Trude hatte von diesem Tag an täglich viel zu lernen. Zu schaffen machte ihr die Konfusion bei dem Lernen. Täglich gab es anderen Stoff, der ihr eher lieblos präsentiert wurde. Schlimmer noch war die Tatsache, dass stetig eine, zwei oder drei Schwestern unangekündigt eintrudelten, die ihr Bücher in die Hand drückten samt einigen Anweisungen, was zu lernen war. Anderntags machte sie einen Ausflug um den Stoff weit abseits von menschlichen Siedlungen zu üben. Immer wieder schafften es die zumeist unbekannten Schwestern, die anderen Novizinnen und die Lehrpersonen sie zu überraschen. Noch schlimmer drückten jedoch die merkwürdigen oder sogar abstrusen Themen auf ihre Seele. "Wozu ist es wichtig die Nachnutzungsmöglichkeiten von gebrauchtem Kaffeemehl zu kennen? Wer interessiert sich für kaputtes Porzellan, oder warum sind Kräuterschnäpse gesünder als klarer Alkohol? Wen interessiert dieser Scheiß!" Die Worte waren noch nicht verhallt, als Edeltraud und Isolde unvermittelt auf dem Sofa saßen.
"Ihr beiden habt mir gerade noch gefehlt", sprach sie die beiden Damen an. "Könnt ihr mir bitteschön erklären, warum es keinen geordneten Lehrplan für mich gibt und wo bitteschön ist die hilfreiche Fachliteratur. Schließlich bin ich ja gewillt zu lernen, aber mit diesen leeren Worthülsen und fast schon atomaren Lerninhalten kann ich herzlich wenig anfangen. Verzeiht meine lieben Schwestern, aber das alles fühlt sich für mich wie gequirlte Pferdepisse an, die bereits in einen anrüchigen Gärungsprozess übergegangen ist."
Entschlossen funkelte sie die beiden Gäste in ihrem Raum an. "Könnt ihr mir bitte helfen dieses magische Rätsel zu lüften? Oder kommt ihr nur, um eure Schadenfreude über mir auszukübeln?" Edeltraud kramte in ihrer Tasche und zog ein Buch hervor. "Kindchen, hier ist ein Buch von Goethe. Es ist seine sensitive Farbenlehre. Vielleicht beschäftigst Du Dich damit, es wird die ersten Rätsel lösen helfen. Natürlich verstehen wir Deine derzeitige Desorientierung, aber alle Lehrkräfte wollen nun einmal wissen, wie sie Dich zukünftig unterrichten sollen." Isolde fiel ihrer Schwester ins Wort. "Erinnere Dich daran, was Du bei den ersten Zaubern erlebt und gesehen hast. Mehr dürfen wir Dir vorerst nicht helfen. Schließlich liegt es an Dir uns und den Lehrerinnen die richtigen Fragen zu stellen."
Trute schwankte leicht, so als hätte sie eben einen heftigen Kontakt mit einer Bratpfanne gehabt, die ihr unvermittelt und mit voller Kraft ins Gesicht geschlagen worden war. "Was sollen das Buch und diese wirren Fragen mir helfen? Langsam glaube ich, meine Lehrerinnen hätten allesamt mehr als ein Fass Rotwein zu viel geleert. Verzeiht Schwestern, aber ich erkenne leider keine Zusammenhänge und kein System in diesen wirren oder abstrusen Lernfragmenten, die täglich an mir erprobt werden. Vielleicht besitzen die klugen Damen die Höflichkeit und Güte, um mir dummen Huhn die diffusen Zusammenhänge zu erklären." Für Edeltraud war es offenbar ein Stichwort. "Kindchen, schließe die Augen und lasse eine Tasse, oder das Bett schweben. Aber, achte genau darauf, was Du mir geschlossenen Augen siehst. Das wäre zumindest ein Anfang. Der Rest folgt, wenn Du bereit bist."
Mürrisch schloss Trude ihre Augen und ließ eine Tasse schweben. Danach hob sie den Schrank an und ließ auch diesen einige Zentimeter über dem Boden für längere Zeit schweben. Entspannt setzte sie den Schrank wieder ab. Rasch bewegte sie sich zum Balkon. Erneut schloss sie die Augen und ließ einen Traktor samt Anhänger, beladen mit Holzscheiten schweben. Jetzt erkannte sie die Auswirkung der Magie. "Ich sehe einen bräunlichen Farbton oder bräunliches Band, das die Sachen schweben lässt. Verzeiht mir meine Schwestern, ich will noch einen Feuerzauber probieren." Aus dem Springbrunnen ließ sie eine haushohe Feuerlohe aufsteigen. " Sie achtete jetzt auf das Farbenspiel vor ihrem gedanklichen Auge. "Jetzt weiß ich vermutlich die Antworten. Magie wird immer von Farben begleitet. Wenn ich jetzt auf der richtigen Spur bin, dann sollte jede Art von Magie mit Farben verbunden sein. Aber zuvor muss ich diese These noch überprüfen." Mit ihrem magischen Ohr lauschte sie in den Ort hinein und sah eine silbrige Färbung in dem Bereich, in dem sie die Magie anwendete.
"Danke, liebe Schwestern. ich denke ich habe den Wink mit der Pfanne verstanden. Bestimmte Arten von Magie sind immer mit bestimmten Farben verbunden. Levitation ist Magie, die ich der Erde entnehme und Feuermagie ist rötlich. Gedankenmagie hat so einen silbrigen Farbton. Somit erscheint es mir als logisch, wenn ich sage, dass die Anwendung von Magie eine farbenfrohe Angelegenheit ist und man möglichst viele Farben kennen sollte, um verschiedenste Zauber aufrufen zu können. Somit ist das Kaputte Geschirr zu sammeln, weil dort verschiedene Farbvarianten drauf zu sehen sind. Kaffeemehl ist bräunlich, während die eigentliche Kaffeekirsche rötlich ist. Und Kräuterschnäpse können viele verschiedene Farben besitzen. Somit sind Goethes Farben und die moderne Farbenlehre ein Hinweis bei den Zaubern auf bestimmte Farben zu achten und sie geben nebenher noch differente Gemütszustände an. Somit sind Magenta, Zyan und Gelb nur die Grundfarben und alle erdenklichen Schattierungen zwischen den drei Hauptfarben eröffnen folgerichtig hunderte oder tausende Zauber." Edeltraud und Isolde klatschten verhalten. Gebieterisch fügte Edeltraud an: "Vergesse die Erdfarben, die Grauwerte und Glanzfarben von Metallen nicht, denn sie erschließen erst die vollkommene Kombinatorik der Magie."
Trude zögerte nur kurz und erinnerte sich an ihren Kunstunterricht in der Schule. "Wir haben in der Schule die Farben der additiven und subtraktiven Farbmischung kennen gelernt, die einmal schwarz und im anderen Fall weiß ergeben. Metallfarben und Erdfarben gehören nicht zu diesen Farbkreisen, soweit ich mich noch erinnern kann. Somit gäbe es Abermillionen Farben und entsprechende Magie oder Zauber dazu. Dennoch hat die Sache einen Haken! Was machen Hexen, die Farbenblind sind?" Das Gesicht von Isolde zeigte ein Schmunzeln, das fast wie ein ausbrechender Vulkan wirkte. "Zuerst das wichtigste für Dich. Du hast schon viele Erkenntnisse gesammelt und zeigst einen aufgeschlossenen Umgang mit Aufgaben. Die vielen Damen, die hier zu Besuch waren, wollten sich vorerst nur über Deine Grundmagie informieren, damit sie dich zielgerichtet unterrichten können. Und nun zu deiner kessen Frage! Farbenblinde Hexen kann es nicht geben, weil nur Menschen mit einem gesunden Hirn auch diese vielen Reize korrekt verarbeiten und nur dadurch Magie beherrschen können. Kein Mensch mit Hirnschäden oder Sinnesschwächen kann Magie und sei es auch nur intuitive Magie bewirken, weil sie selbst wenn sie die Magie kennen würden falsche Farben steuern würden. Um das Chaos zu verhindern sind wir unterwegs, um diese Damen zu heilen. Wir nehmen ihnen jegliche Möglichkeit auch nur an Magie zu denken. Dafür beschenken wir sie mit Gefühlen und sensitiven Gaben. Auch das gehört zu unseren Pflichten, die irgendwann auch zu Deinen werden. Denn nur wir können den Menschen auf diese Art helfen."