CN: Sucht (erwähnt), Alkohol (erwähnt), Medikamentenmissbrauch (erwähnt)
Das Team erwartete Cian bereits, als er am nächsten Morgen mit mieser Laune und einem Becher Kaffee in den Konferenzraum auf dem Revier schlurfte.
Er hatte kaum geschlafen und sich vor Kopfschmerzen krümmend von einer Seite auf die andere gewälzt. Irgendwann war es ihm dann doch zu bunt geworden und er hatte seinen Vorsatz, seinen Medikamenten- und Alkoholkonsum herunterzufahren, in den Wind geschossen. Eine leicht erhöhte Dosis seiner üblichen Medikation und drei Gläser Whiskey später, war er dann endlich in einen benebelten Schlaf gesunken.
Natürlich hatte er den Wecker überhört. Aber die Schmerzen und die restlichen Symptome waren fort. Blieb zu hoffen, dass dies anhielte.
Cian setzte sich auf den noch freien Stuhl neben Eddy und nahm sogleich ihren zarten Duft nach Vanille und Aprikose war. Unbewusst lehnte er sich ihr ein Stück entgegen und entspannte die verkrampften Schultern. Als ihm sein Verhalten bewusst wurde, stutze er. Erstaunlich, was die Doktorandin mit ihm anstellte. Er entwickelte Gefühle für die blonde Königin der Fettnäpfchen.
Er räusperte sich und strich dem leise winselnden Partner beruhigend über den Kopf.
"Ihr habt alle meine gestrige Mail erhalten, wie ich sehe. Wir haben es hier mit einem Fall zu tun, der internationalen Status zu erlangen scheint."
"Werden wir Unterstützung von höherer Stelle erhalten?", fragte Schwarz nach. Cian schüttelte den Kopf.
"Nein. Bisher haben wir zwar lose Verbindungen herstellen können, aber keine handfesten Beweise, dass die Morde zusammenhängen. Fab hat mithilfe einer Suchmatrix nach entsprechenden MO suchen lassen. Fab?"
Der Analyst griff sein Tablet und wischte darauf herum. An der Wand erschienen Statistiken, Zahlen und Aktenzeichen. Alles ein Gemisch in englischer, französischer oder deutscher Sprache.
"Insgesamt sind es zweiunddreißig Fälle. Zwei in Irland, sieben in Schottland, zwei in Frankreich und einundzwanzig in Norddeutschland. Was den MO betrifft kann ich zumindest bestätigen, dass in Schottland alles bis ins kleinste Detail mit dem bei uns übereinstimmt. Frankreich - na ja, die stellen sich quer. Es gibt da Probleme mit der Klärung der Zuständigkeiten. Wäre super, wenn mir einer von euch uniformierten Helden ein bisschen unter die Arme greifen könnte. Ich hacke mich da auch gern ein, aber dann habt ihr nachher den Papierkram an der Backe, wenn ihr mich aus dem Knast rausboxen dürft."
Officer Brannegan lachte schallend und versprach, sich mit Frankreich in Verbindung zu setzen und zur Not Captain Bates zu behelligen. Fab nickte dankend.
"Cool. Was Deutschland angeht", der Analyst sog zischend die Luft zwischen seine Zähne.
"Die Morde fanden in den 80ern statt. Es gibt zwar digitale Aufzeichnungen im Archiv, die die grundlegenden Daten betreffen, aber nichts Konkretes. Das Meiste ist geschwärzt. Nichts rauszulesen."
"Wie hast du das alles rausgefunden?", staunte Eddy.
"Sprichst du all diese Sprachen? Ich bin wirklich beeindruckt. Das muss dich viel Studienzeit gekostet haben. Auf welchem College warst du?"
Fab grinste sie schelmisch an.
"Äh, nee. Ich habe nicht mal die High School beendet, Schätzchen. Mein College hieß Leben. Aber ich zapfe die Gehirne der Opfer an, dessen Morde wir aufklären und übernehme ihre Fähigkeiten. Daher spreche ich dann natürlich auch all ihre Sprachen. Ich wandle zwischen ihrer Welt und der unseren. Wie ein Medium."
Eddy sah Fab verunsichert an und Fab starrte mit todernster Miene zurück. Cian prustet und brach den Bann. Die Doktorandin verdrehte die Augen und alle im Team lachten erheitert.
"Sorry, Eddy. Die Neue wird halt ein wenig veralbert. Ich habe ein Übersetzungsprogramm, durch das ich die Dokumente laufen lasse. Ich kann zwar Codes durch den Äther schicken, aber keine geisterhaften Nachrichten. Zu Deutschland: Ich hab da angerufen, aber kein Schwein hat mich verstanden. Ich meine hier nicht, dass keiner mein Nerdgeschwafel kapiert hat. Die haben da einfach kein Englisch gesprochen. Irgendso eine richtig kleine Insel in der Nordsee."
Cian zwickte sich nachdenklich in die Nasenwurzel und überlegte. Wie sollte er das alles denn bloß auf die Reihe bekommen?
"Okay. Du und Brannegan hängt euch an die Franzosen und ich versuche das mit den Deutschen zu regeln. Ich habe da einen Kumpel - Christopher Farrenstein - der uns vielleicht bei der Sprachbarriere helfen könnte. Aber ich muss das erstmal alles auf die Beine stellen und organisieren. Wir konzentrieren uns also zunächst auf Irland und Schottland und den Opfertypus", entschied er daher.
Und wie durch Zauberhand erschienen sieben Portraitfotos an der Wand. Die Gesichter von hübschen jungen Frauen lächelten ihnen in Reihe entgegen. Mit etwas Abstand erschienen dann zwei weitere Fotos von Ms Six und Pheobe.
"Ich habe sie chronologisch nach dem Datum ihrer Ermordung geordnet. Ganz links seht ihr Pheobe O'Malley und ganz rechts Penny Six", erklärte ihr Analyst.
Cian schluckte und besah sich die Opfer genau. Sie sahen sich zum Verwechseln ähnlich.
Sein Blick glitt zu Eddy, die stumm auf ihrem Stuhl hockte. Er konnte an ihren angespannten Schultern erkennen, dass sie dasselbe dachte, wie er - wie sie alle. Sie sahen aus, wie sie.
Blondes, langes Haar und glänzende, helle Augen. Ebenmäßige Gesichtszüge und perfektes Styling. Jung, dynamisch und wunderschön.
"Durchschnittsalter?", wollte Cian wissen, darauf bedacht, seine Stimme neutral klingen zu lassen.
"Vierundzwanzig", antwortete Fab ohne Umschweife.
"Ledig?"
"Zumeist."
"Studentinnen?"
"Überwiegend."
"Wer nicht?"
Fab umkreiste Pheobe und zwei weitere Opfer.
"Welche Berufe haben sie ausgeführt?", wollte Dr. Mary-Ann Clearwater, die Kriminologin des Teams, nun interessiert wissen.
"Pheobe war freiberufliche Künstlerin, Opfer Nr. 2 in Schottland war Cellistin und Nr. 6 Musiklehrerin in einem Konservatorium. Wusste gar nicht, dass es sowas noch gibt. Statistisch gesehen -"
"Ja, danke, Fab. Das reicht schon", bremste Cian seinen Freund, bevor er sich in einem seiner endlosen Vorträge erging.
"Gingen die anderen Opfer in Schottland denn auf das gleiche College?", ließ sich Eddy vernehmen. Cian lächelte beeindruckt.
"Eine sehr gute Frage", lobte er sie daher auch prompt. Eddy strahlte.
"Ja, sie waren alle auf der Universität von St. Andrews eingeschrieben", meinte Fab und scrollte durch die Akten auf seinem Tablet.
"Aber sie hatten nicht dieselben Hauptfächer und waren nicht an den gleichen Fakultäten eingeschrieben."
"Aber es ist ein Anfang", meinte Cian euphorisch.
"Lasst uns hier ansetzen. Irgendwo muss eine Verbindung zu finden sein. Das Trinity College und St. Andrews. Ich glaube nicht an einen Zufall."
Er sprang auf die Füße, um zum Whiteboard zu gehen, musste sich aber an der Tischplatte festhalten, als ihn ein plötzlicher Schwindel überfiel.
Was zum Geier?!
Sein verschwommener Blick richtete sich auf seinen Hund, dessen Schnauze ihn wohl schon längere Zeit anstupste. Er war aber mal wieder zu beschäftigt mit seiner Arbeit gewesen, um die Zeichen zu erkennen.
Nein, nein, nein! Das kann ich jetzt echt nicht brauchen.
"Frauen, Zwanzig in der Mitte und Blondhaar, helle Augen. Studentisch oder mit musischen Berufen. Verbindungen zu Colleges, vielleicht Täter-Opfer-Verzimmerung", stammelte Cian und wedelte die helfenden Hände fort, die ihn zu stützen versuchten.
"Ok, Alter. Jetzt klingst du wie ein gruseliges Medium, das ein mystisches Kauderwelsch vor sich hin sabbelt. Geh Heim, C und ruh dich aus", riet ihm Fab besorgt und drückte ihm Partners Leine in die Hand.
"Nach Hause, Partner", gab der Analyst den Befehl und Cian war ihm dankbar, denn so musste er sich nicht kümmern. Eddy strich ihm zum Abschied leicht über den Arm und selbst in seinem desolaten Zustand, saugte Cian diese Geste in sich auf und hielt sie gedanklich fest.
Partner führt ihn sicher in seine Wohnung. Wie er die Treppen hinauf kam, wusste Cian nicht genau. Mehr stolpernd und sich am Geländer nach oben zerrend, als aufrecht einen Fuß auf die Stufen steigend, wie er vermutete. Aber er schloss die Wohnungstür auf und ließ sich mit dem Schwung hineintragen. Die Leine verlor er und durch die farbenprächtigen Schlieren, die durch sein Sichtfeld waberten, konnte er eh nicht viel ausmachen, daher ließ er Partner einfach laufen. Sein Blut pulsierte nur träge durch seine Adern und das Atmen fiel ihm schwer.
Cian taumelte einige Schritte und verlor das Gleichgewicht. Er konnte gar nichts dagegen unternehmen, seine Knie sackten einfach unter ihm ein und mit dem Kopf schlug er hart gegen den Tresen in der Küchenzeile, bis zu der er es geschafft hatte, um seinen Schlüssel darauf abzulegen.
Hatte er die Tür eigentlich geschlossen?
Warum lag er am Boden?
War das Blut, das ihm da in die Augen lief?
Cian vernahm Partners Kläffen und wusste, dass nun höchste Eisenbahn war. Mit enormer Anstrengung schaffte er es, sein Smartphone aus seiner Gesäßtasche zu ziehen und wählte eine Nummer.