Das Herbarium wuchs jeden Tag um viele neue Pflanzen. Fast täglich präparierte Trude, gesammelte Pflanzen und bestimmte sie nach den Regeln der alten und neuen Taxonomie. Mit dem Internet ging es recht schnelle jede neue Pflanze zu erfassen, es war fast wie Magie, denn die Bilder und erklärengen halfen ihr bei dem Lernen. Danach wurden die Pflanzen getrocknet und und auf einzelne Bögen fixiert. Mit sauberster Schrift erfolgte die Taxierung und alle wichtigen Beschriftungen. Penibel wie ein Buchhalter bei einer Bank wurde alles extrem sauber ausgeführt. Wichtig waren zunächst nur die wirklichen Heilkräuter und Heilpflanzen.
Immer neue Pflanzen wurden gepresst und dann sorgsam auf einen Bogen Papier fixiert. Dazu diese merkwürdigen lateinischen Namen und die Trivialnamen, wie sie jeder Mensch, ob Bauer oder Hausfrau, verwendete. Nebenher wurden auch die Giftpflanzen in einem zweiten Buch gesammelt und ebenso sorgsam bearbeitet, bis jeder Bogen alle Details der Pflanze einfing. Angefangen von Tollkirsche, Fingerhut über Rittersporn - bis hin zu Stechapfel oder Engelstrompete. In ein drittes Herbarium verfrachtete sie alle anderen Pflanzen, die man so an Wegesrand oder in Gärten fand und die weder eine heilsame noch giftige Wirkung besaßen. Dazu gehörten alle Gemüsepflanzen, Blühpflanzen und Küchenkräuter. Die Bäume, also die Blätter und Zeichnungen von Früchten landeten in dem vierten Herbarium, welches ebenso akribisch angelegt wurde. Die Arbeit machte Spaß und man lernte bei dieser herrlichen Ruhe sehr viel über die Materie.
Manche Namen von Pflanzen hatten einen angenehmen Klang, wie eschenblättriger Ahorn, Liebesperlenstrauch, Lebkuchenbaum, Schlangenhaut Ahorn oder Tulpenbaum. Untereinander tauschten die Novizinnen die Pflanzen aus, damit jede Novizin möglichst schnell ein umfassendes Wissen über verschiedenste Pflanzen sammelte und durch fleißiges Lernen in das Gehirn transferierte. Gemeine Ausflüge zu bestimmten Orten oder besser gesagt Biotopen stärkten den Zusammenhalt in der Gruppe. Immerhin hatte Herzmine von Hundlos die schier unlösbare Aufgabe gestellt, die besagte eintausend Pflanzen kennen zu lernen. Die besten Plätze um reiche Beute einzubringen waren Parks, Zuchtstationen oder auch besondere Gärtnereien, die Moorbeet Pflanzen, Exoten oder sogar tropische Gewächse beinhalteten. So lernten sie auch das magische Stibitzen, also die unehrenhafte Entwendung von Fremdeigentum zum Zwecke der Forschung. Natürlich überfielen sie keinen Betrieb in größeren Gruppen oder mehrfach. Immerhin lebten die Familien ja von von der Pflanzenzucht. Gerne hinterließen sie stets einen kleinen Obolus. Bei einem Ausflug in die Nähe des Bodensees fanden sie eine Gärtnerei, die sogar Cola Minze züchtete und fast alle jungen Damen berauschten sich an dem Duft und Geschmack dieser Pflanze. Der Tag der Präsentation rückte stetig näher und so kam es, dass sie zunehmend mehr gute Sammelplätze und Pflanzen untereinander austauschten.
Auf großen Tischen, in der Nähe von Moorlosenkirchen, standen nun acht Novizinnen und präsentierten ihre gesammelte und gepresste Ausbeute. Jede von ihnen glaubte die Aufgabe halbwegs perfekt gemeistert zu haben. Keine von ihnen rechnete mit der schlechten Laune von Herzmine, die wie ein besessener Nachtalb jedes Ergebnis fein säuberlich zerpflückte. Zum Glück stand Trude erst als siebente in der Reihe. Die markanten und boshaften Schmährufe von Herzmine an die Schülerinnen eröffneten alle Tore zur Hölle und zu einer ungezügelten Gluthitze. Mit Sicherheit musste es so einen finsteren Ort geben, denn wo sonst sollten Damen, wie Herzmine nach dem Ableben ihren letzten Ruheplatz finden.
Worte wie: Spinatwachtel, dusselige Schnapsdrossel, fauliges Fallobst, Dummtucke gehörten noch zu den lobenden Ausdrücken, die sich nicht allzu tief in die Seelen fraßen. Dann stand Herzmine vor Trude, die erwartungsvoll auf einen Schwall boshafter Beschimpfungen wartete. Gerade noch rechtzeitig trafen Isolde und Edeltraud ein. Sorgsam, wie ein Lexikon durchblätterte Herzmine die Herbarien. "Lückenhaft, unsauber, grobes Geschlampe und dusselige Anordnung," waren die vornehmen Begriffe, die ihre Lehrkraft ihr ins Gesicht brüllte. "Keine von euch Schmalspurhexen wird je das Examen bei mir bestehen, wenn ich es verhindern kann."
Isolde sah sich genötigt jetzt einzugreifen. "Herzmine, wir alle wissen dein schier unermessliches Wissen über die Natur und Pflanzen zu schätzen, aber übertreibe es nicht mit Deinen herzlosen Anfeindungen den Schülerinnen gegenüber. Ansonsten verwandle ich Dich in eine unnütze Pusteblume, denn so derart ungezügelt erzeugt man keine Liebe zu zarten Pflänzchen, die möglicherweise Kräuterkunde erlernen wollen. Zudem ist es nicht in unserem Interesse, wenn Du hier wie eine Furie die jungen Damen angehst." Edeltraud musste ebenfalls ihren Kommentar beisteuern. "Ich mag es nicht, wenn ich Dich belehren muss. Aber, es gibt Gesetze, an die auch Du Dich halten musst. Als Lehrkraft sollst Du in den Schülerinnen die Liebe zu Pflanzen wecken. Was ich sah war das Gegenteil davon. "
Wie ein zorniger Terrier, der sich in seiner Beute verbeißen wollte wirkte Edeltraud gerade. "Bei mir endest du nicht als Mimose, als Pusteblume oder Bilsenkraut sondern als vertrocknete Nacktschnecke. Ich bin es leid, dass Du seit eintausend Jahren Dein Unwesen mit den jungen Damen treibst. Du magst Hildegard von Bingen ausgebildet haben, aber das gibt Dir nicht das Recht, jeden anderen Menschen boshaft anzublaffen. Zumal Du wissen solltest, dass eine Richterin vor dir steht, die dich jederzeit mit einem Bann belegen kann. Immerhin sollst Du den jungen Damen etwas beibringen und in Deiner Stellenbeschreibung steht nicht, dass Du als ungehobelter Höllenhund bei der Ausbildung fungieren sollst. Bedenke, keine der jungen Damen wird Dich in guter Erinnerung behalten."
Erstmals wich die Gesichtsfarbe bei Herzmine, die zuerst blass wurde und dann eine boshaft rote Gesichtsfarbe annahm. Laut, wie das Donnergrollen eines Gewitters verteidigte sie sich nun. "Ihr mit euren modernen und sensiblen Lehrmethoden soll der Teufel holen. Ich alleine bestimme, wen ich zur Ausbildung zulasse. Und in diesem Fall wird es abermals keine Aspirantin geben, die mich und mein Wissen beerben wird." Isolde sah sich veranlasst zu handeln. Mit einem kleinen Zauber ließ sie Herzmine schweigen und danach versetzten sie Herzmine offenbar an einen anderen Ort. Mit großen Augen bestaunten sie diesen Vorgang. "Wir hatten es Herzmine verständlich gesagt. Sie soll endlich nach über eintausend Jahren wieder eine Novizin bestehen lassen. Sie sollte euch unterrichten und Hilfestellung anbieten, aber sie tat es nicht. Somit mussten wir sie an einen anderen Ort versetzen, wo sie keinen Schaden mehr an zarten Pflänzchen anrichten kann."
Edeltraut nahm das Gespräch auf. "Ihr habt alle bestanden und von nun an wird euch Schwester Alba von Tarent unterrichten. Sie ist eine versierte Botanikerin und wird euch jederzeit zur Verfügung stehen, denn immerhin verdienen wir mit der Produktion von Kräuterschnäpsen unser Geld." Trude wagte eine Frage. "Wo ist Herzmine jetzt?" Isolde schaute zu ihr. "Sie züchtet jetzt Wüstenrosen in der Sahara. Pro Tag senden wir ihr zehn Liter Wasser, dass muss für den alten Besen reichen, bis ihr Verstand wieder so ist, dass man ein Gespräch mit ihr führen kann. Verzeih, aber auch sie muss sich an unsere Regeln halten. Seit eintausend Jahren verschreckt sie nur noch unsere Novizinnen. Du musst Dir nur vorstellen, dass wir mir Kräuterlikör viel Geld verdienen. Die Produktion stockt bereits, weil uns Schwestern in dem Betrieb fehlen."