„Warum nur bist du so schrecklich aufgeregt meine liebe Kethia?“ fragte Tantalius das Greifen Weibchen, welches unruhig in der Höhle herumflatterte. Sie kreischte wild. Ihr Blick raste hin und her, zwischen ihren Eiern, ihrem Meister und dort draussen, wo der dämmrige Himmel in seltsamem Himbeerrot leuchtete. Tantalius versuchte angestrengt die wirren Gedankenbilder, welche ihn richtiggehend um- und durchströmten zu entwirren. „Ich kann dich nicht verstehen, wenn du so unruhig bist“, sprach er mit möglichst gefasster Stimme. „Ich kann dir nur helfen, wenn du dich beruhigst.“
Kethia schien zu begreifen und wurde etwas stiller. Eine Welle der Verzweiflung strömte dem Rebellenführer entgegen, als der Greif seinen Kopf in seine Hand barg. Das schmerzte ihn sehr und er streichelte mit der andern Hand zärtlich über Kethias gefiederten Hals. „Gut so! Nun sag mir, was geschehen ist!“
Erneut drangen Bilder auf ihn ein, voller Angst und Verzweiflung. Er sah den grossen männlichen Greif, mit dem sich Kethia gepaart hatte. Er war hier ganz in der Nähe. Drei gewaltige rote Drachen, bedrängten ihn. Er sah, wie der Greif, welchen er mittlerweile Ketios nannte, sich wild zur Wehr setzte, dann auf einmal gab er jedoch auf und verlor das Bewusstsein. Er wurde auf einem grossen, hölzernen Drachenschiff festgebunden und weggebracht. Danach breitete sich nur endlose Schwärze aus und Tantalius keuchte vor Entsetzen auf. Was war bloss geschehen? Doch auch Kethia schien nur diese Schwärze zu sehen und das schien sie wahnsinnig zu machen. Auf einmal durchströmten ihn andere Bilder. Er wusste, dass dies emotionale Bilder waren, welche noch nicht stattgefunden hatten. Kethia stürzte sich auf die schrecklichen, roten Drachen, zerfetzte sie, zerschmetterte das Schiff, welches ihre Partner gefangen hielt und befreite ihn. Doch dann war da wieder nur Schwärze und Verzweiflung, denn Kethia wusste nicht, wo sich der männliche Greif zu Zeit befand. Sie wollte sich auf die Suche nach Ketios machen, doch sie konnte auch ihre Eier nicht einfach im Stich lassen. Dennoch, es sah beinahe so aus, als wäre der Drang ihren Liebsten zu finden doch übermächtiger, denn sie näherte sich dem Rand der offenen Höhle und war drauf und dran ihre gewaltigen, schwarzen Adlerschwingen auszubreiten.
Tantalius jedoch hielt sie zurück. „Nein Kethia! Geh nicht! Denk an deine Jungen! Nur du kannst sie optimal betreuen. Sie werden sterben, wenn du die Eier zu lange allein lässt. Wir wissen noch nicht, wo Ketios sich genau befindet. Wohin zeigte die Spitze des Schiffes?“
Noch einmal floss ihm ein Bild zu, eins der vielen Bilder, welche Kethia zweifellos auf telepathischem Wege von ihrem Partner erhalten hatte.
Erneut sah Tantalius das Schiff. Es befand sich schon nahe bei der Rebellenfestung und seine Richtung schien die Obsidianstadt zu sein.
„Hat es, noch mehr Passagiere auf dem Schiff?“ fragte er. „Und wenn ja, wie sehen sie aus, hat dir Ketios das übermittelt?“
Der weibliche Greif beruhigte sich etwas und faltete seine Flügel wieder zusammen. Ein weiteres Bild kam! Auf dem Schiff standen seltsame Gestalten. Sie sahen alle aus wie die Harpyas, aber sie hatten andere Flügel, teilweise rot, ja gar weiss. Alle, ausser eine ihm unbekannte Frau, mit schwarzem Gefieder, trugen seltsame, goldene Gewänder mit dichten Runen versehen. Eine andere Frau mit weissen Federn, fiel Tantalius besonders ins Auge. Sie hatte wohl auch vorwiegend Ketios Aufmerksamkeit in Anspruch genommen, denn ihr Bild war sehr deutlich. Sie hatte schöne Züge, war etwas älter als Tantalius. Lange, silberne Haare wallten über ihren Rücken. Ein überirdisches Leuchten umgab sie und irgendwie strahlte sie eine angenehme Ruhe und ein Verständnis, auch für den Greif, aus. Tantalius war von ihr fasziniert. Sie machte irgendetwas mit Ketios, denn auf einmal kehrte Frieden in dessen Seele ein und er schlief ein. Fast zur selben Zeit, als dieses Bild Tantalius zuströmte, entspannte sich auch Kethia wieder etwas. Auf einmal erkannten sie und auch der Rebellenführer, dass Ketios einfach friedlich eingeschlafen war und zurzeit kein Leid empfand. Schon bald aber, wallte wieder die Sorge um ihn in Kethia auf. Sie musste wissen, wo ihr Partner sich befand. „Da war noch eine andere Frau“, sprach Tantalius beruhigend. „Es war eine Harpya. Ich kenne sie zwar nicht, aber ich glaube, nach ihrer Anwesenheit auf dem Schiff und dessen Richtung zu urteilen, fliegen sie in die Stadt. Ich werde mich sofort darum kümmern! Mach dir keine Sorgen, mein Mädchen!“ Er tätschelte sanft den grossen Kopf des weiblichen Greifs und verliess dann die Höhle.