Cian hatte sich für einen Drei-Tage-Bart-Look entschieden, denn er hatte keinen Bock gehabt, sich zu rasieren. Sein Hemd war zerknittert und die Ärmel bis zu den Ellenbogen aufgerollt und stellte so seine zahlreichen keltischen Tattoos zur Schau, aber er hatte in der Eile kein anderes gefunden. Seine Jeans waren fleckig, denn er hatte auf dem Weg zum Revier seinen Kaffee darauf verschüttet. Der Kriminalpsychologe lümmelte mit geschlossenen Augen zurückgelehnt auf einem der Plastikstühle vor Captain Bates Büro. Die langen Beine ausgestreckt und an den Knöcheln gekreuzt, wartete er darauf, dass Bates ihn hereinbat, um ihm die Akten zum Ritualmörderfall offiziell auszuhändigen und ihn dann zu seinem Team zu entlassen. Neben ihm hockte Partner in seiner blauen Assistenzhundeweste. Jemand stolperte harsch über seine in den Flur gestreckten Füße.
Träge öffnete Cian seine Augen und erblickte eine zierliche junge Frau. Eine Schönheit, wie er zugeben musste.
"Passen Sie doch auf, Sie verlotterter Penner! Wenn Sie hier auf Ihre Vernehmung warten, dann doch bitte anständig und Ihr Kampfhund muss gefälligst draußen warten", keifte die honigblonde Lady in dem teuren Hosenanzug mit einem breiten britischen Akzent. Damit stürmte sie an Cian vorbei in Bates Büro. Diese Frau hatte Feuer unterm Arsch. Junge, Junge! Sie sollte sich lieber in Acht nehmen, denn damit kitzelte sie seine Jagdinstinkte ungemein. Grinsend folgten er und Partner ihr in das Büro des Captain.
"... schließlich habe ich in Oxford studiert und schreibe dort meine Dissertation. Ich habe daher bereits ein Profil für Sie erstellt, Captain Bates. Der Täter ist eindeutig unorganisiert und schüchtern. Er greift sie von hinten an, weil er zu schwach ist, um sie ansonsten zu überwältigen, oder sich nicht zutraut, sie anzusprechen und bezirzen zu können. Das Ritual ist heidnisch oder keltisch. Was ja dasselbe ist. Ach und die Opfer-"
"Ms Williams, Sie sollten sich zügeln", unterbrach Bates den Redefluss der Doktorandin.
"Die Opfer sind offensichtlich Prostituierte, so aufreizend, wie sie sich gekleidet und geschminkt haben. Ihr Verhalten schreit geradezu danach, sie zu vergewal-"
Cian ließ die Tür ins Schloss krachen und baute sich vor der jungen Dame auf. Diese wich erschrocken einige Schritte zurück und sah irritiert zum Captain. Bates seufzte und stellte vor: "Ms Edith Victoria Williams, Doktorandin der Kriminologie aus Oxford. Und das ist -"
"Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind? Sie werfen mit Ihren Theorien um sich und lassen diese wie Tatsachen klingen! Das ist nicht nur dumm, sondern auch gefährlich", wies Cian die Doktorandin scharf zurecht. Edith Victoria straffte die Schultern kampfbereit.
"Ich habe ausführlich in entsprechender Fachliteratur über Ritualmorde recherchiert."
"Ach, na dann. Mir wurde letzte Woche eine Bibel gegen den Kopf geworfen und jetzt bin ich Jesus Christus", ätzte Cian sarkastisch.
"Und Sie können es besser? Was qualifiziert Sie denn schon?"
"Ich bin Dr. Cian Finnigan, Leiter der Task Force, Lady, und damit Ihr Vorgesetzter. Wenn Sie lieb zu mir sind, dürfen Sie mich, wie alle anderen auch, C nennen."
Eddy, wie Cian die kleine Kämpfernatur in Gedanken getauft hatte, blieb der Mund offen stehen. Doch zurückrudern war scheinbar nicht mehr drin, für sie keine Option mehr.
"Und wie würden Sie vorgehen, Doktor?"
"Faktenhören und Bauchsagen", antworte Cian achselzuckend, als wäre dies eine Selbstverständlichkeit. Bates hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und verfolgte das Wortgefecht fasziniert. Ähnlich wie einige Schaulustige bei einem Autounfall, war er einfach nicht in der Lage, den Blick abzuwenden.
"Meine bevorzugte Methode, die ich verwende, um mit meinem Team zu brainstormen. So erstelle ich Täterprofile."
"Klingt irre", maulte die Doktorandin.
"Wenigstens hat mein Wahnsinn Methode. Ich werfe einen Fakt zum aktuellen Fall in den Raum und stelle dann meine Hypothese dazu vor. Ich lasse mein Team die Fakten hören und meine Meinung dazu. Anschließend kann sich jeder dazu äußern, sagt, was ihm spontan dazu in den Sinn kommt. Kurz: Was sein Bauch ihm sagt. So stelle ich sicher, dass ich mir die Sicht von mehreren Experten aus verschiedenen Fachbereichen einhole. Anstatt nur meine Vermutungen darzulegen, ohne diese zu überprüfen. Das nennt sich sauberes kriminologisches und kriminalpsychologisches Arbeiten, meine Teuerste."
Damit schnappte sich Cian die Akten von Bates Schreibtisch und wandte sich zum Gehen. Er öffnete die Tür und hielt dort inne. Auffordernd sah er die Doktorandin an, die nur perplex zurück starrte.
"Nun kommen Sie schon, Eddy", grinste Cian verschmitzt. Eine leichte Röte überzog ihre Wangen und eilig kam sie der Aufforderung nach. Als die feurige, kleine Elfe auf seiner Höhe war, lehnte Cian sich leicht nach vorn und setzte, für alle gut hörbar, hinterher: "Wer weiß, vielleicht können Sie ja von einem verlotterten Penner noch etwas lernen."