Es war ein beruhigendes Gefühl, im bequemen Pilotensessel der Nethufia Zwei zu versinken. In den vergangenen Wochen musste sich Pangasius damit begnügen, ihr Raumschiff von außen zu betrachten. Musste tatenlos zuzuschauen, wie die Menschen versuchten, das gebeutelte Schiff wieder in Gang zu bringen.
Ihre Hände flogen zielsicher über die Armaturen und hauchten ihrem Schmuckstück Leben ein. Zitternd starteten die Motoren und ließen den Steuerknüppel für eine Weile in ihrer Hand vibrieren, bis sie eine Frequenz erreicht hatten, die für Menschen und Nethuf nicht mehr spürbar war.
Neben ihr saß Baldor und betrachtete die Landschaft der Erde, wie sie unter ihm immer kleiner wurde. Ob er hoffte, dort unten die Strände Nethufs zu sehen? Wünschte er sich das vergleichbar ruhige Leben von früher zurück? Sie musste zugeben, dass er seine Aufgabe besser machte, als sie es erwartet hatte. Als die Menschen sie geweckt hatten und er verschwunden war, hatte sie nicht erwartet, ihn jemals wiederzusehen – wenigstens nicht lebendig. Und jetzt hatte sich die kleine Nervensäge sogar den Platz ihres Vaters erkämpft.
"Bis wohin soll unser erster Testflug gehen, Baldor? Einmal quer durch die Galaxis?"
"Damit wir ohne Energie auf dem nächsten abgelegenen Planeten stranden? Bei der Großen Qualle, Pan, sollte nicht ich es sein, der jugendlich leichtsinnige Vorschläge macht?"
Sollte er. Aber die Angelegenheiten, die ihn beschäftigten, nahm er ernst. Ein wenig zu ernst, vielleicht. Heute gab es mehr davon und weniger Zeit für Unsinn und Faulenzerei. Ein Prozess, der zum Erwachsenwerden gehörte, auch wenn er in der untergegangenen nethufischen Gesellschaft noch weit von diesem Punkt entfernt gewesen wäre. Stattdessen fühlte sie sich nun selbst zu neuen Abenteuern verlockt. Verkehrte Welt? Das musste an dieser unbekannten, neuen Welt liegen. Sie hatte sogar mit dem Gedanken gespielt, den Chauffeur an den Nagel zu hängen und das Sicherheitskorps zu unterstützen. Bei Aufklärungsflügen oder Kampfeinsätzen. So wie früher, als es noch richtige Herausforderungen für sie gab.
"Pan, du spielst doch nicht wirklich mit dem Gedanken, einfach loszufliegen?"
"Nein, Kleiner. Nichts liegt mir mehr am Herzen als deine Sicherheit. Also, was sollen wir tun?"
"Ein kurzer Trip zum Mond und zurück?"
Pangasius gab die Vektoren für dieses kurze Stück ein, überlegte es sich dann aber anders und übernahm die manuelle Steuerung. Sie war lange genug untätig gewesen.
Sie gab einer der Bedienoberflächen einen Klaps, sie wurden in ihre Sitze gepresst und die Erde unter ihnen verschwamm zu blau-grünen Streifen. Das war der Turbo, den sie eingebaut hatten, damit ihre nächste Flucht nicht wieder so knapp wurde. Graue Streifen kündigten den Trabanten der Erde an und Sie hob ihre Hand.
Baldor japste nach Luft und Pangasius lächelte. "Sieht ziemlich tot aus, da unten", sagte sie gelangweilt. "Willst du dir nicht etwas Spannenderes ansehen?" Sie hätte zumindest nichts dagegen gehabt.
"Ich hab eine Idee, ich weiß nur nicht, ob du das auch spannend findest, Pan."
"Dann schieß mal los."
"Flieg mich zum Tor."
Wollte er doch eine kleine Reise durch das Universum machen? Das war jedenfalls nichts, dass sie absolut langweilig gefunden hätte. Zwei weitere Handbewegungen und sie befanden sich beim Tor, das um die Erde kreiste. Genug Energie zur Aktivierung, einem Sprung hinaus und einem zurück, hatten sie sicher. Und da unten gab es inzwischen eine Solarfarm, die nur sie allein mit Energie versorgte.
"Soll ich es aktivieren?"
"Da fragst du noch? Meinst du, ich will einfach nur draufstarren? Ich glaube, du wirst langsam alt."
Pangasius lachte trocken über diesen Scherz. Oder war es ein Kompliment? Denn sie war bereits alt. Sie bearbeitete das Bedienfeld und die Signallichter des Tores leuchteten auf.
"So, wohin soll es gehen, Captain?"
"Nirgendwohin."
Nun war es Baldor, der auf seiner Konsole herumtippte. Kurz sah sie das Logo des SpaceNets aufflackern. Sie war etwas enttäuscht, denn er wollte scheinbar nur kurz seine Nachrichten checken und nachschauen, was dort draußen passiert war, während er hier um sein Leben gekämpft hatte.
Die unbewegte Ansicht des Datenkraken wandelte sich in bewegte Bilder.
"... immer ist unbekannt, was mit den Flüchtlingen geschehen soll, die nach dem groß angelegten Raubzug der Vetis an den Grenzwelten der Galaktischen Gemeinschaft angespült werden. Technologie, um sie zu versorgen, ist bereits im Einsatz. Einige Welten haben ihre Bereitschaft anklingen lassen, sie aufzunehmen, doch die Bürokratie scheint unüberwindlich. Und die Angst, auch getarnten Vetis die Tür zu öffnen, lähmt ganze Regierungen. Ich selbst habe mir die Zustände ..."
Die Sendung lief noch eine Weile weiter und zeigte Bilder von anderen kleineren Rassen des Universums. Verletzt, besitzlos und ohne Hoffnung. Als ein Gruppe Nethuf im Bild erschien, sprang Baldor auf.
"Es haben noch andere überlebt! Wie ich es mir gedacht habe!"
Dann setzte er sich wieder. Es war niemand dabei, den er kannte. Die Nachrichtensendung lief noch eine Weile und Baldor vergrub grübelnd das Kinn in seinen Händen, während seine herumzappelnden Tentakelhärchen den Zustand seiner Gedanken wiedergaben.
"Ich habe eine Idee."
"So?"
"Ja, wir haben hier ein Stück Land zugesprochen bekommen, das nahe der Zitadelle liegt. Das wird nicht für alle reichen, aber sicher für die Nethuf und auch die anderen kleinen Völker unserer Heimat. Allerdings gibt es hier auf der Erde komplett unbewohnte Kontinente. Wenn wir es der Galaktischen Gemeinschaft richtig verkaufen, unterstützen sie uns bestimmt liebend gern mit Geld, Technologie und Helfern. Wir könnten ihnen hier einen Neuanfang bieten."
"Was ist mit der Zitadelle? Könnte die nicht etwas dagegen haben? Und den Vetis? Gibt es hier nicht genug Leute, die lieber unentdeckt blieben?"
Baldor wischte über die Anzeige seines Mikrokorallengeräts und ließ die Bilder verschwinden. "Das mit der Zitadelle ist auch nur Verhandlungssache. Und die Vetis?" Er zuckte mit den Schultern. "Ich habe hier bereits zwei von ihnen besiegt. Mit der richtigen Werbung werden wir dafür sorgen, dass sie sich nicht zu uns trauen." Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus und Baldor Augen blitzten. "Außerdem wolltest du in Wirklichkeit doch, dass ich etwas jugendlich Leichtsinniges wage, oder nicht?"
--- ENDE ---