Isolde und Edeltraud hatten sich schon seit Tagen nicht mehr gemeldet. Trude fragte sich, ob die beiden Damen möglicherweise bei einem wilden Flug durch die Schneisen des Harzes vom Besen gefallen waren. Aber diese Gedanken schob sie sofort beiseite, weil es kein positiver Gedanke war. Gemütlich trank sie ihren Jasmin Tee, der herrlich schmeckte. Sie hatte von offizieller Seite gestern erfahren, dass sie nur noch drei Prüfungen ablegen musste, um als Hexe anerkannt zu werden. Angeraten wurde in dem Schreiben - eine Examensarbeit zu einem magischen Thema, welches mit ihren Tutorinnen abgestimmt werden sollte. Mit einer Examensarbeit könnte sie sich für einen Fachbereich in der nächsten Septe empfehlen. Obwohl sie noch nicht einmal drei Jahre bei dieser Schwesternschaft war, schob man sie dezent voran. "Hochgestochene Worte, die einmal mehr vermutlich Abgründe auftaten."
Der Computer, oder viel mehr gesagt so ein Musikprogramm auf dem Rechner flutete den Raum mit angenehmer Musik. Gerade lief der "Da Vinci Code", der eine entspannende Stimmung in den Raum zauberte. Gelassen schaute sie aus dem Fenster und genoss den Sonnenuntergang und die angenehme Dämmerung, die Fledermäuse in den Garten lockte, um Insekten zu fangen. Herausgerissen wurde sie aus der angenehmen Stimmung von einer Gedankennachricht von Isolde. "Komme gleich auf einen Sprung vorbei. Ist eine heikle Sache." Trude stellte die Tasse ab und bereitete sich auf das Schlimmste vor. Immer wenn es heikle Sachen gab, dann drohte finsteres Unheil. Zuletzt musste sie einen Zwist schlichten weil sich zwei Damen nicht über die richtige Farbe einer neuen Unterkunft einigen konnte. Das Schlimme war jedoch, dass eine der uralten Damen offenbar unter einer Minderung der Farbwahrnehmung litt und keiner sich traute ihr die bittere Wahrheit zu verkünden. Innerlich bereitete sie sich schon auf eine weitere kleinere Katastrophe vor. Als Isolde im Raum auftauchte sah sie nur kurz auf, weil sie sicherlich gleich alle Abgründe der magischen Welt erfahren würde.
"Trude, Du musst mir dringend helfen! Edeltraud ist leider binnen der nächsten Tage unabkömmlich. Somit musst Du mir aus der Klemme helfen." Es musste sich in diesem Fall einmal mehr um eine ernste Angelegenheit handeln, die keinen Verzug duldete. "Ja, Isolde, was hast Du für Sorgen?" Die Milde der Frage beruhigte Isolde sofort. "Edeltraud sollte mich auf einen diplomatischen Ball begleiten, aber irgendwie ist sie seit Tagen nicht mehr auffindbar. Möglicherweise hat sie sich am Südpol versteckt, um mich nicht auf den Sommerball in Plauen begleiten zu müssen. Du musst verstehen, da wird getanzt und irgendwie bin ich vollkommen aus der Übung. Ich brauche also eine versierte Tanzlehrerin, die mir alle gängigen Tänze wieder in mein Gedächtnis befördert. Verzeih, dass ich Dich gerade jetzt mit solchen Nebensächlichkeiten belästige, aber mein letzter Ball liegt mit Sicherheit mehr als fünfzig Jahre zurück, wenn nicht sogar länger. Bisher habe ich mich immer vor solchen Anlässen gedrückt, aber dieses Mal hat Edeltraud wohl den Spieß umgedreht und will mich in das offene Messer rennen lassen. Oh, ihr Götter aller Hexen, was habe ich euch nur angetan, dass ich so blamiert werden soll. " Trude nickte ernüchtert, obwohl sie schmunzelte. "Welche Tänze möchtest Du wieder einüben, damit ich meinem Rechner sagen kann, welche Musik er uns kredenzen soll. Ist er mehr modern, fetzig oder sind es doch die Standardtänze?" Ein tiefes Grübeln setzte bei Isolde ein. Gelegentlich entfuhr ihr ein schwacher Seufzer. "Wenn ich das so genau wüsste, dann wäre mir wohler. Zuletzt habe ich wohl einen Walter oder so getanzt. Vor hundert Jahren mal einen Fango oder war es doch eine Polka? Kindchen, ich weiß es leider nicht mehr. Verzeih, ich habe Wichtigeres im Kopf. Tanzen zählte außerdem nie zu meinen Stärken, Neigungen oder Wünschen."
Mit flinken Fingern gab sie bei YouTube den Suchbegriff "Walzer" ein. Der Bildschirm wechselte rasch das Bild und aus den Lautsprechern drang die Musik und ein Tanzlehrer erklärte beflissen das Schrittmuster für diesen Tanz. Mit Interesse folgte Isolde dem Lehrvideo und versuchte sich an die Musik zu erinnern. "Ja, so was in der Art, aber gibt es nicht etwas mit einer etwas ruhigeren Musik?" Trude rief den langsamen Walzer auf. Isolde hob die Hände und blickte Trude entsetzt an. "Ist das nicht so ein Hochzeitswalzer? Nein, da weigere ich mich. Schließlich bin ich ja kein Zombie oder wie hieß das früher noch." Gelassen suchte sie die Tänze - aus der Welt des Südens aus: Also Rumba, Cha-Cha-Cha, Salsa, Tango und Jive. Aber auch diese Tänze sagten Isolde nicht zu. "Ich glaube Trude, ich sollte Dir ein Geständnis ablegen. Ich hasse diese merkwürdigen Verrenkungen zu unmelodischen und lärmigen Klängen. Und! Ich kann mich keinem Mann unterordnen, wen die einen - in die eine oder andere Richtung dirigieren wollen. Und das einen die Männer dabei auch noch betatschen, das ist ja richtig unangenehm. Ja, früher, als ich noch jung war, da war das was anderes, aber jetzt. Nee, lass mal sein. Zufälligerweise weiß ich jedoch, dass Du auch in diesem Bereich nicht unbegabt bist. Wie sähe es also aus, wenn Du morgen zu diesem ordinären Ball gehst?"
Trude glaubte sich verhört zu haben. "Ich bin keine Diplomatin, aber ich kann noch ein wenig Tanzen, wie sagtest Du doch soeben. Ich kann noch so merkwürdige Verrenkungen im Zusammenspiel mit einem Mann zu grässlicher Musik machen. Also, wie soll dieser fiese Mummenschanz funktionieren?" Isolde glitten Zentnerlasten von der Schulter. "Ja, meine liebe Trude, du vertrittst mich halt. Erzähl den Leuten, ich hätte einen Unfall gehabt, als ich einen Elch in der Tundra retten musste. Oder, noch besser, erzähle den Leuten, dass ich gerade im Krankenhaus bei der Pflege von diesen Corona Patienten unabkömmlich sei." Isolde klimperte nun mit ihren Augen. "Bitte, verstehe doch, dass ich so elegant Walzer tanze wie ein schwangeres Nilpferd auf Glatteis." Trude nutze die Chance, die sich ihr gerade bot, ohne die Gedankensperre zu vernachlässigen, damit Isolde ihre finsteren Gedanken nicht auffangen konnte. "Und, was habe ich davon, mich von fremden Kerlen betatschen zu lassen?" Isolde merkte sofort, dass genau das ihr schwacher Punkt in dem Plan war.
Andächtig, wie eine kalbende Kuh stierte sie Trude an. "Ja, ich dachte mir, ich ernenne dich zu meiner Stellvertreterin und helfe Dir bei den Prüfungen und dann helfe ich Dir bei der Examensarbeit. Zudem erhältst Du ein wunderschönes Ballkleid von mir, den Schmuck und nach den Prüfungen zwei Wochen Urlaub, an einem beliebigen Ort auf diesem Planeten. Ich hoffe, das reicht?" Trude nickte verständnisvoll. "Ja, aber das Kleid suche ich mir selbst aus, denn wenn Du mit einem Kleid ankommst, dann sehe ich vermutlich eher wie eine geschredderte Mumie aus, der ein paar Lichter im Kronleuchter fehlen." Nur widerwillig stimmte Isolde zu. "Aber, in diesem Fall musst Du schon Ballkönigen werden und ich kümmere mich nur um Deine Vorbereitung auf diesen Musikthing mit fremdländischen Besuchern und Besäufnis. Passe aber auf Dich auf Kindchen, denn nicht alle Männer sind auch Herren."
Die Blicke von Trude wurden eiskalt. "Wenn ich Deiner Meinung nach, gegen Walküren kämpfen darf, dann bist Du nicht so besorgt um mich, oder wenn ich mit Obsidianklingen in der Nacht verstümmelt werde. Aber, wenn da so ein paar Kerle rumlaufen, dann soll ich offenbar alles vergessen haben, was mich die Kampfkunst lehrte. Verzeih, aber ich kann mich sicherlich ohne Probleme gegen alle lüsternen Idioten dieser Welt wehren, zumal ich ja schon ein wenig Magie gelernt habe. Und noch eine Kleinigkeit - meine liebe Freundin. Wann reisen wir nach Paris oder Düsseldorf? Immerhin brauche ich ein passables Ballkleid um nicht nur Walzer tanzen zu können, dazu gehören auch nette Schuhe, eine Maniküre und ein Friseurbesuch. Schließlich will ich nicht als Vogelscheuche einen Walzer oder Tango tanzen wollen. Verstehst Du, wer als Dame erscheinen soll, muss auch tatsächlich glänzen können. Das ist mit so einem einfachen Stofffummel nicht hinzubekommen."