Sie schwebten durch mehrere Gänge und Räume, stets auf der Hut vor herumstreifenden Wachen. Doch die meisten selbiger, waren wohl abberufen worden, um gegen Aellia, Podargia und ihre Getreuen, in die Schlacht zu ziehen. Nannios war hochkonzentriert. Er folgte der ätherischen Spur seiner Mutter, mit einer Sicherheit, die Callidia und die anderen, welche den lunarische Priester begleiteten, faszinierte. „Ich kann auch die Spuren, der anderen wahrnehmen“, sprach dieser. „Sie wurden scheinbar alle im Priestertrakt untergebracht, das erleichtert die Suche nach ihnen etwas.“
Es dauerte nicht lange, bis sie in einen etwas breiteren Gang einbogen, an dessen Ende sich eine massive Ebenholz- Tür befand. Sie war verziert mit silbernen Beschlägen. Zwei Wachen standen davor. Nannios und seine Begleiterinnen, gingen in Deckung und Nannios flüsterte: „Hier ist es, ich spüre ganz deutlich die Gegenwart meiner Mutter!“ Es war ihm, als dringe eine sanfter, silberner Schein, aus dem Raum hinter der Tür. Es war so eine sanfte, liebevolle Präsenz, die ihm zutiefst vertraut war. Sein Herz klopfte freudig, dann meinte er an drei der Priesterinnen gewandt: „Ihr beherrscht sicher einige Fernzauber, nicht wahr?“ Zustimmendes Nicken war die Antwort. „Ihr setzt die Wächterinnen von hier aus, ausser Gefecht. Callidia und ich kümmern uns erst einmal um die Strukturen der Schutzzauber.“ Er wandte sich an die restlichen Harpyas. „Natürlich seid auch ihr dafür besorgt, dass die Wachen möglichst schnell unschädlich gemacht werden.“
Wieder zustimmendes Nicken.
Zwei der Priesterinnen, sammelten nun ihre Kraft über dem Herzen. Die eine sandte einen weissen Blitz, die andere eine rötliche Feuersalve, gegen die beiden Wächterinnen. Sie wurden beinahe gleichzeitig getroffen und stürzten zu Boden. Doch sie waren nicht so schwer verwundet, dass sie sich nicht mehr erheben und wehren konnten. Einmal mehr wurde Nannios bewusst, wie stark eigentlich Aellias magische Kräfte waren. Niemand konnte es mit ihr aufnehmen, ausser vielleicht Kelana. Die Kriegerinnen und Jägerinnen, stürmten nun vor und griffen die beiden Elitewachen ihrerseits an. Sie trugen Schwerter und Äxte bei sich. Die scharfen Klingen fuhren herab, Blut spritzte aus tiefen Wunden. Die Wachen stöhnten und sackten, tödlich verwundet, in sich zusammen
Nannios und Callidia begannen währenddessen, mit ihren magischen Sinnen die Schutzzauber, welche die Tür noch zusätzlich sicherten, zu entschlüsseln. Es waren einige recht Komplexe, darunter. Die Meisten davon, konnte Nannios selbst durchbrechen. Es kostete ihn jedoch ziemlich viel Kraft, denn er merkte, dass der Schlafens- Zauber, den er vor kurzem auf die Kranken gewirkt hatte, ihn doch etwas geschwächt hatte. Callidia war ihm eine grosse Hilfe. Die letzten Zauber, welche für seine Sinne eher kompliziert waren, waren für sie als harpische Priesterin, leichter zu entschlüsseln. Die beiden konzentrierten sich und setzten einen Schutzmechanismus nach dem anderen ausser Kraft.
„Haben wir alle?“ fragte Nannios schliesslich.
Callidia kniff nochmals prüfend die Augen zusammen und suchte nach einer noch übriggebliebenen, magischen Spur. Doch sie konnte nichts mehr feststellen. Auch der Lunarier durchforschte nochmals, den für Nicht- Magier unsichtbaren Äther.
Dann drückte er die Klinke herunter. In diesem Augenblick jedoch durchzuckte ihn ein fürchterlicher Schmerz! Es war wie ein gewaltiger Blitz, der durch seinen ganzen Körper fuhr und ihn zu Boden warf. Dieser kam von der Türklinke. Nannios versuchte seine Hand von ihr loszureissen, doch es war, als wäre er daran festgefroren. Weitere Stromstösse durchfuhren ihn, immer und immer wieder. Es war, als würde ihm seine ganze Kraft dabei abgesaugt. Er fühlte sich auf einmal schrecklich müde und matt. Es musste ein magie-absorbierener Zauber sein, sehr geschickt verborgen und nur mit dem einen Ziel, zauberkundige Eindringlinge, ausser Gefecht zu setzen. Callidia starrte Nannios erschrocken an und wollte ihm sogleich zur Hilfe eilen. Doch als sie ihn anfasste, wurde auch sie von den Stromstössen durchfahren. Sie stöhnte auf und weissbläuliche Funken, umzuckten ihren und den Körper von Nannios. Die anderen Priesterinnen, wollten ebenfalls helfen, doch Nannios rief: „Nein, bleibt zurück! Sonst ergeht es euch, wie uns. „Versucht den Zauber zu entschlüsseln fasst uns aber keinesfalls an!“
Die Priesterinnen begannen sich nun ihrerseits verzweifelt auf die Suche, nach dem Ursprung der üblen Magie zu machen. Doch Kelana hatte ganze Arbeit geleistet. Sie konnten diesen einfach nicht ausfindig machen. Seine Spur war zu schwach und sie verlor sich immer wieder. Die restlichen Harpyas standen einen Moment lang ratlos da. Schliesslich jedoch verlor eine der Jägerinnen die Geduld. Sie trat resolut vor und riss Nannios Hand einfach von der Türklinke los. Ein brennender Schmerz brandete dabei über dessen Handfläche, doch…er war jetzt frei! Die schrecklichen Stromstösse durchzuckten ihn nicht länger. Keuchend lag er auf dem kalten Steinboden. Einen Augenblick lang unfähig, sich zu erheben. Er glaubte sich nahe an einer Ohnmacht. Callidia erging es nicht besser. „Was bei allen guten Geistern war das?!“ sprach die Jägerin, welche so beherzt eingegriffen hatte. „Vermutlich…ein magieabsorbierender Zauber…“ stiess Nannios hervor und betrachtete seine verbrannte Handfläche. Das Fleisch hing in rotschwarzen, blutigen Fetzen herunter. Zum Glück linderte der Wundschock den Schmerz etwas. Doch der junge Lunarier war sehr geschwächt. Er glaubte, nie mehr aufstehen zu können, geschweige dann sich heilen zu können. Die Jägerin beugte sich über ihn. Sie war eine hübsche Frau mittleren Alters, mit gesunden Formen, einer schmalen Taille, ziemlich grossen Brüsten und rundlichen Wangenknochen. Die, wie Ebenholz glänzenden Haare, waren leicht gewellt und halblang. Die dazu passenden Augen, von dunklen, dichten Wimpern überschattet, blickten besorgt. Ihr Gefieder war Nannios schon ganz zu Beginn aufgefallen. Es schien je nach Lichteinfall, immer wieder in einer anderen Rotschattierung zu leuchten und ihre Haut passte sich diesen Schattierungen auf eindrucksvolle Weise an. „Ich danke dir“, sprach er zu ihr. „Du hast sehr beherzt eingegriffen, obwohl es ein grosses Risiko für dich bedeutete. Nun wissen wir, dank dir, dass diese Falle, nur für Zauberkundige wirklich gefährlich ist. Wie ist dein Name?“
„Ich heisse Alwiana. Ihr seid ziemlich schwer verwundet, was kann ich tun, um euch zu helfen?“
„Versuche die Tür zu öffnen, ich glaube du kannst das. Dann hol meine Mutter, sie muss… mich heilen und auch Callidia. Das war wirklich eine äusserst hinterhältige Falle.“ Sein Blick glitt zu der Priesterin herüber, welche neben ihm lag. Sie atmete schwer und hatte ihre Augen geschlossen.
Alwiana nickte und ging zur Tür. Noch einmal atmete sie auf, dann näherte sich ihre feingliedrige Hand der Klinke und berührte diese. Nichts geschah! Sie atmete erleichtert auf und eine der anderen, harpischen Jägerinnen, welche den Wächterinnen vorhin die Schlüssel abgenommen hatten, reichte diesen an Alwiana weiter, welche das Tor nun aufschloss. Dieses schwang nun endlich auf und sie und die anderen, noch heil gebliebenen Harpyas, traten in einen grossen Raum.
Eine Frau mit edlen Zügen und weissem Gefieder, befand sich hier. Sie war an die Wand gekettet. Als die dunkel gefiederten Frauen eintraten, blickte sie erstaunt auf. Zuerst wusste sie nicht richtig, ob sie Feinde oder Freunde vor sich hatte. Alwiana ging auf sie zu und sprach: „Wir sind hier, um euch zu befreien, grosse Hohepriesterin der Lunarier! Euer Sohn ist bei uns. Er wurde jedoch durch eine magische Falle, schwer verletzt. Ihr müsst ihm helfen!“ Alwiana löste nun die Fesseln, dann den magiedämmenden Reif um Artemias Hals.
Diese nickte voller Dankbarkeit und Erleichterung, erhob sich und ging sofort hinaus zu ihrem Sohn.
„Ohjeh! Das sieht schlimm aus!“ sprach sie und beugte sich über Nannios. Dann legte sie die Hände zuerst über das Herz des jungen Mannes. Sie spürte wie dieses, unter der Belastung der schrecklichen Stromstösse gelitten hatte. Ausserdem stellte sie fest, dass sein ganzer Organismus, dadurch ins Stocken geraten war. „Ich muss dir ein Teil meiner eigenen Kraft geben, sonst schaffst du es nicht dich zu erholen,“ sprach sie und man hörte die tiefe Besorgnis in ihrer Stimme. „Ja Mutter, ich würde das nicht von dir verlangen, wenn wir genug Zeit hätten. Aber wir haben diese Zeit einfach nicht. Eine Schlacht steht unmittelbar bevor. Vielleicht hat sie bereits begonnen und wir müssen Aellia helfen.“
Artemia nickte: „Ja, das habe ich gespürt. Kelana hat es zu weit getrieben mit unserer Entführung. Dann schauen wir mal, dass wir dich schnellstmöglich wieder auf die Beine kriegen. Warst du schon vorher geschwächt, dass dieser Zauber dir so extrem zugesetzt hat?“ „Ja…ich habe eine Schlafens- Zauber über die Kranken gesprochen, welche… noch im Lazarett sind. Es ist eine lange Geschichte…“ Er sank zurück und atmete erschöpft.
„Wenn du erst wieder gesund bist, mein Sohn, kannst du mir alles erzählen“, meinte sie liebevoll und legte ihm die Hand auf die schweissgebadete Stirn. Ein warmes, beruhigendes Licht, durchströmte Nannios. Er nickte noch einmal matt, dann glitt er hinüber in einen tiefen Genesungsschlaf. Artemia hatte ihn in diesen Schlaf versetzt und nun begann sie ihm ihre Kraft zufliessen zu lassen. Alwiana und die anderen schauten ihr dabei tief berührt und beeindruckt zu. Artemias Augen waren geschlossen und ein weisser, glitzernder Schein, wurde von ihren Händen abgegeben, welcher durch das Herzzentrum in Nannios Körper eindrang. Die lunarischen Hohepriesterin, durchforschte mit ihrem Geist, den ganzen Organismus ihres Sohnes. Dort wo sie Schwachstellen fand, liess sie ihre Kraft hineinfliessen. Dieser Zauber würde sie ziemlich schwächen, aber das Licht der Göttin, stand ihr ebenfalls zur Verfügung. Sie konnte dadurch immer wieder einen Teil ihrer Kraft zurückgewinnen. Artemia verhalf geschädigten Organen dazu, ihre Funktionstätigkeit wieder aufzunehmen, half die Selbstheilungskräfte des jungen Mannes zu aktivieren und ihn zu stärken, so gut sie konnte. Auch um die verbrannte Hand kümmerte sie sich, liess auch dort das heilende Licht einfliessen und die Haut wieder zusammenwachsen. Als sie alles getan hatte, was in ihrer Macht stand, wendete sie sich, wenn auch ziemlich erschöpft, der verletzten Callidia zu. Jene jedoch, war in nicht gar so schlimmer Verfassung, wie Nannios. Sie war zwar auch nicht ganz bei vollen Kräften gewesen, als der hinterhältige Zauber von Kelana sie getroffen hatte, aber dadurch, dass die verderbliche Magie erst durch Nannios Körper geflossen war und sich dadurch etwas abgeschwächt hatte, war es bei der Harpya etwas glimpflicher abgelaufen. Callidia war so verhältnismässig schnell wieder geheilt. Als Artemia ihr Werkt vollendet hatte, spürte sie selbst eine schreckliche Mattheit und sank zu Boden. Alwiana war sofort bei ihr und stützte sie. „Ich…muss mich nur etwas ausruhen,“ flüsterte die Lunarierin und schaute die Harpya dankbar an. Diese nickte verständnisvoll und Artemia sank hinein in die samtene Dunkelheit, eines heilsamen Schlafes, welche durchtränkt war, vom Lichte der grossen Göttin…