sich mit Magie nur wenig aus und hatte doch das Gefühl, dass auch er schon von dieser Pflanze gehört hätte, wenn sie Dinge in Gold verwandeln konnte. Dennoch zückte er seinen Geldbeutel.
„In Ordnung. Das klingt gut. Wie viel verlangst du dafür?“, fragte er und versuchte zu lächeln. Aber nur leicht, denn er wollte nicht auf seine Zähne aufmerksam machen.
„Da Ihr es eilig habt und in diesem Ort schon bekannt seid, kann ich Euch etwas Rabatt geben“, versicherte der Alte, während er die Blume für den Transport einpackte.
„Ich zahle eine Arge dafür“, bot Less grosszügig an.
„Fünf sollten es schon sein. Ich besitze immerhin nur ein Exemplar“, feilschte der Alte.
„Eine halbe Aure?!“, zischte Less und schluckte tief, um nicht sofort wieder nervös und ärgerlich zu werden. Das war zu viel Geld, aber er wollte diese Pflanze. Er konnte nicht ohne ein Geschenk zu Ira gehen. Und für eine hohe Adelige wie sie war eine halbe Aure wenig Geld. Würde sie ihn überhaupt anhören? Alle hier schienen mehr als er zu wissen!
„Ihr müsst verstehen, der Winter naht und diese seltenen, winterharten Pflanzen sind die Absicherung für mich und meine Frau“, erklärte der Alte.
Less fluchte innerlich. Er wollte nicht diskutieren. Er fummelte in seinem Geldbeutel herum und zog schweren Herzens vier Argen und einige grössere Niken heraus.
„Das muss reichen“, legte er fest.
„Na dann. Weil es für die hohe Dame sein wird“, seufzte der Alte und schob Less die verpackte Pflanze zu. Less verstaute sie in seiner Tasche und hoffte, dass sie vom Transport keinen Schaden nahm. Inzwischen war der Regen stärker geworden. Er hätte auf Jeanne hören und sich die teure Tasche mit dem Schluckermagen leisten sollen. Damit hätte er wenigstens kein Platzproblem gehabt.
„Viel Freude und Erfolg damit“, wünschte der Alte ihm.
„Ja, hm … Danke“, brummelte Less und zog die Kapuze seines Reisemantels tief ins Gesicht, als er weiter der Strasse folgte.