"Wie gefällt Dir Dein neues Zuhause, Trude? Hast Du den neuen Namen schon akzeptiert?" "Karima oder jetzt Trude antwortete, zaghaft. "Fast, aber der Name Karima hat immer noch einen angenehmen Klang in meinen Erinnerungen, zumal er die Großzügige bedeutet." Gertrude lachte so wie schon mehrfach, herzhaft und laut. "Tja, jetzt heißt Du starker Zauber was nun mal in dem Namen Trude projiziert wird. Heute beginnt Deine Heilung von der Vergangenheit und Du erhältst die erste richtige Magie. Gerne erkläre ich Dir den Hintergrund dieser ersten Reise. Wir nehmen eine Decke für dich mit. Neue Kleidung und die Magie der Suggestion. Schließlich möchtest Du Medizin studieren. Während der beiden Übergänge also dem Dämmerlicht zwischen Realität und Traumwelt erlernt man an schnellsten diese Kunst. Im ersten Schritt, also dem Übergang von der Realität in das Traumland, legst Du Deine Vergangenheit ab und erhältst dafür viele Wege für die Zukunft. In der zweiten Phase, also dem Übergang von der Nacht zurück in die Realität beschenken wir Dich mit Magie. Diese Magie hilft dir, Wissen von anderen auf einfachsten Wege zu erhalten. Natürlich übergebe ich Dir auch den Ehrenkodex unserer Gemeinschaft. Dieser Kodex ist ein Leitfaden für Dein Leben."
Trude nickte, denn dieser Übergang war zu erwarten gewesen, da Gertrude ihr diese Riten bereits hatte zukommen lassen. "Gerne, wohin führt uns die Reise?" "Ach, es ist nur ein Katzensprung. Wir reisen zum Belchen, dieser heilige Berg liegt im Schwarzwald. Schon seit weit über viertausend Jahren werden an der Quelle, also dem Belborn diese Riten durchgeführt. Das Wasser steht für Reinigung des Körpers und der Seele. Der Schlaf ist eine Reise in deine eigene Traumwelt, die Dir Deine bisherigen Stationen im Leben erklären und einige Scherben der Vergangenheit beiseite kehren. Somit werden einige Erinnerungen langsam verblassen. Andere Erinnerungen werden verstärkt, damit Du Deine wertvollen Qualitäten findest und erkennst. Dann im morgendlichen Dämmerlicht wirst Du ein Bad im Feuer erleben, welches Deine erste Pforte zur Magie öffnet. Im Anschluss an das Feuerbad wirst Du die verblassenden Gedanken mit dem Quellwasser abwaschen und ein neues Untergewand sowie Deine neue Kleidung erhalten. Dieses Gewand wird durch eine erste magische Fibel zusammengehalten. Das war es im Groben. Nun nimm eine Decke und das Band und dann reisen wir ab. Dazu musst Du nur meine Hand ergreifen, den Rest werde ich mit Magie vollbringen."
Es dauerte nur einen Moment, dann war sie bereit und ergriff Gertrudes Hand. Mit einer leichten Drehung startete die Reise. Nur einen Atemzug später endete dieser magische Sprung auf einem Waldweg. Rings um Trude tauchten erste magische Runen in der Landschaft und an den Felsen auf. Erstmals erblickte sie kleine Fabelwesen, wie sie meinte, aber diese kleinen Elfen begrüßten sie voller Freude. Oben kurz unterhalb der Kuppe öffnete Gertrude eine Felswand und sie traten in ein silbriges Dämmerlicht. "Hier ist Deine Umkleide, die Decke und das Seil nehme ich. Wenn du dich entkleidet hast kommst Du zu mir hinaus, dort in Quelltopf beginnt schon bald Dein erstes Bad. Hilde, Maria und Isolde werden Dich begleiten und Dir helfen diese kleine Reise durch Deine Gedanken zu lenken. Danach reinigen sie Dich und lenken dich auf die richtigen Traumpfade, damit die innere Reinigung und das erblühen der ersten Erkenntnis beginnt. Mehr ist es heute nicht. Du wirst danach in eine wundersame Traumwelt eintreten, die Du schwebend über der Quelle oder dem Traumborn verbringst. Die gesamte Zeit über werden wir für deinen Schutz sorgen, habe also keine Furcht. Außer uns Damen wird Dich in der Nacht und in diesem Zustand niemand sehen können," danach verließ sie leise die angenehm warme Grotte.
Trude entledigte sich der Kleidung und folgte Gertrude. Draußen blendete sie noch das verblassende Sonnenlicht. Gleichzeitig stellte sie fest, dass die Welt sich verändert hatte. Statt der Fichten sah sie nun uralte heilige Bäume und eine Schar Elfen, die mit einem leisen Gesang die Luft in angenehme Schwingungen versetzten. An dem kleinen Quelltrog angekommen wusste sie was zu tun war. Sie musste in das Wasser steigen und den Gesang in sich aufnehmen. Das Wasser war nur im ersten Moment eisig. Schon kurz darauf schien das Wasser sich zu erwärmen und vieles in ihr in Bewegung zu setzen. Es baute sich ein angenehmes Gefühl auf und in der zunehmenden Dämmerung schlich sich die Müdigkeit langsam in ihren Körper. Mit Magie wurde sie angehoben und magisch gereinigt. Zauber entfernten alte körperliche und seelische Verletzungen, die das Erlernen von Magie hätten behindern können. Von Magie angehoben und sanft auf einem Spinnennetz abgelegt sank sie in einen tieferen Dämmerzustand. Schwebend auf dem Seil schlief sie über der Quelle, die nach der Reinigung ihre letzten traurigen Gedanken aufnahm und fortspülte. Die Hexen hingegen hatten viel zu tun. Die Gedankenpfade wurden bereitet und sie begleiteten Trude auf dem Weg durch die sich öffnenden Traumwelten.
Jeder Schritt bedeutet Entscheidungen Trude musste entscheiden, von welchem Ballast sie sich trennen wollte. Dunkle Gedankenfragmente aus der Kindheit und Schulzeit verließen danach ihren Körper und tropften als matte Seelentränen in das reine Wasser unter ihr. Danach folgten die schlechten Erinnerungen an ihre Ausbildung und die überheblichen Kollegen, die als dunkle Tropfen aus ihrem Körper rannen. Stunde über Stunde erkannte Trude nun mehr ihre Zukunft und die damit verbundenen Möglichkeiten, bis sie ein silbernes Licht erblickte, welches wie ein Ruf und ein starker Zauber zugleich erklang. Jetzt durchdrang sie eine physisches Feuerbad, dass ihren Körper energisch durchströmte und eine ungeahnte Kraft im Geist freisetzte.
Ein Donnergollen fegte durch ihren Kopf und eine erste Welt von Magie wurde ihr eröffnet. Vogelgezwitscher weckte sie und sanft glitt sie, gehalten von dem feinen Spinnennetz, in das Quellwasser, dass ihren Körper sanft umspielte. Träge erwachte sie und es war ein erfrischendes Gefühl, dass in ihrem Körper pulsierte und den Geist erweiterte. Nichts an dieser Situation schien falsch oder verwerflich, obwohl sie vollkommen entblößt mitten in der Natur ein Bad nahm. An die Stunden in diesem Schwebezustand hatte sie nur vage Erinnerungen, die sich als spielerische Morgenröte in ihren Gedanken festsetzte.
Gestärkt entstieg sie dem Wasser und wurde in neue Gewänder gekleidet. Statt einer Jeans trug sie nun ein Kleid und darunter feinste Unterwäsche aus Seide. In Schuhe aus zartem Ziegenleder schlüpfte sie und Gertrude steckte ihr eine Fibel aus Gold an, die einen Umhang aus blauer Seide auf der linken Schulter fixierte. Erst jetzt spürte sie so etwas wie Hunger und einen Drang sich für dieses erste Geschenk bei ihren Schwestern zu bedanken. Sie hörte Gedanken von vertrauten Menschen und erfuhr, dass es neben der normalen Welt noch eine magische Welt gibt. Es war mehr als ein wunderbarer Traum. Mit geöffneten Augen stellte Trude fest, dass über vierzig Hexen um sie herum standen und ihr Körbe mit Gaben reichen wollten. Gerne griff sie zu und lernte auf diese angenehme Weise viele ihrer Schwestern kennen. Gestärkt und getragen von innerer Überzeugung reiste sie mit einer kleinen Magie nach Colmar zurück, um in ihrem Quartier mehrere Veränderungen zu erkennen. Lehrbücher standen nun in einem Bücherregal. Bei der Betrachtung der Gaben und Bücher trank sie einen warmen Tee und genehmigte sich ein großes Stück duftenden Pflaumenkuchen. Erstaunt stellte sie fest, als sie in den Spiegel schaute, dass ihre Haut reiner als zuvor wirkte und sogar die Narbe an der Stirn sich verflüchtigt hatte. Ihre Augen wirkten milder und ihr Haar war scheinbar über Nacht gewachsen. Auch ihr strenger Gesichtsausdruck hatte sich verflüchtigt.