CN: Trauma, Häusliche Gewalt, Mord (erwähnt), Manipulation (erwähnt), Drogenkonsum (erwähnt)
Der schwarze Kaffee lief in einem kräftigen Schwung in die aus dem Gemeinschaftsschrank gemopste Tasse.
'Keine Ahnung! Das war die andere Schicht'
Bei diesem dummen Spruch auf dem Keramik musste Cian fast grinsen. Der Tag neigte sich dem Abend zu, so wie seine Kräfte langsam aber stetig erschöpft waren. Nachdem er und sein Team die roten Fäden zwischen den Ursprungsmitgliedern der 'Rituals', wie sie diese komischen Käuze für sich genannt hatten, zusammen geführt hatten, war eine zehnminütige Pause angesetzt worden, um jedem und jeder eine Chance zu geben, sich zu sammeln. Selbstredend, war dies lediglich ein Vorwand gewesen, den der Kriminalpsychologe geschaffen hatte, um Fab zu unterstützen, denn der Nerd hatte mit Fortschreiten der Analysen zusehends nervöser und angespannter auf ihn gewirkt.
"Klar", murrte Cian vor sich hin, nahm einen Schluck und verzog schockiert den Mund, als das grauenvoll schlechte Gesöff seine Geschmacksknospen quälte, "der Kurze weiß, was ihm gleich blüht."
"Selbstgespräche sind der erste Schritt zum Wahnsinn, Dr. Finnigan", neckte ihn eine freche Frauenstimme von der Seite, schlanke und manikürte Finger griffen nach einer Tasse, nahmen ihm die Kaffeekanne aus der Hand und schenkten sich ebenfalls ein. Ein Schuss Mandelmilch, ein Päckchen Zucker. Nun grinste Cian wirklich in sein Heißgetränk.
"Sortiert aber die Gedanken, Ms Williams", konterte er, sich zu Eddy herumdrehend, "und angeblich haben wir Psychologen doch eh alle einen Hackenschuss."
Darauf zuckte die Doktorandin nur mit schelmisch funkelnden Augen die Schultern, erntete dafür allerdings einen Klapps auf ihren Hintern. Quietschend eilte sie zurück in den Besprechungsraum, der Kriminalpsychologe folgte gemäßigt.
Wieder blieb er vorn stehen, sodass er sein am runden Tisch sitzendes Team überblicken konnte, nahm hier speziell seinen Analysten ins Visier, der schmal und bleich auf seinem Stuhl hockte und an die Wand gegenüber starrte.
"Gut", begann Cian die neue Runde einläutend, "wir sind bei - hm - Ph - Ph - wir sind bei der Mordserie stehen geblieben, die 2015 wieder einsetzt."
"Ungewöhnlich lange, für eine Abstinenz", warf Susana in den Raum und Cian nickte.
"Stimmt. Allerdings habe ich mich bei einem Bekannten informiert."
Kurz hielt der Kriminalpsychologe inne, musterte die Anwesenden bedeutungsschwer, da ihnen bewusst werden sollte, wie wichtig das Folgende sein würde.
"Inoffiziell, denn genau genommen, dürfte ich diese Informationen nicht haben. Jamie hat für mich bei einem Kumpel im St. Vincent's Memorial nachgefragt und herausfinden können, dass O'Neal seit 1991 bei ihnen in Behandlung ist. Aufgrund eines künstlichen Hüftgelenks und eines Kompartmentsyndroms, ausgelöst durch eine Tibiakopffraktur, die er sich Ende der 80er in Frankreich bei einem Autounfall zugezogen haben soll."
Ein Raunen ging durch sein Team, denn es wurde nur zu offensichtlich, wie das Bild, das sich vor der Pause abzuzeichnen begonnen hatte, mehr und mehr Struktur annahm.
"Dann gehen wir davon aus", spann Mary-Ann den Faden weiter, "dass O'Neal - der ja als Einziger von den Rituals noch übrig ist - schlicht nicht in der Lage gewesen ist, die gemeinsame 'Mission' fortzusetzen."
Die Ärztin malte an dieser Stelle Gänsefüßchen in die Luft, um die Botschaft klar zu formulieren. Der Kriminalpsychologe nickte, schaute zu den anderen, um sich rückzuversichern, doch alle schienen mit dieser Überlegung konform zu gehen.
"Nur", schaltete sich Eddy überlegend ein, "warum hat er sich dann plötzlich doch wieder daran gemacht, zu morden? Und vor allem, wie?"
"Durch einen Algorithmus", kam es leise durch Fab, der sofort die Aufmerksamkeit aller auf sich zog.
Zwar meinte Cian, zu wissen, worauf der Analyst hinaus wollte, doch er schwieg sich aus, ließ seinem Freund den Vortritt.
"O'Neal war nach seinem Unfall auch nach langer Rehabilitationsphase nicht mehr in der Lage, selbst die groben Aufgaben zu übernehmen", erklärte Fab monoton und weiter auf die schnöde weiße Wand blickend, "das wird schon deutlich, wenn man bedenkt, dass er ja angeblich noch einen Stock benutzt, richtig?"
Einige Herzschläge lang blieb es still, bis Cian als erster schaltete. Fab wartete auf eine Bestätigung, hatte er den Professor bisher ja selbst nicht kennenlernen dürfen.
"Stimmt. Die Gehbehinderung ist offensichtlich", gab er dem Analysten, was dieser verlangte.
"Was also tun, wenn das Drängen einen antreibt und innerlich auffrisst? Man aber eigenhändig nichts unternehmen kann?"
"Sich jemanden suchen, der das für einen übernimmt", beantwortete Eddy die Fragen den Analysten, der zustimmend nickte.
Cian ließ das Analysieren und Herumdenken weiterlaufen, beobachtete dabei jedoch streng Fabs Reaktionen, sein Verhalten und seine Miene. Eigentlich hatte genau das nicht passieren sollen, der junge Mann nicht mehr so tief in die Materie einsteigen dürfen. Was geplant gewesen war, war, ihn einen groben Abriss seines Erlebten zum besten geben zu lassen, um ihn dann mit Aktenablagen und Berichten in ein Einzelbüro zu setzen.
"Aber du willst die die Zügel nicht aus der Hand geben", glitt Fab nun vollends in ihr übliches Spiel und Cian seufzte ergeben.
Als Eddy unsicher etwas erwidern wollte, schüttelte der Kriminalpsychologe unmerklich den Kopf, zuckte mit dem Kinn und brachte Laudrey so dazu, sich zu erheben. Langsam ließ Cian sich Fab gegenüber auf den Stuhl gleiten.
"Nein", sagte Cian mit ruhiger Stimme, "denn ich war schon immer pedantisch, habe es gehasst, wenn mir die Kontrolle entzogen wird. Also suche ich mir lenkbare Lakaien."
Ein Zittern erfasste Fabs Körper, setzte sich in ihm fest, Cian konnte es sehen.
"Du beschließt sie in den Menschen zu suchen, von denen du weißt, dass sie leicht manipuliert werden können. Sie sind ständig in deiner Nähe, können deinen Litaneien und Doktrinen nicht entkommen, die du ihnen einimpfst."
"Meinen Studenten", brummte Cian nachdrücklich und Fab nickte, rieb sich schauernd die Arme, "aber nicht jeder Student ist geeignet und nicht jeder gefällt mir. Wie entscheide ich also, wer für mich geeignet ist?"
"Indem du Stellen ausschreibst."
Der Analyst sagte diese vier Wörter mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass es an Gleichgültigkeit grenzte. Huschend wanderten Cians Augen zu seinen anderen Teammitgliedern, doch auch diese schienen perplex über die Einfachheit dieser Aussage.
"Natürlich", hauchte Cian, versucht, sich überwältigt über die eigene Dummheit vor die Stirn zu schlagen, "daran erkenne ich, wer bereits ähnliche Ansichten teilt. Ripley war schockiert über die Unterdrückung der Kelten und fasziniert von Heilrunen und Kräutern. Es dürfte ein Leichtes gewesen sein, ihm einzureden, dass er an einer großen Sache mitwirken kann und im Wohle der Menschheit handelt. Vor allem, wenn ..."
Verlegen biss sich Cian gerade noch rechtzeitig auf die Unterlippe. Betretenes Schweigen füllte den Raum aus, drückte sie alle nieder. Ruckartig wandte sich Fabs Kopf von der Wand dem Kriminalpsychologen zu, seine eisblauen Augen fixierten die seinen.
"Wenn es da jemanden gibt, der ihn für dich auf Kurs hält", beendete der Analyst den Satz, den Cian begonnen hatte.
Seine Stimme dabei so tonlos und abgebrüht, es zerriss Cian innerlich. Es wäre leichter für ihn gewesen, sein Freund hätte vor Schmerz geschrien, getobt und gewütet. Irgendwas, nur nicht diese Hülle, die dort saß.
"Mhm", brachte Cian nur über die Lippen, doch schien es Fab zu reichen, um in seinen Überlegungen fortzufahren.
"Ein dominanter Part, dem devoten entgegengesetzt. Andy ist jemand, dem du blind vertrauen kannst, er springt bei jedem deiner Anweisungen, doch darum geht es nicht. Er soll dir zwar gehorchen, doch hörig sein, soll er jemand anderem. Denn wenn du nicht mehr bist - und du machst dir nichts vor, du bist nicht unsterblich, aber dein Vermächtnis wird es sein - dann willst du verhindern, dass mit den Neuen dasselbe passiert, wie damals mit deinen Freunden. Du weißt von Andys speziellen Neigungen. Vielleicht heißt du sie nicht gut, vielleicht sind sie dir auch scheißegal. Aber du weißt sie einzusetzen. Also suchst du zwischen den Bewerbern jemanden, der so ist, wie du. Na ja, beinahe."
Cian schluckte, denn er wusste, nun wurde es ungemütlich.
"Ich suche mir einen älteren Mann heraus, denn diese sind in Persönlichkeit und Charakter meist schon weiter gefestigt. Aber dennoch zeigt seine Bewerbung, dass er noch so beeinflussbar für mich sein wird, um ihn nach meinem Willen zu formen. In seiner Vita kann ich schon erste Anzeichen erahnen und im Bewerbungsgespräch bestätigt sich mein Verdacht. Wir erkennen einander, wenn wir uns begegnen. Ich bringe ihn und Ripley zusammen. Da hat er schon den Auftrag, den jungen Mann gefügig zu machen. Die Mittel sind mir gleich, doch am Ende sollte Ripley aus freien Stücken bei allem 'Ja' und 'Amen' sagen."
Der Adamsapfel an Fabs Kehle hüpfte nervös, als dieser schwer schluckte, die Augen wanderten wieder zur Wand.
"Du hast ihn ausgesucht, weil er dir so ähnlich ist", flüsterte der Analyst heiser, "charmant und freundlich, mit gütigen Augen. Vordergründig scheint er ein Mann zu sein, den man gern zum Nachbarn hätte oder zum Freund. Doch hinter dieser Maske verbirgt sich Grausamkeit und Kalkül. So etwas wie Liebe oder Mitgefühl kennst du nicht, genauso wenig, wie er. Vielleicht ist es Andy zu Beginn schwergefallen, sich vollständig unterzuordnen. Dann gab es erst nur verbale Zurechtweisungen, hin und wieder wurde er so sehr auseinander genommen, dass von seinem Selbstwert nicht mehr viel übrig war."
"Quin war Doktorand bei O'Neal", schlussfolgerte Cian, schlüpfte dann aber wieder in seine Rolle, "somit habe ich zwei von dreien zusammen. Es scheint wichtig zu sein, dass sich immer drei Länder vereinen. Ripley stammt ursprünglich aus Schottland. Und Quin - er kommt aus Irland, oder? Denn Penny Six war Britin und Tannessa Clarck ist Waliserin."
Das Schulterzucken war nicht nur für Cian eine Qual, Eddy hatte sich zum Fenster gedreht, Mary-Ann suchte Halt bei Schwarz und auch der Priester schien einfach nur fassungslos.
"Doch wenn Ripley aufmüpfig wurde oder hat er die Dinge doch hinterfragt, dann gab es für ihn kein Halten mehr. Wie oft Andy wohl in den Vorlesungen war und kaum sitzen konnte?", fragte Fab laut und schien dabei beinahe versonnen vor sich hin zu stieren, ignorierte Cians vorher getätigte Aussagen, als habe er sie nicht wahrgenomen. Womöglich hatte er das auch gar nicht, "vielleicht war er an einigen Tagen gütig zu ihm, hat ihm alles leichter gemacht mit den Zauberpillen, die die Welt bedeuten. Wenigstens musste er dann den Tee nicht trinken, der ihm sicher üble Magenkrämpfe beschert hat."
"Was?", fuhr Cian dazwischen.
Sichtlich erschrocken fuhr Fab zusammen, seine Augen zuckten wild zum Kriminalpsychologen, der sich sofort mit erhobenen Händen zurücklehnte.
"Was hat dir Quin für Tee zu trinken gegeben?", wollte er dennoch nachdrücklich wissen.
"So ein Zeug, von dem er meinte, es wäre gut zum Detoxen, oder so", meinte Fab verschreckt, "aber alles, was der bewirkt hat, waren die übelsten Bauchschmerzen meines Lebens."
"Hat Quin den gemacht?", bohrte der Kriminalpsychologe weiter, bekam ein Kopfschütteln als Antwort.
"Nee, den hat immer Nessa vorbei gebracht. Ob sie den gemacht hat, weiß ich aber nicht."
Laut lachte Cian auf und schlug mit den Händen auf die Tischplatte. Nun vollends aus der Fassung, machte der Nerd sich klein, zog die Schultern hoch und den Kopf ein.
"Steht Nessa zufällig für Tanessa Clarck?", grinste Cian diabolisch.
"Sch-schon ... w-wieso? Die zwei sind halt K-kollegen. Quin meinte - also - d-dass sie sich von der Uni kennen würden."