Tantalius schwebte mit Kethia hoch über den Zinnen der Stadt und verfolgte alles mit, was sich unter ihm abspielte. Er beobachtete den mächtigen Kampf, der beiden Harpyas und wieder beeindruckten in ihre Kräfte und liessen ihn zugleich erschaudern. Gegen solche Frauen war kein Kraut gewachsen!
Als Aellia dem Eiszauber der älteren Priesterin zum Opfer fiel, glaubte er, alles sei verloren. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sich Aellia aus dieser Lage nochmals würde befreien können. Doch dann musste etwas mit der jüngeren Priesterin passiert sein, denn sie schaffte das Unmögliche: Sie sprengte ihr eisiges Gefängnis und ihre Kräfte schienen zudem, um das Doppelte angewachsen zu sein. Der Rebellenführer ging mit seinem Greif Kethia etwas tiefer, als Kelana gegen den Turm geschleuderte wurde. Er dachte nicht, dass sie nochmals aufstehen würde. Doch auch hier irrte er sich. Kelana war aussergewöhnlich und beängstigend zäh, als hätte eine andere, eine dunklere Macht, von ihr Besitz ergriffen. Sie erhob sich nun und schleppte sich zum Rande der Stadtmauer. Ein seltsames Gefühl ergriff auf einmal von dem harpischen Rebellenführer Besitz. Etwas gefiel ihm hier gar nicht. Er machte sich lieber für alles bereit. Er ging noch tiefer, bis er ganz nahe hinter Kelana schwebte. Diese bemerkte ihn nicht, sie schien in einem seltsamen Bewusstseinszustand zu sein. Eine inneres Stimme drängte ihn, jetzt besonders vorsichtig zu sein, doch warum genau, wusste er nicht. Kelana schien wirklich zu schwach, nach Aellias letzter, gewaltiger Attacke. Aber dann machte die Hohepriesterin, doch noch eine seltsame Bewegung. Wie in einem vor ihm langsam ablaufenden Film, hörte er ihre Worte, die augenscheinlich nach Kapitulation klangen. „Nun gut…, du hast mich wohl besiegt, Aellia…“
Tantalius Herz klopfte auf einmal heftig. Auch Kethia, schien aufgeregt, als Kelana mit kaum hörbarer Stimme murmelte: „Und dennoch…, du sollst niemals in deinem Leben mehr glücklich sein!“ Ganz plötzlich hob sie noch einmal ihre Arme! Instinktiv reagierten Tantalius und Kethia! Sie schossen in wildem Flug auf Kelana zu und Kethia riss diese mit ihren Krallen von der Mauer. Der Zauber, den die böse Hohepriesterin gewoben hatte, verfehlte Nannios nur ganz knapp. Er und die anderen zuckten entsetzt zusammen, doch alle blieben unversehrt. Kethia flog höher, immer höher hinauf, bis sie ausser Reichweite der anderen feindlichen Harpyas waren, dann schleuderten sie, die wild zappelnde Kelana, hinaus in die endlose Leere des Raumes. Die Hohepriesterin versuchte verzweifelt zu fliegen, doch ihr geknickter Flügel, versagte ihr den Dienst. Mit einem entsetzlichen Schrei, der aus dem Grabe direkt zu kommen schien, fiel sie hinab, tief hinab, dem sicheren Tode entgegen…
Tantalius hatte kein Mitleid mit ihr, nicht mit dieser Frau, welche Nannios auf so hinterlistige Art und Weise, hatte töten wollen. Nur um Aellia für den Rest ihres Lebens unglücklich zu machen. Er Tantalius, hatte das verhindert! Er hatte dafür gesorgt, dass der Frieden nun endgültig ins Reich des dunklen Mondes einkehren konnte. Und er wusste… er hatte damit viele seiner bisher begangenen Sünden, getilgt.
Einen Augenblick lang, war es totenstill. Alle Anwesenden, schauten dorthin, wo Kelana verschwunden war. Teilweise erhoben sich Wehklagen, von Seitens ihrer treuesten Anhänger. Doch der Jubel, der kurz darauf, unter Aellias Leuten erklang, übertönte alles andere.
Aellia selbst schwebte einen Moment lang wie versteinert, in der Luft, dann warf sie sich Nannios in die Arme. Sie tastete ihn ab, ob noch alles an im heil war und dann begann sie bitterlich zu weinen. Jegliche Spannung fiel dabei von ihr ab und Nannios hielt sie ganz fest umschlungen. Das verstärkte den Applaus noch. „Hoch lebe Aellia! Hoch lebe die Delegation!“
Aellias treueste Freunde, hatten Tränen in den Augen und alle umarmten sich.
„Ich kann es einfach nicht fassen“, sprach Artemia tief erschüttert. „Kelana…wollte Nannios auf so hinterlistige Weise töten! Ein letzter Akt der Grausamkeit.“
„Ja“, sprach Aellia. „Wenn Tantalius und Kethia nicht gewesen wären… ich glaube, sie hätte es geschafft.“
Der junge Lunarier, welcher etwas bleich um die Nase wirkte, nickte ernst. „Ich hätte mit so etwas nie gerechnet. Aber Kelana war vollkommen besessen von ihrem Fanatismus. Er hat sie… schlussendlich in die Finsternis getrieben, wo es keine Ehre mehr gab…“ Dann aber, lächelte er ermutigend und umarmte seine Liebste nochmals. „Aber sie hat es nicht geschafft! Ich werde das Tantalius nie vergessen.“ Ich auch nicht, “ sprach Aellia und Artemia nickte zustimmend. Sie suchte mit ihren Augen nach Tantalius. Er kam gerade zurückgeflogen. Artemias Herz klopfte auf einmal heftig und sie spürte tiefe Zuneigung für den harpischen Rebellenführer in sich aufsteigen. Er näherte sich ihnen nun, umgeben vom silbernen Schimmer der Nacht. Hinter ihm leuchtete der dunkle Mond, der überzogen schien mit hellen Adern und wie ein lebendes Wesen pulsierte. Alles wirkte auf Artemia auf einmal so magisch. Sie erkannte nun auf einmal, die verborgene Schönheit dieser Welt. Vielleicht lag es aber auch einfach an all den wundervollen Gefühlen, die sie gerade empfand. Ihr Herz war erfüllt von Liebe, Dankbarkeit und tiefster Erleichterung und ein stilles Dankesgebet, erhob sich aus ihrem Innern, empor zur ewigen Göttin.
„Das war wirklich ein erstklassiger Kampf Aellia!“ erklang auf einmal eine bekannte Stimme, hinter der jungen Harpya. Es war Podargia. Sofort senkten alle als Zeichen der Ehrerbietung ihre Häupter. Nur einige der Harpyas, welche Kelana noch immer treu ergeben waren, taten das nicht. Die Königin liess ihren Blick kurz über selbige gleiten, doch sie sagte vorerst nichts. Sie war nun in eine schwarze Stola gekleidet, welche ihre rechte Schulter freilegte. Diese war vorne und am Saum verziert mit goldenen und roten Stickereien. Ein roter Stoffgürtel, ebenfalls durchwoben mit goldenen Fäden, hielt sie zusammen. Ihr langes, blauschwarzes Haar, war schön gekämmt und glänzend, und wurde mit einer goldenen Spange, im Nacken, zusammengehalten. Ihre Stirn schmückte ein goldenes, vorne in die Spitze laufendes Diadem, das mit einem grossen, schwarzen Edelstein verziert war. In ihrem Gesicht lag ein Strahlen, dass Aellia bei ihr noch nie gesehen hatte.
Ein junger, gutaussehender Mann, folgte direkt hinter ihr. Es war Iquitos. Er war ebenfalls in ein edles Gewand gekleidet. Es handelte sich dabei um eine schwarze Toga, eingefasst mit Zierstreifen, in denselben Farben, wie jene von Podargia. Um das Haupt trug er einen Kranz aus Gold, besetzt mit schwarzen Regenbogenobsidian- Steinen, die sehr gut zu seinen speziellen Augen passten, die selbst wie die besagten Edelsteine schimmerten. Der goldene Kranz, war eine besondere Auszeichnung. Noch nie bisher, hatte ein Mann einen solchen getragen. Aber Podargia wollte damit ein ganz klares Signal setzten, dass sie Iquitos gedachte, zu ihrem Gemahl zu nehmen. Um das Reich zu einen und eine der Bedingungen, welche die harpischen Widerstandsbewegung an sie stellte, zu erfüllen.
Aller Augen, waren voller Faszination auf den jungen Mann gerichtet und auf die Königin, deren Ausdruck nun von neuer Weichheit und Weisheit geprägt schien. So achtete einen Moment lang niemand mehr auf die Harpyas, welche noch immer, mit der weissen Fahne ihn der Hand, hinter dem Königspaar schwebten.
Auf einmal jedoch nahm Alwiana, die junge, harpische Jägerin und Liebste von Hydrochias dem Leuchtturmwächter, eine Bewegung aus ihren Augenwinkeln wahr.
Die Harpya mit dem kurzen, schwarzen Haar, welche den Verhandlungszug vorhin angeführt hatte, machte eine plötzliche Bewegung und der glänzende Stahl eines kleinen Dolches, leuchtete kurz im Zwielicht auf. Alwiana wollte eine Warnung rufen, doch da stürzte die dunkelhaarige Harpya auch schon ab. In ihrer Brust einen schwarzbefiederten Pfeil. „Aufpassen!“ schrie Alwiana, „sie wollte die Königin ermorden! Nehmt Kelanas Anhänger sofort fest!“
Das angehende Königspaar und alle anderen, fuhren entsetzt zu ihr herum und sogleich formierten sich einige der königstreuen Soldaten und Soldatinnen, um die noch übriggebliebenen Anhänger Kelanas. Sie nahmen ihnen die Waffen ab, legten ihnen Fesseln und den Priesterinnen noch zusätzlich magiedämmende Halsreife an und führten sie sogleich ab. Die Königin blickte ihnen einen Moment lang betrübt hinterher. Sie war noch immer wie erstarrt und man spürte, wie sehr sie der schändliche Verrat an ihr, doch schmerzte.
Dennoch erhob sie nun mit festem Klang ihre Stimme: „Mein Volk! Es ist nun also getan! Kelana, unsere einst verehrte Hohepriesterin, ist von uns gegangen. Aellia hat sie in einem fairen Zweikampf besiegt, wie ihr alle wisst. Auch jene die auf Kelanas Seite waren, werden schon bald ihren gerechten Strafen zugeführt.
Ab heute wird sich vieles in unserem Reich ändern. Es kann sein, dass es einigen nicht so gefallen wird, doch die Zeit ist reif für eine Wandlung!“ Tosender Jubel, vor allem von Seiten der Männer, erhob sich.
Kurz darauf hatte sich das ganze Volk: Harpyer, sowie auch die Mitglieder der Delegation, im grossen Innenhof der Obsidian Stadt versammelt. Dieser sah etwas aus, wie eine Arena, mit vielen Sitzplätzen darum herum. Man hatte mittlerweile Fackeln angezündet, vor allem auch wegen der Fremdlinge, die zur Zeit unter dem Volk der Harpyas weilten und in der Nacht nicht so gut sahen.
Das flackernde Licht, tanzte auf den Obsidian Flächen der Gemäuer und brachte sie zum Glänzen. Auch oben bei der Pyramide, brannten Fackeln. Es war ein wunderschöner, feierlicher und majestätischer Anblick. Aellia spürte tiefe Glückseligkeit in sich aufsteigen. Sie nahm Nannios Hand in ihre und schmiegte sich eng an ihn, während sie zusah, wie die Königin, Iquitos und einige wenige andere, sich in der Mitte der Arena versammelten. Sie schwebten in der Luft, damit alle sie gut sehen konnten und Podargia fuhr mit ihrer Rede fort: „Nun da ihr alle versammelt seid, möchte ich euch über die Änderungen in dieser Welt informieren…!“