Nannios Kopf brummte, als er die Augen öffnete. Er lag auf dem Rücken und über sich erblickte er ein schön behauenes, schwarzes Bogengewölbe, welches die üblichen Verzierungen aus Schlangen und Vögel- Reliefs trug. Er versuchte sich aufzurichten, doch dann merkte er, dass seine Hände und Beine an das lange, schmale Bett gefesselt waren, auf dem er lag. Er versuchte seinen Kopf zu heben und stellte mit Schrecken fest, dass er ausserdem eins dieser magiedämmenden Halsbänder trug. Er fluchte leise vor sich hin und er zerrte wild an den Fesseln.
Was nur, war geschehen? Er versuchte sich, trotz seines schrecklich brummenden Schädels, zu erinnern. Durch den Nebel seiner Erinnerungen hindurch, sah er schliesslich sich selbst, seine Mutter, Trojanas und die anderen Nicht- Harpyer, an dem grossen dunklen, mit reichen Schnitzereien verzierten Konferenztisch sitzen und darüber beraten, wie es weitergehen sollte. Aellia hatte noch andere Dinge zu erledigen, unter anderem war sie zu einer Audienz bei der Königin gerufen worden. Er und die anderen Equilibrier, gingen zusammen alle Möglichkeiten durch und berieten über die beste Lösung. Es waren schwierige Entscheidungen, die sie treffen mussten. Nannios hasste das. Er hätte es vorgezogen, wenn alles sich natürlich entwickelt hätte, doch es war meistens nicht so einfach, wie man es sich erhoffte. Das wusste er ja noch von dem einstigen Konflikt mit Solianas und dessen Anhängern. Damals war sogar ein Krieg, aus dem Kampf um Gerechtigkeit, entstanden. Diese Situation hier war zwar etwas anders, aber auch sehr schwierig. Kelana musste einwilligen, sonst geschah gar nichts und… sie mussten die Harpyas im Stich lassen, was ihn besonders schmerzte, da er ja selbst eine Harpya liebte.
Er überlegte, was alles während dieser Konferenz geschehen war. Wie war er hier gelandet? Es kam ihm in den Sinn, dass man ihnen irgendwann Wein gebracht hatte. Er kannte die Harpya nicht, welche ihn servierte. Er trank vertrauensvoll davon und… dann, ja…dann musste er irgendwie das Bewusstsein verloren haben. Die letzten Stunden, waren nur noch ein dunkles, schwarzes Loch.
Wieder zerrte er an seinen Fesseln, versuchte seine Magie einzusetzen, obwohl er ahnte, dass dies wohl ein sinnloses Unterfangen war. Ein stechender Schmerz durchfuhr seinen Kopf urplötzlich und er stöhnte auf. Verflucht sollte dieser Halsreif sein! Warum nur hatten alle Völker solche Halsreife, egal wie abgebrannt sie sonst waren! Einen Augenblick lang, hasste er diese schreckliche, dunkle Welt, in der er hier gelandet war. Wie nur konnte man an diesem freudlosen Ort leben!? Er sehnte sich auf einmal unbändig nach der Wärme und Geborgenheit seiner Heimatwelt zurück. Nun war er hier, in dieser… misslichen Lage und wusste nicht einmal, warum eigentlich. Er blickte sich um. Das Gemach, in dem er sich befand, schien eines der Besseren zu sein. Er musste sich also im Trakt des höheren Adels befinden. Doch wer… hatte ihn hergebracht und gefesselt? Ein Verdacht wuchs in seinem Inneren, der augenblicklich bestätig wurde, als die Tür aufging und Kelana herein schwebte.
In ihrem Ausdruck lag Kälte. „Du bist also wach? Schön, “ sprach sie und gebot der Harpya, welche den Gefangenen bisher bewacht hatte, sie mit Nannios allein zu lassen.
Als die Türe hinter der anderen Harpya ins Schloss fiel, schwebte die Hohepriesterin näher zu Nannios heran. Der junge Lunarier zerrte einen Moment lang zornig an den Fesseln, doch dann erkannte er, dass dies nur verschwendete Energie war.
Kelana lächelte etwas spöttisch. „Es bringt nichts, wenn du an den Fesseln zerrst. Sie sind, mit eigens von mir gewobenen Zaubern, verstärkt.“ Nannios sah die Hohepriester wütend an. „Was soll das?!“ fragte er „Warum haltet ihr mich hier gefangen? Wo sind die anderen?“ Kelana schwebte einen Moment lang gemächlich im Raum auf und ab, dann erwiderte sie geringschätzig: „Zu deiner ersten Frage… Fremder: „Ich habe vor, mein Volk vor dem Untergang und der Herrschaft durch die Masculinas zu bewahren. Zu deiner Frage, deine Freunde betreffend: Auch sie wurden gefangen genommen, alle befinden sich an einem anderen Ort im Tempel. Sie werden streng bewacht.“
„Aber warum, um alles in der Welt? Wir kamen doch in Frieden.“
Kelana lachte auf. „In Frieden!? Dass ich nicht lache. Ihr wolltet das Verderben hierherbringen, ihr wolltet unsere ganze Welt umkrempeln und dafür sorgen, dass wir der dunklen Göttin untreu werden!“
„Aber das stimmt nicht, wir haben gute Absichten, wir wollen euch doch nur helfen!“
Wieder lachte die Hohepriesterin boshaft. „Ja natürlich, man kann das auch so auslegen. Aber ich durschaue euch! Ihr wollt uns ja auch nur wirklich helfen, wenn wir unsere Gesetze, unseren Glauben aufgeben!“
„Das hat doch nichts mit dem Glauben zu tun. Es ist doch der Willen der Göttin, dass all ihre Geschöpfe glücklich sind. Sie liebt uns alle!“
„Deine… Göttin mag so sein. Lilithia hat da klare Regeln gegeben! Wir müssen ihr gehorchen, wenn wir nicht untergehen wollen.“
„Aber ihr geht früher oder später sowieso unter, wenn ihr euch nicht mit anderen Völkern paart!“
„Genau, dass ist es ja…“ Kelana kam nun noch näher zu dem jungen Priester heran. In ihren Augen lag ein seltsamer Glanz, der Nannios einen Schauder über den Rücken jagte. Er versuchte ihr auszuweichen, als ihr Gesicht beinahe seines berührte und sie mit der Hand anzüglich über seinen Oberkörper strich. Doch er war wehrlos. Panik drohte ihn zu übermannen, aber er beherrschte sich. Er wollte dieser Frau keineswegs Schwäche zeigen. Zum Glück entfernte sich die Hohepriesterin wieder und meinte: „Ich habe nicht vor, mein Volk der Verderbnis zu überlassen, nur weil ihr nicht einwilligt euch mit uns zu paaren, sollten wir eure neuen Gesetze nicht annehmen. Harpyas haben sich schon immer genommen was sie wollten. Unsere Kriegerinnen und Priesterinnen sind die besten, die es gibt. Ich glaube keiner kann es mit uns wahrlich aufnehmen, wenn wir zum Kampf rufen…“
Wieder kam sie dicht an ihn heran, sie schien ihn keineswegs zu fürchten. Das erstaunte ihn auch nicht, sollten Kelanas Fähigkeiten nur annähernd so gewaltig sein, wie jene von Aellia. Ausserdem war Nannios vollkommen wehrlos zurzeit.
Sie meinte mit leiser, bedrohlicher Stimme, während sie erneut mit der Hand über seinen Körper fuhr: „Wir werden gegen die andern Völker kämpfen, wenn es sein muss, um das zu bekommen, was wir wollen. Wir kennen keine Furcht. Doch es kann nicht schaden, wenn wir ein zusätzliches Druckmittel in der Hand haben. Darum haben ich und meine Anhänger euch gefangen genommen. Wir wissen, dass ihr alle eine sehr wichtige Position in euren Völkern innehabt und… wenn sie euch lebend wiedersehen wollen, dann werden sie uns zu Willen sein. Genau wie du… und deine gutaussehenden Masculina Freunde uns zu Willen sein werden, falls…wir es wünschen.“ Mit diesen Worten strich sie erneut anzüglich über seinen Körper. Er war froh, dass er nicht nackt war und dankte der Göttin für den schützenden Anzug, den er trug. Dennoch stieg Ekel in ihm hoch, wenn er daran dachte, dass er und seine Freunde möglicherweise von den Harpyas zu den Wonnen gezwungen wurden. Er erwiderte geistesgegenwärtig: „Leider ist es für uns nicht möglich, ohne diese Anzüge hier zu überleben. Wollt ihr, dass wir sterben, während…wir euch zu Willen sind?“
„Daran arbeiten wir bereits. Wir haben einige sehr begabte Schwestern, die einen besonderen Raum schaffen werden, in dem auch ihr ohne Anzüge überleben könnt.“ Sie wandte sich erneut ab und sprach: „Doch das steht gerade nicht zur Debatte.“
Nannios atmete erlöst auf. Wenigstens liessen ihn diese Weiber vorerst in Ruhe. Kelana fuhr fort: „Einige von uns werden mit den Drachenschiffen nach Equilibria reisen, jedoch nur auserwählte Mitglieder unserer Gemeinschaft. Sie alle sind mir treu ergeben und erkennen die Falschheit in euren Plänen. Es sind sehr gute Kriegerinnen darunter und… ihr seid unser Hauptdruckmittel, wenn wir da unten ankommen. Sie werden vermutlich gar nicht wagen die Hand gegen uns zu erheben, wenn sie ihre grössten Anführer in unserer Gewalt wissen.“ „Dass ihr euch da nur nicht täuscht“, erwiderte Nannios kalt. „Mein Volk…wird sich das nicht gefallen lassen und die Solianer schon gar nicht. Es hat überall sehr gute Krieger und sie werden euch überwältigen.“
„Wenn… es überhaupt zu einem Krieg kommt. Vermutlich werden sie euch nicht einfach opfern wollen.“
„Euer Plan wird niemals aufgehen! Es gibt viele die auf unserer Seite sind. Auch Aellia wird euch bis aufs Blut bekämpfen, solltet ihr sie dazu herausfordern.“
„Ach, Aellia…“ Kelana seufzte kurz auf, eine plötzliche Trauer überschattete ihr Gesicht. „Ich kenne sie in- und auswendig. Alles was sie kann, hat sie von mir gelernt. Sie ist keine Gegnerin für mich. Obwohl es mich sehr traurig stimmt, dass wir nun an so einem Punkt wie diesem hier angelangt sind.“
„Aber, das müsste doch nicht sein!“ Nannios versuchte es nun mit einer psychologischen Taktik. „Ihr müsstet es euch doch gar nicht so schwer machen, wenn ihr das Richtige tut! Es könnte alles so wundervoll werden, für uns alle, würdet ihr nur auf euer Herz hören!“
Einen Moment lang huschte etwas Unsicherheit über Kelanas Gesicht, dann jedoch verhärteten sich ihre Züge wieder: „Ein geschickter Versuch…Masculina, aber ihr täuscht euch, wenn ihr glaubt mich mit euren Worten beeinflussen zu können. Ich diene der Göttin. Ich tue das, was ich tue, weil es sein muss. Eure Gesetze können und wollen wir nicht annehmen, denn damit würde alles zerstört, was uns lieb und teuer ist.“
„Die Königin scheint da anderer Ansicht.“
Kelana schnaubte verächtlich. „Podargia! Sie ist ebenfalls schon lange korrumpiert, durch diese… Liebe zu einem Masculina. Ausserdem, ist sie keine so treu ergebene Dienerin der Göttin, wie ich und die Priesterschaft. Wir sind die geistigen Oberhäupter. Die Königin und ihre Kaste, ist für die weltlichen Belange zuständig, das ist nicht vergleichbar.“
„Aber ihr seid EIN Volk! Solltet ihr da nicht einen Weg zusammen finden?“ „Es gibt keinen anderen Weg als der, den ich gewählt habe. Denn, die Ansprüche, die dein Volk und das der Solianer an uns stellt, um uns freiwillig zu helfen, sind unmöglich zu erfüllen!“
„Die Königin und jene die unsere Sache unterstützen, werden nicht einfach tatenlos zusehen, wenn ihr solche Frevel begeht!“
„Die Königin ist ebenfalls keine Gegnerin für mich“, sprach Kelana überheblich. „Und jetzt…da sie auch krank ist, sowieso nicht mehr.“ Nannios Augen weiteten sich. Die Königin war krank? Das war nun wahrhaftig ein Destaster!