Zwei Dinge vorweg:
1. Wer Lust hat, mit den Kane-Finnigans zu feiern - hier der passende Link: https://www.youtube.com/watch?v=SaJ7Cq5pwIk
2. es kommen einige irisch-gälische Begriffe vor, daher hier eine kleine Übersicht:
Sweeney = kleiner Held
Maith a fheiceann tú, Máthaer = Schön, dich zu sehen, Mutter.
mo chara = mein Freund
Als er unsanft aus dem Schlaf gestupst wurde, wusste Cian, dass der Tag für ihn beschissen beginnen sollte. Er öffnete die müden, verklebten Augen und erblickte den gigantischen Kopf seines Irish Wolfhounds, der diesen auf seine Matratze gebettet hatte. Ein Blick auf seinen Wecker machte Cian klar, dass er so oder so in zehn Minuten hätte aufstehen und sich für die Feier seines kleinen Bruders fertig machen müssen und Partner versuchte wohl schon eine ganze Weile, ihn, wie es seine Aufgabe war, vor einer seiner Attacken zu warnen. Er sah seinen Hund mal wieder in seiner Aufgabe bestätigt, als nur einige Zeit später die ersten bunten Schlieren seine Sicht zu verschleiern begannen und er mit unsicheren Schritten unter die Dusche taumelte, Partner dicht an seiner Seite.
Cian warf unter der Brause seine Prophylaxe und zwei weitere akut Medikamente ein und hoffte das Beste. Doch als er aus der Duschkabine in das dunstige Bad trat, wurde ihm furchtbar schwindlig. Die Welt begann, sich um ihn zu drehen, der Blutdruck sackte ihm in den Keller. Vorsichtig schaffte er es noch, an der gekachelten Wand herunter zu rutschen und mit dem nackten Arsch auf den kalten Fliesen zum Sitzen zu kommen. Seine Atmung ging beunruhigend langsam und seine Sicht war eingeengt und unstet.
"P-partner, Medi-c-care", schaffte Cian noch zu murmeln.
Sich selbst beruhigend, strich er über die tätowierte keltische Triskele - den Dreispitz - in seiner Armbeuge. Es dauerte keine Minute, da war sein Hund mit einer kleinen Tasche zurück und Cian deichselte es, seinen Notfallinjektor aus dem Beutel zu popeln. Er setzte sich einen Schuss und legte mit geschlossenen Augen den Kopf in den Nacken. Partner legte sich eng an seine Seite, den großen Kopf auf Cians Knien gebettet. So fand Mitch, der einen Zweitschlüssel zu Cians Wohnung besaß, sie eine halbe Stunde später im Badezimmer sitzend vor.
Mitch kurvte auf dem letzten Schluck Sprit in die Einfahrt zur Farm von Cians Mutter und seinem Stiefvater etwas abseits von Killarney. Es hatte Cian einiges abverlangt, sich in dieses Mistding von einem Auto zu quetschen. Als 1,90m-Mann mit gigantomanischem Assistenzhund, war er als Beifahrer eines taubenblauen VW Käfers einfach nicht geeignet. Aber da er keinen fahrbaren Untersatz besaß, musste er wohl mit Mitch als Chauffeur vorlieb nehmen. Mit quietschenden Reifen kamen sie neben einem Haufen anderer Autos zum Stehen und wurden sogleich von Cians Verwandten umzingelt. Und das waren nicht wenige. Scheinbar war der ganze Clan zu Phelans siebenundzwanzigsten Ehrentag erschienen.
Partner wurde beim Aussteigen direkt von den Kleinsten gekapert. Cian sah es ihnen nach und ließ es nachsichtig geschehen. Während er sich geschickt durch Tanten und Großeltern drängelte, blieb Mitch irgendwo hängen und musste sich anhören, wie schade es doch war, das Pheobe nicht bei ihnen sein könne, sie wäre ja auch heute ein Jahr älter geworden. Am Tor zum großen Garten stand sein jüngerer Bruder. Feixend und spitzbübisch grinsend, die sandfarbene Lockenpracht, die er und seine Zwillingsschwester von ihrer Mum geerbt hatten, als Man Bun auf dem Kopf zusammengebunden.
"C, schön, dass du es auch geschafft hast!"
Herzlich umarmten die Brüder sich.
"Freue mich, dich zu sehen. Wo hast du deine Frau gelassen, Sweeney?"
Doch da erschien Susan direkt hinter seinem Bruder und Cian drückte ihr ein Küsschen auf jede Wange.
"Scheiße, Lady, sieh dich nur an", hauchte Cian ehrfürchtig ihren dicken Babybauch tätschelnd. Phelan schlang stolz seine Arme um Susan und vergrub sein Gesicht in ihrem Nacken.
Cian wurde herumgewirbelt und in eine innige Umarmung gezogen, sein Rücken machte dabei protestierende Geräusche, kurz meldete sich sein Schwindel zurück, den er geflissentlich ignorierte.
"Maith a fheiceann tú, Máthaer", keuchte der Kriminalpsychologe erstickt. Wie konnte eine so zarte Person so kräftig zudrücken?
"Ach, ich freu mich ja so, C! Allerdings habe ich keinen Moment daran gezweifelt, die Hölzer haben es mir bereits letzte Woche verraten."
Seine Mutter war keltische Priesterin und Wahrsagerin. Unglaublich, aber wahr. Ja, sie verdiente damit Geld und die Glaubensgemeinschaft, in der auch Cian und seine Geschwister aufgewachsen waren, respektierten seine Mutter ungemein. Mark, Cians Stiefvater, klopfte ihm mit einem "Hallo, mo chara" auf die Schultern und kümmerte sich dann weiter um das BBQ. Einen Kelten hielten nicht einmal die eisigen Temperaturen im März vom Grillen ab!
Alle Verwandten schlenderten langsam hinüber zum Lagerfeuer, das im Hof brannte und von Fackeln malerisch umrahmt wurde. Cians Bruder gesellte sich zu ihm und hielt ihm eine Flasche Bier entgegen. Er winkte ab, nicht mit dem Medikamentencocktail im Blut. Cian zog ein kleines Geschenk aus seiner Manteltasche: "Hier, Sweeney."
Phelan riss das Papier auf und hielt dann gerührt das gerahmte Foto von sich in der Philharmonika in den Händen. Eine Schwarz-Weiß-Aufnahme seines ersten Solos als Erste Geige des Orchestra of the Dublin Symphonikers. Dankbar drückte der kleine Bruder dem älteren die breite Schulter.
"Komm", meinte Phelan. "Lass uns feiern. Lass uns für einen Tag so tun, als wären wir innerlich nicht zerbrochen."
Nach dem Essen begann Onkel Rob auf seinem Dudelsack zu spielen und einige Cousins griffen zu den Gitarren. Es wurden Volkslieder angestimmt, Kinder und Frauen tanzten ums Feuer. Alle jubelten und lachten. Cian bewahrte Mitch, dem von zu viel Guinness sichtlich schwindlig war, vor einem Fall von dem Baumstumpf, auf dem sie saßen. Von hinten klopfte ihm jemand auf die Schulter und reichte ihm eine alte, abgewetzte Geige. Phelan stand über ihm, seine eigene, sauteure Violine in der Linken und grinste von einem Ohr zum anderen. Cian verdrehte die Augen, lächelte jedoch milde. Sein kleiner Bruder gab Onkel Rob und den anderen Musikern ein Zeichen und sie begannen einen schnellen Irish Folk, Phelan begann zu spielen. Verdammt, der Kleine war ein wahrer Virtuose an seinem Instrument. Nach einem Augenblick hob Cian sein altes Teil, das Phelan aus Cians Kinderzimmer gemopst haben musste, ans Kinn und setzte den Bogen an. Erst etwas wacklig, dann immer sicherer, folgte er seinem kleinen Bruder als Zweitstimme in die Melodie. Und für einen Moment vergaß Cian, dass er innerlich zerbrochen war.