CN: Alkohol, explizite Sprache, Prostitution (erwähnt)
Eine Sache vorweg:
Passender Weise gibt es zum Titel meines Kapitels einen Song von Mark Forster, der nicht nur ebenfalls genauso heißt, sondern thematisch wunderbar harmoniert. Lasst euch also gern auch musikalisch in die folgende Szene entführen: https://www.youtube.com/watch?v=5v6I8mDyA9w Viel Spaß ;)
Er quälte sich durch die Straßen Dublins und verfluchte die Massen an Touristen, die es in den Sommermonaten auf die grüne Insel verschlug. Merkte denn niemand, wie schlecht es ihm ging? Dass er einfach nur soweit wie möglich fort wollte? Sie sollten Platz machen, verflucht!
"Hauen Sie ab!", giftete er eine Kakishorts tragende Tante mit Baseballkappe an, die eifrig Fotos von ihrem bierbäuchigen Ehemann und den drei perfekten kleinen Kinderchen schoss. Wie ihn das ankotzte!
"Zur Seite! Können Sie nicht einfach mal Ihren Arsch weg bewegen!"
Das brachte ihm von der Reisegruppe, durch die er sich schob, empörte Rufe und ein ziemliches Gezeter ein. War ihm egal, denn noch einmal abbiegen und dann hatte er es geschafft.
Aufatmend schlug Fab die Tür des Ol' Days hinter sich zu. Der Analyst schleppte sich zu einem der Barhocker und ließ sich unelegant darauf fallen. Paddy, einer der Bartender, war sogleich zur Stelle und stellte ihm ein kühles Blondes vor die Nase. War ja lieb gemeint.
"Das reicht mir heute nicht, Darling", stöhnte Fab und deutete auf die Flaschen, die hinter der Theke ausgestellt waren. Mit gehobenen Brauen versorgte Paddy ihn mit einem Wodka auf Eis und griff nach dem Bierglas. Fabs Hand schoss vor und schloss sich um den kräftigen Unterarm des Iren.
"Na ah, Darling. Warum so geizig?"
"Es ist nicht einmal vier Uhr nachmittags", protestierte Paddy und erntete dafür einen eiskalten Blick.
"Wenn ich eine Predigt hören will, gehe ich zu meinem Priester. Dein Job ist es, dafür zu sorgen, dass ich heute nicht auf dem Trockenen sitze. Du solltest besser darauf achten, dass ich zufrieden bin, Paddy. Du bist doch auf gutes Trinkgeld angewiesen, oder?", schoss Fab eine gezielte Spitze gegen den Bartender, der daraufhin getroffen zusammenzuckte. Ja, es tat dem Analysten leid, soweit gegangen zu sein. Aber er konnte sich momentan nicht anders helfen. Er musste sich Cian aus dem Kopf schlagen und das konnte er nur, wenn er sich nahe an den Rand der Besinnungslosigkeit brachte.
"Schichtwechsel, Fab", knurrte es über ihm.
Fab leckte sich über die Lippen und blinzelte hinauf in Paddys Gesicht. Wieso hing er mit dem Oberkörper so verdreht über dem Tresen? Schielend versuchte er auszumachen, in welcher Position er sich hier gerade befand, gab aber auf, als der Raum begann, sich um ihn zu drehen. Gar nicht gut. Stöhnend ließ Fab seinen Kopf wieder in seine Armbeuge sinken. Paddy stieß ihn an.
"Hey, komm' schon. Ich habe dir deinen Suff ermöglicht, jetzt erfüll' wenigstens deinen Teil der Abmachung."
Ohne aufzusehen kramte Fab in seiner Hosentasche und zog ein loses Bündel Euroscheine hervor. Unkoordiniert ließ er es einfach auf den Tresen fallen.
"Kannsu behalt'n", lallte er desinteressiert.
Das war der Rest seines Monatsgehalts, sollte wenigstens einer seinen Spaß damit haben. Ihm wurde auf die Schulter geklopft und dann hatte er endlich wieder seine Ruhe. Obwohl die nicht unbedingt so super war, denn sobald er die Augen schloss, sah er Cians Gesicht vor sich. Seine schokoladenbraunen Augen und das spitzbübische Lächeln. Er konnte die starken Muskeln unter seinen Fingern spüren und wie dessen seidiges Haar durch sie hindurchglitt.
"Ach, Scheiße!"
"Ja, allerdings. Bist du Okay?"
Wieder entwich Fab ein Stöhnen. Mitch hatte ihm gerade noch gefehlt. Warum hatte denn ausgerechnet der heute die Spätschicht? Der Analyst streckte einfach den Daumen in die Höhe. Das weltweite Zeichen für 'tutti paletti'.
"Was ist denn nur los, Fab? So kenne ich dich gar nicht mehr. Gab's Stress auf der Arbeit oder Zoff mit C?", fragte Mitch behutsam nach.
Mit so verständnisvoller Stimme, dass es Fab die Tränen in die Augen trieb. Verfluchter Alkohol - der machte ihn immer so sentimental!
Was sollte er ausgerechnet dem besten Freund des Mannes erzählen, in den er sich verknallt hatte? Dass er sich völlig daneben benommen und alles kaputt gemacht hatte, weil er ein eifersüchtiger Idiot war? Dass er niemals bekam, was er wollte, weil er es immer und immer wieder versaute? Nein, das konnte er nicht bringen. Mitch stünde auf Cians Seite. Niemand stand je auf Fabs Seite.
"Hey", hakte Mitch ein weiteres Mal nach, "was ist nun: Bist du Okay?"
Fab zwang sich, seinen Oberkörper aufzurichten und den Rotschopf anzugrinsen. Schwankend saß er da und schluckte all seine Gefühle hinunter. Das konnte er doch eigentlich ganz gut, wenn nicht gerade seine gehässige Seite zum Vorschein trat.
"Mir geht's opti", versicherte Fab seinem Gegenüber, der ihn kritisch musterte und dann sein Smartphone ans Ohr hielt.
"Hey, Vigo. Könnte einer von euch Fab aus dem Pub abholen? "
Sein Mitbewohner hatte ihn in ihre Wohnung gebracht und dann dazu überredet, sich etwas hinzulegen. Fab aber war von einem Alptraum in den nächsten gedriftet, immer unterbrochen von merkwürdigen Sequenzen, in denen Cian ihm vorwarf, was für ein verlogenes Miststück er war und dass er niemals wieder etwas mit ihm zu tun haben wolle, Eddy hatte ihn ausgelacht und ihn mit einem Schminkspielgel verfolgt.
Verrückt.
Schweißgebadet war Fab irgendwann morgens aufgestanden, um Kaffee für die anderen zu kochen und sich eine Bloody Mary gegen den Kater zuzubereiten.
"Bist du Okay?", fragte Vigo ihn, als der Medizinstudent gähnend in die Küche trat und sein blasses Gesicht musterte. Fab zuckte die Schultern. Es war nicht das erste Mal, dass einer von ihnen im Pub versoffen war. Jedes WG-Mitglied hatte eine bewegte Vergangenheit und hatte den Platz von Sam zugewiesen bekommen, weil er oder sie keine andere Option gehabt hatte. Fab war nach dem Tod von Sams Ehemann bei ihr ausgezogen, um die finanzielle Situation für die Familie etwas zu entlasten und hier eingezogen, da er sich eine eigene Wohnung nicht leisten konnte. Außerdem passte er ganz gut zu den bunten Vögeln, wie er fand.
"Was macht ihr heute Abend?", wandte er sich an seinen Mitbewohner.
"Ich habe heute keine Schicht, wenn du das meinst", antwortete Vigo und stellte das Radio an. Die Musik plärrte verzerrt durch den Raum und eilig stellte der Student das Gedröhne leiser, als Fab das Gesicht schmerzhaft verzog. "Zora ist ja noch auf Jobsuche und gammelt vermutlich vor der Spielekonsole und Leigh keift bei irgendeiner Demo irgendwelche Gegenparteien an."
"Ah. Worum geht's diesmal?", wollte Fab mit einem Schmunzeln wissen.
"Die Abholzung des Regenwaldes. Letzten Samstag waren es die Bohrinseln und nächste Woche sind glaube ich die Frauenrechte mal wieder dran."
Na dann. Fab stürzte den Rest seines Drinks hinunter und schüttelte sich kurz. Dann zwinkerte er dem anderen verheißungsvoll zu.
"Sag den Ladys, sie sollen sich heute nichts vornehmen. Wir gehen zusammen aus. Ist viel zu lange her und mir steht der Sinn nach ein wenig Exzess."
Er war bereits fast aus der Tür verschwunden, als er Vigos besorgte Stimme noch einmal vernahm.
"Fab - du - du bist doch Okay, oder? Du wirkst irgendwie so -"
Aber der Analyst winkte nur ab und verschwand erst in seinem Zimmer und kurz darauf aus der Wohnung.
Er musste raus. Einfach laufen. Durch die Straßen, ohne Ziel, einfach weiter, um die Gedanken zum Schweigen zu bringen. Er ließ Heavy Metal durch die Kopfhörer in seine Ohren knallen, blendete die Welt um sich herum aus und ließ sich von den Stimmen der Shouter anschreien. Aber die Musik erreichte ihn nicht, wie es sonst der Fall war. Es brachte ihn nicht wieder auf den Teppich, entzerrte nicht den Knoten in seiner Brust, der sich immer enger zu ziehen schien.
Er hatte Bockmist gebaut, als er Eddys und Cians Beziehung verraten hatte. Eigentlich hatte er damit nur erreichen wollen, dass er gesehen wurde. Das Cian auch ihn sah! Aber stattdessen hatte er nur das Vertrauen verraten, das sein bester Freund in ihn gesetzt hatte. Er hatte ihre Abmachung gebrochen. Cian und Fab waren sich einig gewesen: Freundschaft mit gewissen Vorzügen. Das war's. Aber nein, er hatte sich ja in den Kriminalpsychologen verknallen müssen. Mal wieder hatte Fab es versaut. Wie immer.
Er musste ihn aus seinem System spülen. Schnell, bevor er sich noch mehr in etwas verrannte, das keine Zukunft haben konnte.
Erst am Abend kehrte Fab in die WG zurück. Die anderen waren bereits dabei, sich fürs Clubbing ausgehbereit zu machen. Schnell hüpfte er unter die Dusche und schlüpfte dann in ein enges schwarzes Hemd und unverschämt heiße Jeans in derselben Farbe. Die Haare gestylt, die Augen bloß nicht durch seine nerdige Brille verborgen, war er bereit. Zora auch, wie er erfreut feststellt. Dass sie als ehemalige Sexworkerin wusste, was Mann gefiel, war nicht zu bestreiten. Leigh stand der Achtzehnjährigen in ihrem knappen Minikleid in nichts nach, als sie mit kühlem Blick aus ihrem Zimmer auftauchte.
"Ich hoffe, dass sich das lohnt. Schließlich lasse ich dafür die Demo sausen", moserte die ewige Pessimistin ihrer Truppe, während sie ihre Extensions zu einem hohen Pferdeschwanz band. Violetta kam zuletzt aus ihrem Zimmer und richtete ihre lilafarbene Perücke, bevor sie auf Stilettos eine Drehung vollführte, die jeden vor Neid erblassen ließ.
"So, Kinder. Wohin geht es denn?", wollte sie mit dunkler Stimme wissen, als sie auf der Straße standen und Fab grinste teuflisch.
"Wir fangen im Red Edge an und enden dort, wo die Vibes uns hinführen", lockte er und bot seine Arme an. Violetta und Leigh hakten sich augenblicklich ein, Zora ergriff Violettas dargebotene Hand.
"Ihr müsst mir übrigens Geld leihen, ich bin pleite", erwähnte Fab beiläufig und erntete ein kollektives Aufstöhnen.
Die Beats jagten durch seinen Körper. Der Bass gab ihm den Rhythmus vor und zumindest für einige Augenblicke konnte Fab vergessen, wie beschissen sein Leben im Moment aussah. Zora und Leigh pressten sich an ihn und gemeinsam wiegten sie sich zur Musik. Violetta hatte sich vor kurzem mit einem heißen Typen Richtung Toiletten verzogen. Aber mit Sicherheit tauchte sie demnächst wieder auf. Glückskind! Fab hätte auch nichts dagegen, wenn man ihn so richtig schön verwöhnen würde. Am liebsten große, starke Hände, die seinen Körper erkundeten und weiche Lippen, die ihm schmutzige Worte ins Ohr raunten und ihn 'Kurzer' und 'Süßer' nannten -
"Oh, komm' schon!", schrie Fab seine Frustration heraus.
Er löste sich von den verdutzten Mädels und wankte mit einer erklärenden Geste hinüber zur Bar. Oh ja, er hatte schon ordentlich einen über den Durst getrunken. Er gab dem Bartender ein Zeichen und hielt kurz darauf ein volles Glas in der Hand. Schniefend wischte er sich über die Augen und verfluchte seine betrunkene Sentimentalität.
"Bist du Okay?"
War dieser Satz der Soundtrack seines Lebens geworden?! Ständig meinte jeder, ihm diese Frage stellen zu müssen. Fab drehte sich halb herum und funkelte den Fremden an, der ihn so dämlich angequatscht hatte.
"Was geht's dich was an?", spie er ihm entgegen.
"Sorry. Du wirktest nur gerade irgendwie so traurig", erklärte dieser und hob entschuldigend die Hände. Das Gesagte ließ den Analysten innehalten.
"Es is' nix", wiegelte er dennoch ab.
"Aha. Du scheinst nur ziemlich zu leiden - ich meine - es ist so offensichtlich, dass dich etwas quält und -"
Der Typ stockte und lachte verlegen. Der Analyst ließ den Blick kurz über die füllige Gestalt des doch deutlich Älteren schweifen.
"Tut mir leid", fuhr der Fremde dann fort, "du erinnerst mich einfach an jemanden, der mir sehr viel bedeutet."
Das war ja eigentlich ganz niedlich, dass der sich nur wegen einer Ähnlichkeit um ihn sorgte, oder? Fab setzte sich neben den Fremden.
"Bist du denn Okay?"
Fab biss sich auf die Unterlippe und schluckte, als seine Augenwinkel zu brennen begannen. Eilig wandte er den Blick ab, doch da berührten sanfte Finger sein Kinn und hoben seinen Kopf wieder an.
"Muss dir nicht peinlich sein. Erzähl es mir, wenn du magst. Ich bin ein guter Zuhörer."
Und bei Fab brachen alle Dämme.