CN: Mord (erwähnt), Trauma (erwähnt), Körperliche Misshandlung (impliziert)
Absurd. Es war vollkommen und unwiderruflich eine saudumme Idee und er wusste nicht, was ihn da geritten hatte, diesen Vorschlag zu unterbreiten. Viel schlimmer noch, er hatte die Idee nicht nur initiiert, sondern zu allem Überfluss mit einer Vehemenz verteidigt, man hätte meinen können, er gierte nach der Umsetzung, um sich in der Brillanz seiner einzigartigen Dummheit zu sonnen.
"Toll gemacht", schalt er sich selbst und fuhr sich unsicher mit den Händen übers Gesicht, stockte nur, um an seinem Nasenrücken innezuhalten, als ihn die Erinnerungen an jenen Tag durchzuckten. Keine Brille. Auch heute nicht.
Doch anders, als an diesem alles verändernden Tag, sah er glasklar, trug er ja Kontaktlinsen, wie er es gewohnt war, war er rasiert, seine Haare gestylt und seine Kleidung so penibel hergerichtet, wie er es liebte. Vordergründig war er wieder zu dem Mann geworden, den sie alle kannten, den er sich sechs Jahre lang hart antrainiert hatte.
Lässig lehnte sich Fab an die Außenmauer des Backsteingebäudes, verschränkte die Arme vor seiner schmalen Brust, um dort in Habachtstellung auf seine Verabredung zu warten. Die Sonne versank langsam hinter den Häuserschluchten Dublins, als eine imposante Gestalt aus einer der Gassen trat und sich ihm gemäßigt näherte.
"Ich wusste, du würdest zur Vernunft kommen, Liebling", säuselte Quin, sobald er dicht vor Fab zum Stehen kam.
Es kostete den jungen Mann all seine Beherrschung, damit er unter der Umarmung der Gefahr auf zwei Beinen nicht zusammenzuckte. Doch es gelang ihm, sich an den beleibten Körper zu schmiegen. Der Duft von Quins Aftershave stieg ihm in die Nase, umwirbelte seinen Geist, ließ ihn für einen Moment abdriften an einen dunklen Ort. Mühsam raufte der Analyst sich zusammen, löste sich von Quin, um sich dann mit nur leicht zitternden Händen eine Zigarette anzustecken. Wenn das hier überstanden war, dann würde er sich das Rauchen wieder abgewöhnen. Cian zuliebe.
"Warum wolltest du mich ausgerechnet hier treffen?", wollte Quin von ihm wissen.
Stumm zuckte Fab mit dem Kinn hinüber zur anderen Straßenseite, darauf bedacht, sich in der Nähe seines Expartners zu halten, dabei aber unauffällig außerhalb dessen Reichweite. Der andere Mann drehte sich herum, den Kopf leicht geneigt, wie ein Raubtier, welches seine Beute fixierte. Beobachtete mit dem Analysten gemeinsam, wie eine schlanke junge Frau mit zwei Polizeibeamten aus dem gegenüberliegenden Gebäude trat. Der im schwindenden Tageslicht schimmernde blonde Pferdeschwanz schwang aufgeregt hin und her, als die Frau etwas zu einem der Männer sagte und dabei angeregt in die Richtung einer im ersten Stock des Wohnkomplexes gelegenen Wohnung gestikulierte.
"Sie durchsuchen sie", erklärte Fab dumpf, zog anschließend nur an seiner Zigarette.
"Wen?"
"Du weißt, wen."
Quin sah ihn an und zum ersten Mal in ihrer Beziehung, meinte Fab einen Hauch Unsicherheit in dessen Gesicht lesen zu können. Aber so schnell sie gekommen war, so schnell war sie fort, wich einem dunkleren Gefühl. Zorn begann sich in den Augen des Doktoranden zu spiegeln, eine seiner großen Hände legte sich schraubstockartig um den Oberarm des Analysten. Leise wimmernd zog Fab den Kopf zwischen die Schultern, ließ es jedoch geschehen.
"Du hast geplaudert", sagte Quin gefährlich leise, "du ungezogener, dummer Junge."
Wild schüttelte der kleine Nerd mit seinem Kopf, hielt den Blick dabei gesenkt, um überflüssige Provokationen zu vermeiden. Nicht er war es, auf dem der Fokus liegen sollte.
"Nein, Darling", hauchte er ergeben, "also, doch, ein bisschen. Aber doch nur, weil ich dachte, Cian wäre dann stolz auf mich. Weil ich rausgefunden habe, dass Nessa uns vergiftet hat. Sie tut uns was in den Tee, den sie uns bringt, Darling! Sie ist eine von ihnen ... den Ritualmördern. Ich dachte, wenn ich Cian das sage, dann -"
"Hat er dich wieder lieb?", unterbrach Quin ihn spöttelnd.
Mit festem Griff wurde Fabs Kinn umfasst und empor gedrückt. Im Klammergriff des anderen war er gezwungen, Quin in die Augen zu schauen, die Verachtung darin zu lesen.
"Er wird dich nie verstehen, Liebling", lächelte der Doktorand düster, "er wird sie immer vorziehen."
Mit dieser Offenbarung ruckte er den Kopf des Analysten unsanft herum, damit er Eddy auf der anderen Straßenseite gut im Blick hatte. Fab versteifte, wimmerte erneut.
"Aber das ist nicht seine Schuld", gab Quin in betrübter Tonlage preis, "sie ist es, die ihm den Kopf verdreht hat. Niemand anderes, als sie. Verstehest du mich, Liebling? Diese Frau dort drüben, sie macht deinen hübschen Psychologen zu ihrer Marionette, spielt mit ihm, saugt ihn aus, bis nichts mehr von ihm übrig ist. Willst du das?"
Kraftlos hauchte Fab ein 'Nein' in die warme Sommerluft.
"Ich kann dir zeigen, wie wir sie büßen lassen können. Wie wir deinen hübschen Psychologen schützen können."
Keuchend riss Fab sich von Quin los, taumelte einen Schritt zurück, um seinen Expartner fasziniert anzustarren.
"Du hast diese Frauen getötet", presste er heraus, entlockte dem anderen ein triumphierend stolzes Lächeln.
"Aber wie?", wollte Fab wissen.
"Der Schüler lernt vom Meister, Liebling. Du wirst von mir lernen, wie Andy und ich es von unserem Meister gelernt haben."
Skeptisch drehte der Analyst seinen Kopf, spähte hinüber zu Eddy, die nun hinter der Ecke verschwand, den Polizeibeamten folgend. Dann drehte er sich zurück zu Quin, musterte auch ihn forschend, rieb sich das Gesicht. Nickte dann grimmig.
"Schön, du gibst also zu, dass du diese Frauen getötet hast und mir zeigen kannst, wie wir auch Eddy so leiden lassen können? Versprichst mir, mich zu deinem neuen Partner zu machen? Denn Scheiße, Quin, wehe du suchst dir einen anderen, wie du es mit Andy getan hast."
Überheblich zog der Doktorand die Mundwinkel noch eine Spur breiter in die Höhe, so offensichtlich siegesgewiss, Fab meinte, sich vor Ekel übergeben zu müssen.
"Oh ja, ich habe es getan", summte Quin melodisch, "und wer will Andy, wenn ich dich haben kann."
"Gut", nickte Fab die Aussage ab, "dann nur eine Frage, wer zum Kuckuck hat dir beigebracht solche Taten zu begehen?"
Unzufrieden zogen sich die Augenbrauen seines Expartners zusammen.
"Prof. Dr. O'Neal. Aber das ist nicht wichtig, nur du und ich -"
In dem Moment traten Schwarz und Eddy mit einem weiteren Beamten aus der Gasse neben ihnen. Fab machte einen Satz zurück, presste sich wieder gegen die Hausmauer, die Zigarette war ihm schon lange abhandengekommen.
"Mr. Quin Hershey", dröhnte Schwarz' Stimme in Fabs Ohren, drang kaum über sein Keuchen hinweg, "ich nehme Sie fest. Ihnen wird der Mord von Pheobe O'Malley, Penny Six und Felicia Vernon zur Last gelegt. Sie stehen des Weitern im Verdacht, weitere Morde in St. Andrews, Schottland verübt zu haben. Alles ..."
Reglos stand er neben der obersten Reihe des Hörsaals, blickte hinunter, die Reihen endlos erscheinender Sitzplätze entlang und beobachtete den in die Jahre gekommenen älteren Herrn, der fleißig sein Pult räumte.
Eine makellose Fassade. Eine solche aufrechtzuerhalten war schwer und beinahe unmöglich. Bracken O'Neal war dieses Kunststück lange Zeit gelungen. Über Jahrzehnte hinweg.
Seine Überführung hatte Opfer gekostet. Nicht nur Morde, auch wenn diese zahlreich und grausam waren, sondern auch Tote, die auf das Konto dieses Mannes gingen, obwohl seine Hand nicht das Messer geführt hatte. Cians Vater war eines dieser Opfer. Das, welches tatsächlich ein Menschenleben gefordert hatte. Doch nicht nur er fiel darunter, denn über diesen Fall hinaus waren auch Karrieren gescheitert, Beziehungen in die Brüche gegangen, Existenzen auf der Kippe gestanden. Bates war genauso ein Opfer, wie die Kanes, die Six' und die Vernons. Mitch war eines, so wie Cian selbst ebenso in diesen Kreis gehörte.
Langsam schritt der Kriminalpsychologe die breiten Stufen hinunter, lauschte dem gedämpften Nachhall seiner Schritte auf dem hässlichen, dünnen Teppich.
Räuspernd blieb er auf der untersten Stufe stehen, war nicht überrascht, als sich im Blick des Professors keinerlei Unglauben oder Unerwarten abzeichnete. Akkurat wie eh und je, stand der ältere Mann mit seinen ergrauten Haaren und dem feinsäuberlich gestutzten Bart vor ihm, die intelligenten Augen blitzten gefährlich, beinahe amüsiert, wie er seine Arme so vor dem ausladenden Bauch verschränkte. Cians Blick wurde von einem Tintenklecks angezogen, der schon fast absonderlich fehl am Platz auf dem Jackett des Professors prangte.
"Sie können sich Ihre Niederlage einfach nicht eingestehen, oder, Dr. Finnigan?", fragte der Professor schmallippig.
Doch Cian zuckte lediglich desinteressiert die Schultern. Schlendernd brachte er nun auch die letzte Stufe hinter sich, trat geschmeidig um den Schreibtisch herum und nahm den dort befindlichen Stapel Klausuren in Augenschein.
"Christine Dubois", nannte der Kriminalpsychologe beiläufig, "sie war zwar im Trinity im Fachbereich für Naturwissenschaften eingeschrieben, doch sie besuchte auch Ihren Kurs. Interessant, nicht?"
Kurz hinauf blinzelnd, stellte Cian fest, wie O'Neal seinen Stock zur Hand genommen hatte, ihn mit durchgedrücktem Kreuz nicht aus den Augen ließ, während die Finger durch die Prüfungsblätter glitten.
"Olaf Munster. Interessante Korrespondenz, die Sie mit diesem Mann gepflegt haben."
Lässig setzte sich der Kriminalpsychologe auf die Schreibtischkante, spielte mit einem sein Interesse weckenden Kugelschreiber. Sein Hauptaugenmerk lag dabei auf einer interessanten Gravur.
"Anderson Ripley. Tanessa Clarck. Eine dramatische Geschichte, die Sache mit der unerwiderten Liebe, finden Sie nicht auch? Haben Sie schon gehört, dass sie geständig ist?"
Zischend sog Cian die Luft zwischen die Zähne und schüttelte traurig den Kopf, drehte den Kugelschreiber in den Händen.
"Die Aufzeichnungen in ihrer Wohnung sind im Übrigen höchst aufschlussreich. War Ihnen schon bekannt, dass sie akribisch über alles Tagebuch geführt hat?"
Ein Poltern ließ den Kriminalpsychologen aufsehen und erkennen, wie das Mikrofon vom Rednerpult baumelte, nur noch vom Kabel gehalten. Der Professor war beim Zurückweichen dagegen gestoßen.
"Oh und nicht zu vergessen, Quin Hershey. Sie hätten uns aber schon von ihrem vierten Doktoranden erzählen müssen, Professor. Das war ziemlich unkooperativ von ihnen", tadelte Cian O'Neal schmunzelnd, "gut, ich gebe zu, wäre ich von so vielen Mördern umgeben und würde sich das durch mein Leben ziehen, hätte ich das vermutlich auch verschwiegen. Obwohl - man sich da schon fragt, woher Sie das hätten wissen sollen, oder?"
"Worauf zum Teufel wollen Sie hinaus, Mensch?!", ereiferte sich O'Neal fauchend, entlockte dem Kriminalpsychologen nun damit kaum ein Zusammenzucken, als vielmehr ein kritisches Heben einer Augenbraue.
"Darauf, dass auf eines immer verlass ist. Menschen machen Fehler, denn niemand ist perfekt. Ihre Figuren, die Sie so sorgfältig ausgewählt und aufs Spielfeld geschickt haben, sind doch noch zusammengebrochen. Das Schöne ist, wie diese ganzen Indizienbeweise so belastend auf Sie hindeuten, dass eine richterlich angeordnete Durchsuchung Ihrer privaten Räumlichkeiten inklusive des Arbeitsplatzes gerechtfertigt ist. Toll, oder?"
Mit Elan sprang Cian vom Schreibtisch hinunter, trat auf den Professor zu, um mit einer Armeslänge Entfernung vor ihm stehen zu bleiben.
"Ms Vernons Namenskette, wie sie auch ihre Tochter um den Hals trägt, sollten Sie vielleicht nicht unbedingt im Nachtkästchen aufheben. Das Foto von meinen Geschwistern und mir, das meiner Schwester immer bei sich hatte und auf dessen Rückseite sie eine Karikatur gezeichnet hat, als sie sauer auf uns Jungs war, könnte jemandem wie dem Bruder ihres Ehmannes ins Auge stechen, wenn es so hübsch eingerahmt auf dem Schreibtisch in ihrem Büro zwischen all den anderen Bildern steht. Und der hier, dürfte Ms Six gehören."
Mit Daumen und Zeigefinger wackelte der Kriminalpsychologe den schweren, vergoldeten Kugelschreiber vor O'Neals Nase hin und her.
"Little Ms 6", las Cian die Gravur vor, "für mich doch ziemlich eindeutig, meinen Sie nicht?"
Von O'Neal kam außer einem leichten Zucken in der linken Wange keine sichtbare Reaktion, doch das hätte Cian auch schwer gewundert. Daher bewegte er sich gemächlich zur unteren Eingangstür des Auditoriums, um Brannegan und die anderen Beamten hereinzulassen.
Der Professor wurde ohne Widerstand abgeführt. Als der Tross an ihm vorbeikam, konnte Cian sich nicht gegen seinen Sarkasmus wehren.
"Ach, Professor", sprach er O'Neal an und deutete auf dessen Jackett, "sie haben da einen Tintenklecks. Sieht nicht sehr schön aus. Sie wissen doch, Professionalität ist das A und O."
Die Augen des alternden Mannes verengten sich zu Schlitzen.
"Sie sind sich Ihres Sieges jetzt so sicher, Dr. Finnigan. Doch Sie begehen einen entscheidenden Fehler. Glauben Sie nicht, es sei vorbei. Die Saat ist bereits gesät, sie muss nur noch wachsen. Und wenn die Ernte reif ist, dann werden wir uns wiedersehen."
Schnaubend verdrehte Cian die Augen, wandte sich um und ging. Draußen erwarteten ihn bereits Fab und Eddy, die dicht beieinanderstanden und sich leise unterhalten hatten. Kurz nickten sich die beiden Männer zu, dann zog Cian Eddy in seine Arme. Gemeinsam beobachteten sie, wie O'Neal in einen Wagen gesetzt und fortgebracht wurde. Es war Cian, als nehme dieser Wagen eine Last mit sich fort, die schon viel zu lagen auf seinen Schultern gelegen hatte. Er zog die Liebe seines Lebens noch ein wenig enger an seine Brust und hauchte ihr einen Kuss auf den Scheitel.
Vielleicht verschwänden die Narben niemals ganz, aber er würde lernen, mit ihnen zu leben. Und nach und nach, würde es nicht mehr so wehtun.