Sie waren nun insgesamt 20 Personen: Neben Aellia, Nannios, Trojanas, Artemia, Mellila und Silvanos, kamen noch ein paar weitere Vertreter der Lunarier und Solianer mit.
Von den Harpyas welche mit Irisa damals angereist waren, war eine mit Irisa auf dem Wasserschiff mitgereist, die restlichen zwei, blieben im Reich des Silbermondes zurück, um die Ankunft ihrer Schwestern vorzubereiten. Auf den Schiffen, welche die Harpyas abholen sollten, gab es für alle wichtigen Personen, abgesehen von Aellia, einen von Trojanas magischen Schutzanzüge.
Alle Passagiere verteilten sich nun auf die verschiedenen Schiffe.
Mellila bedeutete Silvanos mit einem vieldeutigen Lächeln, ihr zu folgen. Nannios stellte das mit Freude fest. Es schien wirklich, als sei die bisher so vom Leben gebeutelte Solianerin, auf dem besten Wege, ihr Glück zu finden. Silvanos fühlte sich sichtlich geschmeichelt und folgte ihr sofort. Er hatte ein weisses Gefieder, mit etwas Gold und Silber durchzogen. Sein Körperbau war recht kräftig und muskulös, da er einer der besten Krieger der Lunarier war. Sein Haar war lang, golden und gewellt und seine Augen sahen aus, wie glänzender Pyrit. Irgendwie passte er sehr gut zu der jungen Solianerin.
Artemia beschloss, sich in dem, in der Mitte fliegenden Schiff, einzuquartieren, denn dort hatte es eine etwas grössere Kajüte mit zwei Fenstern, was ihr sehr gefiel. Aellia, Nannios und auch Trojanas blieben auf dem vordersten Schiff.
„Wenn es zu essen gibt“, erklärte ihnen Aresios „werden wir diese Glocke hier läuten. Wir halten alle möglichst dasselbe Tempo, damit ihr problemlos von einem Schiff zum anderen wechseln könnt, wenn es euch beliebt. Wenn es zu gefährlich wird, hin und her zu fliegen, dann werden wir es euch rechtzeitig sagen.“ „Gibt es denn eine Stelle, wo es gefährlich wird?“ fragte Aellia neugierig.
„Ja, einmal werden wir eine etwas schwierigere Stelle durchqueren, wo es dann öfters Stürme und Turbulenzen geben kann. Das hat mit den Windverhältnissen und der instabilen Witterung zu tun. Es kann jedoch auch ganz ruhig ablaufen. Macht euch darüber keine Sorgen, wir sind uns daran gewöhnt und wissen in jedem Fall, was zu tun ist! Immerhin fliegen wir sehr oft ins Reich der Harpyas. So und nun wünsche ich euch allen eine gute Reise!“
************
Mit klopfendem Herzen stand Hydrochias auf der breiten Mauer, unterhalb des grossen Leuchtturmes, neben ihm die Gruppe Männer, die Tantalius ihm zugeteilt hatte. Alle schauten auf ein, bisher noch weit entferntes, dunkles Etwas, dass sich schnell näherte.
„Sie kommen“, flüsterte der Leuchtturmwächter. „Wenn das nur gutgeht!“
„Ich dachte du bist optimistisch?“ frage einer der anderen Männer, welcher sich Valensios nannte.
„Trotzdem… wer weiss was nicht alles noch schiefgehen kann. Das Leben ist manchmal launenhaft“
„Es wird nichts passieren“, sprach der andere Mann selbstsicher.
„Dann wird es wohl Zeit, dass wir den Drakonier wenigstens ein gewisses Mass an Geschäftigkeit vermitteln, damit sie keinen Verdacht schöpfen,“ meinte Hydrochias nun wieder gefasst. „Macht ihr etwas an den Arbeiten am Turm weiter! Ich werde wie üblich das Schiff am Anlegesteg empfangen und dafür sorgen, dass alle das Deck verlassen, um ein reichliches Mahl, in meiner bescheidenen Stube, einzunehmen.“
Tantalius hatte veranlasst, dass Hydrochias diesmal ein besonders ansprechendes Essen servieren sollte. Gutes Essen machte träge und zufrieden. Wenn es dazu noch einen guten Tropfen Wein gab sowieso. Die Besatzung des Wasserschiffes würde sich bestens entspannen können. Dafür würde der Leuchtturmwächter schon sorgen. So gut, dass sie sich keine unnötigen Gedanken über ihre Lieferung machten.
Die Rebellen gehorchten dem Leuchtturmwärter und setzten ihre Arbeiten an der, dringend zu überholenden Wand des Gebäudes fort, während Hydrochias auf einen breiten, aus dunklem, wettergegerbtem Holz gefertigten Steg, hinaustrat. Es blickte dem Schiff entgegen, das nun bereits ziemlich deutlich zu erkennen war. Je näher es kam, umso ruhiger und selbstsicherer wurde der Leuchtturmwärter jedoch, was ihn selbst ziemlich erstaunte. Es war bei ihm jedoch öfters so, dass er in anspruchsvollen Situationen, zur Hochform auflief. Sein Verstand arbeitete dann äusserst scharf und alles an ihm, strahlte Besonnenheit und Ruhe aus.
Irisa und ihre Kameradin blickten auf den mächtigen Leuchtturm, welcher sein beinahe magisch anmutendes Licht, weit durch die rotschwarzen Himmel warf. Noch nie hatte Irisa so etwas zu Gesicht bekommen. Sie war hierhergereist und hatte Wunder über Wunder gesehen. Die Welt war so weit, viel weiter, als sie es je für möglich gehalten hätte.
Als sie das erste Mal von einem anderen, grossen Planeten erfahren hatte, welcher unter dem Reich des dunklen Mondes lag, war das für sie vollkommen neu gewesen. Auf dem Hinflug hatten sie damals jedoch einen anderen Weg genommen, nicht diesen hier. Die Drakonier machten am Leuchtturm jeweils nur einen Halt, wenn sie das Wasser lieferten.
Der Leuchtturmwärter war zugleich auch ein Wasserprüfer, der ausserdem dafür sorgte, dass die verschiedenen Fässer ans richtige Ort gelangten. Das musste ein sehr vertrauensvolle Aufgabe sein. Denn immerhin hing es ja von diesem Hydrochias ab, dass alles seinen geplanten Gang ging und nichts mit dem Wasser passierte, oder sonst schieflief. Er war auch der Garant dafür, dass das Wasser stets frisch war.
„Von seinem Urteil hängt vieles ab“, erklärte ihr Mangios. „Er sagt, ob unsere Qualität den Anforderungen des harpischen Volkes entspricht und er sorgt auch dafür, dass jedes Fass zu seinem richtigen Besitzer kommt. Man kann sich zu hundert Prozent auf ihn verlassen.“
„Das hoffe ich sehr“, erwiderte Irisa etwas nachdenklich, denn sie dachte auf einmal wieder daran, dass Dyandra von einem evtl. Widerstand der Männer, im Reich des dunklen Mondes, geredet hatte. Doch die Harpya verwarf den Gedanken wieder. Sie war sicher viel zu misstrauisch.
Sie schaute dem Mann, der sie erwartete, entgegen. Er machte einen netten, vertrauensvollen Eindruck. Er erledigte diese Arbeit schon so viele Jahre, bestimmt war alles in Ordnung.
Das Schiff legte an dem dunklen Steg an und wurde, an den dafür vorgesehenen Vorrichtungen, welche seitlich selbigem angebracht waren, mit langen, dicken Seilen befestigt. Eine breite Planke wurde ausgefahren, worüber man das Schiff verlassen konnte.
Mangios begrüsste den Leuchtturmwärter herzlich und meinte: „Hey Hydrochias, wie geht’s immer so?“
„Ach ganz gut Mangios, danke!“ erwiderte dieser mit derselben Freundlichkeit. Es war, als wären die Männer alte Freunde.
Auch die anderen Drakonier schienen den Wasserprüfer gut zu kennen und er sie, denn er sprach alle mit Namen an. Das beeindruckte Irisa.
Als sie dann jedoch ebenfalls ins Blickfeld schwebte, zeichnete sich im ersten Moment grosse Überraschung und auch etwas Erschrockenheit, im Gesicht des Leuchtturmwärters ab. Auch die Männer im Hintergrund, welche gerade daran waren die Mauer des Grundgebäudes zu flicken, reckten ihre Köpfe, als Irisa und die andere Harpya auf den Steg hinaustraten. Einen Moment lang, machte sich peinliches Schweigen breit.
Irisa vermutete, dass dies war, weil die Frauen hier ja eigentlich über die Männer herrschten und diese nun nicht genau wussten, wie sie auf sie regieren sollten. Um das Eis etwas zu brechen, sprach Irisa an Hydrochias gewandt. „Ich grüsse euch, Wächter des Leuchtturms!“ Der Angesprochene konnte kaum glauben, als die Harpya ihn mit diesem Titel und einem respektvollen Kopfnicken bedachte.
Er fasste sich aber gleich wieder und sprach „Ich… grüsse euch…werte Dame! Was verschafft uns die Ehre eures Besuchs?“
„Sie und ihre Schwester sind in einer besonderen Mission unterwegs“. übernahm Mangios die Erklärung. „Wir haben ihnen diese Mitfahrgelegenheit angeboten.“
„Worüber wir sehr dankbar sind“, sprach Irisa.
„Es…ist uns natürlich eine Freude! Kommt doch alle herein, ich habe ein reichliches Mahl zubereitet!“ Dabei nickte er den stattlichen, erstaunlich freundlichen Frauen zu. Sie waren nicht so arrogant, wie er es sich sonst gewöhnt war. Einen Moment lang, plagte ihn das schlechte Gewissen, doch dann rief er sich ins Bewusstsein dass, wenn der Plan der Rebellen funktionierte und die neuen Gesetze in Kraft traten, alle Frauen ihm einst auf diese Weise begegnen würden, früher…oder später.
So schob er die belastenden Gedanken von sich und forderte die Neuankömmlinge erneut auf ihm in sein kleines Gasthaus zu folgen.
„Hast du dir wieder einmal etwas Hilfe geholt Hydrochias?“ fragte Mangios ihn und deutete auf die Männer, welche scheinbar sehr fleissig und konzentriert, am Arbeiten waren.
„Ja, es musste mal sein. Du weisst…alles kann ich auch nicht allein machen. Wäre es in Ordnung, wenn sie mir etwas beim Wasser zur Hand gehen würden? Ich kenne sie gut und ich bin sicher, sie werden es bestens machen und ich… habe dadurch etwas mehr Zeit, euch alle zu bewirten. Immerhin seid ihr diesmal mehr Personen als sonst. Ich werde ihnen natürlich zwischendurch auf die Finger schauen, “ fügte er dann noch schnell hinzu.
Mangios Ausdruck wurde einen Moment lang etwas ernster, doch dann erwiderte er: „Ja, wenn du dich für sie verbürgst, dann ist das schon in Ordnung.“
Hydrochias nickte, sagte jedoch nichts. Den Drakonier schien das zu reichen und sie folgten dem Leuchtturmwächter arglos.