Eddy stand mit in den Hüften gestützten Armen an den niedrigen Tisch gelehnt und blickte mit verkniffenem nudegeschminkten Lippen durch das Sichtfenster in den angrenzenden Verhörraum. Dort saß Anderson Ripley und wippte nervös mit den Beinen, spielte mit den Knöpfen an seinem Hemdsärmel und schielte alle paar Sekunden auf seine Armbanduhr. Auch die Doktorandin sah erneut auf die Zeiger des Zeitmessers an der Wand des Beobachtungsraums, in dem sie nun schon so lange ausharrte.
Cian war überfällig. Was nicht weiter ungewöhnlich war, denn sie wusste inzwischen ja nur zu gut, dass seine Unpünktlichkeit oft mehr Schein als Sein war und nicht selten einem psychologischen Zweck diente. Doch war er gestern nicht zur Arbeit erschienen und nach der Sache mit Becky und seinem damaligen Rückfall?
Eddy machte sich Sorgen. Daher hatte sie auch Jamie kontaktiert, aber außer einer kurzen Nachricht, dass er ihren Sturkopf aufgefunden hatte, war von dem Punk nichts zurückgekommen. Jamie war da scheinbar sehr diskret. Nun gut, aber leider half das der Blondine gerade nicht weiter. Weder hinsichtlich ihrer Befürchtungen und Sorge um Cian, noch in der Frage, wie sie jetzt mit dem Verdächtigen umgehen sollte.
Die Befugnis, eine Befragung auf eigene Faust und gänzlich ohne Supervisor durchzuführen, hatte sie nicht. Aber es wäre auch ärgerlich, den Verdächtigen unverrichteter Dinge wieder ziehen lassen zu müssen. Nicht jetzt, wo ihr Team doch endlich Fortschritte machte. So zumindest dem Anschein nach.
"Er wird schon auftauchen, Darling."
Die tenorale Stimme kam schräg von hinten und wurde von einem aufmunternden Schulterdruck unterstrichen. Fab ließ seinen schlanken Körper bäuchlings auf dem Tisch nieder und drapierte sich in lässiger Pose darauf, während er an einem Tee schlürfte. Eddy zog über dieses affektierte Verhalten die Stirn kraus. Doch sie hatte gelernt, dass es für den jungen Analysten nichts Ungewöhnliches war, mit dem ein oder anderen seiner Reize zu spielen. Die Doktorandin vermutete mehr hinter diesem schönen Schein, sah seit geraumer Zeit dünne Risse in Fabs Fassade.
Aber sie hielt sich zurück. Sie wollte nicht mehr so schnell urteilen und andere in Schubladen stecken, wie es ihr mit Cian und seinen Medikamenten oder den Profilen der Opfer passiert war. Dennoch würde sie den Kriminalpsychologen bei Gelegenheit vielleicht mal auf Fabs Verhaltensänderungen ansprechen. Vorausgesetzt, Cian tauchte jemals wieder auf.
Als es plötzlich in der Tasche ihrer Anzughose vibrierte, zuckte Eddy zusammen und eilig kramte sie ihr Smartphone heraus.
»Von Anfall niedergestreckt. Schon auf dem Weg. Sorry! C«
Erleichtert über das Lebenszeichen, atmete die Blondine auf.
"Nachricht von deinem Schatzi?", spöttelte Fab mit gehässiger Tonlage und richtete sich auf, sodass er nun auf der Tischplatte saß und die Beine baumeln lassen konnte. Eddy presste das Smartphone an ihre Brust, verdeckte hastig das Display und hoffte, dass das dunkelhaarige, bösartige Genie lediglich spekulierte und nicht über ihre Schulter hinweg mitgelesen hatte.
"W-wie kommst du denn darauf?"
"Weil du rot wirst, wie eine Tomate und dümmlich vor dich hinlächelst. Das machen nur verliebte Idioten, die noch nicht herausgefunden haben, dass Männer zu mehr als Sex nicht taugen."
Fab zuckte die Schultern und nahm einen weiteren Schluck von seinem Heißgetränk.
"Wer hat dir nur so wehgetan?", entfuhr es Eddy mitleidig.
Doch als Fabs eisblaue Augen noch eine Spur kälter wurden und sein Mundwinkel sich zu einem zynischen schiefen Lächeln verzog, wusste sie, dass sie sich hätte zurückhalten sollen.
"Die lange oder die kurze Liste, Darling?"
Eddy biss sich auf die Unterlippe. Sie war unsicher, was sie darauf antworten sollte.
Und doch war sie eigentlich sicher, dass Fab nur versuchte, den Schmerz zu verbergen, der in ihm brodelte. Das konnte sie so gut verstehen, denn sie tat genau dasselbe mit ihrer Rich-Bitch-Nummer. Blendete jeden mit dem glamourösen Schein aus Geld und Macht, den ihre Markenklamotten und teuren Autos, die kühle Fassade und die überhebliche Art boten. Dahinter war sie einfach nur verletzt und verunsichert. Ähnlich wie Fab - so vermutete die Doktorandin.
Sie hätte es jetzt auch gut sein lassen können. Und doch konnte Eddy nicht an sich halten, hatte das Bedürfnis, etwas dazu zu sagen.
"Fab ... Wenn du mit jemandem über deine Probleme reden möchtest -"
"Dann bist das mit Sicherheit nicht du. Sorry, Eddy, aber was glaubst du denn, wer du bist? Du und ich haben nichts gemeinsam - auch, wenn du das zu denken scheinst. Wir haben keine ähnlichen Erfahrungen gemacht und du hast mich sicherlich nicht durchschaut. Aber vor allem: Sind wir keine Freunde, die sich ihre süßen kleinen Herzchen ausschütten."
Mit blassem Gesicht wich Eddy einen Schritt zurück und biss die Zähne aufeinander.
Das hatte gesessen und es tat weh.
Eigentlich hatte sie gedacht, dass Fab und sie sich gut verstünden - eventuell tatsächlich soetwas wie ein Freund aus dem überdrehten, sonst immer so lustigen Kollegen werden könnte. Schließlich war der junge Mann für Cian eine sehr wichtige Bezugsperson.
Fab sprang vom Tisch und klopfte Eddy auf die Schulter, als er an ihr vorbei Richtung Tür ging. Nun zierte wieder ein freches Lächeln sein Gesicht, die Augen blitzten klar und neckisch. Wie konnte dieser Mann nur so schnell umswitchen?!
"Nimm's nicht persönlich, Darling. Mein Privatleben geht einfach niemanden was an."
Im Türrahmen hielt Fab ein letztes Mal inne und zwinkerte Eddy zu. Diese starrte ihn aber nur unverständig an.
"Dein Herzbube ist gerade eingetroffen. Ich mache das Equipment bereit und lasse euch Turteltäubchen dann mal allein in diesem abgelegenen Raum. Macht nichts, was ich nicht auch tun würde - was so ziemlich alles offen lässt."
Lachend schlenderte Fab davon und ein reichlich verdutzter Cian betrat den Beobachtungsraum. Sichtlich angeschlagen, ließ sich der große Kriminalpsychologe von Partner hinein führen. Fragend blickte er zu Eddy.
"Alles okay? Fab hat ja verdammt gute Laune heute."
"Mhm", machte Eddy nur, die zu verdauen versuchte, dass der Analyst über Cian und sie im Bilde zu sein schien. Hoffentlich würde Fab dieses brisante Geheimnis für sich behalten.