Der Urlaub war leider viel zu früh vorbei und nun stand sie in ihrem neuen Domizil. Acht Räume und die Küche waren fertig. Dazu betrachtete sie die neue Treppe und die neuen Bäder, die genau ihren Vorstellungen entsprachen. Natürlich strahlten die Bäder keinen Glanz aus, sondern sie waren funktionell und schlicht gehalten. Dennoch, die Bauarbeiten würden noch zehn Tage andauern, denn zehn Räume, zwei große Räume, zwei Besprechnungszimmer und vier Arbeitszimmer mussten noch gerichtet werden. Der Einbau der Elektrik und Elektronik war aufwendiger, als zunächst gedacht. Leider konnte der Architekt keine präziseren Angaben machen. Erst danach würde das Nebengebäude modernisiert werden. Zwei Küchen, achtzehn Gästezimmer und zwei kleine Apartments samt der Arbeitsräume mussten dringend modernisiert werden. Sie betrachtete die Baupläne und fragte sich, was noch alles anstand, bis dieses Heim ihren Ansprüchen und den Ansprüchen der Schwesternschaft genügen würde.
Erfreulich war nur, das die Küche wohnlich wirkte. Alles hatte seinen Platz gefunden. Besonders heraus stach der neue Wasserkocher und die alte Teekanne, die den Geschmack an wundervolle Teemomente verewigte. Gerade war der Royal Flash fertig, den nur wenige Gaumen erfreuten, weil man eben adelig sein musste, um die Qualität zu erhalten. Niala hatte für sie die Bestellung aufgegeben und tatsächlich wartet ein Paket Tee auf sie, als sie eintraf. Interessanter waren jedoch die Auswertungen der Einkünfte verschiedener Schwestern. Die Liste las sich wie ein Krimi über die Mafia. Die Elf Schwestern der Inquisition verdienten jeweils einhunderttausend Euro und das Erstaunliche war, das vier Damen bereits vor Jahrzehnten verstorben waren und eine vor über einhundert Jahren. Irgendjemand zweigte also systematisch Gelder für sich ab. Für welchen Zweck blieb noch in der Schatten der irreführenden Finanzunterlagen verborgen. Auch andere Zahlen störten sie. Warum bekam eine Kräutersammlerin, die nicht einmal eine ordinierte Hexe war ein Gehalt von einem Gerichtspräsidenten. Über fünfzig Zeilen hatte sie bereits markiert, als ein Rauschen hinter ihr die Ruhe störte. Es wirkte nicht wie eine erfrischende Briese sondern eher bedrohlich, wie eine Windwalze, die jedem gepflegten Hitzegewitter vorauseilte. Brigta samt vier rüstiger Damen erschienen und sofort prasselten böse Anklagen auf sie ein.
Synfera hörte sich jedes dieser boshaften Worte an und ließ alles über sich ergehen. "Dumme Kuh, neugierige Schlampe oder auch Feindin der Schwesternschaft," zählten noch zu den mildesten Worten, die sie trafen. Dank ihrer psychologischen Schulung fuhr sie nun ihre Geschütze auf, die Deeskalation, Freundlichkeit und Naivität hießen. "Was erhitzt euer Gemüt so sehr, verehrte Brigta, dass ihr Eure Manieren vergesst. Bekommt Euch das schwüle Wetter nicht, oder darf ich Euch einen Tee anbieten?" Sofort kehrte eine himmlische Ruhe ein. Damit hatte Brigta samt Gefolge nicht gerechnet.
Perplex starrten sie zu Synfera, so als stände eine imaginäre Freiheitsstatur höchstpersönlich vor ihnen. Freundlich ergänzte Synfera. "Gerne biete ich euch einen Tee an. Sagt mir aber bitte zuvor, welche Sorte es sein darf. Danach setzen wir und an den Tisch und beratschen ausführlich , was euch zu mir führt und wo euch der Schuh drückt. Verzeiht, aber die letzten Tage waren sehr produktiv und sie brachten Erstaunliches ans Tageslicht. Ja, moderne Programme und Recherchemethoden haben gewaltige Vorteile." Gelangweilt schlenderte Synfera zur Spüle und befüllte den Wasserkocher mit frischem Wasser. "Also, verehrte Schwestern, was darf es für ein Tee sein?" Jetzt war Synfera in ihrem Element, denn sie spürte auch ohne Magie, dass die Lautstärke nur eine Ursache hatte. Einige Damen fühlten sich bei unehrenhaften Handlungen ertappt. Sie würde das reinigende Sommergewitter sein, die viele alte Leichen beiseite spülte und kriminelle Akte zur Anklage brachte. Sie hatte sich detailliert auf dieses Gespräch vorbereitet und es bereitete ihr dämonische Freude, die alten Zöpfe in einem Gewitter mit Blitz und Donner abzuschmoren, damit das Unkraut der ungerechtfertigten Selbstbedienung ein Ende fand. Naiv lächelte sie Brigta an. "Oder könnte es sein, dass ich derzeit diesen pikanten Fall bearbeite, der mir und den Schwestern zeigt, dass hier Misswirtschaft betrieben wird? Aber nein, Brigta die Große macht doch keine krummen Dinger. Sie veruntreut doch keine Millionenbeträge. Oder?" Der erste Tiefschlag hatte jedenfalls gesessen und brachte die Fassade ins Wanken. Sie sah das heftige Schlucken der Dame und spürte den Anstieg der Herzfrequenz.
Heidrun von Kolberg schneite gerade zur rechten Zeit herein. "Tach die Damen, das wird also mein neues Zuhause. Hier sieht es schon mal ganz gediegen aus. Die Zahlen und sämtliche kritischen Kontobewegungen sind ausgewertet. Die Liste ist verteilt und ich denke vierundfünfzig Schwestern bedienen sich extrem üppig an dem Geld der Schwesternschaft. Und bei einhundert Schwestern müssen wir noch manche Dinge klären, bevor wir sie - als frei von Schuld bezeichnen können." Rasch schaute Heidrun durch ihre Brillengläser auf Synferas Gäste. "Störe ich?" Sanft schüttelte Synfera ihren Kopf. "Mit Nichten! Du kommst gerade im passenden Moment. Schließlich spreche ich gerade mit einigen altgedienten Damen, die an der wirtschaftlichen Schieflage der Schwesternschaft nicht ganz unschuldig sind." Jetzt erst schaute sie zu Brigta, nachdem ihr Heidrum wesentliche Informationen via Gedankennachricht gesteckt hatte.
"Kann mir bitte eine der Damen erklären, wo die vielen Millionen Golddukaten geblieben sind? Seit Jahrzehnten zweigen sie stattliche Beträge ab und die benötigten Mittel für Innovationen fehlen latent. Es wirkt fast so, dass die Unterschlagung systematisch durchgeführt wird, um die Modernisierung der Schwesternschaft zu behindern oder sogar im Keim zu ersticken." Heidrun lächelte verlegen, während Synfera zu ihrem finalen Schlag ausholte. "Ich habe mir erst vor zwei Tagen die Gefängnisse für straffällige Hexen angeschaut. Leider fehlt es an genügend Geld, um die Kerker zu modernisieren. Es gibt kein fließendes Wasser, keine Toiletten und eine Heizung sah ich auch nicht. Aber, für neue Strohlager wird das Geld noch reichen, wenn ich eine nette Schwester darum bitte, denn dieses vermoderte Zeug trägt sicher nicht zur Gesundheit der Arrestantinnen bei. Ach, und die Küche ist auch in einem desolaten Zustand. Mehr als russische Dünnpfiffsuppe kann man da nicht kochen. Zumal ja auch der Holzvorrat fehlt und die Feuchtigkeit wunderschöne Schimmelpilze hat wachsen lassen."
Brigtas Augen weiteten sich. "Das wagst du nicht - Synfera. Mich so zu behandeln, das wäre eine Schande und gliche einer Palastrevolution." Mit einem freundlichen Lächeln überspielte Synfera die offen vorgetragene Drohung. "Tja, wenn die zweihundertsechzig Millionen wieder in der Kasse wären, dann ließe es sich vermeiden, eine Kerkerstrafe zu verhängen. Aber das würde vermutlich noch nicht reichen, denn es sind ja noch so viele andere Vergehen, die mehr als zehn Fässern Bier den Boden weghauen würden. Im Klartext: Betrug, Lügen, Erpressung, persönliche Bereicherung und was noch schwerer wiegt. Eure Reputation ist futsch, wenn diese Vergehen die Runde in der Schwesternschaft machen. Somit sehe ich nur einen gangbaren Ausweg. Geld zurück und ein ehrenhaftes Abdanken von allen Ämtern. Danach ein Umzug in ein Altenheim in Amerika und die Verpflichtung sich nie wieder hier blicken zu lassen. Niala und ihre Amtsschwestern könnten ansonsten auf die Idee mit dem Kerker kommen. Aber, liebe Brigta, da das Geld nun wieder dort ist, wo es sein sollte, liegt es an euch die richtigen Schritte zu wählen, um sich einer Schmach zu entziehen. Andernfalls sehe ich mich gezwungen eine Anklageschrift bei unserem höchsten Gericht in Großalmerode einzureichen. Ihr wisst ja, der Gerichtsraum dient derzeit der Ausstellung von Mumien und ich weiß nicht, ob man das allen diebischen Schwestern zumuten möchte von einer Mumie befingert zu werden."
Dieser finale Donnerschlag war zu viel für Brigta. "Wie seid ihr an das Geld herangekommen?" Mehr brachte sie nicht heraus, weil ein Schwächeanfall sie kurzzeitig aus dem Gleichgewicht bracht. Synfera deutet auf Heidrun. "Seht ihr diese kleine elektronische Zaubermaschine, damit lassen sich alle Geldbewegungen und sämtliche Konten aufspüren. Verzeiht, aber meine Zeit ist zu kostbar, um mich noch länger mit diesem Fall zu beschäftigen. Bis morgen sollte euer offizielle Abdankung bei Isolde und Niala eingehen, andernfalls sehen wir uns in Großalmerode." Die Freundlichkeit von Synfera wirkte wie ein starkes Betäubungsmittel, denn Kieferstarre zeichnete sich bei Brigta ab. Mit Sicherheit blieb dieses reinigende Sommergewitter nicht der letzte Sturm, den sie tosend durch alte Gemäuer schicken würde. Immerhin wollte sie diese altehrwürdige Institution modernisieren. Die anderen Damen erfuhren auch, dass ihre Vermögen sich in Luft aufgelöst hatten. Erboste Blicke streiften Synfera, aber eine besondere Belastung war es nicht, denn während ihres Polizeidienstes hatte sie auch mit Mördern zu tun, die keine Reue zeigten.
"Nur zu ihrer Information, Niala und einige andere Damen haben dieses Gespräch mitbekommen und kennen die Bedingungen. Gerne kommen wir ihnen entgegen, aber das erfordert auch, dass Sie die nötigen Schritte einleiten. Ansonsten wird sich ihre Welt dramatischer verändern, als sie es sich vorstellen können. Einige Hexen forderten bereits eine Beschneidung als Strafe, denn ihre Verbrechen wiegen zu schwer um einfach darüber hinwegzusehen. Andere Damen leiden sogar Hunger, weil ihnen ständig und auf unerklärliche Weise Gelder in den Kassen fehlen. Mehrere Damen beschäftigen sich bereits mit diesen Fällen, weil es nicht sein kann, dass uns einige Damen die Finanzmittel entwenden. Aber seid gewiss, unter dem Eindruck meiner magischen Waffen werden wir jede Missetat aufklären."