Der Kampf um die Drachenschiffe war hart und schliesslich waren die Reihen der Königin schon so weit dezimiert, dass einige von Kelanas Leuten die Schiffe erreichten. Doch die restlichen Kämpfer, an Irisas Seite, gaben nicht auf. Irisa selbst kämpfte wie eine Berserkerin, mähte sich durch die Reihen einiger Gegnerinnen, schlug ihnen die Köpfe ab, oder schlitzte sie auf. Doch auch ihre Gegnerinnen, besonders die Priesterinnen, waren sehr stark. Kelana war noch nirgends aufgetaucht, das war wenigstens ein positiver Aspekt. Sie wartete bestimmt noch ab, bis die Schiffe gesichert waren oder man ihre Hilfe dringend brauchte. Bisher jedoch sah es eher so aus, als würden die Anhänger der Delegation, Hilfe benötigen. Irisa musste gerade gegen zwei Kriegerinnen gleichzeitig kämpfen, die allerdings keine magischen Kräfte besassen. Sie wirbelte ihr Doppelschwert herum, rammte die eine Klinge, mit einem heftigen Stoss, nach hinten in den Bauch der dort stehenden Gegnerin, zog die blutige Klinge dann wieder heraus und stach mit der anderen Klinge nach vorn, wo die zweite Gegnerin, tödlich getroffen, zu Boden sank.
In diesem Augenblick jedoch, traf sie die magische Attacke einer feindlichen Priesterin und schleuderte sie zurück. Das Doppelschwert rutschte Irisa, durch den überraschenden Angriff, aus den Händen. Voller Entsetzen sah sie, wie es in die Tiefen unter ihr hinabfiel. Ohne sich weiter um das Kampfgetümmel zu kümmern, flog sie der Waffe blitzschnell hinterher. Sie machte einen Sturzflug, um die Distanz zwischen sich und dem Schwert schnellstmöglich aufzuholen. Die Priesterin, welche sie angegriffen hatte, lächelte hämisch und wollte eine weitere, magische Attacke, gegen die Anführerin der Ketzer schleudern. Doch mitten in ihrem Zauber, hielt sie inne. Ihr Blick erstarrte und dann stürzte sie, tödlich getroffen, ab. Mehrere Pfeile ragten aus ihrem Rücken.
Irisa war froh, dass scheinbar niemand mehr sie daran hindern wollte, sich ihre Waffe wiederzuholen. Sie streckte ihre Hand aus und bekam ihr Schwert endlich wieder zu fassen. Erleichtert bremste sie ihren Flug ab und wollte sich auf den Weg zurück zur Schlacht machen.
In diesem Moment, erklang der erlösende Ton eines mächtigen Horns und sie sah, wie sich, von der Stadt her, eine weitere Armee näherte. Es waren ihre Leute, deren Pfeile ihr auch das Leben gerettet hatten. Endlich waren sie da! Sie wurden sogar von Aellia angeführt! Die Kämpfer, die sie mitbrachte, waren zum grossen Teil aus dem einfachen Volk. Besonders Männer, welche nur sehr schlichte Rüstungen und einfache Waffen trugen. Einige darunter, schienen jedoch bessere Krieger zu sein, ihrer Aufmachung und ihrer Art des Kämpfens nach zu schliessen.
Als Irisa wieder zu ihnen hinauf schwebte, ihr Doppelschwert nun besonders fest in der Hand, erkannte sie sogar einen dieser Kämpfer. Es war Valensios, der Mann, den sie einst beim Leuchtturm kennengelernt hatte. Er war damals sehr charmant gewesen und sie hatte Gefallen an ihm gefunden. Unter anderen Umständen, wäre sie den Wonnen mit ihm nicht abgeneigt gewesen. Doch bisher hatte sie sich immer um andere Dinge kümmern müssen. Ihr wurde klar, wie lange ihre letzten Wonnen eigentlich schon zurücklagen. Das letzte Mal, hatte sie diese mit Trojanas geteilt, bevor sie mit dem Wasserschiff Equilibria verlassen hatte. Seither war das leider nicht mehr möglich gewesen, schon weil Trojanas immer dieses Gewand tragen musste und sie auch sonst immer zu viel zu tun gehabt hatte. Sie merkte, wie ein Moment lang die Hitze in ihrem Unterleib aufstieg, während sie an die Wonnen dachte. Sie musterte Valensios in seiner rotschwarzen Lederrüstung, die verziert war, mit einem sonnenähnlichen, roten Symbol, in dessen Mitte ein schwarzer Greif schwebte. Seine Muskeln zeichneten sich darunter deutlich ab. Er trug ein Langschwert bei sich, so ähnlich, wie es Solianas einst geführt hatte. Sein Haar war lang und schwarz, wie jenes von Trojanas, und nun zu einem Pferdeschwanz gebunden. Auch besass er sehr ähnliche, klug blickende Augen, wie Trojanas. Sein Gefieder war vorwiegend schwarz, nur mit einigen roten Deckfedern, an den Flügeln. Die Lippen, waren etwas breiter und weniger voll als jene ihres Liebsten, doch die Gesichtszüge wirkten etwas weniger kantig. Er sah wirklich sehr gut aus. Ein wahrhaft stattliches, männliches Exemplar.
Während Irisa wieder nach oben schwebte, um sich zu Aellia und ihren Truppen zu gesellen, begegneten sich ihre und Valensios Blicke. Er wirkte erst etwas durcheinander, doch als sie ihm zulächelte, verzog sich auch sein Gesicht zu einem breiten Grinsen. „So trifft man sich also wieder!“ sprach sie und reihte sich neben ihm ein.
„Ja, welch glückliche Fügung“, erwiderte er in seiner üblichen, charmanten Art. „Ihr kommt wie gerufen, wir befinden uns in einer etwas heiklen Situation.“
Valensios nickte, doch die beiden hatten nicht lange Zeit, miteinander zu plaudern, denn die ersten Feinde griffen bereits wieder an und nun endlich, schien sich die Schlacht wieder zu Gunsten der Delegation zu wenden…
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Nannios hatte sich mittlerweile wieder von der schweren Magieattacke erholt und machte sich nun auf, die anderen seiner gefangenen Freunde zu befreien. Ziemlich bald, fand er auch sie. Er war nun jedoch etwas vorsichtiger und liess nun immer jemand, der keine magischen Kräfte besass, die Türen öffnen. Artemia half nun mit, die versteckten Zauber, welche die Gefängnisse ihrer Freunde umgaben, zu erspüren und unschädlich zu machen. Ihre aussergewöhnliche Feinfühligkeit und Wahrnehmung, waren dabei von grossem Nutzen. Nicht nur einmal spürte sie eine Falle auf, welche Nannios und auch die harpischen Priesterinnen, nicht erkennen konnten.
„Ach Mutter!“ sprach der junge Mann dankbar, „wenn wir dich nicht hätten!“ Sie lächelte und erwiderte: „Eines Tages, wirst auch du diese Fähigkeiten besitzen. All das bedarf seiner Zeit, doch je mehr du die Verbindung zur Göttin vertiefst und je erfahrener du wirst, umso mehr wirst du Einblick erhalten in das, was sonst jenseits der sichtbaren Welt liegt.“ Callidia war zutiefst beeindruckt, von Artemia und ihren Kräften und schliesslich fragte sie: „Grosse Hohepriesterin der Lunarier, eure Gaben sind legendär, besonders auch die Heilkräfte eures Volkes. Uns fehlen diese Gaben. Wir haben nicht die Fähigkeit Verletzte und Kranke auf so wunderbare Weise zu heilen. Wäre es vielleicht möglich, dass ihr mich und meine Schwestern in diesen Künsten unterweisen könntet?“ Artemia überlegte einen Moment, dann erwiderte sie: „Nicht alle sind zum Heiler geboren, doch bestimmt gibt es auch unter euch jene, welche diese Gabe entwickeln könnten. Ihr z.B. hättet sicher gute Chancen. Doch es würde, wie ich bereits sagte, seine Zeit brauchen. Ihr verbindet euch, wenn ihr heilt, mit einem anderen Aspekt der Gottheit, einem Aspekt, der euch noch immer fremd ist. Doch sollten wir es schaffen, dass diese Welt, sich mit der unseren verbündet, dann würde ich euch und einige andere Schwestern, gerne in meinen Künsten unterweisen. Bedenkt jedoch, dass ihr dann eure ganze Lebenssicht, überdenken müsstet und euch öffnen müsstet, für diesen anderen Teil der Göttin.“
„Tun wir das nicht bereits?“ fragte Alwiana, welche nun neben sie getreten war. „Wir öffnen uns schon sehr für diesen anderen Aspekt der Gottheit, sonst wären wir nicht hier.“
Artemia lächelte: „Ja, damit habt ihr nicht unrecht. Ihr seid schon auf diesem Pfad, wie alle, die sich unserer Sache anschliessen. Was hat euch eigentlich dazu bewegt, euch auf unsere Seite zu stellen?“ Ihre Augen blickten wissend, als kenne sie bereits einen Teil der Antwort. Alwiana seufzte kurz auf, dann meinte sie: „Weil ich einfach nicht mehr so weiterleben wollte, so ohne Liebe, ohne Zuneigung. Ich habe mich schon vor längerer Zeit in einen Mann verliebt. Sein Name ist Hydrochias. Er ist der Wächter des Leuchtturms, südlich von hier. Wir trafen uns vor einigen Jahren und wenn ich jeweils auf die Reisen durch den Raum war, um Nahrung für unser Volk zu beschaffen, habe ich ihn oft besucht und wir hatten wunderbare Zeiten zusammen. Ich meinte lange, dass es mir nicht erlaubt sei, ihm meine Liebe zu schenken, weil… dies in unserem Volke verpönt war. Wir durften uns niemals in einen Masculina verlieben. Doch mit der Zeit, verliebte ich mich doch in Hydrochias. Ich gestand mir das jedoch lange nicht ein, bis er… eines Tages zu mir sagte, dass er es nicht mehr ertrage, mich nur so selten zu sehen, er mich liebe und mit mir zusammen sein wolle. Es war mutig von ihm, mich so direkt darauf anzusprechen. Die meisten Männer wagten es im Reich des dunklen Mondes bisher nicht, einer Frau ihre Liebe zu gestehen oder sich überhaupt solche Gefühle zu erlauben. Denn meist war Hohn und Ablehnung die Antwort darauf. Wir Frauen haben von Kindesbeinen an gelernt, dass Gefühle wie Liebe und Zuneigung eine Schwäche sind, doch so ist es einfach nicht! Das erkannte ich! Ich wollte nicht mehr so leben, darum habe ich mich euch angeschlossen! Noch habe ich es nicht gewagt, meinem Liebsten meine Gefühle zu gestehen, doch ich werde es bald tun. Ich werde mit ihm zusammen sein, doch dann muss sich endlich etwas verändern und Kelana darf keinesfalls die Macht über dieses Reich erlangen! Ich möchte das Hydrochias und ich unbeschwert zusammenleben können, dass wir uns nicht mehr verstecken müssen oder nur allein für die Wonnen zusammenkommen. Ich bin nicht mehr gar so jung und ich sehne mich nach einer Familie, nach einer Familie, die tief verbunden ist, einer Familie, die zusammenleben kann. Es wird Zeit, dass ich sesshaft werde.“
Sie hielt inne und alle schauten sie berührt an.
Nannios sprach: „Ich finde, das eine wunderbare Idee, denn wenn man die Liebe seines Lebens gefunden hat, dann sollte man auch mit ihr zusammen sein können und man sollte die Kinder zusammen grossziehen dürfen. Das ist das grösste Geschenk, das es auf der Welt gibt. Darum wollen wir auch, dass das Land des dunklen Mondes diese neuen Gesetze erhält. Damit alle gleichberechtigt sein können und so auch mehr Liebe, mehr Verbundenheit möglich ist.“
Alwiana nickte zustimmend, ebenso die anderen Harpyas welche sie begleiteten.
Während sie durch die vorwiegend leeren Gänge der Priestergemächer schwebten, um Trojanas zu befreien, begannen auch noch einige andere ihrer Gruppe, ihre Geschichte und ihre Beweggründe, für ihr Hiersein zu erzählen. Alwiana stellte erstaunt fest, dass es auch unter den anderen Harpyas einige gab, die sich ebenfalls einem Mann besonders zugetan fühlten und darum auf der Seite der Delegation standen. Nannios lächelte still in sich hinein, während er zuhörte und erneut wurde ihm klar, wie wichtig es war, das Ideal einer geeinten Welt weiterzuverfolgen.