Das Jahr 11 des Eraz, MAE, im Heerlager vor Asinat
Welche Stimme ist edler als die eines Priesters? Denn aus dieser spricht der Wille der Götter, folglich müssen sie wahrhaftig sein.
Als Anasah dem Jungen hinterher sah, konnte sie nicht anders, als zu lächeln. Antirehms Bastard auszuhorchen, war fast schon zu einfach gewesen. Sie hatte es nicht für möglich gehalten, dass Menschen so naiv sein konnten.
Kopfschüttelnd blickte sie Asarak hinterher, bis er in dem Gewusel des Lagers verschwunden war.
„Demütige.“ Hajad trat vor und reichte ihr mit einer Verbeugung einen Brief.
„Ich danke dir“, meinte sie, während sie in ihre Zelt zurücktrat.
Auf ihren langjährigen Bewacher war Verlass und die Hohepriesterin schätzte seine Arbeit sehr.
Vorsichtig riss sie den Brief auf und ließ ihre Augen über die Worte fliegen.
Abgefasst war er von Fias, einem Viandav-Priester aus Hasuhar, doch diktiert hatte ihn Fürst Kialrehm. Denn die Kunst des Schreibens und Lesens war ein Vorrecht der Priesterschaft und nach Anasahs Meinung sogar das Beste.
Sie lächelte, als sie die Botschaft erfasste.
Kialrehm war auf ihre Bedingungen eingegangen und würde ihr zur Seite stehen, solange sie seine Forderungen erfüllte.
Es war nervig, dass sie seine unehelichen Kinder in den Tempel würde aufnehmen müssen, aber leider unabdinglich, wenn sie den Fürsten von Hasuhar und Antirehms Schwiegersohn als Verbündeten haben wollte. Doch ein wenig Papierkram und Bestechung, um einen anderen Vater für die Bastarde einzutragen, würde den Ausschluss von unehelichen Kindern vom Tempel umgehen und zugleich das Gesetz wirksam lassen. Für eine Hohepriesterin war dies eine Leichtigkeit.
Sie legte den Brief beiseite und rief nach Hajad.
„Lass Antirehm ausrichten, dass ich bereit bin, ihn zu empfangen“, befahl sie.
„Selbstverständlich, Demütige“, erwiderte er und verneigte sich. Sein ergrautes Haar glänzte im Schein des Feuers. „Wünscht du sonst noch etwas, Demütige?“
Sie hob den Kopf. „Ja, das tue ich tatsächlich. Ich wünsche, dass du einen vertrauenswürdigen Mann findest, der mit Asarak kämpfst und herausfindest, zu was er fähig ist.“
„Seine Verpflichtungen dir gegenüber…“
„…werden gelöst“, unterbrach die Hohepriesterin ihn, „Ich brauche für Antirehms Bastard einen vertrauenswürdigen Mann, der weiß, was er tut und möglichst viele Informationen von ihm erhält.“
„Wenn dies dein Wunsch ist, so werde ich ihn selbstverständlich erfüllen“, formulierte er steif und sie sah den Missfallen in seinen Augen, doch ignorierte sie dies.
„Es ist mein ausdrücklicher Wunsch und Befehl, Hajad“, erklärte sie streng und befahl ihm mit einer Handbewegung, sich zu entfernen.
Anasah trat vor das Wasserbecken und überprüfte ihr Aussehen. Antirehm würde sich kaum durch Schönheit und Reichtum beeindrucken lassen wie sein närrischer Sohn, dafür kannten sie sich schon zu lange, dennoch legte sie Wert darauf, beeindruckend zu wirken.
Nachdem sie sich niedergekniet hatte, tauchte sie ihren kleinen, rechten Finger in das geheiligte Wasser und schrieb auf ihrer Stirn den Namen ihrer Herrin Oandath nach.
Neben dem Baum war Wasser das bedeutsamste Zeichen der Lebensgöttin, auch wenn sie sich dieses mit ihren Schwester Eandelath und Miandath teilte. Oandath war die zweitgeborene Schwester, doch war sie es, die den Beinamen „die Feurige“ trug und als Lieblingsgemahlin des Himmelskönigs Viandav galt.
Seit ihrem ersten Tag im Tempel war Anasah unglaublich stolz, dass es ausgerechnet diese Göttin gewesen war, die sie, ein armes Mädchen, als ihre Hohepriesterin berufen hatte. Nur durch diesen Schritt war es ihr möglich gewesen, Macht zu erlangen, etwas, was für Frauen in ihrem Volk nahezu unmöglich war.
Alle Frauen sind Sklaven, aber nicht alle Sklaven sind Frauen. Sie hatte bewiesen, dass dieses Sprichwort nicht für sie galt. Oandath hatte sie aus dem Sklavendasein ihres Geschlechtes befreit und im Gegenzug galt es für sie, die Befehle ihrer Herrin zu erfüllen.
Und nun war sie hier, um eben das zu tun.
Nachdem sie ihr Gebet beendet hatte, stand sie in einer fließenden Bewegung auf und verließ das Zelt.
Augenblicklich stellten sich sechs Wachen um sie auf und so gesichert ging sie einige Meter durch das Lager bis zu einem der Audienzzelte der Priesterschaft.
Der beaufsichtigende Priester, dieser trug auf seinem Gewand Helm und Schild des Jinuv, sprang sogleich auf.
„Wie kann ich dir dienen, Demütige der Oandath?“
„Ich wünsche dieses Zelt für ein Gespräch mit Antirehm von Kantigark zu nutzen“, erklärte sie leise.
„Natürlich.“
Mit einer Verbeugung erlaubte er ihr den Eintritt. Formell unterstand er als Jinuv-Priester zwar nur seinem eigenen Hohepriester, doch praktisch war er verpflichtet, auch die Wünsche und Befehle der anderen Hohepriester zu erfüllen, solange sie nicht den Befehlen des eigenen widersprachen. Da der Hohepriester des Jinuv jedoch im Hochtempel von Kantigark verblieb, war sie nach Eraz die zweithöchste Instanz der Priesterschaft in diesem Lager.
Sie hatte ein Audienzzelt, das unter der Schirmherrschaft von Jinuv stand, erwählt, weil er der Gott des Schutzes und der Berge war, sowie der Schutzherr von Antirehms Stadt Kantigark, weshalb der Jinuv-Hochtempel auch in seiner Stadt zu finden war.
Es würde den Fürsten hoffentlich milder stimmen und ihn vor unnötigen Gefühlsausbrüchen bewahren.
Anasah setzte sich auf den Teppich, der den gesamten Raum ausfüllte und den Helm und den gewaltigen, steinernen Schild Rihasani zeigte, die Zeichen Jinuvs.
Ansonsten war der Raum leer und es gab nichts, was den Blick ablenken konnte.
Die Hohepriesterin schloss die Augen, um ihre Gedanken zu konzentrieren und sich auf das vorliegende Gespräch vorzubereiten.
Sie öffnete diese erst wieder, als sie Stimmen vor dem Zelt vernahm und Geräusche hörte.
„Seid willkommen, Fürst.“
Antirehm reinigte sich die Füße in der Sandschale und trat dann ein.
„Ich grüße dich, Hohepriesterin.“
Sie vermochte es, die Augenbraue dank dieser respektlosen Anrede nicht zu heben und ließ sich nichts anmerken.
„Ihr habt um eine Audienz gebeten?“
Ihr stand wahrlich nicht die Laune danach, ihm das Zeichen zu geben, sich niederzusetzen und so musste der Fürst stehen bleiben, was ihn jedoch nicht zu stören schien.
„Das habe ich“, entgegnete der Kantigarker Fürst gelassen und begann im Raum umherzugehen, „Ich wollte mir deine Strategien und Gründe für diesen Feldzug anhören.“
„Ich fürchte, da müsst Ihr zu seiner höchsten Demütigkeit gehen.“
„Oh, ich bitte dich, Anasah. Wir wissen doch beide, auf wessen Kosten dieser Feldzug geht.“.
Beinahe hätte sie aufgelacht. Wie hatte sie diese Gespräche mit dem Fürsten vermisst. Selbst dass er durch das Nennen ihres Namens ein Tabu gebrochen hatte, verzieh sie ihm leicht.
Mit einer leichten Handbewegung erlaubte, sie ihm fortzufahren.
„Liirehms Worten zufolge hast du noch nicht einmal einen Boten nach Asinat geschickt, wie es jedoch das im Jahr 27 des Gasaz’ verabschiedete Gesetz über den Schutz der Bürgerrechte in Kriegszeiten vorsieht.“
Es sah Antirehm ähnlich, dass er mit irgendwelchen Gesetzen kam, die zwar nicht aufgehoben, jedoch schon lange aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden waren.
„Liirehm ist ein unverbesserlicher Weltverbesserer, der nur leider die wesentlichen Tatsachen außer Acht lässt. Ich habe Boten nach Asinat geschickt. Vielleicht kamen sie nur nicht mit den Ergebnissen, die der Fürstensohn zu hören wünschte.“
„Ein unverbesserlicher Weltverbesserer, ja? Das würde ich Beerehm aber nicht hören lassen. Fürsten haben es selten gerne, wenn man ihre Familie beleidigt.“
„Kommt mir bloß nicht mit Beerehm“, knurrte sie, „Ich kann nicht behaupten, dass ich den Fürsten von Lizarat jemals mochte, aber jetzt ist er endgültig verrückt geworden.“ Sie hob vielsagend eine Braue. „Ihr werdet es erleben, wenn er ankommt.“
„Ich habe nicht um eine Audienz gebeten, um mich über Beerehm von Lizarat zu unterhalten“, meinte er gelassen.
Natürlich hatte er gemerkt, dass sie versuchte, dass Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. Sie hatte fast vergessen, was ein anspruchsvoller Gesprächspartner war.
„Genügt es Euch, wenn ich die Beweise und Gründe bei der morgigen Fürstenversammlung darlege?“
„Das hängt davon ab, ob es deine wahren Beweggründe für diesen Feldzug sind“, entgegnete er.
„Meine Intention ist die Verteidigung des wahren Glaubens und die Machtwahrung des Tempels.“
Ein trauriges Lächeln umspielte Antirehms Mundwinkel, während er in seinen Kreisen innehielt und sie betrachtete. Auf einmal war es Anasah unangenehm, dass er auf sie herabstarren konnte und über ihr stand. Es war ohne Zweifel ein Fehler gewesen, ihn stehen zu lassen.
„Ich weiß“, meinte er nur, „Es war schon immer deine Intention, den Glauben zu verteidigen.“
Seine hellblauen Augen durchbohrten ihn.
„Sag, war das auch der Grund, aus dem mein Bruder sterben musste? Weil er zu viel wusste und deshalb eine Gefahr für den Tempel geworden war?“
Innerlich erschauderte Anasah, doch äußerlich ließ sie sich nichts das Geringste anmerken.
„Euer Bruder war ein äußerst talentierter Heerführer, der wie so viele heldenhafte Männer bei der Einnahme von Azasit vor acht Jahren fiel. Djurehms Tod war bedauerlich und tragisch, doch ist der Tod eine natürliche Tatsache, die wir akzeptieren müssen.“
„Das mag stimmen.“ Seine Stimme wurde leise und scharf wie eine erhobene Waffe, „Doch hast du den Oberbefehl geführt und du hast ihm keine Verstärkung trotz wiederholter Hilferufe geschickt. Du magst die Waffe nicht geführt haben, aber du hast die Grube gegraben, in die er gestürzt ist.“
„Ihr solltet wissen, Antirehm, das Schlachten verwirrend und unübersichtlich sein können. Azasit war solch eine Schlacht und wenn ihr jemandem die Schuld an dem Tod Eures Bruders geben wollt, dann gebt sie den Azasitern.“
„Es ist das, was du willst, nicht wahr? Hass in vorbereitete Bahnen lenken, damit er deinen Karren zieht. Die Seekönige machen wieder Schwierigkeiten, nicht wahr? Sie streben erneut nach Unabhängigkeit und haben eine neue, fremde Religion, welche die unsere als falsch ansieht. Wenn du gehofft hast, dass ich zum Feldzug ausrufe, um Djurehms Tod zu rächen, hast du dich geirrt. Heißt es nicht, dass Hicurath jedem nach seinem Maß belohnt? Ich vertraue in diese Göttin, dass sie den Schuldigen findet und den Tod meines Bruders rächt.“
Sie wussten beide, dass er keinesfalls in die Göttin der Gerechtigkeit und der Entscheidungen vertraute. Doch selbst für ihn war es mehr als riskant, ihr einen offenen Vorwurf des Mordes zu machen.
„Was also ist es, das dich an Dirasrehm sorgt? Was hat er herausgefunden, dass du zum Feldzug gegen ihn rufst?“
„Ein Fürst, der lesen kann und die Bücher für seine Zwecke nutzt, entspricht kaum dem Willen der Götter.“
Keine Körperbewegung Antirehms deutete Erstaunen an. Er hat es gewusst, erkannte sie, Er wusste es und hat doch nichts dagegen unternommen…
„Eine gute Erklärung“, gab er zu, „doch wirst du Beweise brauchen.“
„Die habe ich.“, entgegnete die Hohepriesterin ruhig und goss sich aus einer bereitstehenden Karaffe etwas Wasser ein.
„Und wirst sie hoffentlich bei der Fürstenversammlung vorzeigen.“
„Natürlich.“
Er nickte.
Ihr war durchaus bewusst, dass er ihrer Intention aufgrund von verbotener Bücherleidenschaft in den Kampf zu ziehen, nicht glaube, aber die Erklärung war plausibel und so blieb ihm nichts anderes übrig, als sie zu akzeptieren.
„Erzählst du mir auch, was mein Schwiegersohn in seinen dauerhaften Audienzen bei dir bespricht?“, wechselte er das Thema.
Es überraschte sie doch ein wenig, wie schnell er gewesen war.
Sie lächelte.
„Er versucht mich zu überreden, seine Bastarde in den Tempel aufzunehmen.“
Einen Moment las sie so etwas wie Entsetzen in Antirehms Blick.
„Schockiert Euch das? Viele Männer haben Bastarde. Selbst Ihr, der Ihr Euch doch immer als so ehrenhaft gibt, habt einen gezeugt.“ Sie hielt inne und legte den Kopf schief. „Wobei Kialrehm doch außergewöhnlich viele hat und dass, obwohl er noch so jung ist. Ich glaube wirklich nicht, dass Eure Tochter eine glückliche Ehe führt.“
Erstaunt erkannte sie, dass ihm diese Information tatsächlich unbekannt war. Wie hatte Kialrehm das nur geschafft? Für einen winzigen Moment tat er ihr sogar leid. Es war bestimmt kein angenehmes Gefühl zu wissen, was man der eigenen Tochter unbewusst angetan hatte.
„Was ist also seine Gegenleistung als der Preis für die Aufnahme seiner Bastarde in den Tempel?“, fragte er.
„Ich denke, wir wollten über diesen Feldzug und nicht über Kialrehm von Hasuhar sprechen?“
„Du enttäuscht mich, Anasah. Willst du wirklich behaupten, dass deine und Kialrehms Gespräche nichts mit diesem Feldzug zu tun haben?“
Sie öffnete den Mund, um eine Antwort zu geben. Doch er winkte ab und die Entrüstung über diese Geste genügte tatsächlich, um ihr die Worte zu nehmen.
„Ich benötige deine Antwort nicht, Anasah“, erklärte der Fürst von Kantigark selbstbewusst, „Ich kenne sie bereits, weswegen du deine Lügen für dich behalten kannst.“
Mit diesen Worten hob er die rechte Hand zum Gruß an die Stirn.
„Wir sehen uns bei der Fürstenversammlung.“
Dann verließ er das Zelt. Anscheinend war ihre Audienz beendet.
Anasah seufzte. Antirehm war gefährlicher geworden, als sie gedacht und gehofft hatte. Sie bedauerte es jetzt schon, aber früher oder später würde ihr nichts übrig bleiben, als ihn zu töten.
Eine traurige, aber notwendige Angelegenheit, auch wenn sie die Gespräche mit ihm wahrlich vermissen würde.
Nach kurzem Schlaf sahen die Hohepriesterin und der Fürst sich wieder, als Eandelath erneut am Himmel stand.
Die Fürstenversammlung traf sich in einem gewaltigen Zelt, das sich in der größten Höhle auf einer Erhöhung befand.
Soldaten des Götterschildes standen neben Kriegern aus der fürstlichen Schattenwache Hasuhars, der Hohenwacht Kantigarks, Männern des Adlerauges Lizarat und anderen Fürstenwachen, deren Bezeichnungen Anasah unbekannt waren.
Bannerträger hatten sich um das Zelt aufgestellt und zeigten mit stolz hervorgestreckter Brust die Wappen ihrer Herren.
Die Hohepriesterin ignorierte sie alle. Denn der Tempel war es gewesen, der sie gerufen hatte und der Tempel war es, dem die Fürsten zu dienen und dessen Interessen sie ihrer Pflicht nach zu erfüllen hatten.
Sie warf einen leichten Seitenblick zu Eraz, der neben ihr ging. Immerhin sah er beeindruckend und edel aus, was mehr war, als er zu anderen Zeiten gezeigt hatte. Er nahm seine Rolle als Führer dieser Heere sehr ernst, wenn dies auch nicht bedeutete, dass er sich nun auf großartige Strategien verstand.
Gemeinsam traten sie in das Zelt ein und die Menge der Fürsten, die bisher gewartet hatten, schloss sich ihnen an.
Auch dieses Audienzzelt wurde von einem gewaltigen Teppich ausgefüllt. Doch dieser zeigte nicht eine Szene der Mythologie, sondern ein neutrales Muster in Blau, Grün und Gold, den Farben der Träume, des Lebens und der Herrlichkeit.
Feuerschalen standen in den vier Ecken, weshalb der Rauch von Flammsteinen in der Luft hing. Dazwischen lagen winzige Teppiche, die einfache Speisen und Getränke bereithielten. Es würde weder Diener noch Sklaven geben, die sie bedienten, darüber waren die Fürsten aus Angst vor Spionen übereingekommen.
Gleichzeitig ließen Anasah und Eraz sich gegenüber dem Eingang an der kurzen Seite nieder, welcher als Ehrenplatz galt, weil von dort das ganze Zelt und der Eingang zu überblicken war.
Die Fürsten gruppierten sich in einer von vorne herein festgelegten Reihenfolge um sie herum.
Insgesamt waren sie sieben.
Fürst Kialrehm saß als jüngster direkt neben dem Eingang und somit den Hohepriestern gegenüber. Er trug als einziger der Anwesenden eine vollständige Rüstung. Es war eine Kettenrüstung, in die an Brust, Unterbauch, Schulter und Rücken mit seinem Wappen verzierte, rechteckige Messingplatten eingelassen waren. Das Kettengeflecht reichte bis unterhalb der Hüfte und war am Ende gezackt, um die Beweglichkeit zu erleichtern. Obwohl die Rüstung nur bis über die Schultern reichte und somit mit metallenen Armschienen nachgeholfen wurde, sah sie nach einem außerordentlich guten Schutz aus.
Einzig wovor der Fürst sich schützen wollte, war Anasah unverständlich. Vermutlich sollten sie sich noch darüber freuen, dass er seinen Helm nicht aufgesetzt hatte, sondern nur in der Armbeuge hielt. So blieb ihnen der Helmbusch aus bunten Federn vorerst erspart.
An der Längsseite links von ihm saß Liirehm, der Erbe von Lizarat. Dieser trug ein eher unauffälliges Wams aus bunt gefärbter Wolle, sowie eine dunkle Hose und saß gelassen im Schneidersitz auf dem Teppichboden.
Neben dem jungen Mann saß der deutlich ältere Hokrehm, Fürst von Nisorat. Hokrehm war für prächtige Kleidung bekannt und auch bei dieser Versammlung enttäuschte er seine Mitmenschen mit dem prächtigen Gewand aus grüner Seide mit eingewebtem Gold nicht. Sein mit Edelsteinen dargestelltes Wappen musste, ebenso wie die gewaltige goldene Kette und die Ringe an sein Fingern schon aus weiter Entfernung die Diebe anziehen wie in der Nacht geöffnete Blüten die Insekten.
An der gegenüber liegenden Längsseite saß der Fürst von Limisar, Osirehm. Sein Kettenhemd mochte eher praktisch, denn so prächtig wie Kialrehms Rüstung wirken, doch verkündete sie seine Kriegsbereitschaft. Grimmig und mürrisch blickte der Fürst, der mit Eraz der älteste Anwesende war, herein, als wolle er schon jetzt, Säbel und Schild ergreifen, um dem Feind endgültig ein Ende zu bereiten.
Antirehm der links neben Osirehm saß, wirkte deutlich entspannter und lächelte sogar. Er trug ähnlich wie Liirehm, der im gegenüber saß, ein einfaches, leuchtend grün und blau gefärbtes Wams mit einer dunklen Hose.
Eraz führte die Begrüßungsgeste aus und sprach einige einleitende Segensworte, bei denen er um den Segen der Götter für diese Versammlung bat.
„Edle Fürsten des Landes Eletak, die ihr Diener der einzig wahren Götter seid, wir danken für euer Erscheinen. Wir haben uns heute in Eandelaths Licht hier versammelt, um die Gründe des Feldzuges gegen Dirasrehm von Asinat, sowie weitere Strategien zu besprechen.“
Eraz hielt inne und musterte jeden einzelnen der Fürsten, bevor er fortfuhr: „Als ihr den Thron eurer Städte bestiegt, habt ihr einen Eid geleistet. Den Eid, der da lautet, dass ihr den wahren Glauben gegen jegliche Widrigkeiten verteidigt. Diesen Eid gilt es nun zu erfüllen. Denn Dirasrehm hat das Gesetz gebrochen, indem er sich den Priestern und Göttern gleichstellte. Bücher las er, obwohl dies ein Vorrecht der Götter und der Priester, die sich ihnen verschworen haben, ist. Um die Verbreitung solcher Verbrechen zu verhindern, muss Dirasrehms Vergehen mit einem sichtbaren Zeichen geahndet werden.“
Der Hohepriester des Viandav und somit oberste Instanz dieses Landes schwieg. Anasah war zufrieden mit ihm. Er hatte seine Rede gut und überzeugend gemeistert.
„Gut gesprochen, Demütigkeit“, meinte Kialrehm, „Diesen Frevel dürfen wir nicht ungesühnt lassen! Ich schlage deshalb vor, dass wir Dirasrehm seinen Thron und Ämter aberkennen und einen geeigneten neuen Fürsten ernennen.“
Anasah nickte einstimmend. Kialrehm hatte Recht, auch wenn er diesen Vorschlag nicht ohne Hintergedanken gemacht hatte. Eine seiner Nebenfrauen war eine niedere Adelige aus Asinat und er durfte darauf hoffen, dass nach Dirasrehms Sturz ein Mitglied ihrer Familie in den Hochadel und auf den Thron Asinats erhoben werden würde.
Fürst Hokrehm erhob die Hand zum Zeichen, dass er zu sprechen wünschte.
„Wenn die Anschuldigungen des Hohepriesters der Wahrheit entsprechen, muss Dirasrehm selbstverständlich seiner Ämter beraubt werden. Ein Fürst, der die Götter und ihre Gebote wissentlich missachtet, kann unmöglich länger in ihrem Namen regieren. Doch hat der Fürst meiner Kenntnis nach drei Söhne, die ihm auf dem Thron nachfolgen können und sich dem Hohepriester nach keine Verbrechen zu Schulden haben kommen lassen. Sicherlich werden sie eher vom Volk akzeptiert, als irgendein Fremder.“
Liirehm nickte zustimmend.
„Ich bin bereit, diesen Vorschlag zu akzeptieren. Und ich bin mir sicher, dass Fürst Dirasrehm dem Kompromiss zugunsten seines ältesten Sohnes Ifurehm abzutreten, ebenfalls zugetan sein wird. Wenn wir die natürliche Erbfolge missachten wie Fürst Kialrehm es vorschlägt, würde es im Reich und unter den übrigen Adeligen nur zu Unruhen führen.“
„Können das nicht besprechen, nachdem wir diesen Krieg beenden?“, fragte Osirehm gelangweilt. „Wir sind alle einig, dass Dirasrehm ein Verräter und Ketzer sein. Also lasst uns dieses Drama endlich beenden.“
Bei diesen Worten musste Antirehm sich selbstverständlich einmischen.
„Was wir bisher gehört haben, war die Behauptung des Hohepriesters, dass Dirasrehm der Kunst des Lesens und Schreibens mächtig ist. Doch ich frage mich, wie wir diese Worte einfach anerkennen können, ohne zu wissen, ob sie der Wahrheit entsprechen. Wie können wir nach Krieg rufen, wenn uns die Wahrheit unbekannt ist. Wo sind die Beweise?“
Anasah erhob sich ohne ein Wort, ging an der Längsseite hinter Hokrehm und Liirehm vorbei, bis zum Eingang.
Sie schlug den Stoff beiseite, trat nach draußen und suchte nach Hajad.
Als sie ihn fand, befahl sie: „Bring den Gefangenen.“