Karima hatte einige Tage überlegt. Immer wieder kam sie zu demselben Entschluss. "Was hält mich hier im Harz und in dieser öden Polizeistation. Die beiden Damen eröffnen mir eine Welt, die unbekannt, wundersam und dennoch fremdartig ist. Zur Polizei ging ich doch nur, weil ich mit meinen Noten keinen Studienplatz für Medizin bekam. Alles was ich hier mache, ist Verkehrsunfälle aufzunehmen und betrunkene Kerle aus dem Verkehr zu ziehen. Egal ob im Sommer oder Winter - täglich der gleiche Firlefanz. Und alles was ich erhalte sind boshafte Beschimpfungen von betrunkenen Autofahrern. Ich kann froh sein, wenn ich als Bullenschlampe oder blödes Weib tituliert werde."
Mehrfach besah sie sich ihre kleine Wohnung, naja - mehr als ein Wohnklo mit einer Schlafnische war es nicht. "Gibt es an diesem Ort irgendetwas, was mich hält? Nicht einmal einen einzigen Freund habe ich hier, weil ich als Frau mit Migrationshintergrund eh nur der Fußabtreter der männlichen Kollegen bin." Sanft ergriff sie den Anhänger und betastete das kleine Juwel, das die Blüten eines Vergissmeinnicht zeigte. Ihre Gedanken gingen auf die Reise und nach einigen Herzschlägen standen Isolde und Edeltraud vor ihr. Zudem war da noch eine dritte Dame angekommen, die sie munter mit ihren rehbraunen Augen anschaute.
"Endlich hast Du Dich entschlossen, was aus deinem Leben zu machen. Ich gebe zu, es ist ein wenig unfein, denn wir kennen Deine Gedanken und innersten Wünsche bereits. Ach, verzeih Kindchen. Mein Name ist Gertrude von Gamb und Glatsch, also echter österreichischer Armutsadel. Doch bevor Du etwas sagst, gebe ich dir einen Vorgeschmack auf Deine Zukunft. Dafür lege ich meine Hände an deine Schläfen und übermittele Dir Bilder von der Ausbildung, den Möglichkeiten und natürlich Deinen neuen Namen. Bei uns würdest Du zuerst den Namen Trude Rouge tragen, es ist der Name während deiner Zeit als Novizin und Elevin der Magie." Sanft legten sich die warmen Hände von Gertrude an ihre Schläfen. Bilder von fernen Ländern, besonderen Orten und spektakuläre Landschaften breiteten sich in ihrem Geist aus. Es folgten Bilder von der Ausbildung, also einer Art Taufe in einem Bach, dann einer zweiten Taufe an einem Stein und im Anschluss Teile ihrer zukünftigen Arbeit. Sie sah kranke Menschen, die sie durch einfache Zauber heilte.
Voller Befriedigung nickte sie, um ihre Zustimmung zu geben. Dann sah sie viele Damen, die sie in unterschiedlichen Bereichen der Magie ausbildeten und wieder Reisen durch Zeit und Raum. Es war wunderbar ohne jegliche Bindungen reisen zu können und Einblicke in fast unendliches Wissen zu erlangen. Erneut nickte sie sich zu. "Das ist mein Weg und es sind sogar meine Träume, die ich sehe."
Erst in diesem Moment bemerkte sie, dass sich ihr bescheidenes Domizil gefüllt hatte. Vier kräftige Damen saßen auf dem Sofa und am Küchentisch und noch etwas beunruhigte sie. Schweiß lief ihr nicht nur über die Stirn, sondern auch aus jeder Pore ihres Körpers. Die Augen gänzlich aufzuschlagen bereitete vorerst Mühe. Gertrude und Isolde machten ein Zeichen, dass sie kannte. Sie zeigten ihr eine Faust mit erhobenen Daumen. Sanft gestand Isolde: "Ich bin nun schon seit über fünfzehn Jahren deine Traumpatin, ich kenne all deine Wünsche und Vorstellungen. Ich kenne Deinen Kummer und manche Träumerei. Vieles was Du meinst gesehen zu haben, entspringt deinem Geist, aber die ersten Bilder über die Reisen, die Ausbildung und Taufen, die stammen von Gertrude. Unsere vier Schwestern helfen dir bei dem Übergang. Sie verstauen Deinen Hausstand und begeben sich mit Dir auf deine erste Reise. Sie führt dich zum Belchen, einem Ort von besonderer Magie, der seit über viertausend Jahren von uns für die Initiation genutzt wird. Von dort reist Du zu an einen wundersamen Ort, denn ich unterrichte Heilkunde. Hundke von Haitabu wird Dich in Magie unterweisen. Nein, habe keine Angst, Du musst nicht viel lernen, sondern es werden eigentlich nur Deine magischen Tore in deinem Kopf geöffnet. Diese Zeit wird etwa sieben Jahre also eine heilige Septe andauern. Danach beginnt Deine Reisezeit und Du lernst dabei eine ganze Reihe unserer Schwestern kennen. Das nennen wir die Zeit der Findung, die in der zweiten Taufe endet. Und alles andere wird sich danach von selbst finden."
"Wann geht es los?" Brach es aus Karima heraus. Erst danach fragte sie. "Warum Trude Rouge, ich dachte ich solle Karin heißen?" Hundke plusterte sich auf. "Kindchen, so kannst und wirst du heißen, wenn Du mit deiner ersten Ausbildung fertig bist. Schließlich müssen wir in dieser Zeit ja für Dich sorgen. Der Name stammt aus dem Magiezirkel von Colmar, das liegt in der Nähe von Straßburg. Dort wirst Du zunächst also in sieben Wochen vorerst wohnen. Dort lebt Brigta, das ist die ältere Dame, die Dich zunächst in die Riten, Sitten und Gebräuche einweisen wird. Sie bewohnt ein wunderbares Schloss und dorthin wirst du ziehen." Karima antwortete verwirrt. "
Das liegt aber in Frankreich und die Franzosen mögen keine Frauen wie mich." Hundke lachte herzhaft. "Es gehört zum germanischen Magiereich. Sei unbesorgt, alle werden Dich lieben, denn uns ist es egal, welche Hautfarbe, Augenfarbe oder Herkunft eine Schwester hat. Für uns zählen nur die inneren Werte und eben auch noch eine Portion Humor. So Kindchen, jetzt beschaffen wir dir neue Papiere und Du erledigst gleich den Papierkram. Wir manipulieren nebenher die Finanzkasse, die Dir eine Pension zahlen wird. Lass uns nur machen, schließlich haben wir schon einige Jahrhunderte Übung darin." Langsam drehte sie sich um und sah fragend zu Isolde. "Ihr wusstet von der ersten Minute alles und jetzt muss ich mein Leben umkrempeln. Natürlich freue ich mich, aber dennoch ist mir ein wenig Bange." Die Damen lachten nun alle zusammen. "Die ersten Schritte nach dieser Abkehr von Deinem bisherigen Leben sind Neuland, aber schon bald wirst du dieses Leben lieben. Eine Bitte hätte ich noch. Drehe dich langsam im Kreis und spreche die Worte: Ich bin jetzt Trude Rouge und verlasse mein altes Leben, um eine Novizin und Elevin der Magie zu werden. Mehr braucht es nicht!"
Karima nickte und und langsam drehte sie sich um die eigene Achse und sprach die Worte leise nach. Sofort spürte sie einige Veränderungen in ihrem Geist. Leise sprach sie zu sich. "Ich bin jetzt Trude Rouge und jetzt kenne ich den Dreh, um mein Leben umzudrehen." Sie hörte besser, sie sah besser und verschiedene Sprachen drängelten sich in ihr Bewusstsein. Nebenher erfasste sie, dass sie merkwürdige Feldlinien sah, die um die Frauen herumschwirrten. Was es war erschloss sich ihr nicht.