"Brunhilde, lässt kein gutes Wort an Dir. Sie ist ziemlich stinkig, weil Du sie so dermaßen bei dem Kräftemessen blamiert hast. Naja, viele sagen, sie könnte locker mit dem Koloss von Rhodos konkurrieren, denn sie ist nun mal keine Augenweide. Aber sagen darf man es ihr selbstverständlich nicht. Sie ist halt so sensibel, wie ein Schmiedehammer. Wenn ich es mir so überlege, dann wiegt sie sicherlich so viel, wie Du, ich, Asja und Isolde zusammen. Immerhin braucht sie zwei Waagen, um sich einmal zu wiegen. Eine Waage alleine schafft das längst nicht mehr." Diese munteren Worte flötete ihr Mareile von Calden entgegen. Immerhin eine junge Hexe, die durchaus feminine Züge besaß, wenn man sie mit Brunhilde verglich. Mareile maß zwar gut zwei Meter, aber sie war schlank und wirkte eher wie eine zu groß gewachsene Balletttänzerin. Trude musste schmunzeln, denn die Einschätzung der Wetterhexe traf recht genau den Nagel auf den Kopf. Obwohl bei Brunhilde sicherlich die Bezeichnung Schwerlastbolzen eher zutreffen würde. Die kleine Spitze behielt sie für sich, weil es sich nicht gut machte, eine Schwester zu beleidigen.
"Lust auf einen kleinen Ausflug, immerhin müssen wir heute noch die Grundzüge der Wettermagie üben und prüfen. Ich kenne da so eine nette Gegend, in der kaum Leute rumlaufen. Okay, ist ein bisschen weiter ab vom Schuss, aber das Panorama ist einsame spitze, wenn man Berge und Vulkane mag. Zudem kann ich da ein Geburtstagsgeschenk für Brunhilde organisieren. Ich dachte mir, ich bringe ihr eine zehn Meter lange Basaltsäule mit. Damit hättest Du nicht nur einen Teil der Wettermagie erledigt, sondern auch noch Deinen ersten Spezialauftrag eingetütet. Aber schauen wir mal, ob wir eine passende Säule finden. Zur Vorbereitung benötigst Du wirklich warme Kleidung, eine Sauerstoffmaske, eine Schutzbrille und Bergstiefel." Trude war überrascht. "Bergstiefel, reichen da nicht meine Kampfstiefel von der Polizei?" Mareile nickte. "Wenn sie Stahlkappen besitzen, dann wird das schon gehen, schließlich ist das Terrain am Cisne (Schwan) schwierig und es ist dort morgends biestig kalt. Da ist jetzt halt Regenzeit! Das bedeutet im Hochgebirge halt Schneefälle und Kälte, weil die Wolken die Sonneneinstrahlung behindert." Trude zog sich um, packte ihre Sachen, denn man konnte nie wissen, was einen unterwegs erwartete oder begegnete.
Kurz vor dem Sprung bekam sie noch forsche Anweisungen. "Setze jetzt die Sauerstoffmaske auf und danach die Schutzbrille. Die Reise wird lange dauern, also etwa zwölf Minuten. Handschuhe sollten nicht fehlen. Ich werde mit dir einen Parabelsprung machen, denn Du vermutlich noch nicht kennen gelernt hast. Daher legen wir auch noch die Gurte an und verbinden uns mit einem Strick, falls Du mir unterwegs entgleitest oder Ohnmächtig wirst. Andere Hexen kotzen sich auch die Seele aus dem Leib, wie Kerle es tun, wenn sie zu viel gesoffen haben. Aber alles halb so wild, ich kenne auch die passenden Reinigungszauber um die Flecken samt Geruch zu tilgen." Eigentlich wollte Trude dankend ablehnen, aber so eine Reise war mal eine neue und abenteuerliche Erfahrung, zumal Mareile einen angenehme Stimmung verbreitete. Immerhin war sie bisher erst in Frankreich gewesen und wusste nicht, wo der Cisne oder Schwan lag. Mareile reichte ihr die Hand und dann zerrte sofort eine urtümlich Kraft an ihrem Handgelenk. Binnen Sekunden waren sie über zehn Kilometer hoch und sie merkte sofort die eisige Kälte, die unangenehm auf der Haut prickelte, um danach alles zu vereisen. Es waren sicher minus dreißig Grad Celsius. Der Himmel war längst nicht mehr blau sondern eher violett gefärbt, durch die veränderte Beugung der Lichtwellen. Sie bestaunte trotz der eisigen Kälte die vorbeiziehende Umgebung und den Atlantik, der schon bald unter ihnen auftauchte. Der Fahrtwind wurde durch ein magischen Schutzschild vor ihnen weitestgehend von ihnen fern gehalten. Bei solchen Temperaturen würde man ansonsten binnen Sekunden vollständig vereisen und danach erfrieren.Sie grübelte, ob man den Sturz aus dieser Höher überhaupt mitbekommen würde.
Minutenlang glitten sie mit enormer Geschwindigkeit über eine unendlich erscheinende Meeresoberfläche, die aus dieser Höhe bestenfalls wie ein übergroßer Teich wirkte. Nach einer Ewigkeit gab es wieder Land vor ihnen zu erkennen. Sie überflogen ein riesiges Küstengebirge und überquerten auch noch die westliche Andenkette. Jenseits aller Flugverkehrsrouten störte sie nicht einmal ein Flugzeug bei ihrer Reise. Dann sah sie einen gewaltigen Vulkan vor sich auftauchen, aus dem ab und an einige Rauchwölkchen aufstiegen. Die Kraft ließ nach und sie landeten auf einem kleineren Berg neben dem vergletscherten Vulkan. Einen Schwan erblickte Trude jedoch nicht. Es brauchte Zeit, um den Körper an die dünne Luft zu gewöhnen und, um die Eiseskälte nach dem Flug aus den Knochen zu verjagen. Ein wenig Magie half, um die Kälte zu vertreiben und die Eisschicht zu entfernen. Die Sauerstoffmaske setzte sie ab und schob die Schutzbrille nach oben. "Heidenei, das war mal eine wilde Reise, wo sind wir?" Forsch antwortete Mareile. "Am Nevado del Ruiz in Kolumbien. Wir stehen gerade auf dem Schwan, oder Cisne, wie die einheimischen ihn nennen. Eigentlich ist es ein Parasitärvulkan oder erloschener Nebenkrater. Da im Westen steht der Tolima und weiter Nördlich ist der Stanta Isabell mit dem berühmten Teufelstisch. Vor uns liegt das Sin Nombre Tal und gegenüber siehst du die wunderschönen Basaltsäulen, die halt mächtig was im Garten hermachen. Aber zuerst kommt die Wettermagie dran."
Nach und nach ließ sie es auf Kommando regnen, schneien, neblig werden und ein Gewitter aufziehen und Blitze krachten auch in den Boden. "Halt!" Hörte Trude, die überrascht war. "Wieso?" Energisch verschränkte Mareile ihre Arme vor der Brust. "Eine Kleinigkeit fehlt mir noch. Wo bitteschön ist das energische Donnergrollen, das gehört doch irgendwie zu jedem Blitz dazu!" Mit einem Nicken bestätigte Trude diesen Tadel. "Sorry, hab ich im Eifer der Übungen wohl übersehen. Aber dafür lasse ich es gleich richtig krachen." Zufrieden nickte die große Dame. "Aber bedenke, im Gebirge muss es richtig donnern, es darf sich also nicht nach einen verklemmten Kinderfurz anhören, sondern es muss so richtig krachen, damit man die Druckwelle der Energieentladung auch physisch spürt." Trude sammelte noch einmal ihre Energie und ließ einen Blitz in die Felswand vor ihnen einschlagen und dann folgte ein urtümliches Donnergrollen, als hätte Zeus persönlich seinen Donnerblitz in die Bergflanke getrieben. Wie ein Faustschlag traf sie die Druckwelle, die selbst noch die Rippenbögen in Wallung versetzte. Der Kommentar von Mareile löste bei Trude ein Lachen aus. "Geil, genau so habe ich mir immer die Entstehung der Erde vorgestellt. Und der Geruch nach verbranntem Gestein ist Dir super gelungen. Ich denke eine "Zwei" ist eine angemessene Note für diese Teilprüfung. Aber nur, weil Du so ein richtig geiles Donnergrollen ausgepackt hast. Und der Brandgeruch, ist auch gut rübergekommen, das lässt die Menschlein so richtig zügig in Angst verfallen. Nun zu der Säule, das ist der Spezialauftrag. Du musst jetzt eine Säule aussuchen, Wasser in die vorgegebenen hexagonalen Entlastungsbrüche einfüllen. Wenn die Zwischenräume voll sind, lässt Du es mit Deiner Magie Schockgefrieren, damit löst du die Säule von der Umgebung ab."
Mareile lächelte nun hinterlistig. "Schätzchen, passe aber auf, dass uns die Säule bei einem Sturz nicht zerbricht, wäre schade drum. Du musst also auch daran denken, einen Levitationszauber zu wirken, der das Gewicht der Säule locker aufnimmt und die Säule elegant schweben lässt. Den Rest übernehme ich dann, wenn das Baby gesichert ist." Nach einige Blicken hatten sie eine passable Säule aus Basalt gefunden. Schritt für Schritt bereitete sie die Zauber vor und wartete immer bis Mareile zufrieden nickte. Nach der Zugabe von Frost begann es im Gestein zu knacken, als wolle sich der Basalt persönlich bei ihr beschweren. Dann schwebte vor der Felswand eine gigantische Basaltsäule von gut drei Tonnen Gewicht. Mareile übernahm den Rest, sie verkleinerte die Säule auf ein Zehntel und schuf eine belastbare Lastenwolke, auf der der Fels zu liegen kam. Sie bewegten die Wolke an eine bestimmte Position und Mareile zeigte ihr jetzt noch einen magischen Trick. "Wir erschaffen ein Portal, damit wird die Reise nicht so lang und auch nicht so extrem kalt. Wir bringen die Säule eben zu mir nach Hause und dann war es das für heute. Nächstes Mal machen wir einen Blizzard und einen Eisfall, sind halt speziellere Dinge, die nur selten geprüft werden. Ich denke, Du schnallst es alles ein wenig schneller, als manch andere Dame. Danke für die gelungene Vorführung, immerhin bist Du erst die zweite Junghexe, die ich nicht vollends zerpflückt habe. Viele kennen ja nicht einmal den Unterschied zwischen Graupelschauer und Eisregen oder Hagel. Es wirkt oft auf mich als hätten sie in sämtlichen Fächern der Naturwissenschaften einen Tiefschlaf abgehalten."
Vor ihnen flammte ein Portal auf und gemeinsam, samt der Wolke durchschritten sie die Portaloberfläche, um nur wenig später in Calden zu stehen. Auf einem Gutshof platzierten sie die Säule in einer Scheune. "So Trude mach Dich jetzt auf den Weg, ich zeige meinen Schwestern Deine Prüfungsergebnisse. Ich nutze dafür Gedankenbilder, damit sie sehen, dass ich Dich fair benotet habe. Die werden sicher Augen machen und die eine oder andere Schwester wird sicherlich bei dem Tornado mitreisen wollen, weil man da auch frenetischen Lärm entstehen lassen kann. " Trude umarmte ihre Schwester und konzentrierte sich danach auf die Villa in Colmar, schließlich hatte sie noch ein Mitbringsel dabei, eine Basaltsäule und eine vulkanische Bombe, die sie vorerst im Park deponieren wollte. Schließlich hatte Mareile ja nicht bemerkt, dass der Brandgeruch einen anderen Ursprung hatte. Hexen liebten offenbar feurige Gesteine, also warum sollte sie nicht auch mal ihre Schwestern mit einigen Kleinigkeiten beglücken. Zumal es auch noch den Garten verschönerte und die Gäste sicherlich erfreuen würde.
Nach der Platzierung der Mitbringsel schlurfte sie in ihr Zimmer. Hunger nagte an ihr nach der strapaziösen Reise um die halbe Welt. Eine Hühnersuppe, die der Herd während des Duschens erwärmte bildete mit frischem Brot eine angemessene Belohnung.