Eine Sache vorweg:
In diesem Kapitel kommen einige irisch-gälische Begriffe vor, daher gibt es für alle Interessierten eine kleine Übersetzungshilfe ;)
mo grá = meine Liebe
mhac = Sohn
máthair = Mutter
Creideamh, Grà agus Dóchas = Glaube, Liebe und Hoffnung
Im Haus der Familie Kane duftete es wie immer nach getrockneten Wildkräutern. Cian verband diesen Geruch mit Kindheit und Geborgenheit, daher konnte er nicht anders, als einen tiefen Atemzug zu nehmen und wohlig zu seufzen. Doch so gern er auch nach Hause kam, so wehmütig waren die Erinnerungen an Pheobe, die die Besuche beinhalteten. Überall an den Wänden hingen Kinder- und Familienfotos von den drei Geschwistern oder das ein oder andere Gemälde, das Pheobe erschaffen hatte. Er schritt durch den kurzen Flur bis zur engen Küche, in der seine Mutter am alten Gasherd werkelte und bereits fröhlich mit Eddy schnatterte. Cian lächelte verhalten und lehnte sich mit gekreuzten Beinen an den Türrahmen, beobachtete die zwei Frauen dabei, wie sie Tee zubereiteten. Der Geruch nach Kräutern wurde stärker, als seine Mutter den frischen Aufguss in eine Teekanne füllte und Eddy dabei erklärte, worauf es bei dieser besonderen Mischung ankam.
"Ich habe mir gedacht, dass ein Mix aus Roibusch, Honig und Zitronengras ganz hervorragend zu euren aufgewühlten Gemütern passen sollte. Sei doch so gut, mo grá, und bringe das Tablett in den Garten", bat seine Mutter Eddy.
Allein in der Küche, säuberte Mira Kane die Arbeitsplatten sorgfältig und vor sich hin summend. Cian schwieg und sah seiner Mum dabei zu.
"Was liegt dir auf der Seele, mhac?", verlangte sie schließlich noch immer von ihm abgewandt zu wissen.
"Du schlägst sicherlich nicht unangekündigt hier auf, weil du Mark und mich so unbändig vermisst. Und auch nicht, um uns endlich Eddy als die Frau an deiner Seite vorzustellen. Obwohl das längst Zeit wurde."
"Oh, máthair", beschwerte sich Cian, "wie kann es sein, dass du so etwas immer schon vorab weißt?"
"Die Hölzer haben es mir verraten."
Natürlich haben sie das, resignierte Cian. Er war derlei Antworten von Mira gewohnt. Dafür war er in diesem Falle allerdings durchaus dankbar, ersparte es ihm doch die unangenehme Knobelei, wie er Eddy denn nun seiner Familie vorstellen sollte.
"Also?", riss Mira ihn aus seinen Gedanken.
"Hm?", machte Cian wenig geistreich. Seine Mutter wandte sich zu ihm herum und betrachtete ihn prüfend. Sie kam auf ihn zu und streckte die Hände aus, die Cian einfing und mit seinen großen Pranken umschloss.
"Was hat dich hier her geführt? Etwas belastet dich, C. Eine Mutter spürt so etwas, mhac."
"Um ehrlich zu sein, geht's um den Ritualmörderfall, máthair", gestand der Kriminalpsychologe zerknirscht und kniff die Lippen zusammen, als Mira bei dessen Erwähnung erstarrte.
Er hatte möglichst lange damit gewartet, seine Mutter mit alledem zu belasten, doch er war an einem Punkt angelangt, an dem er auf ihr Wissen als keltische Priesterin angewiesen war. Einfache Recherchen im Internet und Bibliotheken hatten nicht weitergeholfen, dazu gab es zu viele Variablen in dieser Gleichung. Mira schüttelte betrübt den Kopf und sah ihrem Sohn in die dunklen Augen.
"Warum holst du das alles hervor, C? Warum lässt du uns nicht in Frieden und Pheobes Seele ruhen?", verlangte sie zu wissen.
Cian verzog das Gesicht bei diesen Worten, unfähig, eine distanzierte und psychologisch angebrachte Antwort auf diese Vorwürfe zu finden.
"Weil Pheobe Gerechtigkeit verdient hat, máthair! Die Monster gehören bestraft, sie müssen bezahlen! Und wir alle verdienen eine Wiedergutmachung für all die Qualen und das Leid, verdammt! Wir sind durch die Hölle gegangen ... Eigentlich befinden wir uns noch immer dort. Ich für meinen Teil finde erst Frieden, wenn ich weiß, dass Pheobes Tod gerecht wurde", pfefferte er seiner Mutter daher eine emotionale Antwort entgegen.
Vermutlich war er etwas zu laut geworden. Wahrscheinlich hatte er sich im Ton vergriffen. Mit Sicherheit hatte er es nicht mehr geschafft, seinen Hass und den Zorn, der tief in seinem Inneren seit Jahren schwelte, im Zaum zu halten. All das war hervorgebrochen und schmerzhaft an die Oberfläche geblubbert. Cians Mutter war nun leider diejenige, die in der Schusslinie stand und diese Seite an ihm zu Gesicht bekam. Ernst sah Mira ihn an und seufzte dann leise.
"Na schön, beruhige dich. Was also wolltest du besprechen?", gab sie nach. Cian schnaufte und löste sich von seiner Mutter. Aufgedreht tigerte er in der kleinen Küche umher.
Mühsam sperrte er die unliebsamen Gefühle tief in seinem Inneren ein. Dort, wo sie all die Jahre vor sich hin geköchelt hatten. Schwer stützte Cian sich auf die Arbeitsplatte neben dem Gasherd und starrte aus dem Fenster in den großen Garten hinaus zum angrenzenden Wald. Seine Augen zuckten suchend hin und her, nicht sicher, worauf sie sich fokussieren sollten.
"Die Mörder -"
"Es sind mehrere?", unterbrach seine Mum ihn. Er nickte und fuhr fort.
"Die Mörder begehen nach dem eigentlichen Mord eine Art Opfer- oder Reinigung des Tatortes. Es mutet keltisch an, einige Dinge kommen mir aus unseren Zeremonien bekannt vor. Aber einiges erschließt sich mir schlicht nicht. Ich hatte gehofft, dass du etwas Licht ins Dunkel bringen könntest."
"Mhm", kam es von hinten, "was kommt dir denn bekannt vor?"
Cian zuckte die Schultern und nahm ein Bündel getrockneten Rosmarin zur Hand, das auf dem Fenstersims lag. An dem Holzbalken schräg über seinem Kopf, befanden sich noch mehr solcher Bündel verschiedenster Kräuter aller Art.
"Die Spurensicherung hat Bündel aus Salbei, Lavendel und Tollkirsche bei den Opfern gefunden", begann der Kriminalpsychologe.
Mit fragendem Gesicht wandte er sich zu seiner Mutter um und lehnte sich mit verschränkten Armen an den Küchentresen. Mira nickte verstehend und legte die Stirn in sanfte Falten.
"Tollkirsche ist allgemein als hoch giftig bekannt. Aber wir Kelten verwenden sie als Heilpflanze in geringen Mengen und spezieller Verarbeitung bei krampfartigen Magen- und Darmbeschwerden oder Asthma. In einigen Zeremonien verwende ich einen Aufguss, mit einer etwas höheren Dosis, da er zu einer Erweiterung des Bewusstseins führt."
Toll, meine Mum leitet also Rausch-Partys, schoss es Cian ungläubig durch den Kopf, hörte aber weiter zu.
"Salbei wirkt ebenfalls krampflösend und schmerzlindernd, hat aber ebenso einen desinfizierenden Charakter und hilft bei viralen Infekten oder Pilzbefall. Außerdem empfehle ich einen Salbeitee immer gern all meinen Schäfchen, die Probleme beim Schlafen haben. Bei zu hoher Dosierung wirkt Salbei wie ein Nervengift und führt zu Kopfschmerzen und Lähmungserscheinungen des Magen-Darm-Traktes. Sehr unschön und äußerst gefährlich. Na ja und Lavendel ist bekannt für seine beruhigende Wirkung. Noch dazu macht er glücklich, daher empfehle ich ihn als Räucherstäbchen gern an deprimierte Gemeindemitglieder."
Cian dachte nach. Wenn all diese Pflanzen reinigend wirken sollten und vor einer Art Infektion schützten, dann dienten sie vermutlich dem Schutz vor dem Sukkubus oder davor, dass dieser die Mörder und dessen Seelen verdarb?
"Mhm", machte Cian unbestimmt, "zusätzlich wurde Ebereschenasche verstreut. Aber ich vermute, dass es sich dabei um das traditionelle Reinigen des Zeremonienplatzes handelt?"
Mira nickte bestätigend.
"Vermutlich. Und vielleicht auch, um das Gleichgewicht der Welten zu erhalten."
Ergab Sinn, wie Cian fand. Bisher passte alles erstaunlich gut zum Keltentum. Nur die Sache mit dem Sukkubus passte nicht ins Bild, aber das schob der Kriminalpsychologe weiterhin auf den wahnhaften Aspekt der Störung der Mörder. Oder eines Mörders. Cian war sich in dieser Hinsicht noch nicht sicher.
"Dann noch die Kleeblätter. Um die Opfer herum wurden in Dreiergruppen angeordnet Kleeblätter verstreut und in einer Messingschale wurde eine Art Tee aus den Dingern zubereitet. Kannst du damit etwas anfangen?"
Eifrig nickte Cians Mutter und wuselte zu den Küchenschränken. Geschäftig kramte die kleine Frau darin herum, bis sie ein Einmachglas fand, in dem sich getrocknete Kleeblätter befanden. Sie reichte ihrem Sohn das Glas, der es etwas überrumpelt in den Händen drehte.
"Frische Kleeblätter symbolisieren die Dreifaltigkeit. Sowohl im Christentum als auch bei uns Kelten. Obwohl es bei den Christen der heilige St. Patrick war, der darin Vater, Sohn und den Heiligen Geist gesehen hat, stehen die drei Blätter bei uns für die Einigkeit des Geistes, des Körpers und der Seele. Wobei die Seele eben jene Essenz ist, die uns mit der Natur verbindet und so mit allen anderen Lebewesen in dieser Welt ", erklärte Mira geduldig.
"Wenn du nun diese Kleeblätter ausstreust, bieten sie einen natürlichen Schutz vor dem Unbekannten oder Ungewollten. Was natürlich recht schwierig ist in unserem Glauben, da wir an das Gleichgewicht der Natur glauben. Wo Gutes ist, da muss auch Böses sein. Aber na ja. Getrockneter Klee als Aufguss ergibt einen sehr bitteren Tee. Wenn man diesen Trinkt, so reinigt dieser das Blut von innen. Zumindest so in unserem Glauben. Er verhilft zusätzlich zu Schutz."
Bingo, Treffer und versengt, alle Neune, das ist er: der Sechser im Lotto!
Anders konnte Cian es nicht beschreiben. Alles passte ins Bild. Auch der keltische und christliche Glaube griffen schließlich ineinander. Blieben noch zwei Fragen zu klären.
"Sagen dir die Worte Creideamh, Grà agus Dóchas etwas?", wollte Cian von Mira wissen. Seine Mutter schüttelte bedauernd den Kopf.
"Zumindest nicht, wenn es um keltische Gepflogenheiten geht. Tut mir leid."
"Kannst du dir erklären, warum die Mörder gerade die Dreiergruppe gewählt haben?"
"Hm, nein. Ich meine, die 3 ist ja eine recht beliebte Zahl bei vielen Kults und Mythen. Aber bei uns? Abgesehen von einer Verbindung zum Kleeblatt, kann ich mir da keinen Reim drauf machen", entschuldigte sich seine Mutter.
Schade, aber nicht zu ändern. Cian war dennoch zufrieden, denn er hatte mehr herausgefunden, als er erwartet hatte. Er beschloss, es zunächst bei dem Thema zu belassen. Er wollte seine Mutter nicht noch weiter strapazieren und auch der Tee war vermutlich längst kalt. Mitch, Eddy und sein Stiefvater saßen allein auf der Terrasse und fragten sich vermutlich, wo sie beide blieben. Daher gab er seiner Mum einen kleinen, dankbaren Kuss auf die Wange und bedeutete ihr, gemeinsam in den Garten zu gehen.
Dort verbrachten sie noch den restlichen Vormittag und sahen Partner dabei zu, wie er über die Wiese tollte.
Erst, als sie wieder im Auto saßen und auf dem Rückweg nach Dublin waren, erzählte Cian Eddy von den Erkenntnissen, die er aus dem Gespräch mit seiner Mutter gezogen hatte. Besprechen wollten sie das Ganze erst am nächsten Morgen im Team, denn zunächst musste Cian ins Büro. Die Befragung der kleinen Becky stand an.