CN: Mord (erwähnt), Blut (erwähnt), Drogen- und Alkohlmissbrauch (erwähnt), Manipulation und Häusliche Gewalt (erwähnt)
Fast fließend war der Übergang vom Besprechungsraum ins Verhörzimmer, nachdem die beiden anderen mit kurzen Blicken zugesichert hatten, Fab weiter zu betreuen. Zwar hatte der Analyst sich eher abgeklärt gezeigt, doch Cian war sich sicher, hinter der stillen Fassade das Brodeln geradezu spüren zu können. Nein, er wollte seinen engen Freund nicht allein wissen, nach diesen Offenbarungen und Eingeständnissen. Es war dem Kriminalpsychologen bekannt, war es doch kein Geheimnis zwischen ihnen, dass Fab früher zu seiner Zeit auf der Straße exzessiv Alkohol und Aufputschmittel konsumiert hatte. Die Drogen hatte er sich abgewöhnt, als er in Cians und Sams Firma eingestiegen war, den Alkohol auf ein vertretbares Maß eingeschränkt.
Einen solcher Rückschritt war ein heftiger Schlag für den Analysten gewesen, für Cian und Fabs Pflegefamilie, sollte er sich Osín mittlerweile anvertraut haben. Vermutlich - nein, sogar wahrscheinlich - hatte Cian, sie alle irgendwie, sich ein Luftschloss zusammengebastelt, um den immer offensichtlicheren Abstieg des jungen Mannes nicht sehen zu müssen. Vielleicht hätten sie das Schlimmste sonst verhindern können.
"Zu wenig, zu spät", brummte Cian leise in seinen Drei-Tage-Bart.
Sich mit der Hand über den steifen Nacken reibend, betrat Cian den Vernehmungsraum und schloss bestimmt die Tür hinter sich. Ohne aufzublicken trat er an den Anwesenden vorbei, hin zu dem Stuhl in der Ecke, der extra für ihn dort positioniert worden war, um sich mit überschlagenen Beinen zu setzen.
Abwartend richtete er Klemmbrett und Verhaltensbeobachtungsbogen her, sah erst dann auf und kreuzte Blicke mit Eddy, die auf das Kommando wartete, beginnen zu dürfen. Er neigte den Kopf nach vorn, die Doktorandin lächelte sanft. Dann drehte sie sich herum zu der jungen Frau mit den mausbraunen Haaren und der unvorteilhaften Brille auf der Nasenspitze, die fahrig wieder hinaufgeschoben wurde.
"Ms Clarck, ich würde Ihnen gern einige Fragen zu einem gewissen Quin Hershey stellen."
Faszinierend, wie die Erwähnung eines Namens, eine Person so aus der Fassung bringen konnte. Die junge Doktorandin wurde mit einem Schlag weiß, wie die Wand, ihre Augen zuckten fahrig von Eddy zu Cian, zurück, verweilten dann auf der Interviewerin, als habe sie beschlossen, zumindest zu versuchen, den Schein zu wahren. Doch wie in der letzten Vernehmung, saß die Maske dieser Frau alles andere als akkurat.
"W-wer?", brachte Ms. Clarck wenig überzeugend heraus.
"Der vierte Stelleninhaber in Professor Dr. O'Neals Programm. Sie können doch kaum behaupten, Ihren Kollegen nicht zu kennen, oder?", spitzte Eddy die Situation direkt zu.
Sichtlich nervös rieb sich Tanessa Clarck mit beiden Händen über den feinen Anzugstoff ihrer Hose.
"Oh", stieß sie hervor, "n-natürlich. Dieser reizende j-junge Mann."
"So jung nun auch wieder nicht, nicht wahr? Mr. Hershey dürfte Ende dreißig sein. Über zehn Jahre älter als sie."
"Mhm."
"Ungewöhnlich, einen älteren Mann dennoch so zu bezeichnen, wie sie es gerade getan haben, finden Sie nicht?"
Cian kam nicht umhin, stolz in seine Unterlagen zu lächeln. Inzwischen wurde Eddy wirklich immer besser, wenn es um Verhörtechniken ging.
"I-ich verstehe nicht, Ms Williams - es - nun - im Vergleich - also. Ja, Mr. Hershey ist vielleicht wirklich kein ganz junger Mann mehr."
"Warum nicht Quin?", wollte Eddy interessiert wissen, stützte ihre Arme auf dem Tisch ab, der sie und die andere Frau voneinander trennte und zwirbelte ihren langen Pferdeschwanz.
"Wie?"
"Es ist 'Andy', aber 'Mr. Hershey'. Warum?"
"Wir pflegen kein besonders enges Verhältnis zueinander", gab Ms. Clarck an.
Schulterzuckend sah die Doktorandin kurz zu Cian herüber, doch dieser betrachtete nur neutral einen Punkt an der Wand etwas neben dem Hauptgeschehen. Zumindest gab er dies vor. Scheinbar nachdenklich legte Eddy ihren Kopf leicht schief, lächelte die ihr in vielen Dingen ganz ähnliche Frau freundlich an.
"Würden Sie sagen, Sie hatten zu Andy ein freundschaftliches Verhältnis?"
Ohne lange zu überlegen, nickte Ms. Clarck, wenn auch sichtlich beschämt, mit roten Wangen.
"Oh ja, mit Sicherheit sogar."
"Hätten Sie ihm auf Anraten des Professors den Fieberkleetee gebracht, den Sie immer an mischen?"
"Woher wissen Sie, dass ich den für die Vorlesungen zubereite?", fragte die Verhörte erschrocken nach.
Beinahe beiläufig hob Cian den Kopf erneut von seinen Notizen, diesmal Blickkontakt haltend.
"Von dieser freundlichen Lady, die den Tee im Auditorium ausgibt. Der Rotschopf, Studentische Mitarbeiterin? Paula Morgan ist ihr Name glaube ich", leierte der Kriminalpsychologe so beherzt gelangweilt herunter, das Desinteresse schien beinahe aus jedem seiner Worte zu triefen.
Doch es zeigte Wirkung, war Ms. Clarck doch mit weit aufgerissenen Augen auf ihrem Stuhl mit gradem Rücken bis zur Kante gerutscht, krallte die Finger fest in die Sitzfläche.
"Also Ms Clarck", wiederholte Eddy, "hätten Sie Andy den Tee vorbeigebracht, den Sie immer an mischen?"
"Ja", wisperte die andere Frau.
"Mit Ms Six waren Sie nicht befreundet, korrekt?"
Das Gesicht der mausgrauen Doktorandin versteinerte augenblicklich.
"Nein, ganz sicher nicht."
"Ihr hätten Sie also den Tee nicht vorbei gebracht", schlussfolgerte Eddy und erntete ein bestätigendes Kopfschütteln.
"Können Sie die non-verbale Geste bitte akustisch für uns verifizieren?", bat Cian höflich.
"Nein", stellte Ms. Clarck klar, "hätte ich nicht."
"Danke", meinte Cian, zog sich dann wieder zurück.
"Dann würden Sie sagen", ergriff nun Eddy wieder das Wort, "ähnelte Ihr Verhältnis zu Mr. Hershey eher dem zu Ms Six?"
Ganz offensichtlich erleichtert entwich der brünetten Doktorandin ein Seufzer und ein kleines Lächeln schlich sich auf ihre Lippen.
"Ja!", rief sie heraus, "ganz recht, so ist es."
Interessiert verlagerte seine Freundin ihre Sitzposition, überschlug die langen Beine übereinander, ihr langer Pferdeschwanz glitt durch den Schwung zurück über die linke Schulter über den Rücken und schwang nun sanft hin und her.
"Dann kann ich daraus folgen, dass sie Mr. Hershey ebenfalls den Tee nicht vorbeigebracht hätten?"
Stumm schüttelte Ms. Clarck den Kopf.
"Bestätigen Sie Ihre Aussage bitte verbal für uns, Ms Clarck", forderte Cian kurz angebunden.
"Nein, das hätte ich nicht. Habe ich auch nie."
"Wie erklären Sie sich dann die Zeugenaussage des Partners von Quin Hershey, der angibt, den Tee regelmäßig von diesem erhalten zu haben, nachdem Sie eine zubereitete Kanne vorbeigebracht hatten?", zog Eddy die Schlinge zu, Cian linste unauffällig von seinem Klemmbrett hinauf.
"W-was?", stotterte Tanessa Clarck mit bleichem Gesicht und begann nun noch hektischer, mit ihren Handflächen über den Hosenstoff zu streichen, "eine L-lüge ist d-das! Jawohl, Fab lügt ganz dreist, so i-ist das doch!"
"Dann haben Sie also nie -", setzte Eddy an, wurde jedoch kurzerhand von Cian unterbrochen, denn scheinbar war seine Freundin so darauf fokussiert, ein explizites Geständnis aus der Dame ihr gegenüber herauszupressen, dass sie den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sah. Aus diesen Gründen arbeitete der Kriminalpsychologe gern zu zweit in den Befragungen, wenn es irgendwie möglich war.
"Dann pflegen Sie also doch eine freundschaftliche Beziehung zu Mr. Hershey", sprach er Ms. Clarck mit augenscheinlich überrascht erhobenen Brauen an.
Die Doktorandin des verhassten Professors starrte ihn einen Augenblick erschrocken an.
"Wie? Was? Ähm - n-nein - wie - wie kommen - also - wie kommen Sie darauf?"
Locker hob Cian die Schultern, ließ sie dann salopp wieder herabsinken.
"Ich kann mir nicht erklären, woher Sie sonst den Namen von Mr. Hersheys Partner kennen sollten. Denn wenn Sie - wie sie behaupten - eher eine mehr als oberflächliche Beziehung zu ihm hatten, so wie mit Ms Six, ist es doch sehr unwahrscheinlich, dass Sie und er sich so nah standen, um den Partner des anderen beim Vornamen zu nennen, meinen Sie nicht?"
Nach Luft schnappend, sah Ms. Clarck den Kriminalpsychologen an, verkrallte ihre Finger nunmehr in ihrer Hose, das Gesicht nicht mehr weiß, sondern dunkelrot angelaufen, den karamellfarbenen Teint dadurch noch unterstreichend.
"Ach - also - ich -", brachte sie lediglich hervor.
"Ist es nicht vielmehr so", deklamierte Cian auch direkt weiter, "dass Sie und Quin - denn es ist Quin, Ms Clarck, nicht Mr. Hershey, habe ich recht - eine schon fast rivalisierende Beziehung pflegen? Beide verbunden über Andy, in den sie schon seit Beginn des Doktorandenprogramms unsterblich aber unglücklich verliebt sind? Doch er zeigte kein Interesse an Ihnen. Seine Augen klebten immer nur an Quin, der Andy eher als seinen Besitz ansah. Schwierig, aber Sie haben sich immer ein bisschen als Andys Beschützerin sehen können, richtig? Denn er hat sich immer an Ihrer Schulter ausgeweint, wenn Quin wieder einmal zu grob zu ihm war. Sie hatten schließlich auch die Lösung für ihn, habe ich recht?"
Abwartend sah Cian die junge Frau vor sich an.
Schluchzend vergrub Tanessa Clarck ihr Gesicht in den Händen. Mit bebenden Schultern saß sie da, krümmte sich nach vorn, als habe sie jegliche Kraft verloren, das Luftschloss weiter aufrecht zu erhalten, das die Hoffnung enthalten hatte, ungeschoren aus diesem Fall herauszukommen.
"Ich habe nur ein - ein bisschen von dem Liquid X mit in - in den T-tee gemischt", kam es schließlich heiser und unter abgehackten Atempausen aus Ms. Clarck herausgebrochen, "ich h-habe schließlich vor meinem Master in Theologie drei Semester Biochemie st-studiert und ... na ja ... ich d-dachte, dass ich ihm h-helfen könnte, so Quins Launen b-besser zu ertragen. Ich hab' n-nicht gewusst, dass Quin ihm noch andere Sachen gibt und so - herausgefunden hat, wie er - also, ich wusste es nicht."
Mit verheultem Blick sah die verstörte Frau zu Cian auf, aufgelöst stahlen sich immer weitere Tränen aus ihren Augenwinkeln.
"Von den Morden ... bitte, Sie m-m-müssen mir glauben, davon hab' ich am Anfang nichts gewusst. Erst nach Pennys Tod und Als - Als A-andy blutverschmiert zu mir kam und - und als er dann meinte, er könnte sich nicht - er wisse nicht mehr genau, was an dem Abend also, w-was da passiert ist. Und dann hat der Professor nach Andys Verhaftung immer so Andeutungen gemacht und verlangt, dass ich Quin den Tee, den er bei den Vorlesungen ausgibt und ich ihm ab und zu immer vorbei gebracht habe, mit dem Liquid X aus meinen Forschungen versetze."
Wieder zerrissen Schluchzer die Luft, als Ms. Clarck mit ihrem verworrenen Rapport endete.
Mehr brauchte es auch nicht, um Eddy und Cian zu geben, was sie brauchten. Die junge Doktorandin hatte eingestanden bei der Manipulation zweier Menschen maßgeblich beteiligt gewesen zu sein, bei denen Prof. Dr. Bracken O'Neal der Drahtzieher war.
"Hat der Professor noch etwas verlangt, außer den Tee zuzubereiten und zu Quin zu bringen?", fragte Cian ruhig nach.
"Mhm", murmelte Ms. Clarck, "ich habe all diese Dinge gekauft, die für die Rituale nötig sind, die Andy nach dem Mord durchgeführt hat. Sie wissen schon - die - die Eberesche und - auch die Heilkräuter und - also ja, die Schalen und all das."
Verstehend nickte der Kriminalpsychologe. Das war clever, denn so gab es zu den Männern, die die eigentlichen Taten durchführten, keine Verbindung zu den genutzten Utensilien.
"Erlauben Sie mir noch eine Frage, Ms Clarck", bat Cian, "warum haben Sie keine Anzeige erstattet, als Sie begriffen haben, wer hinter den Morden steckt?"
Nun wurde die Miene der Doktorandin starr, beinahe vollkommen wächsern.
"Sie haben doch den Professor kennengelernt, Dr. Finnigan. Niemand schlägt ihm etwas aus und schon gar nicht, widersetzt man sich ihm. Wenn ich mich geweigert hätte, dann wäre ich sicherlich die Nächste auf seiner Liste gewesen."
Eddys Augen suchten die seinen, doch ob sie ihm Mitleid für diese Frau übermitteln wollte, oder herausfinden, wie es nun weiterginge, konnte der Kriminalpsychologe nicht genau entziffern. Was er wusste, war, Andy hatte die Rituale rund um die Gewalttaten ausgeführt. Das hatte dieser gestanden und Ms. Clarck soeben bestätigt. Quin hatte die eigentlichen Taten ausgeübt, denn dafür gab es inzwischen Ian als Augenzeugen, die kleine Becky, die beide Männer gewissermaßen identifizieren konnte und die Aussagen der jungen Frau hier vor ihm und seines guten Freundes eine Tür weiter. Fest stand, Prof. Dr. Bracken O'Neal zog in alledem die Fäden. Aussagen, Indizien, Spuren und Aktenkunde wiesen eindeutig daraufhin. Es fehlte nur noch eine entscheidende Sache. Den Mann bei seinen kriminellen Machenschaften zu erwischen.