Die Dämmerung senkte sich auf Colmar und Trude wusste, dass sie in wenigen Stunden ihren ersten Schwur leisten musste. Es wurmte sie, denn keiner hatte ihr verraten, was der Schwur beinhaltete und wie das Prozedere aussah. Sie wusste nur, dass sie zu einem uralten Stein reisen würden, damit sie dort den ersten Schwur leisten müsste. In den Büchern stand nur, dass der erste Eid oder Schwur mit einem archaischen Blutkult verbunden war. Was man sich darunter vorzustellen hatte stand dort nicht. Sorgenvoll wogten ihre Gedanken hin und her.
Ihre Schwestern tauchten auf, dieses Mal waren es vier Schwestern und drei Novizinnen, wie sie eine war. Isolde reichte ihr eine Klinge aus Feuerstein. Sie sah die feine Verarbeitung und den Griff aus Holz, der mit Messing verziert war. Die Verzierung glich auf der einen Seite einer Schlange und auf der Rückseite eines Wolfes. Mehr war auf dem Griffstück nicht zu erkennen.
Gertrude übernahm das Kommando. "Schwestern, wir reisen gleich an einen alten Kultplatz, der seit reichlich viertausend Jahren genutzt wird. Zuvor wurden an dem Ort Feuerrituale durchgeführt, deren Alter unbekannt ist. Ich bitte darum, dass jeder den Ort mit größtem Respekt behandelt und meinen Anweisungen folgt, egal was ich sage. Jede Schwester, die meinen Anweisungen nicht folgt, beendet ihre Ausbildung und endet danach in der Finsternis der Unwissenheit. Mehr gibt es zu dem schmerzhaften Ritus nicht zu sagen."
Sie fassten sich an den Händen und nur einen Moment später begann die Reise mit einem heftigen Impuls. Kurz darauf standen sie auf einem sandigen Feldweg, der von dichtem Kieferngehölz umgeben war. Rasch spürte Trude die Anwesenheit von sehr viel mehr Schwestern. Überall im Wald standen die Schwestern in kleinen Gruppen und manche Gruppe hatte bereits Zelte errichtet. Laternen, nur mit Kerzen bestückt spendeten ein diffuses Licht, so dass kaum mehr als der Weg und die Zweige der Kiefern zu erkennen waren. Zuversichtlich folgte sie Gertrude, die die Führung übernommen hatte. Nach einigen hundert Metern erreichten sie eine kleine Lichtung auf der ein großer Stein stand. Schautafeln für Wanderer zeigten, dass sie sich südöstlich von Nienburg an der Weser befanden und dieser Ort der Giebichenstein "Im Forst Krähe" hieß. In einem Buch hatte sie etwas über diesen okkulten Ort gelesen, der seit Jahrtausenden von Menschen besucht wurde. Die Legenden besagten, dass hier einst ein Zwerg gehaust haben soll, der einen Riesen bezwang. Die Geschichte der Hexen besagte, dass hier vor über viertausend Jahren die ersten Äcker der Schwestern angelegt wurden, um dem kargen Boden Getreide abzugewinnen. Damals war es Emma und heute wuchsen an diesem Ort nur noch duftende Kiefern und Fichten.
Ihren Exkurs beendete sie als ein großes Feuer entfacht wurde und viele Schwestern anfingen ein uraltes Lied zu singen, dessen Sprache sie nicht einordnen konnte. Intuitiv sang sie mit, soweit es ihr möglich war. Eine Hexe mit einem Geweih auf dem Kopf trat vor und bat alle Novizinnen sich um den Giebichenstein aufzustellen, der mit seiner enormen Masse einen bedrohlichen Eindruck bei ihr hinterließ. Über zwanzig junge Frauen standen rings um den Stein und dann begann es. Starke Magie ergriff Besitz von ihr und sie hörte Stimmen aus dem Stein zu ihr sprechen. Die Stimmen übermittelten eine uralte Sprache, die ihr bisher unbekannt war. Es war weder germanisch noch keltisch, sondern so eine Art Ursprache, die merkwürdig vertraut erschien. Es war Arianisch, denn die Worte Sestera und Serpa klangen unerwartet vertraut in ihren Ohren.
Gertrude kam zu ihr und hielt einen Löffel vor ihren Mund. Sie wusste, dass sie nun ein starkes Gift verabreicht bekam, welches Schmerzen linderte und das Bewusstsein erweiterte. Kurz darauf reichte man ihr ein Trinkhorn, in dem vergorener Gerstensaft schwappte. Begierig trank sie das Horn leer, es war sicherlich ein dreiviertel Liter Dünnbier, der Kraft für den folgenden Akt gab. Dann befahl man ihnen die Kleidung abzulegen und die Klingen zur Hand zu nehmen. Alle jungen Frauen gehorchten der Anweisung.
Ein entfernter Singsang umfing sie nach einiger Zeit und sie spürte, dass eine Person ihr Zeichen mit einer scharfen Klinge auf den Rücken ritzte. Der Schmerz war nicht sonderlich intensiv, aber sie spürte wie einzelne Blutstropfen über ihren Rücken rannen und als klebriger Film neben den Wunden hängen blieben. Es waren mehrere Zeichen, das spürte sie, aber was er war, blieb rätselhaft. Nach einigen Atemzügen erhielt sie auf magische Weise den Befehl zugeflüstert, der unbekannten Schwester vor ihr die Symbole vom Dolch in die Haut zu ritzen. Wie in einem Nebel gefangen tat sie es, sie erinnerte sich intensiv, an die wenigen feinen Linien. Rasch griff sie die Obsidianklinge fester und schnitt die verschlungenen Linien in die Haut ihrer unbekannten Schwester. Vorsichtig führte sie jeden Schnitt exakt aus. Von nun an zierten eine Schlange und ein Wolf den Rücken ihrer Schwester. Jedes Symbol war etwa so groß wie eine Handfläche. Danach herrschte für längere Zeit eine andächtige Stille und sie sah, dass manche Schwester nach dieser schmerzhaften Tortur oder durch den Blutverlust zusammenbrach und am Boden liegen blieb. Wie in einem Nebel verfangen strich die Zeit über sie hinweg. Der Singsang schwappte wieder über sie und sie spürte Magie in den Worten, die wie ein sanftes Heilmittel die Wunden in der Haut verschloss.
Jäh hörte sie einen mentalen Befehl. "Schwestern, sprecht mir nun den Schwur der Schwestern von Eschen Tebele nach. Sie ist eine Urahnin unserer Schwesternschaft, die es sich zur Aufgabe gemacht hat das Leid der Welt zu mildern." Eine Pause setzte ein, offenbar um sich auf die Worte vorzubereiten. "Wir Schwestern von Eschen Tebele geloben unseren Schwestern beizustehen, sie zu erretten, wenn ihnen Gefahr droht und das Leid der Menschen zu mildern, soweit es in unserer Macht steht. Für uns spielen Religion, Hautfarbe und Geschlecht keine Rolle, sondern einzig die Rufe der Menschen, die ein reines Herz besitzen. Wir geloben unsere Heilkunst stetig zu verfeinern, neue Tinkturen zu erschaffen und jederzeit zum Wohle unserer Schwestern zu agieren. Für uns ist es eine Pflicht, die Schwesternschaft zu beschützen und allen Geboten dieses Ordens zu folgen."
Wie von Zauberhand gelenkt sprachen alle Novizinnen diese Worte im Chor nach und dabei spürte sie ein Feuer über ihren Rücken ziehen, dass danach brennend in ihre Seele und Herz drang. Wild loderten die Schmerzen im Geist und in der Seele, um danach auf die Schwester vor ihr als sichtbarer Funke überzuspringen. Stetig begleitete sie der Singsang und sie merkte die zunehmende Müdigkeit, die von ihrem Körper stetig mehr Besitz ergriff. Zu gerne hätte sie sich gesetzt. Aber genau in diesem Moment legte ihr eine unbekannte Schwester ein feines Leinentuch über den Rücken und erneut bekam sie etwas zu trinken, dieses Mal war es ein milder Rotwein, der mit Kräutern verfeinert war. In der Hand hielt sie immer noch die Klinge und danach fiel eine tiefe Schwärze über sie.
Vollständig angekleidet erwachte sie in der Dämmerung auf einer Liege. Barsch fuhr Gertrude sie an. Wird ja auch Zeit, aber ich muss schon sagen, Du hast dich prima geschlagen. Nicht alle Novizinnen haben die Prüfung so standhaft gemeistert. Steh auf, dann können wir dich in dein Bettchen in Colmar verfrachten. In wenigen Tagen wirst du die Ernte dieses Schwurs einfahren. Noch sage ich nicht, was es ist, denn bei jeder Dame fällt das Ergebnis anders aus."
*****
Von der Rückreise und den Tagen danach bekam Trude nicht alles mit. Stundenlang schlief sie und immer wieder unbekannte Schwestern tauchten auf und reichten ihr Essen und kümmerten sich um die heilenden Wunden. Nebenher erkannte sie noch, dass neue Bücher in dem Regal standen und diverse Kristalle nun ihren Schreibtisch zierten. Was es damit auf sich hatte blieb vorerst unbekannt. Die Heilung der kleinen Wunden erlaubte schon nach vier Tagen einen ersten Wasserkontakt in der Dusche. Schwester Alma, eine freundliche Seele begleitete sie in die Dusch, um den Rücken nach der Dusche zu versorgen. Mit einem dezenten Gesang heilte sie die letzten Überbleibsel der Wunden. Neugierig wagte sie einen Blick in den Spiegel und war erstaunt, dass sogar fünf Tiersymbole auf ihrem Rücken prangten. Auf Anhieb erkannte sie eine Schlange, eine Raubkatze, einen Greifvogel, eine Schildkröte und eine Art Hirsch. Welchen Hintergrund oder welche Bedeutung diese Symbole hatten erschloss sich ihr noch nicht, aber Gertrude hatte angedeutet, dass sie dieses schon bald erfahren würde. So beließ sie es zunächst bei diesen vernebelten Gedanken, um sich danach mit einer unbekannten Salbe bestreichen zu lassen, die rasch von der Haut aufgenommen wurde. Neben ihrem Bett sah sie nun das Leinentuch liegen, dass ein Abbild ihrer Wunden festgehalten hatte. Neugierig ergriff sie das Tuch und betrachtete die Symbole eingehend. Sanft strich sie mit ihren Fingern über die Symbole und sofort erzählten ihr die Symbole ihre Bedeutung. Erstaunt über diese unbekannte Magie in den Blutsymbolen intensivierte sie ihre Konzentration, um die Rätsel zu lösen. Die Schlange war nicht das Symbol für Heilung, sondern für die Anwendung von Giften und Medizin.
Die Raubkatze erklärte ihr, dass es das Symbol für innere Stärke und mentale Fähigkeiten im Kampf sei. Der Greifvogel erklärte sich als Symbol für die Sicht in differente Zeiten und Dimensionen. Die Schildkröte verkörperte die Langlebigkeit und das Ertragen von großen Lasten. Den Hintergrund konnte sie sich noch nicht selbst erklären, denn das Studium der Symbolik und Ornamentik lag noch vor ihr. Noch mystischer war die Bedeutung des Hirsches, denn dieser stand für seherische Fähigkeiten, die Transformation und die Vorbildrolle. Was sich dahinter verbarg blieb im Dunkel der Unwissenheit. Aus diesen Gedanken wurde sie erlöst, als Gertrude vor ihr stand und sie munter betrachtete. "Wusste ich es doch! Du wirst die erste sein, die Fragen stellen wird. Nun Kindchen, dann lass uns beginnen das Rätsel zu lösen und die Magie zu erforschen."
Es dauerte einen Moment, bis ihr klar wurde, dass keine weiteren Worte folgen würden. Langsam setzte sie sich auf einen Stuhl und sie ahnte, dass Gertrude einen Mentalkontakt zu ihr aufbauen würde, um weitere Tore in ihrem Kopf zu öffnen. Sacht glitt der Geist von Gertrude in ihren Kopf und sie spürt, dass es ein komplexes Prozedere war, um die Transformation voran zu treiben. Immer wieder erbebte ihr Körper unter dem Ansturm von Wissen und Magie, die ihren Körper wie eisige Messer durchdrangen und scheinbar innere Wunden hinterließen. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis dieses unangenehme und teilweise schmerzhafte Einwirken auf ihren Geist ein Ende fand.
Erschöpft und gepeinigt von den differenten Schmerzen erhob sie sich. Die Arme und Hände schmerzten, da sie offenbar noch verkrampft waren und nur langsam gelang es ihr die Schmerzen durch eigene Magie abzumildern. Erschrocken stellte sie fest, dass bereits die Dämmerung hereingebrochen war. Offenbar hatte diese magische Reise in das innere Ich länger gedauert als gedacht.
Acht Schwestern standen bereits in ihrem Zimmer und beäugten sie mit scharfen Blicken. "Die Göre ist zäh und stärker als wir es erwarten durften. Nun sollten wir ihr aber endlich erklären, dass sie viel dazu gewonnen hat. Ich denke Edeltraud ist geeignet, um ihr erste Worte zukommen zu lassen." Diese Schwester war dunkelhäutig und strahlte eine intensive Präsens aus. Edeltraud übernahm die Erklärung. "Trude, es sind nicht nur fünf Symbole auf deinem Rücken, sondern die Kombination der Symbole und der daraus resultierenden Facetten sind recht selten in unserer Schwesternschaft. Die meisten Schwestern erlangen bei dieser Initiation zwei Symbole und selten sind es drei Symbole. Aber fünf das ist höchst selten seit über zweitausend Jahren. Sicherlich steht jedes Symbol für sich genommen für einen Bereich der Fähigkeiten und Magie, dennoch ist es bei so vielen Symbolen ein wenig anders, denn im Prinzip sind es viel mehr Konstellationen, die in die hunderte Facetten hineinreichen. Aber diesen Firlefanz erklären wir Dir später, wenn Du ein wenig mehr Einblicke in die Magie besitzt. Wichtig ist nur, dass Du primär wissen solltest, dass Dir die Symbole Kraft und Macht verleihen, die weit über dem Durchschnitt liegen. Besonders selten ist die Raubkatze, die Dich zu einer Kriegerin macht, weil es zusammen mit dem Greifensymbol eine ungewöhnliche Begabung offenbart. Hast Du das bis zu diesem Punkt verstanden?"
Sie richtete sich auf und dabei bemerkte sie, dass um ihren Arm ein breiter Silberreif gelegt worden war. Um den Hals baumelten drei neue Ketten und an den Fingen erkannte sie drei Ringe, die mit großen und reinen Kristallen geschmückt waren. Ihre eigene Nacktheit störte sie nicht, dennoch griff sie sich eine Decke, denn es waren zu viele Augen, die ihren Körper derzeit akribisch studierten. Sanft führte Edeltraud das Gespräch fort. "Aus Dir wird nicht nur eine einfache Schwester werden, sondern Du wirst zu einer bedeutenden Hexe aufsteigen können, wenn Du Dich bei allen vor Dir stehenden Aufgaben bewährst, fleißig lernst und Dein Charakter als positive Agens für den Orden betrachtet wird." Trude blieb nur eines, sie musste diese Informationen verdauen, denn dass hatte sie weder erwartet noch von sich selbst erwartet. Sie, sollte zu einer mächtigen Schwester aufsteigen, das klang beunruhigend. Sie hatte doch gerade erst die Ausbildung begonnen und nun so etwas zu hören klang in ihren Ohren utopisch.