Täglich der gleiche Trott. Trude war längst nicht mehr so ausgeglichen, wie noch vor Monaten. Morgens um acht Uhr standen plötzlich illustre Hexen auf der Matte und der Lernmarathon dauerte oft bis in die Abendstunden. Zeitweise verfluchte Trude ihre Entscheidung, da sie oft an sich, ihrem mangelhaften Aufnahmevermögen und den so dermaßen unterschiedlichen Herausforderungen haderte. Wozu brauche ich kleines Licht Schmiede- oder Spiegelzauber, Wandlungen, mentale Verteidigung, Alchemie, Chemie, Biologie, Toxikologie Wettermagie, Spionagezauber, Kristallographie und Geschichte. Alle finsteren Personen, die sie auswendig lernen musste, waren schon vor Jahrtausenden oder erst vor Jahrhunderten verblichen und dienten nun als Sternenstaub einer höheren Macht. Der Kaffeebecher in der Hand verhieß einen angenehmen Genuss und gerade beim Trinken kündigte sich abermals eine Schar Damen an, die sie an diesem Tag in der Astronomie und Astrologie unterrichten sollten. Gelangweilt stellte sie den Becher zur Seite und bereitete sich auf das Eintreffen die holden Damen oder Lehrerschaft ein.
Unvermittelt tauchten Asja und Isolde auf, die ihr nur freundlich zunickten, als sie galant in dem Raum erschienen. Gertrude folgte nur einen Moment später, die sofort besorgt die Tische und Schwestern aus dem Weg räumte. Laut rief sie noch. "Brunhild wird in wenigen Momenten erscheinen, sie ist die Zweite Kriegerin unserer Schwesternschaft. Bitte lasst genug Raum damit keiner bei ihrem Eintreffen verletzt wird."
Erstmals spürte Trude eine ungewöhnlich intensive Energieentladung, die mehr als eine Dame erwarten ließ. Dennoch, nur Augenblicke später erschien eine weitere Schwester, die mehr als ungewöhnlich gekleidet war. Sie trug eine Brünne und einen antiken Spangenhelm, der seit über tausend Jahren aus der Mode war. Brunhild maß sicherlich zwei Meter und besaß das Gewicht eines ausgewachsenen Bären, wenn dieses Schätzung denn reichte. Die Frisur und der Körperbau erinnerten augenblicklich an eine Walküre, die einer von Wagners Opern entsprungen sein musste. Sogar eine Streitaxt zierte ihre Hand. Zum Glück hatte Trude schon ihren inneren Gedankenschild aufgerufen, denn die nächsten Irrlichter in ihrem Kopf, beschrieben noch detaillierter, was sie sah. Die Brüste der Dame ließen sich mit Sicherheit mit dem Gesäuge von Milchkühen vergleichen. Kein einziges Stück an der angeblichen Frau erinnerte auch nur entfernt an eine Dame, aber sie war eine Schwester und sie achtete jede einzelne Schwester gleichermaßen, obwohl die Überraschung bei dem Anblick - in ihren Augen nicht zu verbergen war.
Sofort streckte ihr Brunhilde die Hand entgegen, die einer Pranke eines Schmiedes glich. "Moin, ich dachte ich treffe hier auf eine Kriegerin und was sehe ich, ein unreifes und dürres Kälbchen. Verzeih zarte Schwester, aber ich soll Dich in Kampftechnik ausbilden." Intensiv beäugte Brunhilde Trude von allen Seiten, so als würde sie die Qualität eines Stückes Fleisch in einem Metzgerladen abschätzen. Brummig entließ die massige Schwester in einer unangenehmen Lautstärke. "Da muss den hohen Schwestern wohl ein fataler Fehler unterlaufen sein, so ein Floh taugt nicht für den Kampf, die könntet ihr mir als kleine Spielzeugpuppe schenken, um sie sanft in den Puppenwagen zu betten. Die wiegt ja kaum mehr als ein Rottweiler und hat dafür keine scharfen Beißerchen." Isolde ergriff das Wort. "Brunhilde, manch erster Eindruck mag täuschen und die Götter haben uns noch nie beschwindelt. Zudem hat Asja sie auch gewissen Prüfungen unterzogen, die sie allesamt wacker meisterte. Ich möchte noch anfügen, nicht die Masse zählt - sondern einzig die Klasse. Ich möchte noch anfügen, dass sie anders kämpft als Du es Dir vorstellen kannst."
Brunhilde schien es nicht zu interessieren. "Also, Du verkümmerter Zahnstocher, dann zeige mir doch bitte, dass du kämpfen kannst. Schließlich soll ich Dich ja beschützen, also Deinen Rücken decken, wenn es zukünftig von Nöten sein sollte. Tue Dir keinen Zwang an und schone mich nicht." Asja wollte Brunhilde noch etwas erklären, aber Trude begann gerade der Bitte ihrer gewichtigen Schwester nachzukommen. Ohne Ansatz verpasste Trude der trägen Brunhilde einen Tritt gegen das Kinn, der rasch durch einen massiven Nasenstüber ergänzt wurde. Taumelnd wich Brunhilde nach diesen ersten Treffern zurück, aber sie dachte nicht daran, aufzustecken, obwohl es für die Gebäudestatik besser gewesen wäre, den Kampf auf festen Boden auszuführen. Trude hatte die Befürchtung, wenn Brunhilde stürzen würde, dann könnte es ein Loch in den Boden reißen.
Energisch versuchte Brunhilde Trude zu ergreifen, die sich jedoch schnell duckte und geschickt zur Seite auswich. Elegant und zu schnell für ihre Schwester landete sie mit dem Ellenbogen einen vernichtenden Treffer am Kinn der massigen Dame. In Zeitlupe hätte man die vollständige Deformation dieser Partie genauer beobachten können, aber für Trude war es einerlei, denn die Dame hatte ja eine derartige Demonstration von ihr eingefordert. Beschleunigt, durch die punktuell auftreffende Energie, das hohe Eigengewicht und die Erdanziehungskräfte stürzte Brunhilde recht unkoordiniert zu Boden. Die Dielen bebten und Staubwolken stoben zwischen den Dielenbrettern hervor. Mit Sicherheit hatte auch die Erdbebenwarte in Potsdam diesen Sturz als Mikroerdbeben in dieser Region registriert. Zornig blickte sie zu den anderen Schwestern. Ist das Astronomie und das möglicherweise eine Monscheinprinzessin, die mich in fallender Sternschnuppenkunde unterweisen soll? Das einzige was die Dame kann ist einen breiten Schatten zu werfen, aber kämpfen kann diese Dame wohl kaum. Sie ist so beweglich wie ein schwangeres Walross und ungefähr so schnell wie ein schlafendes Faultier. Möglicherweise kann sie Gegner besiegen, wenn sie zufällig auf sie hinauf fällt, aber jegliche Form von physischer Beweglichkeit und geistiger oder mentaler Bereitschaft zum Kämpfen fehlen dieser gewichtigen Person."
Asja klatschte. "Zürne uns nicht, aber wir mussten prüfen, ob Du auch die innere Stärke besitzt, um uns verteidigen zu können. Und wie wir sahen, scheinst Du trotz oder wegen Deiner geringen Masse auch größere Gegner binnen kürzester Zeit niederzustrecken. Ich zumindest bin von Deiner Vorführung schwer beeindruckt. Was Brunhilde dazu sagen wird - ist aber sicherlich eine andere Sache. Möglicherweise sollten wir sie unverzüglich in eine Klinik bringen lassen, denn ihre Vitalwerte erscheinen mir derzeit höchst beunruhigend zu sein."
Trude verneigte sich vor den anderen Damen. "Wenn diese Dame uns schützen soll, dann muss sie zügig in verschiedensten Kampftechniken ausgebildet werden. Aber mit nur einer Dame kann ich nicht viel anfangen. Zwanzig bis dreißig Damen sollten es schon sein, die uns verteidigen sollten. Nicht alle müssen erlesene Kämpferinnen sein, denn auch andere Gaben, wie die Beobachtungsgabe, Willen und ein wenig Übung dürften wahre Wunder wirken, wenn die kleine Truppe erscheint. Möglicherweise stamme ich aus einer anderen Zeit, aber dieses bedeutet auch, dass ich manche Kampfsportarten erlernte, die eigentlich alle Frauen beherrschen sollten. Ich konnte mich bisher auch ohne Magie vortrefflich gegen Idioten und Männer verteidigen. Immerhin lernte ich dabei die Regionen am menschlichen Körper kennen, die besonders sensibel und Nachhaltig auf temporäre Krafteinwirkungen reagieren."
Noch einmal blickte sie in die Runde. "Es reicht nicht, eine Waffe zu tragen, wie diese archaische Streitaxt, man muss so eine Waffe auch perfekt beherrschen können. Und die Masse der Dame hindert sie bewegliche Ziele treffen zu können. Nur mit Masse zu beeindrucken reicht in einem Kampf längst nicht mehr. Verzeiht mir, aber ein wenig Training wäre bei der Dame sicherlich hilfreich, damit sie für mich mehr als ein Klotz am Bein ist. Ich denke eine Dekade sollte reichen, um aus diesem Minielephanten eine Kämpferin zu formen, die meinen Ansprüchen gerecht wird. Immerhin geht es um unsere Sicherheit und den Schutz aller Schwestern. Verzeiht, aber das Wohl der Schwesternschaft muss oberste Priorität besitzen."