Die Sonnenbrille wanderte ins kastanienbraune Haar, die Augenbrauen wurden skeptisch zusammengezogen und die Stimmbänder kurz freigehustet. Noch einmal räkelte sich Cian auf seinem Stuhl, bevor er seinem Gegenüber einen scheinbar freundlichen Blick schenkte. Ripley erwiderte die Geste sichtlich nervös, doch offensichtlich angetan von der Zugeneigtheit des Kriminalpsychologen. Gut so, wie Cian fand. Sollte der andere Mann sich ruhig sicher fühlen. Das war für die kommende Befragung zunächst nur zuträglich.
Eddy war im Beobachtungsraum geblieben. Auf seine Bitte hin, denn begeistert war sie nicht gewesen. Verständlich. Als er noch so jung gewesen war, wollte er auch stets an vorderster Front mitmischen. Aber in diesem Falle wäre es unklug, gemeinsam das Verhör vorzunehmen. Schon gar nicht, wenn man bedachte, dass Eddy dem Opferprofil entsprach. Nein! Cian verfolgte einen Plan. Und er wollte diesen nicht gefährden, indem er sich von seinen Gefühlen gegenüber der blonden Doktorandin aus dem Konzept bringen ließe und ein Durcheinander in seinem Bestreben riskierte. Nicht jetzt, wenn er kurz vor einem Durchbruch zu stehen schien.
Cian sah auf und in die Augen von Anderson Ripley. Dessen blauen Augen. Lächelte freundlich, beugte sich vor und dem jungen Mann etwas entgegen.
"Danke, dass du noch einmal zu einem weiteren Termin bereit warst, Andy."
Ripley wurde rot und nickte, schlug die Augen nieder. Blinzelte dann scheu auf.
"Sicher, ich helfe doch immer gern", biederte er sich dann an.
Cian musste sich zurückhalten, um sich nichts anmerken zu lassen. Dennoch gab er seinem Drängen auf Abstand nach und lehnte sich gespielt lässig in seinem Stuhl zurück, widerstand jedoch dem Impuls, seine Arme abwehrend zu verschränken und ließ seine Haltung weiterhin einladend und offen Ripley gegenüber wirken.
"Ich habe dich noch einmal herkommen lassen, weil uns während unserer Ermittlungen einige Ungereimtheiten in den Zeugenaussagen aufgefallen sind. Ich hoffe darauf, dass du einiges an dem Durcheinander auflösen kannst", appellierte Cian mit hoffnungsvoller Stimme an den Doktoranden.
"Oh", kam es erstaunt als Antwort mit einem eifrigen Nicken, "klar, ich tue doch alles, um zu helfen. Helfen, helfen! Was möchtest du denn wissen?"
"Zunächst nur einige Sachen zu deiner Person. Nichts Großartiges. Du stammst nicht von hier, richtig?"
"Ähm, nein?"
"Ist das eine Frage oder die Antwort?"
Ripley lachte verlegen und kratzte sich am Handgelenk, dann am Kopf und wieder am Handgelenk. Cian registrierte den Tick und beobachtete seinen Verdächtigen weiterhin aufmerksam.
"Die Antwort", meinte Ripley zögernd.
"Schottland?"
"Mhm."
"Könntest du es für das Protokoll deutlich bestätigen, bitte?"
"Ja, ich komme aus Schottland. Genau genommen aus St. Andrews."
Cian schluckte. Mit dieser zusätzlichen Information hatte er nicht gerechnet, aber sie kam ihm unerwartet gelegen.
"Du hast dort studiert?"
"Schon."
"Wann genau?"
"Vor einigen Jahren."
"Kannst du es präzisieren, bitte?"
"W-warum?"
Cian beugte sich nun wieder vor und blickte Ripley fest in die blauen Augen. Diese Augen, von denen er überzeugt war, dass es die waren, die sich Becky ins Gedächtnis gebrannt hatten. Noch immer erhielt er seine freundliche Maske aufrecht, spielte den gutmütigen Psycho-Onkel, der lediglich versuchte, das Durcheinander aus Irrungen und Wirrungen in den Aussagen der Zeugen auseinander zu zerren.
"Es würde mir wirklich weiterhelfen, Andy. Bitte."
Ripley schnaufte und wischte sich die Hände mit einem seiner antiseptischen Tücher ab. Leckte sich über die Lippen und ließ seinen Blick hektisch durch den Raum wandern, als ahne er, dass er sich mit jeder Antwort weiter ins Schlamassel ritt.
"I-ich war d-dort von 2013 bis 2017 in der Fakultät für Geisteswissenschaften eingeschrieben. Ich habe Theologie und Geschichte studiert."
"Warum macht dich diese Frage so nervös?"
"Was?"
"Meine Frage nach deinem Studium. Warum macht sie dich so nervös?"
"Tut s-sie doch gar nicht - nicht, nicht!", versicherte Ripley eilig und wedelte verneinend mit den Händen.
Cian legte leise lächelnd den Kopf schräg und blieb stumm. Ripley schien mit jeder verstreichenden Minute mehr auf seinem Stuhl zu schrumpfen. Machte sich immer kleiner und kleiner. Seine Augen zuckten unstet zwischen seiner Armbanduhr und Cian hin und her, als hoffe er darauf, dass der Kriminalpsychologe ihn von seinem Leid erlöse und endlich wieder zu reden begänne. Doch den Gefallen tat Cian ihm nicht.
Schließlich krallten sich Ripleys Finger in sein ordentlich gebügeltes Hemd und zerknitterten den vorab faltenfreien Stoff.
"Weil - weil - weil ich - und er hat doch zu der Zeit dort - und dann hättest du gewusst -"
Ripley kam ins Stocken, als ein Schluchzen seine Kehle empor stieg und Cian nickte verstehend.
"Wer war zu der Zeit ebenfalls am St. Andrews, Andy?"
"Na, O'Neal."
"Dein Doktorvater."
Eine Feststellung, keine Frage. Warum auch? Cian war der Name des berühmten Professors durchaus ein Begriff, er war in ganz Europa bekannt. Ripley sah verzweifelt zu ihm auf.
"Bitte, C - er hat Nessa und mir verboten, ihn während der Ermittlungen zu erwähnen! Ich verliere meinen Patz in seinem Programm, wenn er davon erfährt!"
"Warum?"
"Weil, weil, weil, er nicht will, dass er mit den Morden in Verbindung gebracht wird. Das wäre schlecht für seinen Ruf - Ruf, Ruf. Bitte ... du darfst ihn da nicht zu befragen. Er hat damit nichts zu tun. Ehrlich nicht!"
Ripleys Stimme war bei seinen Beteuerungen immer schriller geworden, sein Gesicht hatte eine immer dunklere Rotfärbung angenommen, Schweiß glänzte auf Stirn und Oberlippe. Cian musterte sein Gegenüber abschätzig. Die Verzweiflung drang dem Verdächtigen aus jeder Pore.
"Wenn O'Neal so ehrlich nichts mit den Morden zu tun hat, wer denn dann?", fragte Cian ganz ruhig und berechnend.
Ripley stutzte, als ihm offenbar bewusst wurde, dass er sich in seiner Angst glatt verplappert hatte. Mit schreckgeweiteten Augen sah er Cian an und all seine Spannung entwich aus seinem Körper.
"Ich - ich weiß es nicht", kam der klägliche, leise geflüsterte Versuch der Verleumdung.
"Und wenn ich dir sagen würde, dass es eine Zeugin gibt, die dich eindeutig identifizieren kann?"
"Nein ..."
"Weil du sie hast beschützen wollen."
"I-ich habe nichts - ich wollte doch nur ..."
"Weil jemand anderes ihr wehtun wollte. Aber das wäre nicht richtig gewesen, nicht wahr?"
"Das Mädchen", murmelte Ripley der Tischplatte entgegen.
Da war sie: Die Bestätigung, die Cian zuletzt gebraucht hatte. Das Geständnis, dass Anderson Ripley mit Becky in Verbindung stand und die vorherigen Ausführungen nicht abstritt.
"Wieso hast du sie verschont, Andy?", wagte sich Cian vor.
Ripley wrang seine Hände und zuckte die herabhängenden Schultern.
"Sie entsprach nicht dem, was w - ich suche. Sie ist doch nur ein unschuldiges Kind gewesen."
"Was wir suchen?", nagelte der Kriminalpsychologe den jungen Mann auf seinen Beinaheversprecher fest.
"N-nein, nein, nein! I-ich ganz allein! Ich bin der R-ritualmörder- Mörder, Mörder!"
"Oh, Andy", mahnte Cian sanft und schüttelte den Kopf, "Wir wissen doch schon, dass es zwei von euch gibt. Du musst mir nur noch sagen, wer dein Freund ist, der die Drecksarbeit macht. Die wirklich schlimmen Dinge verzapft."
Wild schüttelte Ripley den Kopf und kniff die Lippen fest aufeinander. So fest, dass das Blut aus ihnen wich und sie weiß hervortraten. Cian seufzte frustriert.
"Komm schon. Hast du Angst vor ihm? Weil er größer und kräftiger ist? Wir können dich vor ihm beschützen", versuchte er den Mörder zu locken.
Doch vergebens. Anderson Ripley blieb stumm.