CN: Blut (erwähnt)
Aus Ms Clarck war nicht viel mehr herauszuholen. Sie beteuerte schließlich unter Schluchzern und Gewimmer, dass sie nichts mit Ms Six' Ermordung zu tun habe und Andy nur schützen wolle, weil sie doch so unsterblich in ihn verliebt sei. Das tat Cian aufrichtig leid, denn der Doktorand dort im Wartezimmer war nach dessen Körpersprache keinen Deut an der jungen Frau vor ihnen interessiert. Aber das brachte ihn hier im Mordfall kein Stück weiter.
Außerdem hatte der Kriminalpsychologe rasende Kopfschmerzen und das machte ihn unleidlich. Das Geplärre von Ms Clarck half da nun nicht gerade, um seine Gedanken beieinander zu halten.
"Also war Andy nicht bei Ihnen, als sie im Pub ankamen, sondern stieß später dazu und verkündete, dass Ms Six ermordet wurde und man Ian verhaftet habe, korrekt?", versicherte sich Eddy.
Cian schluckte die aufsteigende Magensäure seine Speiseröhre wieder hinunter und hoffte, dass es bei einem einfachen Anfall bliebe. Nach dem exzessiven Wochenende konnte er seinem Körper nicht noch eine weitere Dosis seiner Medikamente zumuten. Er wusste auch gar nicht, ob sein Vorrat noch ausreichte.
"Ja", heuelte Ms Clarck.
"Hat er Ihnen in einem späteren Gespräch berichtet, wo er gewesen ist?"
"Er meinte nur, er sei aufgehalten worden - aber - aber - a-a-aber ..."
"Mein Gott, nun spucken Sie es doch aus!", fuhr Cian die Zeugin harsch an. Die Schmerzen in seinem Kopf machten ihn wahnsinnig und das Gestammel der Frau ging ihm auf die Nerven. Eddy drehte sich zu ihm herum und betrachtete ihn mit besorgt gerunzelter Stirn. Cian winkte ab.
"A-aber seine Jacke - er hatte sie ausgezogen und zusammengeknüllt - aber ich habe die Blutflecken gesehen."
"Danke, Ms Clarck. Ms Williams wird noch die Formalia mit Ihnen regeln und Sie dann nach draußen begleiten. Ich verabschiede mich an dieser Stelle."
Cian rauschte aus dem Verhörraum und ließ die Frauen zurück.
Er schnappte sich einen Beamten und bat ihn, ihn zu informieren, sobald der Verhörraum wieder zur Verfügung stünde und betrat dann den Warteraum.
Anderson Ripley badete inzwischen in seinem Schweiß. Seine Augen zuckten alle paar Sekunden nervös zur Wanduhr. Immer im gleichen Rhythmus:
Tic-Tic-Tic Hinsehen Tic-Tic-Tic Hinsehen ...
Seine Finger klopften einen Beat auf seine Knien:
Damm-Da-Da-Da-Damm ... Damm-Da-Da-Da-Damm ...
Ripley wischte sich den Schweiß von der Stirn und benutzte dazu eines von diesen antiseptischen Erfrischungstüchlein. Cian setzte sich auf den Stuhl ihm gegenüber. Spiegelte die Haltung des Zeugen. Sagte kein Wort, sah ihn nur an. Ripleys Blick spielte nun Ping Pong zwischen der Uhr und Cian:
Tic-Tic-Tic Uhr Cian Tic-Tic-Tic Uhr Cian Tic-Tic-Tic ...
Es war okay für Cian, hier einfach nur zu sitzen und zu warten. Seinen Zeugen - oder Verdächtigen - schmoren zu lassen. Geduld war für Psychologen das A und das O in ihrem Werkzeugkoffer.
Cian hatte Fälle gelöst, indem er einfach nur schweigend dagesessen und gewartet hatte. Man musste es nur richtig angehen.
Der Beamte kam vorbei und ließ Cian wissen, dass der Raum nun wieder frei war.
"Mr. Ripley? Ich würde mich gern mit Ihnen im Raum nebenan unterhalten. Ich habe mich noch nicht vorgestellt. Dr. Cian Finnigan, Kriminalpsychologe. Aber ich halte nicht viel von Förmlichkeiten. Wie steht es mit Ihnen?" Sichtlich überrascht über diesen Kontrast im Verhalten, unterbrach Ripley all seine Tics und fixierte Cian. Dieser erhob sich und Ripley spiegelte nun - wie Cian es vorab bei ihm die ganze Zeit getan hatte - dessen Verhalten unbewusst.
"Ähh, n-nein."
"Fein. Dann nennen Sie mich doch einfach C! Das tun alle."
"Äh, ja - Äh, Andy."
"Ich gebe Ihnen mal nicht die Hand, Andy. Mir ist aufgefallen, dass Ihnen das unangenehm ist."
Der junge Mann lief rot an und senkte den Blick. Cian beugte sich etwas hinab, um ihm in die Augen sehen zu können und lotste ihn derweil ins Verhörzimmer.
"Das muss Ihnen nicht peinlich sein. Viele Menschen leiden unter Zwangsstörungen. Sie sind nicht der Erste und sicher nicht der Letzte, der mir begegnet."
Andy lächelte scheu und traute sich dann sogar, den Stuhl vorab mit einem der antiseptischen Tücher zu säubern, bevor er sich setzte. Cian stellte die zwei anderen Gläser parat und zuckte verkrampft zusammen, als ein glühender Schmerz seine Schläfen malträtierte.
"Alles in Ordnung, C?"
"Oh ja, nur Kopfschmerzen."
Andy verzog mitleidig den Mund. Cian öffnete eine Flasche Sprudelwasser und goss ihnen ein, bedacht darauf, den Rand des Gefäßes nicht zu berühren. Er lehnte sich dann schwerfällig in seinem Stuhl zurück und betrachtete Andy mit zugewandtem Blick.
"Also, Andy. Ich habe da so einiges über Sie erfahren. Ich möchte ehrlich zu Ihnen sein. Es sieht nicht gerade rosig für sie aus. Aber das wissen Sie sicher, nüh?"
Andy nickte betrübt und begann mit seinen Fingern erneut den Drei-Viertel-Takt zu klopfen.
"Ich finde Sie nett, mein Freund. Ich habe Ihre Arbeiten gelesen. Sind ein cleverer Bursche. Geben Sie mir etwas, womit ich arbeiten kann."
"Sie wissen doch sicher von dem Streit mit Penny, nicht? Hab ich mir gedacht. Aber hören Sie! An den Vorwürfen ist echt nichts d-dran - dran - dran. Ich habe nicht abgekupfert - würde ich nie tun. Aber diese Lady hat immer so einen S-stuss über mich verbreitet - Stuss - Stuss. Ich wollte ihr echt nicht weh tun. Ich habe sie nur ein wenig geschubst."
"Das glaube ich Ihnen doch. Was ist dann passiert?"
"Ich wollte zum Pub. Aber ich war so durcheinander. Also. - bin - ich halt durch die Gegend gelaufen."
Cian beugte sich nach vorn und stützte die Arme in den hochgekrempelten Hemdsärmeln auf den Tisch zwischen ihnen.
Andys Augen blieben an seinen Tattoos hängen, als habe er noch nie etwas Faszinierenderes gesehen.
"Sind die echt?"
"Nun, hingepustet sind sie nicht."
"I-ich meine: Sind das echte keltische Ritus-Tattoos oder so Modezeugs?"
"Sie stehen für meinen Glauben und meine Gemeinschaft. Was ist mit Ihnen, Andy? Sind Sie ein Fan oder ein creidiúnaí?"
"Oh, ich bin leider nicht im keltischen Glauben erzogen - aber ich studiere ihn seit Jahren begeistert und verfasse meine Dissertation über die Kelten und ihre Vertreibung aus Irland durch den Heiligen St. Patrick. Daher bin ich so dankbar über die Promotionsstelle bei Prof. Dr. O'Neal!"
Cian machte sich eilig einige Notizen und schenkte dem Mann mit dem fiebrigen Blick dann ein scheinbar offenes Lächeln.
"Wo bist du hinspaziert, als du dich abregen wolltest?"
Cian wechselte nun bewusst zu einer ganz vertraulichen Atmosphäre und lehnte sich weiter zu seinem Gegenüber. Andy hielt zwar kurz inne, biss sich auf die Unterlippe und berührte dann in einer scheinbar ganz bestimmten Reihenfolge die Knöpfe seiner Jeansjacke. Doch dann lehnte auch er sich vertraulich nach vorn.
"Ich bin gar nicht herumgeschlendert. Ich wollte Penny nochmal zur Rede stellen, ihr vielleicht die Meinung so richtig geigen. Frauen wie sie haben es doch auch nicht anders verdient, richtig?"
Cian machte ein zustimmendes Geräusch.
"Aber als ich in die Gasse bretterte, da lag sie da in einer Blutlache und Ian saß neben ihr. Der Kerl hat wie ein Irrer gelacht, sag ich dir. Total plemm-plemm. Ich bin in dem dummen Blut ausgerutscht und hab meine Jacke total eingesaut. Ich hab Panik geschoben und bin weggelaufen. Ich dachte ja auch, dass Ian vielleicht als nächstes mich umbringt. Aus einer Queerstraße habe ich dann verfolgt, wie die Polizei Ian abgeholt hat. Und dann dachte ich bei mir: Andy, dachte ich, was wenn die deine DNA finden und denken, du bist der Täter? Also bin ich zum Pub ..."
"Und dann hast du Tanessa Clarck gebeten uns zu sagen, du seist bereits dort gewesen und hättest auf sie gewartet."
Andy nickte und lächelte Cian vorsichtig und fragil an.
Der Kriminalpsychologe schloss ermattet die Augen. Enttäuscht über den Verlauf der heutigen Ermittlungen beschloss er, es zunächst gut sein zu lassen. Ripley fraß ihm aus der Hand. Der würde nicht weglaufen. Ms Clarck war ein Häuflein Elend.
Lieber beschäftigte Cian sich mit den neusten Erkenntnissen zu den Morden in Schottland, Norddeutschland und Frankreich. Eventuell hatte Fab bereits mehr herausgefunden und vermutlich konnte sein Team endlich mit der Erstellung eines Profils beginnen. Wenn nicht zum Täter, dann zumindest zum Opfertypus.
Mit einem Seufzer bedankte Cian sich bei Ripley, belehrte ihn über alles Wichtige und entließ ihn vorerst. Die Glaubwürdigkeit seiner Aussage blieb fraglich.