CN: Trauma, häusliche Gewalt (erwähnt), körperliche Verletzungen (erwähnt), Drogen- und Alkoholmissbrauch (erwähnt)
Mit vor der breiten Brust verschränkten Armen stand er da. Im kleinen Kabuff neben dem Vernehmungsraum, blickte durch den Beobachtungsspiegel und wusste, dass er nicht hier sein sollte.
Zwar hatte er Fab die Privatsphäre zugestanden, die jedes Opfer verdiente, sich zurückgezogen, während Freddy und Jamie ihren Job getan hatte, doch seither waren eineinhalb Stunden vergangen. Seitdem stand Fab in der hintersten Ecke des Raumes und starrte gen Tür. Bewegt hatte er sich kaum, wenn man von den ab und an zuckenden Gliedern oder den unstet umherhuschenden Augen absah. Es war ein Anblick, der Cian das Herz in der Brust zu zerreißen drohte.
Vielleicht war es genau dieser Anblick, der ihn davon abhielt, hineinzugehen und zu tun, was seine Aufgabe war. Noch redete er sich heraus, indem er behauptete, eine Verhaltensanalyse durchzuführen, weil er herausfinden wollte, ob Fab desorganisiertes oder anderweitig psychopathologisch auffälliges Verhalten zeigte, das mitunter auch auf Drogenkonsum oder eine Traumafolgestörung, die reaktiviert wurde, schließen ließ.
Nicht einmal gelogen, aber auch nicht die Sternenstunde seiner bisherigen Karriere. Cian fühlte sich beinahe körperlich schlecht, wie er hier stand und seinem Freund zusah, wie er sich so offensichtlich quälte, wissend, dass er diesen Zustand künstlich in die Länge zog, weil er den Arsch nicht in der Hose hatte, in den Vernehmungsraum hinüber zu gehen und sich Fab und seinem Erlebten zu stellen.
"Soll ich mit ihm reden?"
Eddy. Seine Erlöserin, die Retterin in seiner so misslichen Lage, wie es schien. Doch der Kriminalpsychologe verneinte kopfschüttelnd, auch, wenn er für das Angebot mehr als einfach nur dankbar war.
Das hier war schon schwer genug für Fab. Jetzt noch Eddy zu ihm reinzuschicken, obwohl diese Spannungen zwischen ihnen herrschten, wäre weder für den Analysten fair, noch für die Doktorandin. Daher straffte er endlich seine Schultern, gab sich einen imaginären Tritt in den Hintern und stieß sich von der Kante des kleinen Tischchens ab, an dem er gelehnt hatte.
"Sorge bitte dafür, dass die Aufnahme und der Ton läuft", bat er Eddy im Vorbeigehen, hielt an und strich ihr über die Schulter.
Die junge Frau erschauerte. Für einen kurzen Moment befürchtete Cian, sie würde sich ihm entziehen, doch sie tat es nicht. Hielt still, als er mit seiner Hand ihren Nacken hinauf strich und mithilfe des Mittel- und Zeigefingers eine ihrer honigblonden Haarsträhnen zwirbelte. Ja, er wusste, dass er mit dieser intimen Geste Zeit schindete. Dass er gleichzeitig aufs Ganze ging, was Eddy und seine momentane Nicht-Beziehung betraf. Doch er brauchte diesen kurzen intimen Augenblick zwischen ihnen jetzt gerade. Umso überraschter zeigte Cian sich, als Eddy sich auf die Zehenspitzen stellte, um ihre weichen Lippen auf die seinen zu pressen. Nur kurz, nur hauchzart, fast, als habe er sich diese Geste eingebildet.
Dann war der Moment vorbei, die Doktorandin zog sich zurück, strich ihm noch ein letztes Mal über den Arm und verschwand aus dem kleinen Zimmer. Ließ ihn zurück, mit einem wohligen Kribbeln im Bauch und einem Kloß in der Kehle.
Widersprüchliche Gefühle mischten sich in der Brust des Kriminalpsycholgen, wie er so auf die Tür des Vernehmungsraumes zuging, beim Eintreten um eine neutrale Maske bemüht. Fabs Augen so groß wie Untersassen, schienen sich in ihn hineinbohren zu wollen. Das Eis darin hart und unnachgiebig. Es war, als habe der kleine Nerd beschlossen, sich selbst zu schützen, indem er sich hinter einer kalten Eismauer verschanzt hatte. Undurchdringlich, unüberwindbar.
"Wollen wir uns an den Tisch setzen?", bot Cian dem anderen Mann an, der ihn stumm weiter musterte, nach einer Weile endlich jedoch nachgab und sich mit eckigen Bewegungen auf einen der harten Stühle sinken ließ.
"Wie geht es dir?", versuchte er das Eis zu brechen, die Verbindung zu Fab herzustellen, die sie seit Jahren verband.
"Eine dumme Frage."
Seufzend schlug Cian die Augen nieder auf sein Klemmbrett. Ja, vermutlich war es eine reichlich bescheuerte Frage gewesen. Doch sie war ehrlich gemeint. Eine Antwort hingegen, konnte er augenscheinlich nicht von dem Analysten erwarten.
"Hat Jamie deine Wunden gut versorgt?"
"Er war kompetent."
Zufrieden nickte der Kriminalpsychologe. Immerhin etwas.
"Fab, du hast gesagt, du wüsstest, wer der Ritualmörder ist. Könntest du das konkretisieren?", ging Cian schließlich unumwunden zum Hauptanliegen des Ganzen über, hatte es doch schlicht keinen Sinn, seinen Freund schonen zu wollen. Denn dieser ging hier ja einfach nicht auf die sanfte Tour ein, die er zu fahren versuchte.
"Quin", kam es leise, fast flüsternd, von dem Analysten, mit unterbrochenem Augenkontakt und an der zur Verfügung gestellten Kleidung nestelnden Händen.
Konfetti rieselte zu Boden, bildete einen so unglaublich absurden Kontrast zu der drückenden Stille, die sich im Raum ausbreitete.
"Wie kommst du darauf?", hakte Cian vorsichtig nach, denn ihm war nur zu bewusst, dass er ab jetzt behutsam vorgehen musste.
Fab wand sich sichtlich auf dem unbequemen Stuhl, krallte die Fingernägel fest in seine Unterarme, die bereits zahlreiche dunkle Halbmonde aufwiesen. Es kostete den Kriminalpsychologen viel Kraft, nicht hinüberzulangen und das Verhalten nachdrücklich zu unterbinden.
"Ich - h-habe ... I-ich konnte h-hören -"
Dann brach der Analyst ab und starrte einfach vor sich hin. Kurze Zeit wirkte er einfach abwesend, bis seine Irden sich bewegten, als sehe er Bilder vor seinem inneren Auge ablaufen. Dabei hatte er nicht davon gesprochen, etwas zu sehen, nein, Fab hatte davon gesprochen, etwas gehört zu haben. Doch auch dissoziiert war er nicht, denn das sah bei dem Nerd anders aus, wie Cian wusste.
"Warum sprichst du nicht weiter, Kurzer?", tastete sich Cian vor, verwendete absichtlich den Kosenamen für seinen Freund, um die vorherrschende Distanz zu überbrücken.
"Ich darf es nicht", kam es mechanisch.
"Was darfst du nicht?", wollte er alarmiert wissen.
"Verraten, was in unseren vier Wänden geschieht. Niemand darf etwas wissen. Sie würden es nicht verstehen."
"Sie?"
"Die anderen."
Cian beugte sich etwas vor, beherrschte sich, versuchte ruhig und besonnen die Befragung fortzusetzen.
"Wer sind die anderen?"
"Leute wie ... Leute wie - ich - ich - weiß nicht - m-mein Kopf tut weh", stammelte Fab irritiert, griff nach seinen Schläfen und richtete seinen abwesenden Blick plötzlich wieder auf den Kriminalpsychologen. Wieder kratzte Cian mit dem Kugelschreiber über das Papier.
"Warum denkst du, dass Quin der Ritualmörder ist?", stellte er noch einmal erneut die Frage, richtete seine schokoladenbraunen Augen erneut auf Fab, der mit blassem Gesicht und zitterndem Körper ihm gegenüber saß.
"Ich - konnte - ich - habe e-es gehört."
"Was?"
"Das Gespräch, verflucht! Ich habe das verdammte Gespräch gehört, das er mit was weiß ich wem geführt hat. Scheiße, C, tu' doch nicht, so, als könntest du mir nicht folgen!", explodierte Fab vor ihm, stieß in einer impulsiven Geste den Stuhl nach hinten und sprang auf seine wackligen Beine.
Wie ein getriebenes Tier lief er auf und ab, die Arme noch immer um seinen dünnen Körper geschlungen, als versuche er krampfhaft, sich beisammen zu halten. Der Kriminalpsychologe lehnte sich seufzend zurück. Tief durchatmend, gewährte er seinem Freund diese Minuten Wut und Trotz. Spielte bereitwillig den Sündenbock, den Mülleimer für all die Verzweiflung, die aus dem Analysten herausfloss. Bis der schwarzhaarige Mann entkräftet gegen die Wand sank, um mit hängendem Kopf gen Boden zu starren.
"Wie ist das Gespräch abgelaufen?", nahm Cian ungerührt den Faden wieder auf, "hast du alle Parteien hören können?"
"Nein", sprach Fab zu seinen Zehenspitzen, "nur ihn. Er war wohl am Telefon und gesehen - also - gesehen habe ich ihn auch nicht."
Entmutigt verzog Cian die Mundwinkel. Insgeheim hatte er sich schon gedacht, dass er mit Fabs Aussage nicht allzu viel würde anfangen können. Sein Freund in allen Ehren, waren die Anzeichen da, war es nur zu offensichtlich, dass Fab mit Sicherheit, mehr als eine feierwütige Nacht hinter sich hatte, noch immer unter Drogeneinfluss stand und - so sehr er dies bedauerte - von seinem Expartner misshandelt und manipuliert worden war. Nun war der Nerd dafür bekannt, in Ungnade gefallenen Menschen gern eins auszuwischen. Wollte er Quin jetzt die Morde anhängen? Hatte er Angst, dass eine Anzeige wegen häuslicher Gewalt nicht ausreichen könnte?
"Fab", setzte der Kriminalpsychologe behutsam an, doch die eiskalten Augen, die zu ihm zuckten, ließen ihn abrupt innehalten.
"Er hat mich am Telefon mit Andy verglichen, C. Gesagt, dass ich noch nicht bereit bin und noch Hilfsmittel nötig sind, damit ich brav bin. Anders als Andy kann man mich wohl nicht einfach so bequatschen. Verstehst du, was ich sage?"
Unwillkürlich hatte Cian den Atem angehalten. Es mischten sich Hoffnung und Entsetzen in seinem Inneren. Entsetzen, darüber, nicht erkannt zu haben, in welchen Fängen sich Fab befunden hatte, nicht eingegriffen zu haben und zu spät gekommen zu sein, weil er die Zeichen nicht erkannt hatte. Hoffnung, endlich der Saubande um O'Neal zum Greifen nahe gekommen zu sein.
"Aber eine Verbindung zu Ripley und eine aggressive Ader macht aus Quin noch keinen Mörder", gab Cian zu bedenken.
"Auch nicht, wenn er ins Profil des zweiten Mörders passt?", setzte ihn Fab mit einem gequälten Grinsen schachmatt, "groß, dick, dunkelhaarig ... ich habe Angst, C und bin verletzt, a-aber ich bin nicht dumm."
Schluckend nickte der Kriminalpsychologe schließlich. Er ließ das Klemmbrett sinken und erhob sich von seinem Stuhl, trat um den Tisch herum zur Tür des Vernehmungsraumes. Dort verharrte er, schnaufte, denn ihm war klar, dass er einen Fehler beging, den er nicht verhindern konnte, war er auf das Folgende angewiesen.
"Morgen, halb drei Uhr nachmittags. Besprechung im Team, wir tragen alles zusammen und machen uns ein Bild. Ich könnte dich dort gut gebrauchen. Wenn du allerdings sagst, dass du dich raushalten willst -"
"Ich werde dort sein."
Ja, das hatte Cian gehofft. Und befürchtet.