Auf Major Lovers Schreibtisch häufte sich der virtuelle Papierkram. Einmal mehr war er froh, dass es in diesem Zeitalter kein Papier mehr gab. Mit einer einzigen Handbewegung konnte er die aufgehäufte Arbeit verschwinden lassen. Das tat er, wünschte den Tag herbei, an dem ihm das Sicherheitskorps ein Batallion Sekretärinnen zugestehen würde, und widmete sich den greifbareren Dingen der Welt.
Er trat hinaus auf die Plattform vor dem Hauptquartier und beobachtete zufrieden das Training der neuen Rekruten. Sie hatten einen regen Zulauf an jüngeren Menschen erhalten, nachdem Klara und Sergej dem Sicherheitskorps den Sieg über den Vetis in der Unterwelt zugesprochen hatten. Menschen, die nicht mehr in die Unterwelt zurückwollten, und sich an das freiere Leben in den Ringen gewöhnt hatten. Es gab ihnen einen Grund, bleiben zu dürfen. Die anderen Flüchtlinge wurden durch ihre Verträge zur Rückkehr gezwungen, nun, da dort unten keine Gefahr mehr herrschte. Um dafür zu sorgen, dass sie auch wirklich die Heimreise antraten, waren sogar die Siks der Oberwelt angerückt. Die armen Reichen hatten wohl sehr unter der ausgefallenen Produktion der Unterwelt gelitten. Dass der Major ihnen einen Teil ihrer Arbeitskräfte vorenthalten konnte, erfüllte ihn mit einer schadenfrohen Freude. Seine eigene kleine Rebellion gegen das System. Ganz legal und ohne sich mit den Familien oder dem Rat anlegen zu müssen.
Erfreulicherweise waren nun auch die Geldmittel bewilligt worden, die er wegen der großen Flüchtlingszahlen angefordert hatte. Die gab er schnell für neue Ausrüstung aus, bevor der Rat merkte, dass die Situation sich gebessert hatte. Auch wenn das wahrscheinlich einige Wochen dauern würde, ging er lieber auf Nummer sicher.
Die Vetianische Riesenechse, die über den Übungsplatz wütete, war ein furchterregender Anblick. Auf ihren beiden kräftigen Hinterbeinen und mit weit aufgerissenem Maul, das eine Unzahl tödlicher Zähne offenbarte, rannte sie hinter einer Schar panischer Rekruten her. Klara saß grinsend auf einer Mauer, während sie seine Männer auf die Gefahren der Außenwelt vorbereitete. Sie war den letzten Monat über aufgeblüht. Früher musste er darum betteln, dass sie ihm half, und Tage auf eine Antwort warten. Manchmal sogar Wochen. Jetzt kam sie, wann immer sie sich nicht um ihre Tiere kümmern musste und Baldor keine Zeit hatte.
Wie eng die beiden Jugendlichen wirklich befreundet waren und was das für Konsequenzen hatte, damit musste er sich glücklicherweise nicht herumschlagen. Das war Sergejs Aufgabe. Solange sie sich benahmen, während sie sich in seiner Stadt befanden, war für ihn alles in Ordnung.
Sergej kümmerte sich um das Nahkampftraining und die Soldaten mit Prothesen. Das war ein Lernprozess, den die Operationsroboter in den MedCentern nur unvollständig übernehmen konnten. Sie pflanzen den Patienten das Grundwissen über die Steuerung ein, wusste aber kaum etwas über die Tücken, die sich im alltäglichen Leben in der Außenwelt zeigten. Wie bei jeder Ausrüstung war es eine Frage von Leben und Tod, ob man sie im Feld richtig und und routiniert einsetzen konnte.
Dass die beiden ihm halfen, war ein Teil des Abkommens, das er mit Baldor geschlossen hatte. Er blieb nun doch auf der Erde und seine Begleiter ebenfalls. Sie waren nicht am Leben in der Zitadellenstadt interessiert, sondern an den abgelegenen Küstenstreifen. Das war der Teil, den er mit dem Rat aushandeln musste und gemeistert hatte. Die meisten der Außerirdischen waren friedfertig. Der Großteil der einflussreichen Oberwelter und Familien eher nicht. Sie brauchten also Schutz. Den lieferte Lover in Form eines kleinen Außenpostens des Sicherheitskorps. Im Gegenzug halfen Klara und Sergej beim Training. Jeder bekam, was er wollte. Major Lover hatte allerdings das Gefühl, sehr viel mehr dabei zu gewinnen. Die Ressourcen, die er brauchte, um nicht einmal 30 Außerirdische zu beschützen, waren verschwindend gering. Ganz im Gegensatz zu dem Irrenhaus, das er hier jeden Tag unter Kontrolle bringen musste.
Endlich schafften es die Rekruten, sich zu sammeln, taktische Positionen einzunehmen und die Echse mit ihren Übungswaffen unter Beschuss zu nehmen. Keine fünf Sekunden später lag sie winselnd auf dem Boden und die Rekruten brachen in Jubel aus. Die Realität im Dschungel würde anders aussehen. Dort würden die Tiere sich nicht totstellen. Es war unwahrscheinlich, dass sie alle überlebten, und sicher die Hälfte würde sich mit neuen Gliedmaßen in Sergejs Gruppe wiederfinden. Aber wenigstens würde es Überlebende geben. Das allein war schon ein guter Anfang.
Es ging seit Langem mal wieder aufwärts.