Schliesslich dann, war die Zeit gekommen, da das Wasserschiff sich auf seine lange Reise begeben sollte. Nannios hatte Aellia, nach ihrem Rückzug, eine Weile nicht mehr gesehen. Doch nun kam sie wieder zurück, um sich von Irisa und den anderen zu verabschieden. Sie war sehr tapfer. Jemand der sie nicht so gut kannte wie er, hätte gedacht, dass bei ihr wieder alles in bester Ordnung war. Sie benahm sich sehr souverän und er war überaus stolz auf sie. Doch in ihren Augen, lag noch immer eine seltsame Traurigkeit. Er konnte sie gut verstehen, denn immerhin hatte sie der schwarzen Mondgöttin hingebungsvoll gedient, und an deren Einzigartigkeit geglaubt. Doch nun… zeichneten Zweifel ihre Züge. Er hoffte, dass sie sich bald wieder fangen würde und erkannte, dass ihre Göttin nach wie vor präsent war, sie liebte und ihr ihre Kraft noch immer auf dieselbe Weise schenkte, wie sie es stets getan hatte.
Mangios musterte die Harpya besorgt. Bei der nächsten Gelegenheit gesellte er sich deshalb zu ihr und sprach: „Ich hoffe, das ist jetzt nicht allzu schwer für dich. „Eigentlich wollte ich es dir noch nicht sagen, doch… du hättest es auf unserer Reise, ins Reich des dunklen Mondes, sowieso bald selbst festgestellt. Man sieht während der Fahrt dorthin nämlich, wie ein und derselbe Mond, sich immer mehr verändert, je näher wir der Obsidian Stadt kommen. Du wirst auch erkennen, warum die Sonne bei euch nicht zu sehen ist. Es hat etwas mit dem Schattenwurf des grossen Planeten hier zu tun. Er wirft diesen Schatten stets auf euer Reich und darum habt ihr praktisch immer Nacht bei euch.“
„Ich bin schon sehr gespannt darauf, was sich mir für ein Schauspiel bieten wird, wenn ich die Reise Morgen selbst antrete,“meinte Aellia ernst und hoffnungsvoll zugleich.
„Es wird dir bestimmt gefallen! Es gibt viel Interessantes auf diesem Flug zu sehen. Dinge, die du noch niemals zuvor gesehen hast.“
„Nun, dann lassen wir uns doch einfach überraschen!“ Sie nickte dem Drakonier entschuldigend zu und ging zu ihrer Schwester. Sie und Irisa umarmten sich nochmals und verabschiedeten sich mit herzlichen Worten und guten Wünschen voneinander. Die beiden verstanden sich jetzt wesentlich besser als noch vor einiger Zeit. Ihre Einstellung war mittlerweile sehr ähnlich geworden und sie beide, hatten die Liebe gefunden. Das schweisste sie zusammen.
„Ich werde mein Bestes tun, um unser Volk von einer Allianz mit den andern Völkern zu überzeugen,“ versprach Irisa dann noch. „Immerhin scheint ja auch Kelana, unsere Hohepriesterin, eine halbe Lunarierin zu sein, das wird sie hoffentlich nachdenklich stimmen.“ Aellia nickte und erwiderte: „Ich hoffe das auch, ja ich hoffe es wirklich. Auf jeden Fall wünsche ich dir eine wunderbare Fahrt mit dem Wasserschiff und freue mich auf unser Wiedersehen im Reich des dunklen Mondes. So leb denn wohl!“ Aellia hob noch einmal die Hand zum Gruss und Irisa bestieg das Flugschiff.
Sie lehnte sich lässig gegen eines der vielen Fässer und winkte ihr, den andern und natürlich vor allem Trojanas, noch ein letztes Mal zu. Er und sie hatten sich kaum voneinander trennen wollen, sie wären nur zu gerne zusammen geflogen und hätten die Wonnen vielleicht sogar auf dem schwebenden Schiff miteinander teilen können. Das musste eine schöne Sache sein. Doch es war wie es war. Trojanas musste mit Aellia und den anderen, wichtigen Persönlichkeiten zusammen reisen, um die Delegation glaubwürdig erscheinen zu lassen.
Darum blieb er mit den anderen zurück, während Irisas Schiff sich in die Lüfte erhob und in die endlose Weite des Himmels entschwebte, wo es schon bald Trojanas Blicken entschwand…
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Hydrochias war sehr aufgeregt. Seine Gefühle waren ein wildes Durcheinander. Er hatte auf der einen Seite ein sehr schlechtes Gewissen, den weiblichen Harpyas gegenüber, wenn er daran dachte, dass man sie vergiften wollte. Auch wenn das Gift sie nicht töten würde, würde es für sie doch viel Leid bedeuten. Andererseits aber, sah der Leuchtturmwächter es auch irgendwie als seine Pflicht, die Männer bei ihrem Freiheitskampf zu unterstützen. Seit seinem Gespräch mit Tantalius- dem Rebellenführer, war in Hydrochias eine wunderbare, neue Hoffnung aufgekeimt. Er war sich schon seit Jahren daran gewöhnt gewesen, dass er den Frauen einfach zu gehorchen hatte und es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, einer von ihnen zu widersprechen oder deren Lebensweise, direkt in Frage zu stellen. Auch bei seiner Geliebten Alwiana hatte er es bisher nie gewagt, seine Gefühle und auch das Leid, dass er wegen dieser, schlussendlich unerfüllt gebliebenen Liebe, durchlebte. Wenn sie das nächste Mal kam jedoch, würde er ihr diese Gefühle offenbaren und sie fragen, ob sie nicht seine feste Gefährtin werden wollte. Er hatte irgendwie neue Zuversicht und neuen Mut geschöpft. Alles konnte sich zum Guten wenden, wenn… der Plan der Rebellen aufging. Er wollte deshalb alles tun, um ihnen dabei zu helfen.
Am Tag zuvor, war Tantalius mit einigen kräftigen Männern zurückgekehrt, deren Flügel und Gefieder das rotschwarze Licht des Himmels, über ihnen, in allen Facetten widerspiegelten. „Das sind meine Männer,“ erklärte Tantalius. „Sie werden sich um das Präparieren der Wasserfässer kümmern. Ansonsten kannst du frei über sie verfügen. Es sind geschickte Handwerker, welche dir in vielen Belangen des Alltags, zur Hand gehen können.
Wenn das Schiff schliesslich hier ankommt, wirst du dessen Besatzung zu einem schmackhaften Mal einladen. Niemand darf auf dem Drachenschiff zurückbleiben, dafür solltest du Sorge tragen!“
„Das wird vermutlich kein grosses Problem sein“, meinte der Leuchtturmwächter. „Ich glaube nicht, dass die Drakonier oder auch die anderen auf dem Schiff, mit solch einem Anschlag rechnen. Es kommen so wenig Leute hierher und wenn ich sage, dass deine Männer da sind, um mir bei einigen Arbeiten zur Hand zu gehen, werden sie kaum Verdacht schöpfen.“
„Das hoffe ich sehr. Ich verlasse mich da ganz auf dich. So wünsche ich dir viel Glück und mögen die Götter an deiner Seite sein!“
Hydrochias fiel auf, dass Tantalius öfters von Göttern sprach. Er entschloss sich, ihn mal darauf anzusprechen. „Was meinst du eigentlich mit Göttern? Haben wir nicht nur Eine Göttin- die grosse Lilithia?“
Der Rebellenführer lächelte geheimnisvoll. „Das ist die Weltsicht, die man uns allen stets zu vermitteln versucht, aber glaube mir… es gibt ausserhalb des Reiches des dunklen Mondes noch viel mehr, als du es je für möglich halten würdest. Ausserdem glaube ich kaum, dass die grosse Lilithia, die Göttin der Frauen, unser Vorhaben gutheissen würde.“
„Das weiss man nicht so genau“, gab Hydrochias zweifelnd zurück. „Wer kann schon von sich behaupten, dass er alle Wege der Gottheit kennt? Vielleicht ist Lilithia ja anders, als sie stets dargestellt wird.“
„Du bist Göttin des dunklen Mondes nach wie vor treu ergeben, wie mir scheint?“
„Ja, du etwa nicht?“
Tantalius seufzte leise auf. „Nein, eigentlich nicht. Ich sehe Lilithia nicht als meine Göttin.“ „Du glaubst aber an Götter welche Götter sind das denn?“
„Das ist schwer zu beschreiben. Doch wenn alles nach Plan verläuft, wirst auch du bald mehr darüber erfahren, da wir dann die Welt ausserhalb dieser hier mehr und mehr erforschen und für uns erschliessen werden.“
„Eine Welt ausserhalb dieser hier?“ Hydrochias blickte erstaunt.
„Ja, es gibt diese Welt ausserhalb der unseren. Eine wundervolle Welt! Die Jägerinnen sollten das eigentlich wissen, hat Alwiana mit dir nie darüber gesprochen?“
„Nein.“
„Vermutlich gab es Gründer dafür, die Frauen wollen den Masculinas (er betonte das Wort sarkastisch), nicht zu viel über die Welt da draussen erzählen, so sind sie besser zu kontrollieren.“
„Meinst du wirklich das ist so?“
„Ja, ziemlich sicher ist das so, mein teurer Hydrochias. So, nun muss ich aber weiter! Das Wasserschiff trifft übermorgen hier ein. Halte dich bereit!“
Der Rebellenführer schwebte ein Stück davon und stiess dann einen lauten Pfiff aus. In diesem Augenblick verdunkelte ein riesiger Schatten den Himmel! Eine gewaltigen Kreatur, mit einem Adlerkopf und dem Hinterleib eines Löwen, erschien über ihnen. Seine Flügel schlugen kräftig. Der staunende Leuchtturmwächter spürte ihren Luftzug, trotz des recht grossen Abstandes zu dem Tier deutlich. Mit weit offenen Mund und ungläubigen, grossen Augen, sah er zu, wie Tantalius sich elegant auf den, mit einer roten Decke belegten Rücken, des obsidianfarbenen Greifs schwang. Der Rebellenführer warf ihm nochmals einen ermutigenden Blick zu, hob seien Hand zum letzten Gruss und entschwand dann, schnell wie der Wind, Hydrochias Blicken!