Im Tiefflug wurden mit dem Besen die Schneisen im Hundsrück im wilden Tempo durchflogen. Das Tempo wurde bei jeder Runde immer weiter nach oben geschraubt, um die eigenen mentalen Fähigkeiten dem Besen und der eigenen Reaktionsfähigkeit anzupassen. Ausgangspunkt aller Ausritte war der Hunnenring in der Nähe von Idar-Oberstein, der für acht Novizinnen einen weiteren Prüfungspunkt darstellten. Die Theorie vor der Flugprüfung klang noch banal, doch die schriftliche Prüfung sah schon schwieriger aus. Vom Anlegen der Kompressionsstrümpfe bis zur Flugphysik wurde alles in dem Test abgefragt. Dazu noch die üblichen Schutzzauber und der magische Eigenschutz, hinsichtlich der Flugunfälle und natürlich Unfällen mit Touristen, die möglicherweise die eingeschlagene Flugbahn leichtsinnigerweise bei ihren Ausflügen kreuzten. Es war eine komplexe Angelegenheit, da auch rechtliche Konsequenzen bei Zusammenstößen mit anderen Lebewesen drohen konnten. Leichtfertige Hexen bekamen dann den Eintrag "Luftikus" in den magischen Führerschein, was gleichbedeutend mit einem Flugverbot für mehrere Wochen oder Monate war, denn der Eigenschutz und des Fluggerätes musste jederzeit von den Hexen gewährleistet werden. Zudem mussten magische Veränderungen an den Besen dem Flug- und Lizenz Amt angezeigt werden.
Zwei Tage lang unternahmen sie nur Gruppenflüge, die von der strengen Schwester Hilde von Auerbach geleitet wurden. Im Anschluss galt es einen mit Hindernissen gespickten Parcours im möglichst kurzer Zeit zu absolvieren, bei dem es galt alle Gier- und Rollbewegungen im Flug geschickt ausgleichen zu können. Das heitere Juchtsen der Novizinnen wurde schon nach wenigen Stunden von dem ersten dramatischen Unfall überschattet. Lorenza, eine reifere Dame bekam die Kurve nicht und landete unsanft in einer Fichtenschonung. Äste und Jungbäume brachen und Lorenza sah ziemlich zerschrammt aus. Ernsthafte Schäden trug allerdings nur der Besen davon, der einen Stielbruch erlitt, den man mit der üblichen Magie nicht flicken konnte. Die gebrochenen Rippen hingegen waren eher zu vernachlässigen, denn die ließen sich mit Magie recht schnell heilen und die Schmerzen konnten unterdrückt werden.
Mit zunehmender Geschwindigkeit wurde es nun mal immer heikler auch die tangentialen Beschleunigungen durch Fluglageveränderungen zügig auszugleichen. Als Motorradfahrerin wusste Trude, dass man sich ordentlich in die Kurve legen musste, was ihr in diesem Fall zum Vorteil gereichte, um das Fluggerät und die Physik halbwegs auszutricksen.
Von diesem Tage an nahmen nur noch vier Novizinnen an dem stetig schwierigeren Flugtraining teil. Die Panik bei den verzagten Damen hatte die Oberhand gewonnen, so dass sie mit dem kleinen Flugschein zufrieden waren und die Abreise sofort mit ihrer Magie antraten. Trude hingegen faszinierte der Temporausch in jeder Kurve und insbesondere bei dem Unterfliegen von Luftraumhindernissen, bei denen es sich zumeist um Hochspannungsmasten, Brücken und Windkraftanlagen handelte. Schwester Brigitta zog sich nur zwei Tage später bei einem Flug in der Dämmerung einen Beinbruch zu, als sie zu forsch über den Truppenübungsplatz Baumholder raste und eine Radarantenne bei dem Ausflug streifte. Dennoch steckte sie nicht auf. In ihrem bayerischen Dialekt presste sie als erstes einen knappen Fluch hinaus: "Geile Sache, diese Flugschulung. Aber auch ein wenig brenzlig, wenn da hinterfurzige Hindernisse einfach so im Gelände auftauchen, die fies getarnt sind." Der Abtransport in einem fliegenden Kessel von Baumholder zur Klinik in Fischbach war das kleinste Problem. Die Verteilung von Vergessenszaubern war schon schwieriger, denn neben närrischen Franzosen turnten auch noch bestens getarnte Amis auf dem Areal herum, die tatsächlich an einen übernatürlichen Angriff außerirdischer Streitkräfte glaubten. Resolut und mehr als routiniert sorgte Hilde für die strikte Einhaltung des Notfallprotokolls, indem sie den halben Truppenübungsplatz mit den notwendigen Zaubern belegte. Der Zauber war so stark ausgefallen, dass hernach ein vielkehliges Geschnarche aus den Fahrzeuge zu hören war.
Am nächsten Morgen jagten sie durch das Terrain, um sämtliche Feinheiten des Fliegens kennenzulernen. Alles änderte sich für sie, als Asja bei den Prüfungsflügen unangemeldet auftauchte. Erstmals lernte Trude die strenge Seite dieser Schwester kennen. Gut war für sie nie gut genug. Hilde war schon lange zufrieden, als Asja die Anforderungen stetig weiter nach oben schraubte. Egal wie gut sie flogen, Asja pochte stetig auf mehr, auf bessere Haltung und bessere Rundenzeiten. Sie selbst machte es den Novizinnen vor, aber keiner wollte es gelingen halbwegs mit ihr mitzuhalten, denn eintausend Jahre Flugerfahrung hatte keine von ihnen. Zudem waren die Schulungsbesen deutlich in der Leistung gedrosselt, damit keine von ihnen ein Tempo von über zweihundert Stundenkilometer überschritt.
Hilde griff nun vehement ein. "Hochverehrte Asja, nicht jeder von uns ist es gegeben, wie ein wilder Handfeger jedwede Schwierigkeit in der Luft zu meistern. Habt bitte Nachsicht mit den jungen Gören. Sie haben noch viel zu lernen und sie stehen erst an Anfang ihrer Ausbildung." Erstmals spürte Trude die stringente Hierarchie der Schwesternschaft. "Schweig Hilde. Wir sind hier nicht in einer Küken-Aufzuchtstation für degenerierte Flughühner, sondern in der angeblich besten Flugschule in Europa. Wo sind den nun die vielversprechenden Aspirantinnen für die Flugschau im Sommer. Ich zumindest sah keine Hexe, die das Zeug zu einer versierten Fliegerin hat. Bringt den Junghennen endlich das kleine Einmaleins der Flugmagie bei, ansonsten sorge ich dafür, dass hier endlich mit harter Hand und einem eisernen Besen durchgekehrt wird."
Hilde schnappte aufgebracht nach Luft. "Was maßt ihr euch an. Ihr seid für Frankreich zuständig, aber in meinem Beritt wird es diese leichtfertigen Flugkünste bei Novizinnen nicht geben. Meine Küken werden nun mal nicht verheizt wie Brathändel. Ich kann verstehen, dass euch fähige Pilotinnen fehlen, aber dafür gibt es hier kaum schwerwiegende Flugunfälle. Bei euch mag das frühzeitige Ableben von Junghexen Usus sein, aber nicht bei mir. In meinen Augen seid ihr nur ein Luftikus, der ohne jegliche Verantwortung junge Mädels mit zu schweren Aufgaben betraut. Über die fünfzig gefallene Engel in eurem Land will ich nicht sprechen. Es reicht uns, wenn wir jedes Jahr drei Schwestern bei Flugunfällen verlieren. Alles andere besprecht ihr bitte mit Isolde."
Der Disput schwelte weiter, denn Asja verschränkte die Arme vor der Brust provokativ. "Wenn ich auf jede halbseidene Entschuldigung einer juvenilen Dumpfhenne eingehen würde, dann gäbe es dieses alles nicht mehr." Barsch intervenierte Hilde. "Solche dreisten Argumente ziehen nicht bei mir. Ich erfülle meine Aufgabe und ich weiß auch, wer hinter der Mittelkürzung für die Flugausbildung steckt. Verzeiht Madame, aber eure Fantasie von einem berittenen Regiment an Kriegshexen solltet ihr besser bei dem nächsten Konvent vortragen, damit alle Schwestern von Rang und Namen mitentscheiden können. Alles andere grenzt an Hochmut oder Dummheit." Trude wusste nicht, ob sie in diesen Disput eingreifen sollte, aber Hilde erfüllte ihre Pflicht zuverlässig, konsequent und mit viel Herzblut. Zumal dies nur der erste Fluglehrgang war und weitere Übungen folgen sollten. In drei Monaten gab es den erweiterten Flugschein und erst bei der dritten Flugprüfung wurde endgültig die Eignungsprüfung für alle magischen Fluggeräte abgelegt. Mit einem Fingerschnipser entschwand Asja augenblicklich, dennoch wuchs nicht nur in Trude der Zweifel, ob das der rechte Moment für eine übermotivierte Machtdemonstration seitens Asja war. Diese Frage notierte sie sich für das nächste Gespräch mit Isolde, denn Anfänger für höhere oder sogar tollkühne Ziele zu Opfern machte in ihren Augen keinen Sinn und war bestenfalls eine Luftnummer. Immerhin hatte sie Unterrichtserfahrung bei der Polizei sammeln können, die sie immer davon abhalten würden, unnötige Gefahren bei der Ausbildung einzugehen. Erst mit einer gewissen Routine ließen sich noch komplexere Flugmanöver einüben. Von der Beherrschung und der Drosselung des Besens abgesehen.
Noch vier Stunden übten sie gemeinsam über dem Truppenübungsplatz, bis Hilde zufrieden war. Auf einer Karte wurden vor jeder Flugübung die Probleme besprochen, damit die Junghexen sich mit den Problemen auseinandersetzen konnten. Im Anschluss an den Prüfungsflug feierten sie mit einem Spießbraten die erste Teilprüfung.