Zwei Dinge vorweg:
1. Dieses Kapitel enthält mitunter Beschreibungen von Gewalt. Solltest du von diesen Themen persönlich betroffen sein oder durch diese getriggert werden, ist dieses Kapitel vielleicht nichts für dich. Stelle alternativ sicher, dass du beim Lesen nicht allein bist oder anschließend mit jemanden über das Gelesene reden kannst.
2. Für alle, die gern in die Psyche des Killers eintauchen möchten ist hier der Link zu einem passenden Song ;) : https://www.youtube.com/watch?v=kPpWaOSkaUE
Ich bin in der Verwaltung tätig, wissen Sie. Am Trinity College. Im F.S.D. um genau zu sein. Das steht für Financial Services Division. Der Gebäudekomplex liegt etwas außerhalb des Campus und daher muss ich, um mich nach Feierabend mit meinen Kollegen und Freunden zu treffen, ein ganzes Stück laufen. So auch an diesem Freitagabend. Ich habe, wie immer um siebzehn Uhr, meinen Computer heruntergefahren. Und dann habe ich mich auf den Weg zum Campus gemacht.
Ich betrat ihn über das Regent House, auch das ist nichts Ungewöhnliches, wissen Sie. Ich bin ein Mann, der gern seinen Routinen folgt. Ich bin kein Fan von Überraschungen. Dort warteten bereits drei meiner Freunde auf mich. Sie sind Teil des Ensemble of the Trinity Public Theatre und hatten eine kurze Verschnaufpause, bevor ihre Abendvorstellung beginnen sollte. An der Berkley Library sammelten wir noch zwei weitere Freunde und drei neue Kollegen ein. Ms Six, Ms Clarck und Mr. Ripley sind Doktoranden aus England, Wales und Schottland. Jeweils von sehr renommierten Universitäten, die einen begehrten Promotionsplatz bei Prof. Dr. phil. Bracken O'Neal ergattert haben. Ja, ganz Recht, Dr. Finnigan, dem Theologen. Wir durchquerten den College Park, um abzukürzen, und verließen das Gelände etwa eine halbe Stunde nach meinem Aufbruch um halb sechs am Abend über das Moyne Institute und traten auf die Leinster Street South.
Die meisten von uns wollten den Tag im Pub ausklingen lassen, doch Ms Six fühlte sich nicht sonderlich wohl und beschloss, sich zurückzuziehen. Was auch kein Problem war, denn sie wohnte direkt hier am Collegeausgang. Die Glückliche, wie ich dachte. Alle verabschiedeten sich und einer meiner Kumpel witzelte noch: "Dann bis morgen um Six, Penny Six, aus der Sixth Leinster Street South."
Ich bekam einen Anruf von meiner Verlobten und wurde aufgehalten. In der Zwischenzeit gingen meine Freunde weiter, Ms Six verschwand in der Gasse ... Was? Ja, ja sicher, Dr. Finnigan. Ja, bedienen Sie sich gern an dem Wasser aus der Trinkflasche, um Ihre Tabletten hinunterzuspülen, ich habe noch nichts davon getrunken.
Wo war ich? Ach ja, also: Ich legte auf und wollte schon hinter den anderen her laufen, als ich ein ersticktes Wimmern und Aufschreien aus der Gasse vernahm. Ich eilte hinein und blieb überrascht und zunächst völlig verwirrt stehen. Ms Six lag am Boden, ihre Gestalt war gekrümmt. Sie presste sich die Hände auf ihr Gesicht und Blut rann durch ihre zarten Finger. Auch aus einer Wunde irgendwo an ihrem Bauch quoll das dunkle Rot dickflüssig und stetig hervor. Langsam und pulsierend, wie im Rhythmus ihres Herzschlages. Über ihr stand ein großer, in einen dunkeln Mantel und dunkle Jeans gekleideter schwerer Mann. Es war grausam, Dr. Finnigan. Todesmutig stürzte ich auf diesen Kerl zu, doch er muss mich bemerkt haben. Er wirbelte zu mir herum. In der Hand hielt er ein gigantisches Messer, es blitzte bedrohlich. Zumindest kam es mir so vor. Fest schlug er mir mit dem Griff gegen das Nasenbein, das es knirschte. Mein Kopf flog nach hinten. Dann krachte seine Handkante gegen meinen Kehlkopf, mir blieb die Luft weg, ich sank zu Boden.
Ich war vollkommen benommen, rang nach Atem. Ich konnte nichts tun, verstehen Sie? Nichts! Verschwommen, ich sah nur noch verschwommen. Der Kerl, ich sah keine Gesichtszüge, zu dunkel war es in der Gasse, zu trüb mein Blick, beugte sich über Ms. Six. Sie schien noch am Leben zu sein. Denn sie machte noch immer diese grauenerregenden kläglichen Geräusche. Er zwang sie, sich auf den Bauch zu drehen und riss ihre Kleider brutal auseinander. Nahm das Messer zu Hilfe, wenn es nicht anders ging. Als er begann, etwas in ihren Rücken zu ritzen und sie gurgelnd versuchte zu schreien, packte er mit einer Faust eine Handvoll ihrer blonden, schmutzigen Strähnen und donnerte ihren Schädel auf den Asphalt. Einmal, zweimal, dreimal ... Bis es hässlich knackte. Dann lag Ms. Six still.
Doch er ließ nicht von ihr ab, oh nein, Dr. Finnigan, er hatte erst angefangen. Er beendete seine komische Ritzerei an ihrem Rücken und holte etwas aus einem ... ja, was? Aktenkoffer, schätze ich. Er legte eine kleine Messingschale neben ihren Kopf und goss etwas aus einer Thermoskanne hinein, es dampfte. Er verstreute etwas um ihr Haupt und dann verbrannt er Zweige, Salbei oder so. Ich kenne mich da nicht aus. Er ließ die Asche auf ihren Körper rieseln, verrieb sie in ihren Wunden. Aber - mein Gott - dann - er machte sich an Ms. Six zu schaffen - Sie verstehen? Welcher kranke Bastard tut so etwas? Immer wieder stieß er vor und zurück. Dabei wanderte seine andere Hand in seine Jeans. Er schrie Ms Six an: "Scheiße, Schlampe! Ich habe alles getan und trotzdem machst du mich an! Du elendiges Geschöpf der Hölle! Du Sukkubus!"
Ich kann nur hoffen, Sir, dass Ms Six zu dieser Zeit bereits nicht mehr am Leben gewesen ist. Zumindest war dies der Moment, in dem ich mich aufrappeln konnte. Ich stolperte in Richtung des Mannes, ich weiß nicht wieso. Eigentlich wollte ich nur noch weg. Feige, ich weiß. Ich kam bei ihm an und dachte, er würde mich nun auch töten. Er tat es nicht, natürlich nicht, ich sitze ja nun hier vor Ihnen. Er stand auf und packte mich bei den Schultern, noch immer konnte ich keine Einzelheiten von ihm erkennen, er hielt sein Gesicht von mir abgewandt. Doch er kam nahe an mich heran, umarmte mich, zog mich an sich. Murmelt mir ins Ohr.
"Ich habe es für uns getan. ich schütze uns vor diesen Geschöpfen."
Dann schubste er mich beiseite und ich fiel neben Ms Six' Leiche in ihr Blut, das sich in einer immer größer werdenden Lache um ihren Körper ausbreitete. Wie erstarrt blieb ich dort sitzen und sah zu, wie der Mann mit seinem Koffer flüchtete. Ein irres Lachen stieg in meiner Kehle empor. Dies lockte wohl Schaulustige vor die Türe. So fanden mich die Polizisten und nun sitze ich hier und unterhalte mich mit Ihnen, Dr. Finnigan.