Auf einmal aber, verstummten die Instrumente allesamt und einen Moment lang, breitete sich eine geheimnisvolle Stille in der Obsidian Stadt aus! Die Zuschauer hielten den Atem an. Was hatte das zu bedeuten? Alle reckten ihre Hälse, aber niemand getraute sich, ein Geräusch von sich zu geben. Dann auf einmal, ertönten wieder die Trompeten. Ihr mächtiger Klang war weit herum zu hören. Sie spielten nun besonders feierlich, aber auch fröhlicher, als am Anfang und in diesem Moment schwebten zwei dunkle, mächtige Schatten über die Stadtmauer herein!
Einige erstaunte und tief beeindruckte Rufe, erschallten aus der Menge. Aellia schaute den grossen Schatten gebannt entgegen. Es waren gewaltige Kreaturen, mit Löwenkörpern und Adlerköpfen. Ihr schwarzes Gefieder und ihr Fell glänzten, als hätte man jede einzelne Feder, jedes einzelne Haar, auf Hochglanz poliert. Ihre grossen, roten Schnäbel, stiessen einen durchdringenden Schrei aus und man hörte ihre mächtigen Schwingen rauschen, als sie heranflogen. Auf ihren Rücken sassen die Königin und der zukünftiger König, Iquitos! Tantalius und einige andere Harpyer, flogen den Greifen, voran. Als sie den Innenhof erreichten, bildeten die anderen Leute des Festzuges einen Art Spalier und die Königin und Iquitos schickten sich an, hindurch zu schweben. Die Greife trugen wunderschönes Zaumzeug. Es war golden und reich verziert. Die Königin war in ein ebenfalls goldenes Festtagsgewand gekleidet. Es besass eine lange Schleppe und sie trug einen, mit Silber durwirkten, passenden Umhang dazu. Dieser und auch die Schleppe, fielen in weichen Wellen, über Rücken und Flanken von Kethia, auf welcher sie ritt. Auf ihrem Haupte befand sich eine filigrane, goldene Krone, die mit Obsidian besetzt war. Iquitos war in ein Festgewand, allerdings in Gold und Schwarz gehüllt und trug wie seine Gemahlin einen dazu passenden, goldenen Mantel. Das Gewand war vorne ziemlich weit offen und man sah seinen muskulösen Oberkörper und etwas Brusthaar. Eine lange, goldene Kette mit einem grossen Kleinod, zur Hälfte bestehend aus weissem Mondstein, zur andern Hälfte aus schwarzem Obsidian, fiel ihm hinab auf die nackte Brust. Es symbolisierte vermutlich das Verschmelzen, der beiden Seiten der Göttin. Auch ein schweres Armband trug er in denselben Farben. Ketios, liess sich von ihm, scheinbar ohne Probleme, lenken.
Aellia staunte sehr darüber, dass die Greife bereits so zahm waren. Daran hatten Tantalius und Artemia sicher einen wichtigen Anteil.
Ja, Tantalius und Artemia! Es sah ganz so aus, als hätten die beiden Gefallen aneinander gefunden, denn ihre Blicke suchten sich immer wieder und als der harpische Rebellenführer an Artemia vorbeischwebte, hob er seine Hand erst an den Mund, dann an sein Herz machte eine Armbewegung in ihre Richtung. Artemias Gesicht erhellte sich und sie machte dieselbe Geste. Ja, sie schienen sich tatsächlich ineinander verliebt zu haben!
Als Iquitos und Podargia das Spalier erreichten, verstummten die Trompeten erneut und nun begannen die anderen Musiker wieder zu spielen, diesmal noch lauter und festlicher. Alle hoben ihre Hände und jubelten dem angehenden Königspaar zu. Als die Greife vorbei waren, schwebten der Festzug ihnen hinterher und alle versammelten sich auf und um die mächtige Tribüne, wo die drei Throne standen. Die Greife landeten und Podargia und Iquitos stiegen von ihren Rücken. Die Tiere jedoch, flogen nicht sogleich wieder fort. Sie setzen sich stattdessen hin, falteten ihre Flügel zusammen und flankierten nun, wie mächtige schwarze Standbilder, die Throne. Es war ein überaus eindrückliches Schauspiel. Der Auftritt des Königspaares, war perfekt gelungen! Die Musiker spielten noch einen Moment, dann hob Podargia die Hand und sogleich kehrte Ruhe ein. Alle, darunter auch Aellia, warteten gebannt. Callidia war nun vorgetreten und stand direkt vor der Königin. Ihr goldener Mantel, reflektierte noch einmal das letzte Licht des Tages, dann senkte sich Finsternis über das Land herab und Lilithia erschien, als mächtiger, schwarzer Trabant am Himmel. Es war genau der richtige Moment, um eine Hohepriesterin zu küren.
Aellia fühlte deutlich, wie die Kraft der Göttin sie in warmen Wellen durfloss. Auch Callidia schien das zu spüren, denn auf einmal fiel sie auf die Knie, hob die Arme gen Himmel und in der uralten Sprache, welche nur wenige verstanden, betete sie:
„Oh grosse Göttin mein, voller Gewalt und Macht, blicke herab auf die treue Dienerin dein! Mein Leben soll dir für immer gehörn, sollte mein Herz auch mal zu schlagen aufhörn. Ich bitte dich, nimm mich als deine Vertreterin hier unten an, hilf mir durch aller Welten Lauf, deine Stimme zu sein, zum Wohle all der Kinder dein! Alles will ich tun, um dir meine Liebe und Treue zu zeigen, mögest du dein Antlitz, mir entgegen neigen!“
Dann schwieg sie und stimmten einen leisen, rhythmischen Sing- Sang an. Sie wiegte sich hin und her, lauschte auf die Stimme der grossen Göttin und spürte ihr warmes Licht, dass sie ganz durchströmte. Immer stärker, immer wärmer wurde dieses Licht und auf einmal, begann Callidia auf seltsame Weise von innen heraus zu strahlen. Alle sahen das und alle staunten.
Auch Aellia blickte gebannt auf die angehende Hohepriesterin der Harpyas. Diese schien sich des Scheins, welcher sie umgab, gar nicht richtig gewahr zu sein. Sie hatte ihre Augen geschlossen und sang leise immer weiter. Alles schien auf einmal weit entrückt, nichts mehr Weltliches, berührte Callidia in diesem Augenblick. Sie floss nun, allein im warmen Strom ihrer geliebten Göttin, welcher sie durch wunderbare, paradiesische Welten führte.
Lilithia, oder auch Lunaria, waren ihr näher als jemals zuvor. Sie meinte zu schweben und Tränen der Rührung traten in ihre Augen. Dann vernahm sie auf einmal, tief in ihrem Innern eine Stimme, welche sagte: „Ich nehme dich als meine Vertreterin hier auf Erden an! Du hast Gnade in meinen Augen gefunden!“ Dann war auf einmal alles vorbei und die Harpya erwachte aus ihrer Trance.
Erstaunt blickte sie sich um und sah, wie sie von allen Seiten fassungslos gemustert wurde. Die Königin erhob nun ihre Stimme: „Dies ist wohl Zeichen genug! Callidia, wurde ganz klar von der Göttin als ihre nächste Hohepriesterin erwählt! Die Delegation und das Parlament, haben also die richtige Wahl getroffen! So wollen wir ihr nun die hohepriesterliche Krone aufsetzen!“
Podargia winkte einem jungen Mann, der die Krone auf einem samtenen, schwarzen Kissen herbeitrug. Sie bestand aus Gold und geschwärztem Metall. Das Metall, bildete in der unteren Hälfte der Krone einen dunklen Mond, von welchem aus dann goldene, wie Strahlen aussehende Elemente, wegführten. Podargia setzte Callidia die Krone auf. „Hiermit ernenne ich die zu unserer nächsten Hohepriesterin!“ rief sie aus. „Sprich nun den Schwur!“ Sie sprach Callidia vor und diese sprach ihr nach:
„Ich schwöre vor dem Angesicht der Göttin, dass ich stets mein Bestes gebe, um ihren Willen in der Welt zu erfüllen. Ich werde mich um das Wachstum und das Glück meines Volkes kümmern! Ich werde nicht nur um diese, sondern auch um die kommenden Generationen besorgt sein. Kraft soll mein Schild sein, Mut meine Rüstung und Hingabe meine Krone! Meine Entscheidungen mögen weise sein und durchdrungen vom Lichte der Göttin. So soll es sein, jetzt und für alle Zeit!“
Callidia senkte nun ihr Haupt und einige der Priesterinnen, stimmten einen feierlichen Gesang an, in welchem sie die Gnade der Göttin für Callidia und ihre wichtige Aufgabe, nochmals erflehten.
Die Trommlerinnen, begannen nun auch wieder zu spielen. Ihre Schläge wurden immer schneller, immer heftiger. Alle Anwesenden spürten dabei die Vibrationen, welche durch ihren Körper strömten. Der Rhythmus der ewigen Urkraft, durchdrang sie allesamt und es war ihnen, als würden sie ganz Eins werden mit diesem Rhythmus.
Callidia setzte sich nun auf den Thron mit der silbrig verzierten Flügellehne und lauschte ebenfalls, tief in sich gekehrt dem Trommelschlag, der immer mehr eins wurde, mit ihrem Herzschlag. Schliesslich wurde das Trommeln wieder ruhiger und stiller und verstummte am Ende ganz. Die neue Hohepriesterin der Harpyas war gekrönt und tosender Jubel erhob sich!