17.Kapitel
Irisa blickte tief berührt, auf ihre Heimatstadt, welche sich nun langsam aus dem dunkler werdenden Dunst, des Reiches des dunklen Mondes schälte. Es war Abend und bald würde Lilithia wieder in ihrer vollen Pracht am Himmel stehen. Es war ein guter Moment, um die ersten, wichtigen Gespräche mit der Obrigkeit zu führen, denn die Nacht stärkte die Harpyas in jeglicher Hinsicht, auch ihr Geist wurde dann aufnahmefähiger. Trojanas Gefährtin dachte einen Moment über diesen Sachverhalt nach. „Zumindest…“ verbesserte sie sich im Geiste „ist das noch so bei den Schwestern, die hier im stetigen Lichte der dunklen Göttin leben. Bei mir hat sich das schon etwas verändert. Ich hoffe, ich finde dennoch die richtigen Worte, um die Königin und die Hohepriesterin optimal auf Aellia und die Delegation der verschiedenen, geflügelten Völker vorzubereiten.“ Sie sandte ein leises Gebet zur Göttin empor. Immerhin spürte sie hier ganz deutlich ihre Gegenwart. Dennoch…, es war etwas anders als damals, als sie von hier weggegangen war. Sie hatte eine völlig neue, wundervolle Welt kennengelernt. Hatte wunderbare Menschen getroffen, allen voran ihren geliebten Trojanas. Sie hatte für eine Sache gekämpft die wichtiger und wahrhaftiger war als alles, wofür sie bisher hier in ihrer Heimat gekämpft hatte. Sie war nicht mehr wirklich überzeugt, von der Regierungsform der Harpyas, auch wenn sie sich noch immer aufs Innigste mit ihrem Volk verbunden fühlte. Es war ihr jedoch klar geworden, dass es an der Zeit war, etwas im Reich des dunklen Mondes zu verändern. Erst hatte sie das nicht wirklich akzeptieren wollen, hatte Aellias Einstellung gar als blasphemisch eingestuft. Nun jedoch wusste sie, dass sich eine Allianz der geflügelten Völker für alle nur positiv auswirken konnte.
Mangios schaute sie an. In seinen dunklen Augen lag Verständnis. „Ich kann mir gut vorstellen, was jetzt in dir vorgeht. Aber bestimmt wird sich alles zu Guten wenden.“
„Das hoffe ich sehr“, gab Irisa zurück und auf einmal fühlte sie ein seltsames Frösteln, durch ihren Körper rieseln. Sie schüttelte die düsteren Vorahnungen jedoch von sich und ermahnte sich zur Ruhe und zum Vertrauen. Bestimmt würde alles gutgehen!
Podargia die Königin der Harpyas war aufgebracht. Sie und die Hohepriesterin sassen in einem der vielen Räume, in denen sie sich jeweils trafen. „Es ist eine Schande, wie das einfache Volk, vor allem die Masculinas, in unserem Reiche leben müssen! Sie leben unter ärmlichsten Verhältnissen, haben kaum genug zu essen und alles ist in den unteren Vierteln und ausserhalb der Stadt ist schrecklich heruntergekommen. Das ist nicht in Ordnung! Kein Wunder, lehnen sie sich gegen uns auf!“ Ihre Stimme zitterte vor Aufregung und Wut.
Kelana versuchte sie zu beruhigen, doch diesmal kam sie nicht so schnell zu Wort.
„Ich bin eine schlechte Königin!“ rief Podargia „ich hätte mich vorher um diese Zuständen kümmern müssen! Wie konnte ich nur so blind sein!? Wie nur konnten wir das zulassen!?“ Sie unterbrach ihren Redeschwall, um etwas zu Atem zu kommen und die Hohepriesterin sah ihre Chance gekommen.
Sie meinte mit betont ruhiger Stimme: „Meine Tochter…, reg dich doch nicht so auf! Die Masculinas sind nun mal unsere Diener und sie bekommen doch alles was sie zum leben brauchen.“
„Nenn mich nicht Tochter!“ begehrte die Königin auf. „Und, sie haben keineswegs das was sie brauchen! Unsere wenigen Haus- und Nutztiere leben besser, als die Masculinas! Es ist eine Schande! Eine wahre Schande!“
Die Hohepriesterin sprach ruhig, aber in ihrer Stimme, zeichnete sich nun langsam ebenfalls Wut ab.
Podargia kannte sie gut genug, um das festzustellen, doch es war ihr egal. Sie machte sich schwer Vorwürfe wegen ihrer Gleichgültigkeit. Dafür, dass sie sich nicht früher um diesen Dinge gekümmert hatte. „Ich habe jenen vertraut, welche für diese Belange zuständig sind, ohne mich selbst davon zu überzeugen, dass sie auch gute Arbeit leisten“, rief sie. „Ich war viel zu naiv, glaubte alles laufe optimal in unserem Reich. Ich weiss, dass die Masculinas einst scheinbar von der Göttin als unsere Diener berufen wurden, aber auch wenn das so sein sollte, haben sie doch ein besseres Leben verdient! Ohne sie gäbe es doch auch keinen Nachwuchs, ohne sie würde unsere Welt langsam, aber sicher zu Grunde gehen. Sie tut es ja schon. Das weisst du doch genauso gut wie ich, Kelana!“
Das Gesicht der Hohepriesterin verfinsterte sich zusehends und ihre rötliche Haut wirkte plötzlich dunkler. „Was soll das heissen, wenn es so sein sollte? Es ist so! Sie sind unsere Diener, das ist der Wille der Göttin! Willst du das tatsächlich bestreiten?“
„Ich bestreite nichts, aber ich bin auch nicht davon überzeugt, dass die Masculinas deshalb zu einem so schlechten Dasein berufen sind!“
„Die Liebe zu diesem… Iquitos hat dich ja vollkommen blind gemacht! Du bist nicht mehr Herr deiner selbst, Podargia!“
„Das hat nichts mit Iquitos zu tun und ich glaube ich bin mehr Herr meiner selbst, als ich es bisher jemals gewesen bin. So geht das nicht weiter!“
„Willst du etwa unser ganzes Leben, alles was uns heilig ist, über den Haufen werfen?!“ rief nun die Priesterin aus.
„Wir werden zugrunde gehen, wenn wir das Gleichgewicht stören!“
„Welches Gleichgewicht?“ begehrte die Königin kriegerisch auf. „Das hat nicht viel mit Gleichgewicht zu tun!“
„Doch!!“ Kelana lief jetzt tiefrot an. „Wir dienen der Göttin, der grossen Göttin des dunklen Mondes und wir haben ihre Gesetze zu befolgen!“
„Steht denn irgendwo in den Schriften, dass die Masculinas schlechter als Tiere leben müssen?! Wovor nur hast du solche Angst Kelana? Davor, dass du die Macht verlieren könntest?“
„Wir werden alle unsere Macht und damit alles verlieren. Auch du Podargia. Die Masculinas müssen unter Kontrolle gehalten werden, sonst kontrollieren sie schlussendlich uns!“
„Nein, Kelana…“ gab Podargia nun mit erstaunlich ruhiger Stimme zur Antwort. „Nur weil wir ihnen ein etwas besseres Leben geben, werden wir nicht unsere Macht verlieren. Ich glaube sogar, wir werden eher an Macht gewinnen, da man uns dann respektieren wird und nicht mehr so sehr hasst.“
„Das glaubst du wohl selbst nicht!“ meinte die Hohepriesterin verächtlich…“ Die Königin wollte eine Antwort geben, doch sie wurde von der Novizin Okeana unterbrochen, welche in den Raum trat. Diese schien ziemlich aufgeregt. „Herrinnen, verzeiht dass ich störe, aber Irisa ist zurückgekehrt und sie hat eine Menge Wasser und viele Neuigkeiten mitgebracht. Sie bittet um eine Audienz.“