Tantalius wagte sich nun wieder aus seinem Versteck. Aellia schien es ihm nicht übel zu nehmen, dass er sich aus dem heftigen Kampf herausgehalten hatte. Sie meinte: „Es ist ganz gut, dass du das alles ebenfalls mitgekriegt hast. So kannst du meine Geschichte bezeugen, wenn ich sogleich Podargias Getreue zusammentrommle. Vielleicht stellen sich ja auch die Männer auf unsere Seite, wenn sie erkennen, dass ich alles tue, um ihr Leben hier zu verbessern. Wir müssen schnell handeln! Kelana und ihre Anhänger dürfen keinesfalls die Schiffe besteigen und nach Equilibria gelangen. Das hätte grosses Elend zur Folge.“ „Was kann ich tun, um dir zu helfen?“ fragte Tantalius, von neuem Mut und Entschlossenheit erfasst. „Vielleicht kennst du ja einige Männer, die an unserer Seite kämpfen würden. Und möglicherweise, kannst du sogar die Greife mobilisieren. Wir brauchen jede Hilfe, die wir kriegen können. So wie es aussieht, steht uns eine Schlacht bevor.“
„Was wird aus deinen Freunden?“
„Ich werde sie befreien, egal was es kostet. Ich kann nicht tatenlos zusehen, wie sie als Druckmittel gegen die anderen Völker benutzt werden. Ach, wenn nur Podargia nicht auch noch diese Seuche hätte und… all die anderen, die auf unserer Seite stehen würden! Ich werde als Erstes eine Botschaft an die Rebellen schicken, dass sie wenigstens unsere Leute heilen. Das würde uns sehr helfen. Ich schaue mal nach, ob der Bote noch da ist.“
Tantalius nickte zustimmend und sprach: „Alles klar! Dann werde ich also mal alle zusammentrommeln, welche uns unterstützen wollen! Wir treffen uns dann am besten alle im Gasthaus zur schwarzen Sonne, im untersten Viertel. Dort sind wir ungestört vor Kelana und ihren Schergen.“
Aellia fand die Idee gut und meinte: „Grossartig, dann sehen wir uns dort! Ich würde sagen bei Sonnenuntergang.“ Tantalius nickte erneut zustimmend und entfernte sich dann eilig.
Aellia flog erneut zu den Gemächern der Königin. Sie wollte Podargia erst einmal schonen und ihr noch nichts von den neuesten Entwicklungen erzählen. Der Bote war zum Glück noch da. Man hatte ihm Quartier gegeben, bis eine Antwort an die Rebellen verfasst war. Aellia reichte ihm eine Schriftrolle, in welcher sie den Rebellen die Situation erklärte und sie um ihre baldige Hilfe bat.
Tantalius Herz raste, als er den Tempel verliess. Das Erlebnis mit Kelana, hatte ihn ziemlich eingeschüchtert. Auch er war sehr froh, dass er Aellia begleitet hatte. So wusste er nun, dass es der jungen Harpya und ihren Freunden, mit den neuen Gesetzen, wirklich ernst war und sie alles dafür taten, sie auch umzusetzen. Er musste ihnen deshalb unbedingt helfen. Er musste dafür sorgen, dass die Anhänger der Königin und jene von Aellia, möglichst schnell das Gegengift erhielten, um wieder kämpfen zu können. Er und die anderen Masculinas, hatten ihre Kampfkünste zwar in den letzten Monaten auch sehr aufgebessert, aber es reichte noch lange nicht, um wahrlich gegen die weiblichen Harpyas zu bestehen, schon gar nicht gegen solche wie Kelana. Wieder lief ein Schauder über seinen Rücken, wenn er an deren grosse Macht zurückdachte. Sie war eine sehr gefährliche Gegnerin, für alle. Ihr schrecklicher Fanatismus, gepaart mit ihrer Kampfkraft, schien beinahe unüberwindlich.
Als er ausser Sicht und Hörweite der Stadt war, holte er das magische Amulett hervor, mit dem er jeweils Verbindung zu seinen Getreuen aufnahm. Valensios reagierte sofort auf seinen Ruf. „Tantalius? Was gibt‘s?“
Der Angesprochene, erwiderte ernst: „Die Situation in der Stadt spitzt sich zu. Wir müssen unbedingt handeln!“ Er erzählte seinem ersten Offizier alles was sich zugetragen hatte. Valensios‘ Stimme klang erschüttert, als er erwiderte: „Dann müssen wir wirklich schnell handeln! Der Bote wird also sehr bald mit der Nachricht von Aellia hier sein?“
„Ja, aber Darauf werden wir nicht mehr warten. Jede Minute zählt. Bringt das Gegengift zu mir! Ich werde mich darum kümmern, dass es in die richtigen Hände gelangt. Nur jene, die auf unserer Seite stehen, werden es vorerst erhalten. Das kann unsere Position stärken. Bring auch alle Männer mit, die einigermassen im Kampfe geübt sind! Ich werde versuchen, die Greife ebenfalls zur Hilfe zu rufen.“
Valensios erwiderte. „Alles klar, wir sind schon unterwegs!“
„Das ist gut. Ich warte an unserem üblichen Treffpunkt, im untersten Viertel, auf euch. Aellia und ihre Helfer werden auch dorthin kommen.“
„Okay! Bis dann!“
Nachdem Tantalius sein Gespräch mit Valensios beendet hatte, suchte er im Geiste nach den Greifen. Schon bald nahm er Kethias Signal, in den zahlreichen Wellen des Universums wahr, so vertraut und liebevoll. „Meine Schöne! Wir brauchen deine und die Hilfe von Ketios, “ sprach er in Gedanken zu ihr. „Uns steht vermutlich eine entscheidende Schlacht bevor…“
Und die Antwort folgte: „Wir machen uns sogleich auf den Weg…“
19.Kapitel
Nannios dachte angestrengt darüber nach, wie er aus der Falle entkommen konnte, in die er und seine Freunde da geraten waren. Sie wurden als Geisseln benutzt, um ihre Völker zur Paarung mit den Harpyas, unter Kelanas Herrschaft, zu zwingen. Und er war hier zur Untätigkeit verdammt! Der magiedämmende Reif, lag immer noch um seinen Hals. Er hatte ihn schon mit seinem Geiste abgetastet, um eine Schwachstelle an ihm zu finden, doch er fand einfach keine. Der Fertiger dieses Halsreifst, verstand sein Handwerk offensichtlich. Wenigstens war der junge Lunarier, nun nicht mehr an dieses vermaledeite Bett gefesselt.
Man hatte ihm stattdessen die Arme auf dem Rücken zusammengebunden und ihn in sitzender Position an die Wand gekettet. Er zerrte an seinen Fesseln, versuchte seine Hände, durch geschicktes Drehen und Ziehen zu befreien. Aber es half nichts. Es erschien vielmehr so, als ob sie sich, durch seine Anstrengungen, nur noch mehr um seine Handgelenk legen. Er war schon ganz taub in den Fingern und seine Haut war, unter den eisernen Handschellen, bereits blutig und aufgeschunden. So kam er jedenfalls nicht weiter. Er dachte die Optionen durch, die ihm noch offenstanden. Doch davon gab es nicht sonderlich viele, denn ohne seine Magie, konnte er im Augenblick nichts ausrichten.
Er wollte schon aufgeben, als ihm auf einmal doch ein Gedanke kam! Er wusste es war riskant, aber es war wohl die einzige Möglichkeit, endlich aus diesem Gefängnis zu entkommen. Er brauchte dazu keine Magie, sondern nur seinen Willen und das Wissen darum, wie sein Körper funktionierte und wie er dessen Vorgänge beeinflussen konnte.
Die Lunarier waren die herausragendsten Heiler im Universum und das war nur möglich, weil sie die Gabe besassen, den materiellen Körper insoweit zu beeinflussen, dass er die optimale Leistung erbrachte, um seine Selbstheilung zu beschleunigen. Nannios hatte von dieser Gabe schon oft Gebrauch gemacht. Diesmal jedoch würde er sie für den gegenteiligen Effekt nutzen. Er würde sich selbst krank machen. Es war riskant, weil die Folgen so einer Beeinflussung noch nicht genug erprobt waren. Nur einmal als Jugendlicher, hatte er sich selbst krank gemacht, als eine schwere Prüfung bevorstand, derer er sich noch nicht gewachsen fühlte. Die Krankheit hatte ihm damals etwas Zeit verschafft und er hatte die Prüfung schlussendlich bestanden. Doch da es wirklich kein Spass war, krank zu sein und auch immer die Gefahr drohte, dass man den Effekt nicht mehr so einfach umkehren konnte, wenn er mal in Gang gesetzt war, wandte er diese Methode nie mehr an. Bis heute.
Er wollte den Eindruck erwecken, dass auch ihn diese schlimme Seuche erwischt hatte, die gerade im Reich der Harpyer grassierte. Er würde hohes Fieber und Erbrechen vortäuschen. Die Symptome mussten schwer genug sein, damit die Wächterinnen, vor seinem Gefängnis, sie auch ernst nahmen. Und dennoch durften sie nicht allzu schwer sein, damit er durch sie, in seinem Handlungsspielraum, nicht zu sehr eingeschränkt wurde. Wenn alles funktionierte, würde bestimmt ein Heiler gerufen, oder man brachte ihn im Idealfall, vielleicht sogar ins Lazarett. Dann musste es ihm nur noch gelingen, die vorgetäuschte Krankheit im richtigen Moment zu unterbrechen und sich zu befreien. Wie genau, dass funktionieren würde, wusste er noch nicht so ganz, aber er musste das Risiko eingehen. Es stand sehr vieles auf dem Spiel. Natürlich würde Aellia ihn und die anderen suchen und sicher auch irgendwann befreien, aber dann konnte es schon zu spät sein. Wenn er erst einmal aus seinem, mit Magie verstärkten Gefängnis, entkommen war, konnte er auch die anderen finden. Das war ebenfalls eine Fähigkeit, der lunarischen Priester: Sie konnten die Energieströme, vor allem von ihnen vertrauten Menschen, im Wirbel des überall fliessenden Äthers, ausfindig machen und sie dadurch stets schnell finden.
Nannios kniete nieder und senkte seinen Kopf: „Grosse Göttin! Erhöre mich! Ich brauche nun deine Hilfe. Mache meinen Geist stark und hilf mir, das Richtige, im richtigen Moment zu tun!“ Als er dieses Gebet gesprochen hatte, war ihm auf einmal, als senke sich ein silbernes, wundervolles Licht auf ihn hernieder. Es umhüllte und durchströmte ihn ganz und erfüllte ihn mit einem Gefühl der Sicherheit und Liebe.
Nannios konzentrierte nun seine Macht auf die Zentren in seinem Körper, welche die Krankheit auslösen sollten. Auf einmal begann er zu zittern, Fieberkrämpfe schüttelten ihn und seine Magensäure, brandete die Kehle hinauf. Es war ein sehr unangenehmes Gefühl und sein noch immer wacher Geist, sah seinen Körper hinübergleiten, in den dunklen Strudel seiner selbst herbeigeführten Krankheit…