Tantalius wanderte durch die vielen labyrinthartigen Gänge seiner Rebellenfestung, während er über all das nachdachte, was sich in der letzten Zeit zugetragen hatte. Er kannte sich hier bestens aus und es zog in zu einer besonderen Höhle, welche sich zuoberst in der gewaltigen, wie ein Schweizerkäse durchlöcherten, Planetenscherbe befand.
Als er die besagte Höhle beinahe erreicht hatte, drang ein wohlbekanntes Kreischen, an seine Ohren. Es schien von einem gewaltigen Vogel zu stammen.
Voller Freude verschnellerte er seinen Schritt und trat schliesslich in die riesige Grotte, welche mit weichem Stroh und den seltsamen, schwarzen Federn der gewaltigen Kreaturen, die hier einst gelebt hatten, ausgepolstert wurde.
Durch eine grosse Öffnung, sah er den rotschwarzen, von wabernden Schwaden durchzogenen Himmel und vor dieser Öffnung, erhob sich eine mächtige, schwarze Silhouette. Als er näher trat, nahm das mächtige Wesen immer mehr Konturen an. Es besass den Vorderkörper eines Adlers mit einem scharfen, roten Schnabel. Sein Gefieder und die mächtigen Schwingen glänzten, wie nachtschwarzer Obsidian und es besass den schwarzbehaarten Hinterleib eines Löwen, dessen Schwanz durch die Luft peitschte.
Der Kopf des mächtigen Greifs, drehte sich ihm nun zu und kupferne, glänzende Adleraugen richteten sich auf ihn.
Einige der seltsamen, bläulichen Eier lagen ebenfalls in der Grotte, gut gepolstert und gewärmt, durch flaumige Federn und Stroh. „Hallo Kethia!“ sprach Tantalius mit freundlicher Stimme. „Wie geht es dir so und wie geht es deinen Eiern?“ Er beugte sich zu den ovalen Gebilden herab und testete, ob alles in Ordnung mit ihnen war.
Der mächtige, schwarze Greif, der die Eier gelegt hatte, liess ihn vertrauensvoll gewähren. Er gab einen leisen, beinahe gurrenden Ton von sich und näherte sich dann geschmeidig dem Rebellenführer. Seine Vorderbeine waren die eines Adlers, mit spitzen Krallen und die Hinterbeine die klauenbewehrten Tatzen eines Löwen. Er senkte seinen Kopf und Tantalius begann sein weiches Gefieder an seinem Nacken zu kraulen. „Während er das tat, tauchten verschiedene Bilder vor seinem inneren Auge auf. Er wusste diese Bilder mittlerweile zu deuten. Sie stammten von dem grossen Tier, welches auf diese Weise mit ihm kommunizierte. Der Greif schien sehr klug zu sein und verstand, so wie es schien, ziemlich alles, was Tantalius ihm sagte. Ein Bild war besonders intensiv und tauchte wieder und wieder auf. Es war das Bild eines andern, noch viel mächtigeren Greifs, vermutlich eines Männchens.
„Ich frage mich wirklich, wann du mir deinen stattlichen Gefährten endlich vorstellst?“ meinte Tantalius lächelnd. Kethia war bisher der einzige Greif, den er je zu Gesicht bekommen hatte. Eines Tages hatte er in einer der vielen Gänge der Festung, ein noch intaktes Ei gefunden. Er hatte es zu sich genommen und es gehegt und gepflegt. Tatsächlich war dann ein weiblicher Greif, damals kaum länger als eine Elle, daraus geschlüpft. Tantalius hatte sich mit Hingabe um das junge Tier gekümmert, welches sehr schnell heranwuchs und ihn schliesslich um vieles überragte. Da der Rebellenführer sich jedoch von Geburt an um den Greif gekümmert hatte, war dieser sehr zutraulich. Er sah ihn wohl als Elternersatz. Tantalius konnte sogar schon auf ihm reiten. Es würde Eindruck machen, wenn er mit diesem Tier in die Stadt ritt. Er hatte seinen Auftritt schon genauestens geplant. Wenn er bisher niemals Beachtung von den Frauen erhalten hatte, dann würde er sie auf dem Rücken des Greifs sicherlich bekommen. Doch noch war nicht der richtige Zeitpunkt dafür.
Er betrachtete die Eier und dachte darüber nach, was erst werden würde, wenn auch aus ihnen schliesslich junge Greife schlüpften. Es war sein Traum sie alle zu Reittieren auszubilden, wie es einst Solianas mit den roten, geflügelten Löwen getan hatte. In Zukunft würde dann auch das harpische Volk ihre eigenen Flug- Reittiere besitzen und neue Welten erkunden können. Er wollte unbedingt mal nach Equilibria, doch erst…,wenn aus dieser Welt eine bessere Welt geworden war. Er hatte anfangs nicht zu hoffen gewagt, dass seine Greifen Weibchen Kethia einst Nachwuchs bekommen würde. Denn so wie es anfangs ausgesehen hatte, gab es wirklich weit und breit keinen der gewaltigen Greifen mehr.
Das erwies sich jedoch als Irrtum, denn auf einmal hatte Kethia doch Eier gelegt und ihm durch ihre Gedankenbilder vermittelt, dass er irgendwo da draussen noch einen zweiten, männlichen Greif gab, mit dem sie sich gepaart hatte. Er hoffte, er würde diesen bald zu Gesicht bekommen, aber bisher war ihm dieses Glück noch nicht beschieden gewesen. Er vermutete, dass der andere Greif sehr wild und misstrauisch war und sich nicht in die Nähe der humanoiden Völker wagte. Vielleicht kam er ja auch, wenn alles in der Festung schlief. Kethia lebte sehr frei, sie konnte die Höhle jederzeit verlassen, doch sie kehrte immer wieder von selbst zurück. Er konnte mit ihr sogar durch Gedankenbilder Kontakt aufnehmen, wenn es sein Bedürfnis war und sie folgte praktisch jedem seiner Befehle.
Voller Zuneigung kraulte der Rebellenführer nun auch ihre Löwenflanke. „Ich bin so stolz auf dich Kethia, du sorgst wunderbar für deine Eier, deine Nachkommen werden hier wieder eine neue Heimat finden, denn wenn alles funktioniert, wie ich es mir vorstelle, werden wir euch dieses Höhlenlabyrinth hier überlassen. Wir werden deine Kinder so gut ausbilden, wie dich und ihr werdet der Stolz unseres Volkes sein!“ Ein Bild schwebte durch seinen Geist, dass er als Zustimmung, seitens des Greifs, deutete.
„So, nun muss ich aber wieder!“ sprach er dann. „es gibt noch einiges zu tun. Der Greif senkte noch einmal das Haupt, als ob er zustimmen nicken würde, dann verliess Tantalius die Grotte wieder.
Als er wieder den zentralen Bereich der Rebellenfestung erreichte, kam ihm einer seiner Leute ziemlich aufgeregt entgegen. „Ein junger Mann will dich sprechen. Er gehört scheinbar zum Harem der Königin.“
„Zum Harem der Königin?“ Tantalius Augen weiteten sich. „Aber…was will er?“
„Er möchte nur mit dir sprechen. Er wartet in der Audienzhöhle.“
„Danke,“ sprach der Rebellenführer und machte sich auf den Weg dorthin.
Die Audienzhöhle war eine mächtige Grotte, noch einiges mächtiger als die Brut-Höhle des Greifen. Die raue, ziemlich zerklüftete Oberfläche des erstarrten Vulkangesteins, welches sich in teils grotesken Formen präsentierte, wies wundervolle Einschlüsse von schimmerndem Regenbogenobsidian auf. Man schrieb dieser Höhle gar magische Kräfte zu, weil sich alle Aspekte des Lebens, in den bunten Spektralfarben zu spiegeln schienen. Dieser Effekt wurde durch Lichtquellen aus verschiedenen Winkeln besonders schön in Szene gesetzt.
Hier sass ein noch ziemlich junger Mann auf einem, aus schwarzem Geflecht bestehenden, grossen Sessel.
Tantalius trat zu ihm und meinte etwas spöttisch: „Was möchte ein Vertreter des königlichen Harems bei unserem niedrigen Volk?“
„Ich habe einen wichtigen Auftrag,“ gab der Angesprochene zurück. „Ich spreche im Namen meiner Freunde, welche leider mit ihrem Mordanschlag an der Königin, gescheitert sind.“ „Mordanschlag?!“ Tantalius wirkt zutiefst erschrocken. „Von einem Mordanschlag weiss ich nichts!“
„Tartaios und Baccaius wollten es aber für die Gemeinschaft der Rebellen tun, “ sprach der Mann, welcher sich als Euritheas vorstellte. „Darum bin ich hier, ich wollte euch bitten den beiden zu helfen. Sie sollen Morgen hingerichtet werden. Sie sind bereits treue Anhänger eurer Rebellenbewegung. Darum…haben sie zu eurem Ruhme einen Plan entwickelt, um euch bei dem Beseitigen der Königin zu helfen. Denn ihr werdet sie doch sicher beseitigen müssen nicht wahr?“
„Ja, aber nicht auf solch eine primitive Art,“ gab Tantalius etwas verärgert zurück „Deine Freunde haben einen grossen Fehler gemacht, sie haben einfach eigenmächtig gehandelt und damit unseren Plan ernsthaft gefährdet.“
„Aber…sie wollten euch doch helfen, da wir im Harem, der Königin besonders nahekommen können, näher als irgendwer sonst.“
„Trotzdem…ich habe keinen Mordauftrag erteilt,“ erwiderte Tantalius kalt. „Wir wollen, dass die Königin noch in der Lage ist, unseren neuen Gesetzesentwurf zu unterschreiben. Damit wäre alles von höchster Stelle abgesegnet und wir kämen um einen Krieg oder das kaltblütige Ermorden des Führungsstabes herum. Tartaios und Baccaius haben, durch ihren gescheiterten Plan, die Königin sogar noch auf mögliche Anschläge sensibilisiert und nun…werden wir es noch viel schwerer haben, unser Vorhaben in die Tat umzusetzen. Wir müssen uns jetzt sehr ruhig verhalten. Podargia wird an deinen Freunden ein Exempel statuieren, um mögliche Feinde abzuschrecken. Ich hoffe doch, die beiden reden nicht zu viel. Ich hoffe sie nehmen wenigstens die Schuld, der Ehre gebührend auf sich und wälzen sie nicht auf uns ab. Wir können uns nicht leisten, dass dadurch unsere ganze Bewegung auffliegt. Das alles ist übel, sehr übel! Warum nur tun sie so etwas Dummes!“ Er schlug wütend auf die Armlehne seines Korbsessels, in dem er vorhin, gegenüber dem jungen Mann, Platz genommen hatte. Sein Blick wurde traurig. „Ich kann deshalb nichts für Tartaios und Baccaius tun.“
Ein Schatten huschte über das Gesicht von Euritheas, als er das hörte, doch Tantalius fuhr fort: „Es tut mir leid, aber wie ich sagte, wir müssen und jetzt sehr ruhig verhalten, bevor wir unseren Plan endgültig in die Tat umsetzen können. Du kannst bei uns bleiben, wenn du willst oder du gehst als Spitzel zurück. Letzteres wäre natürlich ein grösseres Risiko für dich.“
„Ich weiss nicht… ob Podargia mich wirklich verdächtigt, ich habe bisher noch nichts getan, wofür sie mich verurteilen könnte. Ich glaube… ich gehe zurück und halte euch auf dem Laufenden, was die Königin jetzt weiter unternimmt. Ich will mich mit euch zusammentun!“
„Das ist gut, dann werde ich dich also über unser weiteres Vorgehen informieren.“