Am nächsten Morgen rollte Cian sich aus den zerwühlten Laken und tapste verschlafen in das chaotische Bad der WG. Überall flogen bunte Puderdöschen durch die Gegend, nasse Handtücher lagen auf dem Boden und das Tüpfelchen auf dem i waren eine Reihe ausgefallener Perücken, die die Fensterbank säumten. Skurril wäre noch untertrieben ausgedrückt, um die jungen Menschen zu beschreiben, die dieses Desaster hier veranstaltet hatten. Duschen wollte er zumindest nicht in all diesem Chaos, wie der Kriminalpsychologe beschloss und behalf sich mit einer Katzenwäsche.
Die Klamotten vom Vortag überstreifend, betrat er dann müde aber mit einem etwas besseren Gefühl als gestern Abend den Wohn- und Kochbereich der Wohngemeinschaft.
Fab hing über einem Tablet gebeugt und schlürfte etwas, das bei näherem Hinsehen als Breakfasttea durchgehen könnte, wenn man denn davon absah, dass er diesen mit zu viel Zucker verhunzt hatte. Der angebrannte Toast mit Butter ging dabei wohl auch nicht unbedingt als Frühstück durch. Aber immer noch besser, als das versalzene Rührei, das er ihm sonst gern andrehte.
"Wie lange bist du schon wach?", fragte Cian mir rauer Stimme und bediente sich an dem Instantkaffeepulver, bevor er sich zu seinem Freund herumdrehte. Dieser zuckte lediglich mit den Schultern und tippte weiter auf dem Touchscreen herum.
"Seit halb vier."
Kopfschüttelnd nahm Cian einen Schluck von seinem Lebenselixier. Weiter sagte er aber nichts zu den Schlafstörungen des jungen Nerds. Das brächte ihm nur einen Streit ein und darauf hatte er heute Morgen nun wirklich keine große Lust.
"Fab", begann er stattdessen und stellte die Tasse ab, "ich mache mich heute mit Eddy auf ans Trinity. Mal sehen, was dieser O'Neal zu einem Überraschungsbesuch so zu sagen hat. Aber ich glaube, dass wir die größten Chancen haben, wenn wir Ripley zum Reden bringen können."
"Ja. Schön", kommentierte Fab demonstrativ desinteressiert.
Cian ließ sich davon jedoch nicht täuschen. So, wie sein Kumpel an seiner Unterlippe knabberte, ahnte er bereits, was der Kriminalpsychologe gleich von ihm erbitten würde.
"Er schien ziemlich auf dich anzuspringen. Mit etwas Geschick könnten wir das zu unserem Vorteil nutzen. Ich möchte, dass du mit ihm redest. Nicht allein, natürlich", beeilte er sich zu versichern, als Fab bereits zu einem Protest ansetzen wollte, "sondern in meiner Gegenwart. Ich lasse dich da nicht allein im Regen stehen. Aber ich denke, das wären unsere besten Aussichten. Wärst du dazu bereit?"
"Habe ich denn eine Wahl?"
"Natürlich."
Seufzend stützte Cian sich auf die Arbeitsplatte und versuchte Fab in die Augen zu sehen. Dieser wich ihm jedoch weiterhin aus und tat, als sei er schwer mit den Analysen vor sich beschäftigt. Cian streckte seine Hand aus und ließ sie auffordernd mit der Handfläche nach oben liegen. Eine stumme Zusicherung, dass er seinen Freund nicht allein lassen würde.
"Ich zwinge dich zu nichts, was du nicht möchtest. Ich bitte dich um Unterstützung in diesem Fall. Aber wenn du mir sagst, dass das über deine Grenzen hinaus geht - Fab - dann akzeptiere ich das."
Wieder malträtierte der Analyst seine Unterlippe, doch ein kleines Nicken ließ Cian erkennen, dass seine Worte auf fruchtbaren Boden gefallen waren. Dann legten sich Fabs schlanke, lange Finger in Cians große Handfläche. Er umschloss sie und drückte beruhigend zu. Endlich sah Fab ihn aus großen Augen an.
"Schön. Ich mache es. Aber wenn Andy mich wieder dumm anmacht, kann ich nicht versprechen, dass er sich keinen Spruch von mir fängt."
Ein kurzes Auflachen konnte Cian sich nicht verkneifen. Dennoch versuchte er, einen ernsthaften Gesichtsausdruck zu wahren und strubbelte dem anderen Mann durch das schwarze Haar.
Er versprach Fab dann noch, dass sie das schon gemeinsam packen würden und machte sich anschließend langsam auf den Weg. An der Tür drehte er sich ein letztes Mal um und zog seinen engen Freund in eine Umarmung. Er spürte, wie Fab regelrecht in seine Arme schmolz und sein Gesicht an seiner Brust vergrub.
"Nur keine Geheimnisse mehr, Kurzer. Okay?"
"Mhm."
Damit musste Cian sich wohl oder übel zufrieden geben.
Nachdem Cian Partner aus seiner Wohnung abgeholt und eine Runde mit ihm gedreht hatte, war er mit der Subway bis zu Eddy nachhause gefahren, um sie abzuholen und weiter zum Trinity College zu schlendern. Sie wohnte nicht weit von dort entfernt und ein Spaziergang an der angenehmen warmen Sommerluft täte ihm ganz gut. Dank Jamie war er seine Krücken schneller als geplant komplett wieder losgeworden und hatte nur noch hier und dort kleinere Probleme mit seinem Gleichgewichtssinn. Sein Sponsor hatte gute Arbeit geleistet.
Auf seine Lippen stahl sich ein warmes Lächeln, als die blonde Doktorandin in einer luftigen weißen Bluse und marineblauen Stoffhose die Treppe ihres Mietshauses herunterschritt. Anders konnte man es nicht beschreiben, denn alles was Eddy tat, wirkte unglaublich elegant auf Cian. Wie konnte man auf so hohen Hacken überhaupt stehen, geschweige denn laufen? Sie jedenfalls schaffte es, dabei noch eine verdammt gute Figur abzugeben.
"Was?", fragte sie ihn mit in die Hüften gestützten Händen, "habe ich jetzt schon was falsch gemacht? Hätte ich mich förmlicher kleiden müssen für unser Vorhaben? Dann bist du mit den Klamotten von gestern aber definitiv unpassend angezogen, Mister."
Schmunzelnd zog Cian seine Augenbrauen in die Höhe. Seine kratzbürstige Königin der Fettnäpfchen war schon recht niedlich, wenn sie sich vor Verlegenheit in Rage redete.
"Du siehst gut aus, Eddy. Ich habe mich nur gerade gefragt, wie du es schaffst, dir nicht die Knöchel in diesen Schuhen zu brechen."
Die Doktorandin stutzte. Cian grinste noch etwas breiter und bot ihr einen Arm an. Schnaubend hakte sie sich bei ihm unter und sie schlenderten langsam in Richtung Universität.
"Diese Schuhe runden das Outfit ganz wunderbar ab, sie sind sozusagen das Tüpfelchen auf dem i. Nur so ganz nebenbei zu deiner Information", kam es dann irgendwann wie beiläufig von Eddy und keck warf sie ihren glänzenden weizenblonden Pferdeschwanz über ihre Schulter.
"Ach, na dann."
Lachend folgte er ihr ins Innere der Fakultät für Geisteswissenschaften und fragte sich nach Prof. Dr. O'Neal durch. Der hielt gerade eine Vorlesung. Das passte Cian eigentlich ganz gut in seinen Plan und so führte er Eddy weiter durch die Flure.
Viel verändert hatte sich nicht, seit er hier studiert hatte. Nicht in dieser Fakultät natürlich, aber er war häufig hier gewesen, um Mitch von seinen Seminaren und Vorlesungen abzuholen und später bei dessen eigenen Vorträgen als Gasthörer zu lauschen. Bis Pheobes Ermordung die Karriere seines besten Freundes mit einem Schlag beendet hatte.
Selbst der Saal war derselbe wie damals und Cian musste kurz durchatmen, bevor er die weiße Brandschutztür aufziehen konnte. Er hatte Eddy an der Außenseite des Auditoriums nach oben geführt, sodass sie den Seiteneingang dort benutzen konnten, ohne die Vorlesung unmittelbar zu stören. Sie schlüpfte an ihm vorbei und er trat hinter ihr leise in den großen Raum. Aufgrund seiner ausgesprochen beeindruckenden Reputation, wunderte es Cian nicht, dass O'Neals Vorlesung ausgebucht zu sein schien. Es tummelten sich sicherlich drei- bis vierhundert junge Studierende und Gasthörende in dem Saal und machten sich eifrig Notizen. Der Professor stand unten vor einer weißen Wand, an die eine Präsentation geworfen wurde und dozierte mit einem Mikrofon in der Hand über einen Kult in Mittelamerika.
"Miss? Sir?", wurden sie da auf einmal von der Seite angesprochen. Überrascht zuckte Cians Kopf zu der weiblichen Stimme herum, die Eddy und ihn entgegen geklungen war.
Eine etwas füllige Rothaarige mit runden grünen Augen und einem herzförmigen, sommersprossigen Gesicht lächelte ihnen von einem kleinen Tischchen aus zu. Vor ihr standen zwei Thermoskannen und Pappbecher.
Was sind denn das für schräge Methoden? Können sich die Studierenden neuerdings die Kaffeeautomaten nicht mehr leisten?
"Als Gasthörende bekommen Sie einen Tee zur Begrüßung. Wie die Studierenden. Eine Geste von Prof. Dr. O'Neal."
"Okay", sagte Cian und nahm freundlich lächelnd einen der Becher entgegen und reichte ihn an Eddy weiter. Dabei verschwieg er zunächst den eigentlichen Grund für ihr Auftauchen. Er nippte an dem Getränk und verzog das Gesicht.
"Was ist das denn für eine Sorte?", wollte er von dem Rotfüchschen wissen.
"Eine ganz besondere, Sir. Aus Kleeblättern. Traditionell soll er das Blut und den Geist vor dem Bösen reinigen."
Eddy hustete verhalten und Cian warf einen Blick hinunter zu O'Neal. Er nahm einen weiteren Schluck. Das Gebräu war widerlich.
"Ach, soll er das, ja? Wie interessant."