Vier Zimmer in der Domäne waren inzwischen von den Handwerkern fertig gestellt und entsprechend Synferas Wünschen eingerichtet worden. Eigentlich ein Grund zur Freude, aber Oerlinghausen war und blieb nur ein tristes Dörflein, ohne jegliche Kultur, ohne Lebensqualität und einfach nur langweilig, wenn man ein wenig mehr erwartete als einen Kiosk, einen Hofladen. Abwechslungen boten nur kleine Spaziergänge durch die Natur, der Anblick von Pferden oder der vorbeiziehenden Wolken. Glücklicherweise gab es Bielefeld in der Nähe, welches sogar mit Gastronomie und einigen Geschäften aufwartete. Missmutig schaute Synfera zu den Pferden und den drei Mädels, die fast täglich freiwillig in den Ställen halfen, um ihren Lieblingen nahe zu sein. "Jungmädchenträumerein. Pferde sind für sie offenbar bedeutend wichtiger als Menschen. Würden sie sonst so oft hier abhängen, um die Tieren zu pflegen und sie zu versorgen?" Sie schüttelte den Kopf und ließ die letzten Jahre vor ihrem inneren Auge vorbeigleiten. "Ich habe fast vierzig Monate intensiv gebüffelt und endlos viele Prüfungen mit guten Noten bestanden. Gibt es in diesem Orden eigentlich auch einmal richtigen Urlaub? Also Urlaub von mehr als einigen Stunden oder einem Tag? Was sind die Versprechen meiner Schwestern wert? Wurde nicht von vierzehn Tagen an dem Ort meiner Wahl etwas erzählt? Ich denke, ich muss mal dringend mit Isolde über dieses delikate Problem sprechen, da sie ja für derlei private Angelegenheiten zuständig ist." Mit ihren Gedanken rief sie Isolde, die zügig auf ihre Fragen antwortete. Nur einen Moment später stand sie vor Synfera.
"Was ist los, holdes Schwesterlein. Erst hast du Edeltraud den Kopf mit diesem modernen Weiberkram verdreht und jetzt so emotionale Fragen. Ich verstehe dich nicht." Synfera schaute zu Isolde. "Hattest Du nie in Deinem Leben das Bedürfnis einfach nur mal abzuhängen. Kennst Du das Gefühl von brennendem Fernweh? Hast Du nicht die Sehnsucht einfach mal an einem Strand spazieren gehen zu können. Zumal ich in acht Wochen mein Studium beginnen werde. Ich habe bisher immer nur gebüffelt, also nicht einfach nur so vor mich hingedrömelt, sondern wirklich jeden Tag mir hunderte Dinge erschlossen und in meinen Kopf gepackt. So habe ich binnen drei Jahren den Stoff von sieben Jahren gelernt, ich habe exzellent das Studium abgeschlossen und wirklich jede Prüfung souverän gemeistert. Verzeih, aber im Moment gehe ich auf dem Zahnfleisch und möchte einfach mal ein paar Tage an die Küste und die Seele baumeln lassen. Muss ja nicht Rimini oder Malle sein, aber ein wenig frische Luft und Sonnenschein täte mir ganz gut, um den Kopf frei zu bekommen." Isolde schien augenblicklich in einer Art imaginären Katalog zu blättern. "Recht hast Du, lasse mal die Seele baumeln, das braucht jeder Mensch und fleißige Hexen noch viel mehr. Die meisten Urlaubsplätze sind leider schon von Deinen Schwestern belegt. Sensationelle Reiseziele kann ich Dir somit nicht mehr anbieten. Also, ich habe noch Schottland mit Port Logan und Cairnryan, aber da regnet es gerade und auch die nächsten Tage. Zudem wirst Du da nur die reiferen Schnapsdrosseln antreffen. Dann Concarneau und Bayonne in Frankreich, Calabardina und Cadiz in Spanien. Ein wenig weiter weg, habe ich noch mehr. Bahia de Carraquez in Ecuador und die ABC Inseln nördlich von Kolumbien. Natürlich geht auch noch Australien, da haben wir in Cairns und Darwin kleine aber feine Ferienhäuser für badefreudige Schwestern. Persönlich würde ich Dir zu Südfrankreich oder Ecuador raten. Aber wenn Du Strand und Tauchen möchtest, dann nehme Australien. Suchst Du jedoch einen wirklichen Sehnsuchtsort, dann wähle Sambava auf Madagaskar aus. Eine liebe Schwester von uns hat dort eine bezaubernde Herberge eingerichtet und es gibt viel in der Umgebung zu entdecken. Dazu die weiten Strände, die Wälder und die vielschichtige Natur. Ja, ich denke, dass wäre der beste Ort für Dich, um Dich von dem Lernstress zu erholen. "
Synfera grübelte kurz. "Kann man in Sambava tauchen, schöne Strände sehen und einfach mal ungestört sein?" Isolde bestätigte diese Frage sofort. "Ja, man kann da auch noch viel mehr erleben. Also, als ich dort war und meine Seele erfrischte, habe ich Ausflüge durch das gesamte Land gemacht. Da ist nicht viel alte Kultur im Land zu bestaunen, aber es ist schön und Du bekommst dort Essen, welches Deinem Magen bekommen dürfte. Aber zuvor müsstest Du noch nach Hannover zum Institut für Tropenmedizin. Ein paar Impfungen sind schon erforderlich, also Malaria, Fleck- und Gelbfieber, Denguefieber, Tetanus und noch ein paar andere Sachen, aber bei Deiner Konstitution ist das alles kein Problem. Wenn Du willst, dann sage ich meiner Freundin Johanna von Hohenstedt gleich Bescheid und melde Dich zur Impfung in Hannover an. Dann kannst Du bereits nächste Woche Deinen Urlaub beginnen. Bis dahin habe ich alle Papiere beisammen und Du hast Zeit, um Dich auf die Reise vorzubereiten. Aber sei gewarnt meine Liebe. Fernweh kann zu einer unheilbaren Krankheit werden, wenn man seinen Sehnsüchten nicht folgt. Zumal, wenn man auf die Abreise warten muss."
Erstmals kicherte Isolde, wie ein Teenager. "Okay, ich reise nach Madagaskar. Aber dann musst Du mir auch einen Wunsch erfüllen. Du besuchst Clarissa in Köln und kleidest Dich zukünftig ein wenig moderner. Stelle Dir nur vor, wie Du aussehen könntest, wenn Du wolltest. Ich denke, das würde auch Niala gefallen und ihr zeigen, dass auch alte Besen noch lernfähig oder flotte Feger sind." Die Mine von Isolde verdunkelte sich übergangslos. "Meinst Du - es ist wirklich nötig? Ich frage nur, weil ich mich so an mein Spiegelbild und meine Kleidung gewöhnt habe?"
Synfera lachte recht offen ihre Schwester an. "Mehr als das, Dein Rock ist seit über zweihundert Jahren aus der Mode gekommen und die Frisur erinnert nicht mal mehr an ein vertrocknetes Vogelnest. Deine Stiefel waren im Mittelalter möglicherweise modisch, aber sie passen nicht mehr in das einundzwanzigste Jahrhundert. Deine geliebte Jacke gehört schon seit Jahren in die Antikenabteilung eines Museums und die moderne Kosmetik lässt Dich sicherlich um ein oder zwei Jahrhunderte jünger erscheinen. Mit ein wenig Aufwand wirst Du wieder zu einem strahlenden Juwel mit Ausstrahlung. Hey zeige den jungen Hühnern, dass Du eine moderne Frau bist, die modisch gekleidet und kraftvoll mit der Zeit gehen kann." Introvertiert schaute Isolde in einen magischen Spiegel, der jäh ein jüngeres Abbild von Isaolde zeigte. "Vielleicht hast Du Recht, Kindchen. Vor zweitausend Jahren zog ich noch manche Blicke von Männern auf mich. Aber nun zu Dir. Ich mache alles fertig und Du zügelst Dein Fernweh, bis es wirklich losgeht. Nachher hast Du einen Impftermin, die Unterlagen lasse ich Dir noch zukommen und auch das nötige Kleingeld für die Impfungen. Schließlich müssen auch wir Damen dort bezahlen. Informiere Dich in der Zwischenzeit, was für so eine Reise erforderlich ist und kaufe Dir ein wenig Freizeitkleidung, Bademoden und was noch erforderlich ist."