Noch immer wohnte Synfera in ihrem schlichten Zimmer in Colmar und wartete nervös auf den Umzug in ihr neues Domizil in der Gegend von Detmold. Viele Dinge waren schon längst verpackt und eigentlich wartete sie täglich auf eine Nachricht. Aber irgendwie hatte sich vieles nach der Prüfung verändert. Der Stresspegel sank und bisher hatte ihr niemand erklärt, welches nun ihre Aufgaben und Pflichten waren. Kurzentschlossen rief sie Isolde, die binnen weniger Momente vor ihr stand. "Hallo, eigentlich hatte ich schon früher mit einem Hilferuf gerechnet. Ich verstehe Deine Sorgen, aber Du hast Dir auch eine Pause nach den vielen Prüfungen verdient. Also, sag schon, was bedrückt Dich?"
Der Schuss ins Blaue saß. "Wer ist Niala? Warum hat sie so eine Stellung und warum hat sie mir dieses Amt überantwortet?" Kurz schaute sie zu Boden. "Ich soll ja meinen Antrittsbesuch bei ihr machen. Leider weiß ich nicht, wo ich sie finden kann. Auf den Karten und in den Büchern ist sie nirgends zu finden. Auch die Hausvorsteherin hat keine Ahnung, wo ich suchen sollte." Isolde setzte sich. "Die Sache ist ein wenig komplexer. Also, Niala, der Name verrät es vielleicht schon - wird oft in Indien und Frankreich verwendet. Die Herkunft bleibt ungewiss, denn es gab den Namen in vielen Kulturen. Die Bedeutung ist jedoch klar. Er weist darauf hin, dass die Trägerin dieses Namens mit besonderer Schönheit gesegnet ist. Nehalennia war ihr vorheriger Name, der für eine germanische Frühlingsgöttin stand. Ihre Mutter ist Leda, und daher gehört sie zu dem alten Adel der Hexen Schwesternschaft mit göttlicher Herkunft. Ich könnte Dir alles erzählen, aber Du wirst erkennen, dass wir - also die Hexen auch gewisse Trennungen nach der Herkunft haben. Wir sind alles Schwestern mit gewöhnlicher Herkunft, also die Astern, die man überall am Wegesrand findet. Die adeligen Schwestern bezeichnen sich jedoch als Orchideen. Und Niala wird tatsächlich nur als weiße Orchidee bezeichnet, die alles mit ihrer Schönheit überstrahlt. Dennoch ist sie eine kluge Frau, die manches in Bewegung setzen will, was manch alten Traditionen nicht mehr entspricht. Sie möchte, dass wir uns mehr an die modernen Zeiten anpassen und wieder mehr an an das Geldverdienen denken sollen. Für manch alten Mitstreiterin sind es zu radikale Veränderungen, die sie aus Furcht eventuell ablehnen. Zudem entspringt sie dem altgermanischen Adel, der weiter verbreitet ist, als man denken mag. Warum sie zu Deiner Ernennung erschien ist eigentlich kein Geheimnis. Sie sucht schon seit Jahrzehnten junge und tüchtige Damen aus, um den Bann der Traditionen zu brechen. Sie wünscht sich Veränderungen. Sie bekam mit Sicherheit Deine Wünsche mit und daher hat sie sich eingemischt, was einerseits ihr gutes Recht ist, aber in diesem Fall manchen Schwestern unhöflich erschien. Damit hat sie Dich zwischen die Räder der verschiedenen Instanzen geworfen, um Dich zu testen. Brigta war von ihrem Erscheinen nicht begeistert, aber dafür kannst Du ja nichts, weil es eben gewisse Animositäten zwischen verschiedenen Schwestern gibt. Zudem hat sie noch andere Schwestern verärgert, die sich ebenfalls freuten Dir Deinen neuen Namen zu verleihen. Aber auch das steht außerhalb meiner und Deiner Kompetenzen. Letztendlich musst Du Dich entscheiden, welcher Strömung Du folgen möchtest. Daher statten wir Niala jetzt einen Besuch ab. Sie lebt in einer alten Klosterfestung in Griechenland, die in der Nähe von Mistras liegt. Natürlich trägt sie ihren Namen die "Weiße Orchidee nicht umsonst, denn sie liebt diese Pflanzen, weil sie zu den göttlichen Pflanzen gehören, wie der Lotus, die Rose und die Esche. Sie denkt, dass wir uns zu wenig um unsere Herkunft kümmern und dazu gehört eben auch die Kenntnis der Pflanzen."
Synfera stutzte, weil es offenbar doch noch mehr zu lernen gab, als die trivialen Pflanzennamen. "Jede Pflanze hat einen Bezug zu den Göttern, aber lassen wir das. Ich bin bereit, um Niala zu besuchen, wenn Du mir den Weg zeigst." Isolde griff ihre Hand und nur einen Moment später standen sie in einer alten fränkischen Burganlage zu der auch ein Kloster gehörte. Alles an den Gebäuden wirkte frisch und die Blumenpracht rückte alles in ein noch nobleres Licht. Sofort wurden Isolde und Synfera in Empfang genommen. Eine junge Frau in feiner Robe wies ihnen den Weg zu Niala, die offenbar auf den Besuch vorbereitet war. Sie durchschritten ein Tor und standen fast im nächsten Moment in einer alten Ritterhalle, die rustikal, aber dennoch dezent würdevoll wirkte. Niala erschien aus einer Tür und begrüßte sie persönlich. "Herzlich Willkommen in meiner bescheidenen Herberge. Es ist schön Synfera, dass Du den Weg zu mir gefunden hast. Isolde hat Dir ja schon einige meiner Geheimnisse verraten. Aber sie vergaß zu erwähnen, dass ich mich für junge Talente einsetze. Du bist einer dieser leuchtenden Sterne, die wir brauchen, um die Zeiten zu überstehen. Du bist gebildet, bist mit dem Rechtssystem der Menschen vertraut und Dein Interesse liegt im Bereich der alten Kulturen. Ich bin darüber informiert, dass du Dich zum Studium der Frühgeschichte angemeldet hast und bei Deiner Ausstrahlung wird es dir sicherlich gelingen auch dort rasch Fuß zu fassen. Warum ich bei Deiner Weihe zugegen war ist simpel. Du hast die Grundausbildung in nur drei Jahren gemeistert und Du hast in allen Bereichen die Erwartungen übertroffen. Jeder Vergleich mit anderen Schwestern würde hinken, denn nicht alle sind so vielseitig, so modern und beflissen, was das Lernen anbelangt. Daher möchte ich keinen Vergleich ziehen."
Synfera schaute fragend zu Niala. "Ich sah es als meine Pflicht an, mehr als durchschnittliche Leistungen zu zeigen. Als Kind mit Migrationshintergrund muss man immer mehr leisten und als Frau sowieso. Mein Hauptinteresse liegt natürlich in einer Frage begründet. Warum ich und warum bekam ich sogleich ein so hohes Amt verliehen?" Niala deutete auf ein Fenster. "Schaue da hinaus auf den Fluss Evrotas oder Europa, wie ihn die Germanen nannten. Die Pflanzenwelt ist nur noch ein Abklatsch der ehemaligen Vegetation, die aus Hartlaubgehölzen, Mimosenwäldern und der primären Maccie bestand. Was wir hier sehen ist nur noch ein degradierter Abklatsch dieses ehemals reichen Landes. Hier lebten die Spartaner, von denen verschiedenes bekannt ist, aber die richtigen Texte werden natürlich nicht zitiert, obwohl schon vor über vierzig Jahren bekannt war, dass die Spartaner anders waren. In der Literatur oder den miesen Plagiaten werden sie als kriegerisches Volk beschrieben. Alle jungen Männer mussten nicht nur ihren Körper stählen, sondern auch musizieren können. In Sparta steht es geschrieben, aber hören mag es keiner, weil es ein von dummen Leuten geprägtes Bild zerstören würde. Auf dem Stein steht, dass sie die Fleute und Guitarre spielen können mussten, um als Mann anerkannt zu werden. Alle anderen Völker in diesem Kulturkreis erlernten das Spielen auf der Lyra. Aber lassen wir das vorerst. Ich habe ein Essen für uns vorbereitet, dass typisch für diese Region ist."
Niala besaß eine unheimlich starke und feminine Ausstrahlung, was ihr bewusst war. Sie sah nicht nur bezaubernd aus, sondern war ein Alphatier, welches keinen Widerspruch dulden würde. Auf dem Weg zu ihrem Tisch traten weitere Damen zu ihnen. Am Tisch sitzend sah sie die angebotenen Köstlichkeiten, wie Lammfleisch, Salate, Couscous und sehr viel in Öl eingelegtes Gemüse, wie Tomaten, Auberginen und Linsen. Unvermittelt fragte Niala Synfera. "Kennst Du die Vorfahren der Griechen? Ich halte mich an die Gentests, die Sprachwissenschaftler und andere gelehrte Köpfe. Sie besagen, dass die antiken Griechen vor etwa viertausend Jahren aus einem Gebiet nördlich der Alpen eingewandert sind. Die Bedeutung dieses Faktes ist immens. Dennoch will keiner an diesem Postament rüttelt, denn dieser Punkt wird in allen Texten übersprungen. Sie schreiben über sich in allen Texten, dass sie blond, blauäugig, kampflustig und kreativ waren und die restlichen Fakten sagen ähnliches. Sie waren dem Alkohol zugetan und streitlustig. Homer hat es so oft geschrieben, dass es doch alle sehen sollten. Aber die dummen Menschlein haben dieser Kultur nun mal ihren Stempel aufgedrückt, der leider nicht der Wahrheit entspricht. Die Griechen sind zumindest Kelten und die Schrift entspricht den germanischen Runen. Mittels dieser kleinen Revolution, also dem beschreiben der Fakten würde die bisherige Welt der Männer schwer getroffen, denn sie pflegten uns Frauen immer in das zweite Glied zu stellen, zu Gebärmaschinen zu degradieren oder als Huren abzutun, wie es in fast allen Religionen und Staaten gemacht wurde und immer noch passiert."
Synfera grübelte und dachte an ihre Rolle in der Familie. Sie war Tochter und hatte Kinder zu bekommen. Als Muslima hatte sie keine Rolle zu spielen und bei anderen Religionen sah es auch nicht bedeutend besser aus. Kurz gab sie ihre Antwort. "Gerne streite ich für Gleichberechtigung, aber ich glaube, dass es noch ein langer Weg sein wird, bis wir als das anerkannt werden, was wir sind. Wir sind nicht nur zarte Blümchen, die man pflückt und später gegen andere austauscht zu werden, sondern nur wir besitzen die Macht Leben zu schenken, Wir sind also ein bedeutender Teil der Gesellschaft und daher sollte unsere Rolle auch entsprechend anerkannt werden. Zudem und das möchte ich an dieser Stelle betonen, sind Frauen genauso klug wie Männer. Aber, uns ist es nun einmal gegeben, über den Dingen zu stehen und mehr Leid zu ertragen, als Männern." Niala stimmte ihr erfreut zu.
"Genau aus diesem Grund wählte ich Dich aus, obwohl Du auch deutliche Schwächen besitzt. Aber Schwamm drüber, es geht einzig darum, dass Du perspektivische Ideen besitzt, durchdacht lernst und mehr in Dir steckt, als man auf den ersten Blick erwartet. Deine Urahnen gehörten auch dem Adel an und daher sehe ich Dich auch als Vermittlerin zwischen den Astern und Orchideen. Bedeutsam ist ebenfalls, dass Du Dich bereits mit verschiedenen Kulturen auskennst und Religionen achtest. Besonders gefallen hat mir Dein Kampf gegen die alte Keulenschwingerin, die glaubt, dass Masse gegen Klasse triumphieren könnte. Rasch hast Du sie in die Schranken verwiesen und uns allen einen wichtigen Dienst erwiesen. Du hast gezeigt, dass sich auch eine zarte Novizin gegen ein Gewaltweib durchsetzen kann. Wichtiger war jedoch das Element, welches Du eingesetzt hast. Fast freundlich hast Du sie besiegt, so wie man es aus der fernöstlichen Kultur kennt. Sicherlich wärst Du auch ohne mein Eingreifen zu einer anerkannten und klugen Schwester aufgestiegen, aber ich bin nun mal ungeduldig und sehe es nicht gerne, wenn man dümmliche Schwestern mit ihren Ämtern überfordert. Nehme es so hin, denn mehr werfe ich nicht in die Waagschale der Wahrheit. Und nun schaue Dir die Umgebung an und fühle den Puls dieses Landes. Leider muss ich schon wieder auf Reisen gehen, denn in der Mongolei haben wir eine Drachentochter gefunden, die gründlich begutachtet werden soll. Verzeih, aber es ist meine Pflicht, die Schwesternschaften auf dieser Welt am Leben zu erhalten." Kurz senkte sie ihr Haupt und entschwand augenblicklich aus dem Raum.