„Ja, es ist auch so. Doch es sind nur wenige und sie tragen besondere Schutz- Gewänder, welche die solianischen Magier entwickelt haben. Wir müssten auf jeden Fall da runter, um uns mit den Männern der anderen Völker zu paaren. Darum… wird Aellia auch genug Drachenschiffe mitbringen, welche uns nach Equilibria fliegen.“
„Wir sollen eine so weite Reise unternehmen?“ fragte Kelana wenig erfreut.
„Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig, ja.“
„Aber…ihr habt nicht einmal Rücksprache mit uns gehalten! Ihr holt einfach diese Drachenschiffe her, die uns in eine völlig fremde, vielleicht feindliche Welt bringen!“
„Es ist keine feindliche Welt. Wir haben die letzten Wochen sehr am Frieden dort unten gearbeitet. Es würde zu lange dauern, alles im Detail zu erzählen, das will ich Aellia und der Delegation überlassen. Es gibt nun einen Friedensvertrag und diplomatischen Beziehungen zwischen Lunariern und Solianern und…wir- die Harpyer…fehlen jetzt nur noch in diesem Vertrag. Sie wollen uns auch als Teil ihres Bündnisses. Allerdings…würde das schon ein paar Änderungen beinhalten. Wir…müssten uns…etwas anpassen und…unser Männerbild und die Art, wie wir mit unserem Nachwuchs umgehen überdenken, denn die andern Völker sind ganz anders als wir. Dort herrscht ein Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern. Kurz gesagt: Eine Gleichberechtigung. Die auch in diesem Vertrag, den wir schliessen wollen, beinhaltet ist.“
Podargia lachte kurz auf. Irisa wussten nicht genau was dieses Lachen genau bedeutete, aber wieder warf die Königin der Hohepriesterin einen vielsagenden Blick zu.
Kelana wurde nun sichtlich wütend. „Gleichberechtigung? So ein Schwachsinn! Es kann niemals eine Gleichberechtigung für Männer geben! Das wäre die grösste Blasphemie gegen die Göttin!“ Irisa hatte mit dieser Reaktion gerechnet und war ziemlich überrascht, dass die Königin nicht auch zornig wurde. Jene schwieg nun jedoch und liess Kelana ihrem Ärger Luft machen. Dabei wirkte Podargia seltsam gelassen und es schien als leuchte es in ihren Augen triumphierend auf.
„Ich kann eure Reaktion verstehen Mutter, “ sprach Irisa mit ruhiger Stimme. „Auch mir ging es anfangs, als Aellia mir diese Idee unterbreitete, so. Ich war vollkommen entsetzt. Doch dann haben ich da unten so viel erlebt und erkannt, dass eine Einheit zwischen den Völkern, allen nur dienen kann.“
„Aellia…hat dir diese Flausen in den Kopf gesetzt? Ausgerechnet Aellia! Eine der ergebensten Dienerinnen der Göttin? Das kann ich kaum glauben!“
„Ihr dürft es glauben, Mutter. Aellia hat das alles erst ins Rollen gebracht.“
„Aber…warum denn bloss, in aller Welt!“
„Weil sie, so wie ich, einfach gemerkt hat, dass es nicht dem Willen der Göttin entsprechen kann, dass wir teilweise so eine lebensverachtende Einstellung haben. Wir können nicht so weiter machen. Irgendwann, werden die Masculinas sich von uns nicht mehr so schlecht behandeln lassen. Sie werden sich auflehnen und wir sind angewiesen auf sie, auch wenn wir es uns nur schwer einzugestehen vermögen. Ohne Männer kein Nachwuchs, ohne Nachwuchs kein Leben. Wir werden hier oben alle sterben und verrotten und unser Volk wird untergehen. Das habt ihr selbst gesagt.“
„Aber das heisst doch nicht, dass wir die Masculinas als uns ebenbürtig anschauen und… ihnen jede Narrenfreiheit erlauben sollen! Sie werden uns vom Thron stossen und uns unterwerfen, wenn wir uns nicht dagegen wehren.“
„Das…mit der Unterwerfung Mutter…, verzeiht mir die Ausdrucksweise, ist doch ein uraltes, nicht mehr aktuelles Relikt. Natürlich wird es einiger Männer geben, die versuchen werden, uns zu unterwerfen. Doch…sind wir nicht stark und sicher genug in uns, dass wir uns davor nicht fürchten müssen? Wir werden immer eigenständig und mächtig bleiben. Doch es wird mehr Liebe in unserem Leben geben, mehr Freude. Wir werden Wundervolles erfahren, wenn wir unsere, über die Jahrhunderte versteinerten Herzen etwas erweichen lassen und auch den Masculinas, wie ihr die Männer nennt, etwas mehr Raum eingestehen. Nur durch diesen Raum, kann wahre Zuneigung und Respekt entstehen.“
„Zuneigung, Liebe!“ Genau das sind die Dinge, die ins Verderben führen!“ schnaubte Kelana verächtlich.
„Aber warum denn, Mutter? Warum, ist Liebe zwischen den Geschlechtern verboten? Das ist doch eigentlich Unsinn. Es geht dabei doch eigentlich nur um unsere Machterhaltung. Wir lassen keine Emotionen zu. Aus Angst davor, Macht zu verlieren oder auf irgendeine Weise verletzt zu werden. Doch wenn wir sicher in uns sind, wenn wir unser Herzen sprechen lassen, dann werden wir nicht verlieren, nur gewinnen.“
„Ich finde, das was sie da sagt, gar nicht so dumm, “ mischte sich nun die Königin wieder ins Gespräch!
Kelana wurde noch zorniger. „Ihr seid doch alle vollkommen verblendet! Ihr stellt die Göttin in Frage! Ihr übt Blasphemie, mit euren Gedanken von Liebe und…Gleichberechtigung!“
Das letzte Wort spukte sie richtiggehend aus. „Wir werden das noch bitter bezahlen!“
„Nein Mutter, da muss ich euch widersprechen, “ gab Irisa zur Antwort. „Wenn wir so weitermachen, wie bisher, werden wir bitter bezahlen. Vielleicht gibt es sogar einen Krieg, zwischen den Masculinas und uns. Sie werden das nicht mehr lange mitmachen. Die Zeit hat sich gewandelt und wir… können uns nicht die ganze Zeit an diesem Ort des Zwielichts verstecken und so tun, als wäre alles noch immer in bester Ordnung. Wir werden uns auf die anderen Völker zubewegen müssen, um weiter zu existieren. Wir sind wirklich auf sie angewiesen, genau wie wir auf jeden Mann hier in diesem Reiche angewiesen sind. Wir können nicht riskieren, dass sie sich gegen uns stellen.“
„Sie werden es nicht wagen!“
„Und was macht euch da so sicher?“
„Weil wir ihnen einfach überlegen sind. Wir würden sie allesamt auslöschen.“
„Ach ja? Und damit die letzte Chance Kinder reinen, harpischen Blutes zu gebären, in den Wind schlagen!?“
„Wir haben ja jetzt die andern Männer, dieser… anderen Völker. Sie werden uns zu Willen sein, weil wir von der Göttin auserwählt sind.“
„Sie glauben an andere Götter und sie werden sich von uns zu gar nichts zwingen lassen. Sie zu zwingen, wäre auch Blödsinn. Es würde enorme Schwierigkeiten mit sich bringen. Diese Völker haben andere Kräfte. Bei den Lunariern ist es z.B. der Zusammenhalt. Jeder würde für den anderen sterben, wenn es sein müsste.“
„Bei uns wäre das auch so.“
„Ja, unter den Frauen. Nur…das nützt nicht viel, wenn die Männer sich gegen uns stellen. Bei den Lunariern ist das nicht so und sie leben ein sehr gutes Leben, voller Harmonie. Ich habe es gesehen. Ich habe ihren und auch den Kampfeswillen der Solianer gesehen. Wenn sie sich gegen uns verbünden, dann wären wir verloren. Entweder wir sterben alle in einem Krieg, oder schleichend, weil wir keinen Nachwuchs mehr gebären können. Letzteres ist wohl noch wahrscheinlicher. Was haben wir denn schon hier? Wir haben kaum genug zu essen und zu trinken. Wir haben nicht genug Männer und bisher konnte sich noch keine Frau in einen Mann verwandeln. Es gibt keinen Weg von hier weg, ausser über die Drachenschiffe. Doch ob uns die Drakonier uns dann noch nach Equilibria bringen würden, wenn wir den andern Völkern sozusagen den Krieg erklären? Das wage ich zu bezweifeln, denn sie sind stets um Ausgleich bemüht und greifen wirklich nur ganz selten in die Geschehnisse der anderen Völker ein. Sie haben sich als neutral erklärt und damit sind sie auf der Seite von niemandem. Also…“
„…Wir sind tatsächlich auf die andern Völker angewiesen und müssen wohl mit ihnen kooperieren“, vollendete die Königin den Satz.
„Ja, so ist es. Wir müssen einen Schritt auf sie zugehen. Sie gehen ja auch einen Schritt auf uns zu. Die Solianer z.B. sind sich von früher her auch andere Sitten gewöhnt und ihre Art des Lebens, hat sie genauso an den Rand der nahen Ausrottung gebracht, wie uns. Die Lunarier tun das, weil sie uns einfach gerne helfen wollen. Sie sind noch am wenigsten auf eine Allianz der Völker angewiesen, denn ihr System funktioniert. Sie haben genug Männer und genug Frauen und es ist ein sehr ansehnliches Volk, mit vorwiegend weissen Federn.“
Irisa kam auf einmal ein Gedanke, als sie an die weissen Federn dachte. „Es sind so weisse Federn, wie ihr sie in eurem Gefieder habt, Mutter.“ Sie schaute Kelana direkt in die Augen, doch diese blickten kalt und abweisend.
Irisa beschloss die Bombe platzen zu lassen. Sie und Aellia hatten eingehend über diese besondere Trumpfkarte gesprochen. Es war jedoch nicht ganz klar gewesen, ob Irisa, oder Aellia sie ausspielen würde. Irisa glaubte den Moment dafür, nun gekommen. So bekam die Hohepriesterin gleich etwas zum Nachdenken.
„Ich glaube Mutter“, fuhr sie fort „Ihr habt diese Federn von eurem Vater… Appollios. Eure Mutter war doch Calipsia, nicht wahr?“
„Jaja, das stimmt.“ Kelanas Stimme klang etwas verwirrt. „Sie starb, als ich noch ganz klein war. Ich erinnere mich kaum an sie.“
„Ja, so konnte sie es euch dann wohl auch nicht mehr sagen.“
„Was sollte sie mir sagen und wer… soll dieser Apollios sein?“ „Appollios war der Geliebte eurer Mutter, ein Lunarier. Ihr habt lunarisches Blut in euren Adern. Und wie ich hörte, wart ihr das Kind einer grossen Liebe.“
„Wie bitte? Ich soll ein Mischling sein?“
„Ja, ihr seid ein Mischling, Mutter. Ihr seid keine reine Harpya und darum, solltet ihr euch gut überlegen, ob ihr nicht doch mal das Volk eures Vaters kennenlernen möchtet, oder ob ihr lieber auf Kriegsfuss mit eurem eigen Fleisch und Blut gehen wollt.“
„Aber…nein…das kann nicht sein. Diese Federn sie…“
„Sie waren bisher das Symbol deiner Weisheit“, meinte die Königin etwas spöttisch. „Vielleicht ist das ja auch ein Zeichen, dass Weisheit in der Allianz mit dem Volk deines Vaters liegt.“
„Aber…“ Kelana war einen Augenblick sprachlos „woher…hast du dieses Wissen Irisa?“
„Es stand in der Stadtchronik der Lunarier. Aellia wird das Buch mitbringen, dann könnt ihr euch selbst davon überzeugen.“
Kelana war tief getroffen, von dieser plötzlichen Erkenntnis über ihre Herkunft. Auf einmal fühlte sie sich müde und matt. „Ich glaube…ich ziehe mich jetzt zurück. Ihr entschuldigt mich? “
Die Königin und Irisa nickten verständnisvoll, ein verborgenes Lächeln lag dabei auf ihren Mundwinkeln. Es schien ganz so, als ob Kelana diese Nacht nicht besonders gut schlafen würde.