Der Umzug gestaltete sich vollkommen anders, als erwartet. Zunächst zog sie zwar nach Oerlinghausen, aber das Rittergut musste zuerst noch grundlegend renoviert werden. Strom, Wasserleitungen und neue Fenster waren die kleineren Posten bei der baulichen Sanierung. Das Dach war in einem beklagenswerten Zustand und auf Synferas Wunsch wurde sogar ein Solardach installiert, um zumindest einen kleinen Schritt ökologischem Umbau zu gehen. Die Stallmeisterin stellte sich kurz vor, weil eben auch die Stallungen ausgebaut werden sollten und vier neue Weiden für die Pferde gekauft werden mussten, um genügend Auslauf für die Pferde zu bieten.
Zwei Tage hatte sie sich alles an dem alten Gemäuer angeschaut, bis Edeltraud ihr einen Besuch abstattete. "Schöne frische Landluft hier, aber natürlich haben wir dich nicht vergessen, Kindchen. Mir wurde von Niala aufgetragen, Dich zu einer Babyparty zu begleiten. Einer bekannten Schwester aus Italien war das Mutterglück beschieden und nun müssen wir zum ersten Geburtstag der kleinen ein passendes Geschenk überbringen. Noch weiß ich nicht, was man einem so winzigen Menschenkind schenken könnte, daher dachte ich, dass Du mir vielleicht einen Rat geben könntest. Schließlich liegt meine letzte Babyparty schon einige Jahrhunderte zurück. Damals schenkte man ein warmes Schafsfell und vielleicht noch ein paar Kerzen. Andere Schwestern hatten diese Pflichten in den letzten Dekaden gerne für mich übernommen, aber sie sind auch schon alle jenseits der Aktualität. Also, was schlägst Du vor? Was sollen wir dem Kindchen mit auf sein Lebensweg geben."
Die Pistole auf der Brust schätzte Synfera nicht. "Wie heißt die kleine, hat sie magische Talente und was macht die Mutter?" Sie schüttelte den Kopf und grübelte einen Moment, bis sie eine Antwort bekam. "Die Mutter, Berenice, ist im richtigen Leben eine Gärtnerin und bei den Hexen ist sie Heilerin und leitet die Herstellung von Naturkosmetik. Nebenher macht sie noch ein paar umtriebige Sachen. Sie ist gut in ihrem Fach, denn ihre Kosmetikartikel werden bereits in zig Länder exportiert. Ihre wahre Bedeutung liegt jedoch in der Beschaffung von Finanzmitteln für die Schwesternschaft, die sie elegant der Mafia entwendet. Maria, wie sie genannt wird ist eine recht mutige Hexe, denn wer legt sich schon gerne mit diesen kruden Mördern an. Natürlich klaut sie nur Gedanken und damit zapft sie die illegalen Konten der Verbrecher in der Karibik an. So - und ihre Tochter heißt Josefine Maria und noch kann man nichts sagen, ob sie eine Hexe werden kann, denn erst ab dem vierten Lebensjahr konsolidieren sich die magischen Talente."
Kurz hakte Synfera nach. "Was haben denn die anderen Schwestern so geschenkt? Nur damit ich eine erste Orientierung bekomme?" Edeltraud schaute konsterniert zurück. "Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, aber Isolde sagte, dass wir ganz normale Sachen für ein kleines Mädchen schenken sollten. Also keine magischen Dinge, damit kann so ein kleines Mädchen ja noch nichts anfangen. Oder meinst Du, wir sollten vorsorglich einen Kupferkessel und einen kleinen Besen mitnehmen?" Synfera zeigte ihr einen Vogel. "Nein, Edeltraut! Aber noch eine Frage, wann sollen wir denn den Besuch abstatten?" Jetzt wurde Edeltraud leicht hektisch und sie kramte die Schriftrolle mit der Einladung aus ihrer Handtasche heraus. "Äh, in etwa zwei Stunden sollen wir bei Berenice eintrudeln. Vielleicht wäre es ja nicht verkehrt, wenn wir jetzt rasch die Einkäufe für das Kind erledigen." "Liebe Edeltraud, das ist eine phantastische Idee, aber zuvor sollte ich mich vielleicht noch ein wenig frisch machen und angemessene Kleidung anlegen. So als Bauerntrampel aus der Provinz möchte ich nun nicht erscheinen, wenn ich eine Schwester besuche. Auch Du könntest ein wenig hübschere und zeitgemäßere Kleidung anlegen. Also mal eine helle Bluse, einen etwas moderneren Rock mit einem zeitgemäßen Schnitt und richtige Schuhe, statt der antiquierten Stiefel. Und wenn es nicht zu viel verlangt ist, dann modernisiere auch mal deinen Kopfputz samt der Frisur. In fünf Minuten bin ich bereit, dann besuchen wir Clarissa, die wohnt in Köln und kennt sich mit so schweren Fällen - wie Dir bestens aus. Obwohl, möglicherweise müssen wir auch auf eine Schafsfarm, denn Deine Kopfwolle könnte möglicherweise zu dicht für herkömmliche Friseurgeräte sein. Dort kaufe ich nebenher die Geschenke und sie macht aus Dir eine Dame, die zu einer Geburtstagsfeier gehen kann. Schaust Du eigentlich nie in einen Spiegel?"
Primär gingen ihr dabei finsterste Gedanken durch den Kopf. "Kannte sie keine Märchen, von wegen: Spieglein, Spieglein an der Wand.." Rasch entschwand Synfera und erschien schon nach kürzester Zeit wieder in einem Cocktailkleid mit Pumps und einer aufgefrischten Frisur. "Reich mir die Hand und dann geht es ab."
In Köln landeten sie an der Luxenburger Straße auf einem Hausdach. Rasch stiegen sie die Treppen hinab und Clarissa fiel fast in Ohnmacht, als sie Edeltraud mit ihrem Kopfputz erblickte. "Das ist eine Monsteraufgabe in der kurzen Zeit. Aber mit einer elektrischen Heckenschere müsste es gehen, und ein wenig Schminke reicht da nicht, hier müsste man eigentlich eine Totalrestauration der Haut und der femininen Züge durchführen, aber das schaffe ich hoffentlich. Wofür hat man schließlich Magie gelernt." Synfera nickte nur und entschwand, um in dem in der Nähe befindlichen Laden für Babyausstattung alles zu kaufen, was notwendig war. Zügig griff sie Babywäsche, Schnuller, Rasseln, Kauspielzeug, ein Babyessbesteck und ein wunderschönes Mobile, dass Sterne und den Mond abbildete und nebenher noch ein Schlaflied abspielte, während sich die Sterne bewegten. Alles wurde nett eingepackt und mit rosa Schleifchen versehen. Dazu gab es noch ein Sparbuch mit einhundert Euro Startguthaben.
Eilig marschierte sie zu Clarissa, die hoffentlich mittelgroße Wunder an Edeltraut vollbracht hatte. Den Haarbergen auf dem Boden nach zu urteilen musste sie mit einer Heckenschere gearbeitet haben. Aus Edeltraud war in der kurzen Zeit eine Dame geworden, die eine ansehnliche Frisur hatte und deren Haut um mindestens einhundert Jahre jünger aussah. Der pflegeleichte Haarschnitt verjüngte sie um Jahrhunderte und ein freundliches Kostüm kleidete Edeltraud vorzüglich. Es ließ sogar erkennen, dass sie eine Frau mit einer ansehnlichen Figur war. Dazu trug sie moderne Schuhe, die ohne schwere Silberschnallen auskamen. Die geschminkten Lippen und das Gesicht zeigten aber erst, dass Edeltraud eine recht ansehnliche Frau war. Synfera nickte zufrieden und Clarissa schüttelte entsetzt den Kopf. "Sie wusste nicht was Peeling ist, wie man einen Damenrasierer benutzt oder, dass Haare, die aus den Ohren wachsen nicht gerade weiblich oder ansprechend wirken. Ohne Zauberkunst, einen Flammenwerfer und meine Schwedenaxt hätte ich es nie in der kurzen Zeit geschafft, die petrifizierten Haare zu bändigen. Aber, sie versprach mich nächste Woche wieder zu besuchen. Wenn sie nicht kommt, dann wachsen ihr melonengroße Warzen am Gesäß." Diese Drohung verstand Edeltraud, denn ihr Abbild auf der Spiegeloberfläche gefiel ihr.
Synfera schaute auf ihre Uhr. "Uns bleiben noch vier Minuten, also lass uns rasch nach Florenz reisen, damit wir Berenice und Josefine nicht warten lassen." Rasch griff sie die Hand von Edeltraud und schon standen sie in Florenz auf einem Bauernhof, der im Norden der Stadt stand. Edeltraud führte sie zu dem Eingang durch duftende Jasminfelder. Fast pünktlich klopften sie an die Tür und eine junge Frau mit einem süßen kleinen Spatz auf dem Arm öffnete ihnen die Tür. "Ihr seid die ersten Schwestern, die zivilisiert erscheinen. Nicoletta von Brindisi sieht aus, wie eine verhärmte Vogelscheuche und euch kann ich zumindest den anderen Gästen als entfernte Großtanten vorstellen." Die strahlenden Augen von Berenice munterten Edeltraud heftig auf. "Hätte nicht gedacht, was so ein wenig Kriegsbemalung und zivilisierte Kleidung ausmachen. Im Nachhinein bin ich froh, dass meine Wahl auf Dich fiel. Ich gebe es nicht gerne zu, aber ich habe den Wink mit dem Scheunentor verstanden."
Geruhsam betraten sie das Haus und feierten eine wunderbare Geburtstagsparty mit anderen Damen und vielen kleinen Kindern. Berenice war zudem erfreut, dass man ihrer Tochter keinen Kupferkessel schenkte oder magische Federn, die eigenständig einen fliegenden Vogel nachbildeten, wenn man die magischen Worte sprach. Erstaunlicher war jedoch, dass zwischen den vielen Hexen auch normale Menschen saßen, die keinerlei Ahnung von Berenices Lebenswandel hatten. Sie sahen die junge Frau von zweihundertdreißig Jahren bestenfalls als zwanzigjährige an. Sie ahnten auch nicht, dass sie Jährlich fünfzig Millionen Euro von der Mafia entwendete, indem sie die Konten manipulierte. Kaffee und Kuchen sowie einige Schnäpschen versüßten die Gespräche mit Berenice und ihren Gästen.
Der Abschied war noch angenehmer für Edeltraut und Synfera. Jede Dame bekam einen kleinen Wandteller mit dem Abbild von Josefine mit auf den Heimweg. Dazu gab es noch Reste der Torten und natürlich eine Flasche Grappa, was Edeltraut hoch erfreute.