Doch Irisa hielt sie nochmals auf: „Du wirst das Wasser also nicht selbst überprüfen?“ fragte sie in scharfem Ton an Hydrochias gewandt.
Dieser zuckte innerlich leicht zusammen, doch er liess sich nichts anmerken.
„Nicht alles allein, werte Dame, da ich jetzt schon mal Hilfe habe. Ich möchte euch ausserdem höchstpersönlich bewirten, ohne dass ich dabei die ganze Zeit am Wasser Kontrollieren bin“.
Irisa warf ihm einen tadelnden Blick zu, für sie war das was der Leuchtturmwärter tat, ein Nicht- Erfüllen seiner heiligen Pflicht. Die Harpyas waren in solchen Dingen sehr diszipliniert. Sie warf einen etwa misstrauischen Blick auf die anderen Männer, welche sich nun näherten, ihre Gesichter verrieten ihr nichts. „Ich glaube, ich werde dann besser hierbleiben“, meinte sie.
Wieder musste Hydrochias sich um Selbstbeherrschung bemühen. Das durfte auf keinen Fall passieren! Zum Glück kam ihm erneut Mangios zur Hilfe. Er sprach ernst an Irisa gewandt: „Ich kenne Hydrochias, wie gesagt, viele Jahre. Ich kannte auch seinen Vater und… sogar seinen Grossvater und ich weiss, dass sie ihre Pflicht stets überaus ernst nahmen. Es ist das Recht von Hydrochias, dass er mal zwischendurch etwas Arbeit an andere abgibt, er macht sonst immer alles allein. Wenn wir an anderen Tagen kommen, bewirtet er uns immer gleichzeitig, während er daneben noch das Wasser kontrolliert und zuteilt. Wenn er sich für diese Männer verbürgt, dann vertraue ich ihnen.“
Wieder plagte den Wasserprüfer das schlechte Gewissen, denn diesmal missbrauchte er tatsächlich das Vertrauen der Drakonier, doch er hatte sich so entschieden und dazu stand er. So nickte er Mangios dankbar zu und meinte an Irisa gewandt: „Wollt ihr denn die ganze Zeit hier auf dem Schiff verbringen? Es ist heute ziemlich kalt und ihr seid sicher hungrig und braucht etwas Schlaf.“
„Es geht mir bestens, danke“ erwiderte Irisa kühl „Schlafen kann ich auch etwas später…, wenn die Wasserkontrolle vorüber ist.“
„Das wird aber schon noch eine Weile dauern und ich weiss, dass die behelfsmässigen Lagerstätten auf dem Schiff, kaum wahre Erholung bieten können.“
„Damit hat er allerdings recht!“ grinste einer der anderen Drakonier und klopfte dem Leuchtturmwächter auf die Schultern. „Die Betten ihm Gasthof sind schon viel komfortabler und das Essen ist immer vorzüglich!“
Hydrochias sprach „Ihr werdet staunen, heute habe ich was ganz besonderes gezaubert, als ob ich etwas von dem hohen Besucht geahnt hätte.“ Er lächelte Irisa an, welche sich jedoch immer noch nicht entspannen wollte. Sie war steht eine der Diszipliniertesten gewesen und war es sich gewöhnt, eine Weile ohne Essen und Schlaf auszukommen. Auch wenn sich der Hunger mittlerweile schon wie ein wildes Tier durch ihre Eingeweide frass und sie auch sehr müde war, blieb sie eisern. „Ich bleibe hier!“
Die anderen schauten sie etwas bedauernd an und Hydrochias meinte: „Dann werde ich euch eben etwas aufs Schiff bringen, werte Dame.“ Seine wirkliche Verzweiflung war ihm dabei nicht anzumerken.
Irisa nickte und sprach freundlich: „Das ist sehr liebenswürdig von euch Wächter des Leuchtturms.“
„Es ist mir eine Ehre.“
Die Gesichter der Rebellen verfinsterten sich einen Moment lang. Sie schauten den Wasserprüfer vorwurfsvoll, beinahe zornig an. Er erwiderte ihren Blick und nickte unmerklich, als wolle er sagen, dass er schon wisse was er tat. Dann führte er die anderen Gäste in die Schankstube.
Mit einem wohligen Seufzer nahmen die Drakonier und die zweite Harpya an einem der, eher grob gezimmerten Tische Platz und Hydrochias verschwand in der Küche, wo bereits einige Leckereien vor sich hin brutzelten.
Als er allein war, brach seine ruhige Fassade zusammen und er lehnte sich schweratmend gegen ein Gestell in der Küche. Das lief gerade gar nicht gut! Wie nur sollte er diese starrköpfige Harpya dazu bewegen, das Schiff allein zu lassen? Solange sie dort war, konnten die Rebellen ihre Arbeit nicht zu Ende bringen und…wenn das nicht gelang… dann war alles umsonst gewesen. Nein! Das durfte nicht sein! Er ging zu einem hölzernen Schrank und öffnete dessen Tür. Knarrend schwang sie zurück. Er hatte hier drin eine kleine Apotheke, da seine Gäste und er ja auch ab und zu ein grösseres oder kleineres Wehwehchen hatten. Diesmal suchte er nach einer kleinen Flasche mit einem durchsichtigen, leicht bräunlichen Inhalt. Es war ein starkes Schlafmittel, das ihm Tantalius sicherheitshalber gegeben hatte, falls etwas schieflief. Dieser Mann dachte wirklich an alles! Nun würde es Hydrochias vielleicht sogar gebrauchen müssen. Sofern… er die Harpya nicht anders vom Schiff weglocken konnte.
Er musterte das Fläschchen etwas angewidert und liess es in die Tasche gleiten. Dann begann er damit, zuerst die Leute in der Schankstube zu bewirten. Als alle ein leckeres Mahl und etwas Wein vor sich stehen hatten, holte er ein Tablett und machte auch für die Harpya, auf dem Schiff, eine Mahlzeit bereit.
Irisa schaute währenddessen den Männern zu, die nun angefangen hatten, die Fässer zu sortieren. Sie waren alle ziemlich kräftig und sich anscheinend harte Arbeit gewöhnt. Irgendwie gefiel der Harpya dieser Ausblick. Wie alle Frauen ihres Volkes, machte sie keinen Hehl daraus, wenn ihr ein männliches Exemplar gefiel. Besonders der Anführer, der sich als Valensios vorstellte, gefiel ihr. Er erwies sich als sehr nett und charmant und da sie ihm auch freundlich begegnete, begannen sie sich auch etwas zu unterhalten.
Irisa ahnte nicht im Geringsten etwas vom wahren Vorhaben der Männer.
„Ihr seht müde aus Herrin“, sprach Valensios „wollt ihr nicht doch etwas reingehen? In der Schankstube ist es gemütlich und warm, anders als hier und… uns beim Fässer sortieren zuzuschauen, ist doch sicher nicht sonderlich interessant.“
„Nun…“ meinte Irisa mit einem herausfordernden Ton in der Stimme: „Es kommt auf die Betrachtungsweise an.“ Sie musterte die kräftigen Körper der Männer, mit unverhohlenem Interesse.
Der Anführer der Truppe, lächelte etwas verlegen. „Wir fühlen und natürlich geschmeichelt Herrin, aber sonst ist das Ganze sicher sehr langweilig.“
Sie erwiderte nichts darauf, denn ihre Aufmerksamkeit wurde von Hydrochias- dem Leuchtturmwächter abgelenkt, der mit einem Tablett in den Händen über den Steg auf sie zukam. Ein wundervoller Duft, ging von den Speisen auf dem Teller aus. Erst jetzt merkt Irisa, wie hungrig sie tatsächlich war. Voll freudiger Erwartung schwebte sie Hydrochias ein Stück entgegen, doch… in diesem Moment stiess dieser ziemlich ungeschickt an eins der Fässer, das am Boden lag. Er stiess einen Fluch aus, während sich die Speisen und der ausgesuchte Wein, über das Deck des Schiffes verteilten. „Oh nein!“ rief er aus. „Verzeiht mir werte Dame, jetzt muss ich ihnen nochmals etwas zu essen bringen.“
Irisa ging zu ihm und half ihm beim Aufräumen, was bei allen Männern Erstaunen auslöste. Sie waren es sich nicht gewöhnt, dass die Frauen ihnen bei solchen Dingen zur Hand gingen. Immerhin sahen diese sonst in den Männen, nicht mehr als Diener und Erzeuger. Doch diese Harpya war anders und… auf einmal plagte alle etwas das schlechte Gewissen. Sie wussten jedoch, dass die meisten der harpischen Frauen noch lange nicht so freundlich waren, wie diese Irisa hier und so schoben sie ihre Zweifel wieder beiseite.
„Ihr seid wirklich zu gütig“, sprach Hydrochias mit ehrlicher Innbrunst. „Ich…hole euch gleich noch ein zweites Tablett! Es sei denn… nun ja, …ihr wollt doch einen Moment reinkommen?“
Valensios lächelte Irisa ermutigend zu. Sie überlegte einen Moment. Sie wollte nicht, dass der Leuchtturmwärter noch ein Tablett für sie holen musste und… irgendwie zog es sie auch mit aller Macht in die Wärme und Behaglichkeit der Schankstube. Ausserdem kannte sie ja jetzt die Männer, die das Wasser kontrollieren sollten schon etwas besser. Ihr Misstrauen war bestimmt unbegründet. So sprach sie: „Nun gut, ich komme kurz rein. Es kann sicher nichts schaden.“
Sie warf den andern Männern und vor allem Valensios ein Lächeln zu und folgte dann dem überaus erleichterten, Hydrochias ins Haus. Dessen Plan hatte funktionierte, er hatte mit dem vorgetäuschten Stolperer erreicht, dass Irisa nun doch das Schiff verliess. Eigentlich besass sie erstaunlich viel Mitgefühl. Er mochte sie wirklich.
Als die beiden ausser Sicht- und Hörweite waren, sagte Valensios mit ernster, entschlossener Miene: „Wenn alle Frauen so wären wie sie… dann wäre das hier überflüssig. Doch noch sind wir leider nicht so weit. Darum lasst uns mit unserer Arbeit endlich richtig beginnen!“ Die anderen nickten zustimmend und einer von ihnen bohrte mit einem winzigen, schmalen Handbohrer das erste, fast unsichtbare Loch in eins der Fässer, um das Gift zu injizieren…