CN: (Drogen und oder Alkohol)Rausch (erwähnt), häusliche Gewalt (erwähnt)
Es machte ihn rasend! Wie konnte es denn bitte angehen, dass noch immer nach einem Mörder gefahndet wurde, der auf abscheuliche Weise Frauen ermordete und das auch noch in offensichtlich wahnhaftem Zustand - und Bates hatte zu tun?!
Cian fühlte sich mächtig verarscht. Nein, eigentlich hatte er den Verdacht, dass der Captain ihn bestrafte, weil er es gewagt hatte, sein Revier, in dem angeblich strenge Disziplin und Ordnung herrschte, in eine drittklassige Seifenopfer zu verwandeln. Es war ja nicht so, dass es dem Kriminalpsychologen nicht leid tat, wie es gelaufen war - ganz im Gegenteil, er hätte sich auch Schöneres vorstellen können, als zum Tratschthema Nummer Eins für die Schandmäuler der Beamten hier zu werden und auch noch Eddy da mit hineinzureiten. Aber so war es jetzt, er konnte es nicht ändern. Danken konnten sie einem gewissen kleinen Nerd und seinen Eifersüchteleien.
Seufzend tigerte Cian unruhig weiter vor Bates Bürotür auf und ab, rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel in der Hoffnung, den sich hinter der Stirn aufbauenden Druck fort massieren zu können. Partner schwenkte mit seinem großen Kopf von einer Seite zur anderen, um sein Herrchen stets im Blick zu behalten, was diesem zunehmend auf den Keks zu gehen begann. Fab und seine doofen Ideen.
"So, jetzt habe ich Zeit für dich, Junge", riss Bates ihn aus seiner Rage, die einfach ein vorgeschobener Versuch war, sich von der Sorge um den Nerd abzulenken, wie der Kriminalpsychologe nur zu genau wusste.
Cian funkelte Bates aus seinen dunklen Augen an, schnappte sich Partner, um dann einfach an dem breitschultrigen Beamten vorbei zu rauschen. In dem doch recht kleinen Büro war es dann aber vorbei mit seiner Raserei, denn ihm fehlte hier schlicht der Platz, um sich auszutoben. Somit begnügte der Hüne sich damit, kindisch gegen den Stuhl vor dem Schreibtisch zu kicken und angepisst zu brummen. Jetzt hatte er es Bates aber gegeben!
"Aha", machte der Captain platt, setzte sich betont ruhig auf seinen Schreibtischstuhl und bat den Sohn seines verstorbenen besten Freundes, sich zu setzen, "du hast recht, mit diesem Verhalten geht alles schneller. Ich werde keine Anrufe des Polizeirats mehr erhalten und mir einen Anschiss abholen müssen. Nein, ich habe unbegrenzt Zeit, um dir sofort zur Verfügung zu stehen, weil sich alles nur um dich dreht und es keine anderen Fälle gibt außer diesen, die gelöst werden wollen. Denn bekanntlich machen die anderen Mistkerle frei, wenn ein Serienmörder umgeht, gehen gemeinsam Tee trinken, ja, sie backen vielleicht sogar zusammen Cupcakes."
Na schön, Cian sah es ein, er war nicht der Einzige, der momentan viel um die Ohren hatte, auch andere hatten ihr Päckchen zu tragen, aber dennoch fand der es nicht richtig, ihn einfach ewig draußen auf dem Flur warten zu lassen, wenn er doch dringend etwas mit dem Captain besprechen musste.
Um Beherrschung bemüht setzte der Kriminalpsychologe ein freundlicheres Gesicht auf, ließ sich endlich auf den eben noch als Fußballersatz missbrauchten Stuhl sinken, was wiederum Bates etwas milder zu stimmen schien. Es brachte ja auch keinem was, wenn sie sich hier angefiteten wie ein altes Ehepaar. Wieder massierte sich Cian die Nasenwurzel und seufzte. Der große Hund neben ihm fiepte, stupste sein Bein an und brachte ihn so dazu, ihm kurz über das krause, zottlige Fäll zu kraulen.
"Kopfschmerzen?", fragte Bates nun deutlich weniger sarkastisch, dafür hörbar anteilnehmend.
Die Mundwinkel verzeihend, winkte Cian leidlich ab. Wenn er jedes Mal jammerte, wenn sein Kopf nicht so wollte, wie er es gern gehabt hätte, käme er aus dem Klagen nicht mehr heraus.
"Bates", begann Cian, hielt dann inne, um erneut anzusetzen, "Abraham - kann ich dich was - also - kann ich dich was fragen? Zu meinem Vater?"
Über die so intime Anrede scheinbar überrascht und alarmiert, beugte sich der Captain vor und stütze sich mit seinen Unterarmen abwartend auf den Tisch vor sich, nickte dann auffordernd.
"Wann genau fing mein Dad an zu trinken? Ich weiß, dass es mit einem Fall zu tun hatte, richtig?"
"Oh, Junge", druckste Bates herum, doch richtete er dann seine Augen fest auf Cian, "etwa Anfang der Neunziger wurde sein Konsum exzessiv. Du warst noch klein, vielleicht neun oder zehn und deine Geschwister noch Babys. Warum fragst du das?"
Das war die Frage, die so interessant schien. Die Frage, die in keinem Zusammenhang stand, wenn man sich nicht vor Augen führte, was es bedeutete, dass Sean Finnigan - ein Ermittler der Mordkommission - anfing zu trinken, weil etwas, das mit einem seiner Fälle zu tun hatte, ihn dazu getrieben hatte. Vermutlich Morde, die ihn verstört hatten, ungelöst oder nicht vollständig geklärt blieben. Mitte oder Ende der 80er stattfanden. Sein Vater hatte oft davon gesprochen, dass drei immer einer zu viel sei. Cians Mutter hatte dies stets auf ihn und seine Geschwister bezogen. Einer der Haupttrennungsgründe damals. Aber was, wenn es nie um die Anzahl der Kinder der Eheleute gegangen war?
"Habt ihr damals an einem Mordfall mit ungewöhnlichem MO gearbeitet?", wollte Cian von Bates wissen.
Dieser überlegte einen Augenblick, nickte dann langsam.
"Ja, jetzt, wo du es sagst. Es ging damals um zwei Morde an jungen Frauen. Studentinnen, vergiftet und geschändet. Das merkwürdige waren gälische Beschwörungsformeln, die in einem Kreis herum um die Leiche geschmiert worden waren."
"Habt ihr den Täter damals gefasst?"
"Nein", meinte Bates bedauernd, "aber deinem Dad ist damals ein Durchbruch gelungen, was die Verknüpfung der europäischen Polizeiarbeit angeht. Eines der Opfer war Deutsche, die ausgewandert war und dadurch kam raus, dass es zur gleichen Zeit in Norddeutschland auch Probleme mit einem absurden Mord oder so dort gab. Ich glaube, der Fall konnte aufgeklärt werden."
Ungläubig starrte Cian den Captain an, denn er konnte nicht begreifen, was sich ihm hier für Verbindungen offenbarten. Wie blind er gewesen war, wie dumm und unaufmerksam. Oder vielleicht auch nicht, denn warum hätte er davon ausgehen sollen, dass sein Vater ausgerechnet genau die gleiche Organisation gejagt hatte, wie er es heute tat - Jahrzehnte Später.
"Die Akten dazu müssten noch irgendwo im Archiv verstauben", sagte Bates noch, holte Cian zurück aus seinen Gedanken.
"Ja", murmelte der Kriminalpsychologe abwesend, bevor er unsicher aufstand und mit Partner an der Leine zur Tür schwankte, "danke Bates. Sie haben mir sehr geholfen."
"Geht's dir gut, Junge? Vielleicht -"
Aber Cian war schon draußen auf dem Flur und schlug die Tür hinter sich zu. Stolperte weiter den Gang entlang und wie im Nebel vorbei an den Beamten, die ihn teilweise neugierig und dann wieder mit besorgt gerunzelter Stirn musterten.
Alles drehte sich bedrohlich, musste er sich doch mit der Hand an der Wand abstützen, als er die Treppe hinunter ins Archiv torkelte. Er hob nur grüßend die Hand, als er an Heather vorbeiwankte. Ging an den vielen Kisten in den hohen Regalen vorbei, die Aktenzeichen auf den Kartons verschwammen vor seinen Augen.
Dann kam Cian zu den Regalen mit den Fächern, in denen die Akten aufbewahrt wurden. Mit zitternden Fingern suchte er nach dem richtigen Jahrzehnt. Fand endlich, wonach er suchte, riss die Stange heraus, seine Finger flogen durch die Reihe. Da waren sie. Vier Akten. Nicht drei. Warum nicht drei? Verwirrt legte der Kriminalpsychologe den Kopf schief. Las die Aufschriften
Deutschland: Munster, Olaf - dominant, akute Psychose, aggressive Tendenzen - gelöst
Frankreich: Dubois, Christine - unscheinbar, aktive Psychose, Helferin, passive Tendenzen aber manipulativ - gelöst
Irland: aktive Psychose?, dominant?, passiv-aggressive Tendenzen -> Vergiftung - ungelöst
Rekrutierung: Täter-Irland kein Einzeltäter -> Ersatz für Partner? -> Umschwung drei auf vier gegen Psychose? -> Täter-Deutschland zu dominant, Paarung passiv? - Ermittlungen eigestellt
Keuchend stand Cian über die Akten gebeugt, sah sich mit der Vergangenheit konfrontiert, die so hart auf seine Gegenwart prallte. Es fügte sich, endlich fügte es sich. Er musste nur noch beweisen, wie all das mit dem Professor zusammenhing und wer die neuen Rekruten waren. Er hatte doch geahnt, dass es noch eine Nummer Drei geben musste. Dass es eine Frau sein würde, nein, damit hatte er nicht gerechnet. Doch er hatte da bereits einen Verdacht, wer hier in den Kreis der Verdächtigen rutschte.
Das plötzliche Vibrieren seines Smartphones ließ den Kriminalpsychologen zusammenschrecken. Die Akten gerieten in gefährliche Schieflage, als er das Gerät hektisch aus seiner Hemdtasche kramte. Die Nummer allerdings sagte ihm nichts.
"Dr. Cian Finnigan, Primum Nil Nocere Consultings?", meldete er sich daher förmlich.
Alles, was zunächst durch den Hörer klang, war ein lautes Rauschen und schweres Atmen. Zunächst fand Cian das wirklich ziemlich pervers, aber ein vages Bauchgefühl ließ ihn die Verbindung aufrecht halten. Dann ein Schluchzen.
"Fab?", riet er ins Blaue hinein.
"Scheiße", wimmerte es schwach durch die Störgeräusche und Cian durchfuhr ein Stich, elektrisiert richtete er sich etwas gerader auf, als wieder ein Schluchzen durch die Leitung drang.
"Fab?", wiederholte er eindringlich, "bist du das? Was ist los? Wo bist du?"
"Ich weiß nicht - ich - in so einem Laden - mit Hüpfburgen", stotterte sein Freund und wenn sich der Kriminalpsychologe nicht irrte, dann klang die Stimme des anderen Mannes leicht verwaschen, "die bewerfen mich auch ständig mit Konfetti!"
Okay, der Kurze war doch eindeutig drauf, so wie er klang. Doch scheinbar war Fab sehr aufgewühlt und so brummelte Cian nur verstehend durchs Telefon, denn die Sorge wurde durch das Verhalten seines Freundes nicht milder.
"Hast du was genommen, Kurzer?", hakte Cian sanft nach.
"Nein - ja - ich ... weiß nicht. Bitte, C - ich habe einfach eine Scheißangst. Kannst du mich abholen? Ich - Quin - er - hat ... und ich will nicht mehr!"
Wieder durchfuhr es den großen Mann heiß und kalt bei dem Gebrabbel. Quin hatte was getan? Dem jungen Nerd wehgetan? Angst gemacht offensichtlich. Entschieden stopfte Cian die Akten zurück an ihren angestammten Platz und schnappte sich seinen Hund.
"Okay, Kurzer. Bleib wo du bist. Ich finde dich. Ich komme dich holen."
Die Verbindung brach ab und Cian stürmte mit langen Schritten los, um seinen Freund aus dem Sumpf an Problemen zu ziehen, in den er geraten zu sein schien.