CN: Medikamentenmissbrauch, Mord (erwähnt), körperliche Gewalt (erwähnt), Blut (erwähnt)
"Denkst du, es geht ihm gut?"
Eddy drehte sich zu Fab um, mit dem sie im Kopierraum stand. Der Analyst strich sich durch das fesche schwarze Haar und überreichte ihr die ausgedruckten Papiere, die sie hatte haben wollen. Sie war dankbar, dass der junge Mann ihr half, denn die Doktorandin hatte mit Technik nichts am Hut. Fab nickte zunächst und zuckte dann, sich zur Tür drehend, mit einer Schulter.
"Ich bin nicht sicher. Vielleicht war er überfordert. Dann mache ich mir ernsthaft Sorgen um ihn. Wenn es bloß ein Anfall war, dann kommt er schon klar."
"Anfall? Hat das was mit diesem Höllenvieh zu tun?"
Der Analyst lachte schallend auf dem Weg zurück in den Konferenzraum und Eddy zog den Kopf ein, als sie bemerkte, dass die Beamten, an denen sie vorbeikamen, neugierig die Köpfe hoben.
"Jep. C leidet an 'ner seltenen und ziemlich üblen Art von Erbkrankheit oder so. Bei seinen Attacken kann es sogar zu Ohnmacht, Krampfanfällen oder Lähmungserscheinungen kommen. In richtig extremen Fällen - auch zu Atemdepression."
Schockiert riss Eddy die Augen auf und verweilte kurz, bevor sie den Raum vor Fab betrat. Sie wandte sich dem hochgewachsenen Mann zu.
"Du meinst, es kommt zum Atemstillstand und er könnte ersticken?"
Betrübt nickte ihr Gesprächspartner.
"Dabei wirkt er so gutausseh- ähh - ich meine kräftig. Also - gesund."
"Tja, nicht alle Behinderungen und Erkrankungen sind sichtbar."
Da hatte Fab wohl recht.
Sie begaben sich wieder zu den anderen. Eddy hatte beschlossen, sich zu beweisen. Sie wollte den Fauxpas, den sie sich da mit dem Opferprofil um Cians Schwester geleistet hatte, wieder gut machen und schrieb an das Whiteboard, verteilte die ausgedruckten Unterlagen an die übrigen Teammitglieder. So fand sie auch Cian, als er mit etwas schlurfenden Schritten und blassem Gesicht wieder zu ihnen zurückkehrte. Eddy sah ihren Chef an und musterte ihn dann etwas genauer. Sie überkam ein kaltes Rieseln, als sie die rot geäderten Augen mit den geweiteten Pupillen, das viel zu entspannte Lächeln auf Cians Lippen und die lässigen aber fahrigen Bewegungen des Rechtspsychologen sah. Keine Frage, der Mann war vollkommen zugedröhnt. Leider kannte Eddy die Anzeichen dafür nur zu genau.
Cian fläzte sich auf seinen Stuhl.
"Sorry, Leute. Wir können jetzt weiter machen. Wo waren wir - ah ja, cool. Ich seh' schon, ihr habt's angeschrieben."
Eddy lächelte ein wenig stolz, als Cians Blick über die Notizen zu Freddys Ausführungen zum Tatort auf dem Friedhof schweifte. Doch dann driftete er wieder ab und gab Susana mit einem Wink zu verstehen, es noch einmal mit den Erläuterungen zur Obduktion zu versuchen. Eddy sah, wie sich Cian innerlich zu wappnen schien und mit zusammengebissenen Zähnen zur Wand starrte, darauf wartend, dass dort die grauenvollen Bilder seiner toten Schwester erschienen. Was nicht geschah. Cian drehete sich zu Fab. "Was is' los? Worauf warten wir?"
"Ich habe mir gedacht", ergriff Eddy, ihren Mut zusammennehmend, das Wort, "dass es doch viel besser wäre, wenn alle eine ausgedruckte Variante der Bilder und Berichte vor sich liegen hätten. Dann kann man alles umso klarer erkennen. An der Wand wirkt ja doch alles reichlich verzerrt und verwischt. So ist es doch sicher viel angenehmer. In jeder erdenklichen Hinsicht. Oder?"
Nervös biss sich die Doktorandin abwartend auf die volle Unterlippe. Cian starrte sie einen Moment mit trübem Blick an, während die anderen hastig Zustimmungen ausstießen. Ihr Chef lehnte sich zurück, ein leises Lächeln auf den Lippen, und schüttelte belustigt den Kopf.
"Ich versteh' schon, was du hier tust. Was du mir durch die Blume zu sagen versuchst. Du must mich nicht schützen, Eddy. Aber ... danke."
Die Doktorandin spürte, wie sie feuerrot anlief und senkte schnell den Kopf auf ihre Unterlagen. Sie freute sich wahnsinnig, aber das würde sie nicht offen zeigen. Konnte ja wohl nicht angehen, dass sie sich bereits an ihrem ersten Arbeitstag in ihren Chef verguckte.
"Dann will ich mal", sagte Susanna und forderte das Team auf, das erste Bild zur Hand zu nehmen. Eddy fiel auf, das Cian zwar bereitwillig zuzuhören schien, aber die Augen nicht direkt auf die Unterlagen richtete. Er konnte den Schein wahren und zumindest seinen Stolz schützen, indem er so tat, als studiere er die Obduktionsunterlagen. So, wie sie es sich gedacht hatte.
"Es ist schon beinahe absurd. Man könnte meinen, der Täter habe sich nicht entscheiden können, wie er sie habe töten wollen. Nicht, dass er nicht zunächst auf perfide und abscheuliche Weise Spaß daran gehabt hatte, sie zu quälen. Seht ihr hier und hier? Zunächst hat er ihr die Augen eingedrückt. So brutal, wie die Wunden zugefügt wurden, denke ich, dass es ein Blitzangriff gewesen ist. Danach hat er ihr die Zähne eingeschlagen. Dann kam das Messer zum Einsatz. Ich schätze, dass er zunächst einen Schnitt am Hals, dann hier am Bauchraum und schließlich dort an der Innenseite des linken Oberschenkels platziert hat. Er hat nicht tief geschnitten, gerade genug, um dafür zu sorgen, dass sie stetig genug Blut verlor, um immer schwächer zu werden. Anschließend muss er mit dem Ritual auf dem Rücken begonnen haben. Die Wunden sind unregelmäßig, einige tiefer andere oberflächlicher. Die eigentliche Todesursache aber ist die stumpfe Gewalteinwirkung auf ihren Schädel. Er hat ihren Kopf mehrfach auf den Grabstein geknallt, bis der Schädel an der Basis gebrochen ist. Die Verletzungen mit dem Messer im Intimbereich sind post mortem entstanden."