Kaum hatte Toby die Küche verlassen, wurde ein Schlüssel ins Schloss der Haustür gesteckt und herumgedreht.
Roger hatte einen Schlüssel zu Tobys Wohnung? Aber warum eigentlich nicht, das erklärte immerhin, wie er den einen Sonntag in die Wohnung gekommen war.
Die Tür öffnete sich und Roger trat herein. Er sah fertig aus. Sein Hemd war an einigen Stellen gerissen und im Gesicht hatte er Schrammen. Sein Blick fiel direkt auf mich und er versuchte sich an einem Lächeln. »Hey, Kleiner.« Noch immer im Flur stehend, sah er sich suchend im Raum um. »Wo ist denn Toby? Er ist aber nicht wirklich los, mich suchen, oder?«
Auch für ihn brauchte ich dringend einen Spitznamen. »Hi. Nein, er ist ...«
»Scheiße, warum hast du so lange gebraucht? Das Rainbow ist doch nicht so weit weg.« Toby tauchte plötzlich neben Roger auf und zog ihn in seine Arme. Mehr als seine Unterhose hatte er nicht geschafft, sich anzuziehen.
Roger ließ es sich gefallen und legte seinen Kopf auf Tobys Schulter. »Ich hab die Bahn verpasst.«
»Ich hatte Angst, dass er dir doch hinterher ist.« Tobys Stimme war richtig sanft. Er drückte Roger etwas enger an sich, nahm dessen Gesicht in seine Hand und drehte es zu sich. »Und das nennst du, nichts weiter passiert?«
»Es gibt Schlimmeres.« Roger versuchte, seinen Kopf wegzudrehen.
»Er hat dir wehgetan, das ist schlimm genug.« Toby hielt den Kopf weiter fest und strich mit der freien Hand über die Wange. »Hat Lorenzo gepennt? Wie kann es sein, dass es vor dem Club so weit kommen kann?«
»Ich hab den Kerl angequatscht und wir sind raus in eine Seitengasse. Er hat ohne Vorwarnung zugeschlagen. Lorenzo hat meinen Schrei gehört und ist rübergekommen. Da hat der Typ die Beine in die Hand genommen und ist gelaufen.« Roger wurde richtig unruhig in Tobys Armen. Er wich immer wieder seinem Blick aus und schaute zu mir. »Ich glaub nicht, dass der das nochmal versucht.«
»Er hätte ihn trotzdem festhalten müssen und die Polizei informieren. Auch wenn er es im Rainbow nicht mehr versucht, er kann es immer noch woanders versuchen. Aber erstmal bin ich froh, dass dir nichts passiert ist.« Tobys Lippen legten sich langsam auf Rogers.
Was zur ... Hatte ich etwas verpasst? Warum küsste er ihn? Und dann auch noch so zärtlich.
Das Handtuch rutschte mir vor Schreck aus der Hand.
Toby bekam die Bewegung aus den Augenwinkeln mit und sah auf. Er schien erst jetzt zu bemerken, dass ich die ganze Zeit zu ihnen hatte herüberschauen können. Zumindest sagten mir das sein ertappter Geschichtsausdruck und die Art, wie er Roger sofort losließ.
Es entstand ein peinliches Schweigen. Keiner von uns wusste, was er sagen sollte.
Dann begannen Roger und ich gleichzeitig zu sprechen. »Tut mir leid, ich hätte doch lieber ins Hotel gehen sollen.« »Ich gehe wohl doch besser.«
»Ihr bleibt. Beide!« Tobys gerade noch so sanfte Stimme war augenblicklich bestimmend geworden.
»Ich glaub ich stör hier gerade. Ihr solltet wirklich Zeit zu zweit haben.« Ich stand auf und wollte an den beiden vorbei ins Wohnzimmer. Noch immer konnte ich nicht zuordnen, was ich gerade gesehen hatte.
»Warum willst du jetzt gehen? Ich dachte, du hättest gesagt, du willst hierbleiben?« Toby hielt mich zaghaft am Oberarm fest.
Roger legte Toby eine Hand auf seinen anderen Arm. »Toby, lass gut sein. Er braucht vielleicht Zeit damit klarzukommen. Es hätte deutlich bessere Momente gegeben, es zu erfahren.«
Toby senkte unter Rogers vorwurfsvollen Blick den Kopf und ließ meinen Arm los. Er sah erst zu Roger, dann zu mir. »Tut mir leid. Ich hatte keine Ahnung, wie ich es dir in der kurzen Zeit sagen sollte. Eigentlich hättest du das gar nicht erfahren sollen.«
»Kurze Zeit?« Ich sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Ich find ’n Monat gar nicht so kurz für ein kurzes: Hey, hör mal, Roger ist mehr als nur ’n guter Freund für mich.«
Toby schaute mich nur entgeistert an, Roger prustete los. Dann war er es, der das Wort ergriff: »Sorry. Es ist nichts gegen dich. Nur wenn wir allen unseren Affären sagen würden, dass wir ein Paar sind, dann würden wir irgendwann keine mehr finden. Schwule sind ziemliche Tratschtanten.«
Was? Die beiden waren sogar ein Paar?! Ich hätte darauf getippt, dass sie nur ab und zu mal miteinander schliefen, aber ja, wenn man bedachte, dass Roger einen Schlüssel hatte, ergab das Sinn. Aber wie ging es, dass sie ein Paar waren, wenn Roger doch nichts dagegen gehabt hatte, dass ich den einen Sonntagmorgen hier gewesen war, ja sogar nichts dagegen gesagt hatte, dass ich offensichtlich Sex mit Toby hatte und an einem anderen Tag hatte er mich ja sogar dazu ermutigt mit Toby zu flirten. Auch gerade schien ihm völlig bewusst, was geplant war. Und hatte er nicht auch zu Toby gesagt, dass er den Kerl angesprochen hatte und mit ihm in eine Seitengasse gegangen war. Gab es dafür noch eine andere als die offensichtliche Bedeutung, die mir nicht bewusst war?
Zwei Hände packten mich an den Schultern, schoben mich zu einem der Küchenstühle und drückten mich darauf. »Ich koch uns was – Ihr habt doch noch nicht gegessen, oder? – und du klärst den Kleinen mal auf. Dem scheinen gerade etwas die Hirnwindungen zu glühen.«
Toby setzte sich mir gegenüber an den Küchentisch und seufzte: »Na dann mach ich mal wieder den Erklärbär. Wenn ich fertig bin, kannst du dich immer noch entscheiden, ob du gehen willst oder hierbleibst.«
Ich verstand vermutlich nicht alles, was Toby mir erklärte. Was ich jedoch verstand, war, dass sie zwar eine Beziehung führten – und das seit bereits neun Jahren –, jedoch nebenher weitere sexuelle Kontakte pflegten und der jeweils andere auch davon wusste. Es war wohl auch gar nicht so ungewöhnlich, dass mal eine ihrer Affären auch den anderen kennenlernte, sie würden sich ja auch dafür interessieren, mit wem der andere sich vergnügte. Dann würden sie sich aber grundsätzlich wie Freunde verhalten. Sie meinten, dass es einerseits die Affären nichts anginge und andererseits zu viel getratscht werden würde, sodass es dann schwierig würde, noch jemanden zu finden. Sie hatten beide bereits die Erfahrung gemacht, dass nicht jeder Mann damit klarkam und viele sich nicht mehr blickenließen, wenn sie erfuhren, dass es einen festen Freund gab. Soweit verstand ich es. Ich fand es nicht toll, dass sie mich angelogen hatten, aber ich konnte es wirklich verstehen; Ich war der Letzte, der das Recht hatte, sie zu verurteilen, immerhin schwieg ich noch immer über mein Alter.
Was ich an der ganzen Sache aber nicht verstehen konnte: Warum führten sie überhaupt eine Beziehung? Ich konnte sehr gut verstehen, dass einem eine Person für Sex nicht reichte, dass die Abwechslung fehlte. Hieß aber eine Beziehung nicht genau das? Sich an eine Person zu binden, die man liebte, und nur noch mit ihr Sex zu haben? Zumindest war es das, was ich immer unter einer Beziehung verstanden hatte und genau der Grund, warum ich mich nicht auf eine einlassen wollte. Aber diese Art der Beziehung ... Das klang wirklich interessant.
»Ich versteh einfach nicht, wie so eine Beziehung aussehen soll. Ich meine, wenn man dann doch eh immer mit anderen vögelt, wo ist dann der Unterschied zu einer Freundschaft, in der man ab und zu miteinander schläft?«, versuchte ich, mein Unverständnis zum Ausdruck zu bringen.
»Wenn du mal wirklich verliebt bist, wirst du es vielleicht verstehen.« Roger legte mir eine Hand auf die Schulter, während er sich neben mich an den Tisch setzte. Er und Toby warfen sich einen Blick zu, den ich bereits von anderen Paaren kannte, die lange zusammen waren – Mum und Dad, Mr. und Mrs. Payne. Dieses versonnene Lächeln, wenn man sie nach ihrer Beziehung fragte. Vielleicht verstand ich es in diesem Moment doch ein wenig.
Roger hatte wieder sehr gut gekocht. Es gab angebratenes Gemüse. Wenn er immer so kochte, war es ein Wunder, dass Toby nicht durch die Gegend rollte. Aber er trainierte wohl genügend, damit es nicht der Fall war.
Da ich während des Essens nicht das Gefühl hatte die beiden zu stören, entschied ich zu bleiben.
Wir machten einen kurzen Abstecher zur Videothek, wo sich jeder einen Film aussuchte. Toby und Roger schienen heute etwas länger aufbleiben zu wollen. Roger wollte Shanghai Noon sehen, Toby hatte sich The Cell ausgesucht und ich entschied mich für Gladiator.
Mit den Filmen und ein paar Bier machten wir es uns im Wohnzimmer bequem. Amüsiert stellte ich fest, dass Toby wohl einen ähnlichen Plan für uns heute Abend gehabt hatte. Allerdings mit anderen Filmen. Roger hatte den DVD-Player angeschaltet, bevor Toby ihn erreichte, um die erste der geliehenen DVDs einzulegen, und wir sahen den Vorspann eines Pornos. Während Toby eiligst auf den Knopf zum Auswerfen der DVD drückte und Roger einen bösen Blick zuwarf, grinste dieser nur hämisch. Toby war hier also nicht der einzige, der Freude daran hatte, andere zu ärgern.
Toby setzte sich auf die Couch neben Roger, der sich hinlegte und den Kopf auf den Schoss seines Freundes bettete. Ich entschied mich zum zweiten Mal an diesem Tag für den Sessel.
Während des ersten Films, Shanghai Noon, lachte Roger immer wieder laut, dann wurde er ruhiger und irgendwann hörte man gar nichts mehr von ihm.
»Kannst du gleich den Film wechseln?«, flüsterte Toby von hinter mir, als der Abspann von Gladiator lief.
Ich sah mich zu ihm um. Er hatte den Arm um seinen Freund gelegt und streichelte durch sein braunes Haar. Roger war scheinbar eingeschlafen.
»Klar.« Ich betrachtete die beiden noch ein wenig, während der Abspann lief. Sie sahen wirklich süß aus, vollkommen vertraut miteinander. Wie ich sie so sah, fühlte ich mich doch etwas als Eindringling in ihre Zweisamkeit, aber gleichzeitig auch willkommen, da sie sich mir gegenüber so zeigten. War es vielleicht genau diese Zweisamkeit, die ihre Beziehung ausmachte? »Ich bin aber auch nicht böse, wenn ihr ins Bett geht.«
»Ich bin noch nicht müde. Außerdem mag ich den Film sehen«, antwortete Toby.
Also stand ich auf und legte The Cell ein.
»Komm her.« Ich hatte mich gerade wieder auf den Sessel setzen wollen, da deutete Toby auf die andere Seite neben sich.
Ich sollte jetzt zu ihm kommen, während sein Freund in seinem Arm schlief? Wollte ich wirklich so sehr zum Eindringling werden? Wäre das für Roger in Ordnung?
Ich entschied, dass nichts dabei war mich einfach danebenzusetzen.
»Danke, dass du geblieben bist.« Toby strich mir mit der freien Hand über Kopf und Nacken. »Tut mir leid, dass der Abend so gelaufen ist. Ich habe ihn mir auch anders vorgestellt.«
»Schon gut, solange ich euch nicht störe.« Seine Hand im Nacken, die mich sanft kraulte, fühlte sich gut an. Ich kämpfte einen Moment innerlich dagegen an, dann schloss ich die Augen und genoss es.
»Warum solltest du stören? Wir hätten dich schon gebeten zu gehen, wenn das der Fall wäre. Mach dir nicht so viele Gedanken und entspann dich einfach.« Er legte mir die Hand auf die Brust und drückte mich an sich.
Ich saß jetzt mit dem Rücken an seiner Seite. Damit es bequem wurde, nahm ich die Füße auf die Couch und lehnte meinen Kopf gegen seine Brust.
Der Film war wirklich interessant und faszinierte mich, dennoch schaffte Toby es immer wieder, mich davon abzulenken, indem er mit seiner Hand mal über meinen Hals fuhr, dann sie wieder auf meine Brust legte oder am Bauch unter mein T-Shirt griff und mich dort streichelte. Immer wenn ich mich an eine Stelle gewöhnt hatte, ließ er die Hand an eine andere wandern.