Als ich am nächsten Morgen erwachte, kam mir der letzte Abend wie ein Märchen vor. Hätte mir jemand vor einem halben Jahr erzählt, dass ich einmal eine Beziehung würde führen wollen und noch dazu mit einem Mann, hätte ich ihn vermutlich ausgelacht. Und jetzt hatte ich das Bedürfnis, Peter wach zu küssen.
Doch dieser schlug bereits die Augen auf, als ich mich zu ihm umdrehte. Als er mich sah, lächelte er und zog mich an sich. Er gab mir einen leichten Kuss. »Guten Morgen, Schatz. Ist alles gut?«
Ich legte meinen Kopf auf seine Brust und strich sanft mit den Fingerkuppen über seinen Oberkörper. »Jain. Du hättest etwas vorsichtiger sein können, aber es geht schon.«
»Du konntest es doch kaum abwarten und dann nicht genug bekommen«, tadelte er mich lachend und hatte damit wohl auch recht. Ich hatte keine Ahnung, wann wir erschöpft eingeschlafen waren, aber dass der Wecker auf dem Nachttisch bereits 14 Uhr zeigte, sprach für eine sehr lange Nacht. Und dafür sprach auch meine körperliche Verfassung. Vielleicht hatten wir es etwas übertrieben? »Wie wär’s, wenn du liegenbleibst und ich hol uns Frühstück hoch?«
»Geht nicht. Ich muss zu Lance.« Langsam richtete ich mich auf, auch wenn es mir schwerfiel, mich von Peter zu lösen. »Ich hab am 14. mein erstes Vorsingen. Ich kann das Üben nicht ausfallen lassen.«
»Schade. Aber dann stör ich dich auch besser nicht unter der Dusche, du wirst wohl so schon lange genug brauchen. Willst noch was essen, bevor du gehst?«
»Nur was Kleines. Danke.« Ich beugte mich noch einmal über ihn, um ihn zu küssen, und verschwand dann ins Bad.
Als ich endlich fertig war, fiel mir auf, dass ich keine sauberen Klamotten mehr hatte. Mit einem Handtuch um die Hüften ging ich hinunter zu Peter, der gerade in der Küche ein paar Toasts machte. Auch wenn es mir peinlich war, ihn zu fragen, ich konnte schlecht mit einem Handtuch bekleidet zu Lance fahren. Und in die dreckigen Klamotten wollte ich nicht. Das hätte die Geister in meinem Kopf wieder geweckt. »Kann ich mir nochmal Klamotten von dir leihen? Meine sind alle dreckig.«
Im ersten Moment sah er mich etwas verwundert an, schien dann aber nicht fragen zu wollen. »Klar. Packst du dann deine ins Bad? Ich wollte eh nachher waschen.«
»Danke dir.« Während ich mir eines der Toasts klaute, küsste ich ihn auf die Wange.
»Kein Thema. Dafür putzt du doch morgen das Bad.« Er zwinkerte mir zu.
Lachend stieß ich ihm gegen die Brust, bevor ich nach oben verschwand. »Ist gut.«
Etwa eine Stunde später stand ich vor Lance’ Tür, die er mir meckernd öffnete. »Ganz ehrlich: Entscheid dich mal, wann du kommst!«
»Sorry. War nicht geplant, dass ich jetzt erst komme«, entschuldigte ich mich aufrichtig und wollte an ihm vorbei in die Wohnung. Dabei grinste ich, denn ich musste daran denken, weshalb ich erst so spät kam.
»Halt!« Er stellte sich mir in den Weg und sah mich ernst an. »Wer bist du und was hast du mit meinem besten Freund gemacht?«
Verwirrt sah ich ihn an. »Was?«
»Das sind nicht Isaacs Klamotten. Außerdem hätte er genervt reagiert oder ’nen Spruch gebracht, aber sich nicht einfach nur entschuldigt. Und er würde schon gar nicht wie ein verliebter Trottel grinsen«, zählte Lance auf, was ihm nicht passte.
»Idiot! Lass mich rein.« Feixend boxte ich ihm gegen die Schulter.
Er grinste und ließ mich ein. Kaum waren wir jedoch in seinem Zimmer, griff er das Thema wieder auf: »Ernsthaft, was sind das für Klamotten? Und warum bist du eklig gut drauf und grinst wie der Joker? Das ist unheimlich!«
»Seit wann interessieren dich meine Klamotten? Aber ja, die hab ich mir von Peter geliehen. Ich hab nicht so viele Klamotten bei ihm und die sind mir ausgegangen.«
»Na gut, dass er nicht so viel größer ist als du, zum Beispiel so groß wie Toby. Das sähe sicher lustig aus.« Lance grinste bei der Vorstellung.
Ich grinste ebenfalls und musste an eine Situation zurückdenken. »Lach nicht, ich musste mir wirklich mal ein Shirt von ihm leihen, weil Roger mir meines vollgesaut hat. Ich hab dann Zuhause behauptet, es sei deins.«
»Isaac! Ich will nichts über eure perversen Spielchen zu dritt hören!«
So offen Lance auch war, darüber, dass ich mit Toby und Roger geschlafen hatte, kam er nicht wirklich hinweg und verdrängte die Tatsache, so gut es ging. Bevor sie mit mir Schluss gemacht hatten, hatte ich ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit dennoch daran erinnert, um ihn zu ärgern. Danach hatte ich es vermieden, überhaupt an sie zu denken.
»Du bist doch nur eifersüchtig, weil ich mit zwei so geilen Typen geschlafen hab«, neckte ich ihn weiter. Er hatte recht, ich hatte verdammt gute Laune.
»Klar, ich wollte auch schon immer von zwei Typen gleichzeitig in den Arsch gefickt werden«, gab er sarkastisch zurück.
Ich lachte. Tatsächlich hatte ich ihm nie erzählt, wie die Dreier zwischen uns abliefen, sondern das seiner Phantasie überlassen. Witzig, dass er da so klischeehaft dachte. Obwohl ich tatsächlich nichts dagegen gehabt hätte, das mal auszuprobieren.
Wieder grinste ich bei dem Gedanken.
»Boah, wisch dir endlich mal das Grinsen aus dem Gesicht. Du benimmst dich heute echt wie ein verliebter Idiot.«
»Haben wir nicht letzte Woche festgestellt, dass ich das bin?« Noch immer grinste ich ihn an.
»Aber da hast du noch nicht wie ein Honigkuchenpferd gegrinst. Was ist passiert?«
War ich wirklich so auffällig gut gelaunt? Vermutlich schon. Selbst wenn ich es versuchte, hätte ich nicht aufhören können wenigstens zu lächeln.
»Na ja ... Also ...«, stotterte ich gespielt rum.
Genervt und gleichzeitig interessiert sah Lance mich an. Langsam wurde er ungeduldig.
Ich grinste. Ach was sollte es, länger wollte ich ihn auch nicht auf die Folter spannen. »Ich glaub, ich bin jetzt in festen Händen.«
Erschrocken riss Lance die Augen auf. »Du verarschst mich doch! Du, in festen Händen? Also so richtig? Mit nur der eine und so?«
Noch immer grinste ich breit und spürte, wie meine Wangen rot wurden. Natürlich, Lance kannte mich einfach zu gut. Er wusste genau, dass ich sonst einfach gesagt hätte, dass Peter und ich zusammen waren. »Ja, so richtig. Also erstmal. Bis Ende des Jahres, dann wollen wir nochmal reden, ob wir da was Offenes draus machen oder nicht.«
»Krass ... Das ist wirklich dein Ernst, oder? Du bist so richtig übel verschossen in Peter.« Prüfend sah er mich an und schüttelte dabei ungläubig den Kopf.
Verlegen senkte ich den meinen und nickte. Die Röte musste mittlerweile mein ganzes Gesicht erfasst haben.
»Boah, das glaubt mir doch keiner! Isaac Valentine hat ’nen Freund und ist komplett vom Markt.«
Da fiel mir ein: Peter und ich hatten gar nicht darüber gesprochen, ob es jemand wissen durfte. Aber bei Lance würde es wohl nicht so schlimm sein. »Kannst du das erstmal für dich behalten und das nicht an die große Glocke hängen? Ich weiß gar nicht, ob das jemand wissen darf.«
Verstehend nickte er. »Klar, kein Ding. Kann ich verstehen. Los komm, wir sagen Dad Bescheid, dass wir anfangen wollen.«
Als ich bei Peter klingelte, öffnete er mir mit dem Telefon am Ohr die Tür. Er lächelte mich an und ließ mich mit einem Schritt zur Seite herein. Dann wurde sein Blick zornig und er fauchte ins Telefon: »Nein, Luke! Verdammt, du legst jetzt nicht schon wieder auf!«
Während ich die Tür schloss, stapfte er mit dem Telefon ins Arbeitszimmer. Bevor dessen Tür ins Schloss fiel, hörte ich ihn noch sagen: »Ich lass dich in Ruhe, wenn ich das schriftlich von dir habe! Du kannst nicht ...«
Verwundert sah ich ihm nach. Ich hatte ihn noch nie so wütend erlebt. Mit wem er wohl telefonierte? Zumindest konnte ich mich nicht erinnern bei ihm schon mal den Namen Luke gehört zu haben. Aber vermutlich ging es mich auch nichts an.
Auf der Suche nach etwas zu Essen, warf ich einen Blick in den Kühlschrank, fand ihn aber wie immer recht leer vor. Scheinbar hatte Peter selten mehr als ein paar Vorräte fürs Frühstück im Haus. Dabei hatte ich bis auf das Toast heute noch nichts gegessen.
Während ich noch überlegte, ob man mit dem Wenigen, was da war, und meinen nicht vorhandenen Kochkünsten etwas kochen konnte, klingelte mein Handy in der Hosentasche.
Wer rief mich denn um die Zeit an? Hatte ich etwas bei Lance vergessen? Ohne auf das Display zu schauen, nahm ich das Gespräch an. »Hallo?«
»Hallo, Isaac«, erklang die Stimme meines Vaters aus dem Lautsprecher. »Wo bist du?«
»Bei Lance«, log ich, ohne weiter darüber nachzudenken. Es war seit Jahren meine Standardausrede. Ich schloss die Kühlschranktür und ging ins Wohnzimmer.
Doch diesmal schien sie nicht zu ziehen. »Lüg mich nicht an! Ich hab vor einer halben Stunde dort angerufen und Emery hat mir gesagt, dass du kurz vorher nach Hause gefahren bist. Du müsstest schon lange hier sein. Also nochmal: Wo bist du?«
Seufzend ließ ich mich aufs Sofa fallen. »Bei einem Freund.«
»Bei welchem Freund?«, fragte er skeptisch nach. »Doch nicht etwa bei diesem Typen, der dich in der Gasse ausgezogen hat, oder?«
»Nein, Dad.« Zum Glück konnte er durch das Telefon nicht sehen, dass ich die Augen verdrehte. »Und selbst wenn: Es geht dich nichts an, was ich mit meinen Freunden mache.«
»Und wie mich das etwas angeht! Du bist ...« Er brach ab und ich konnte hören, wie er durchatmete, bevor er weitersprach. »Wir sprechen später darüber. Wann kommst du nach Hause? Ich mache mir Sorgen um dich.«
»Gar nicht«, beschloss ich. Schon bei der Frage hatten sich meine Eingeweide verkrampft. Mir wurde heiß und kalt bei dem Gedanken wieder mit ihm und Rose unter einem Dach zu leben. Auch wenn ich Dave gerne wieder um mich gehabt hätte. Am liebsten hätte ich es bei der Aussage belassen und aufgelegt, aber er verdiente eine Erklärung. »Ich kann nicht mehr mit Rose zusammen wohnen. Das gibt doch direkt wieder nur Streit.«
»Isaac, du kannst nicht einfach bestimmen, dass du nicht mehr nach Hause kommst!« Er seufzte resigniert. »Ich will das nicht mit dir am Telefon besprechen. Rose ist morgen Abend mit Dave beim Fußballtraining und danach auf einem Elternabend. Kommst du dann her und wir reden in Ruhe darüber?«
Es verwunderte mich, dass er mich wirklich fragte und es nicht einfach verlangte. Vielleicht sollte ich zumindest versuchen, mit ihm zu reden? Aber dann würde ich auch über alles reden wollen. Also auch die Band und das College. Aber traute ich mich das wirklich?
Ich hörte, wie die Tür vom Arbeitszimmer geöffnet wurde, und hatte eine Idee. »Kann ich einen Freund mitbringen?«
»Warum? Warum brauchst du einen Freund, wenn wir reden wollen?«
»Weil mir jetzt mehrmals gesagt wurde, dass ich bei euch nicht mehr willkommen bin, und ich nach dem letzten Mal genäht werden musste«, erinnerte ich ihn. Als ich ihn kurz erschrocken aufkeuchen hörte, fiel mir ein, dass er das mit dem Nähen gar nicht wissen konnte.
Peter kam ins Wohnzimmer und sah mich fragend an.
Ich streckte die Hand nach ihm aus, woraufhin er sich neben mich setzte. »Es war nur eine kleine Platzwunde. Trotzdem fühle ich mich besser, wenn ich nicht alleine bin.«
Einen Moment herrschte Stille. Gespannt legte ich meine Hand auf Peters Oberschenkel, die er sofort ergriff und darüber streichelte.
»Wen willst du denn mitbringen? Den Freund, bei dem du gerade bist?«
»Wenn er morgen Abend Zeit hat, ja.« Dabei sah ich fragend zu Peter, damit er begriff, dass es um ihn ging. Verwundert zog er die Augenbrauen hoch, nickte aber schulterzuckend. »Ansonsten bring ich Lance mit.«
»Ist gut, dann weiß ich wenigstens, bei wem du bist.«
»Danke. Dann bis morgen.« Nachdem auch er sich verabschiedet hatte, legte ich auf.
Während ich das Handy wegsteckte, legte Peter den Kopf fragend schief. »Wer war das und wofür soll ich morgen Zeit haben?«
»Mein Dad.« Ich lehnte mich gegen seine Schulter. »Er will unbedingt mit mir reden, dass ich wieder nach Hause komme. Aber ich fühl mich allein nicht wohl dabei. Würdest du mitkommen?«
»Du willst mich also deinen Eltern vorstellen?«, fragte er amüsiert und zwinkerte mir zu. »Und ich dachte, ich wäre zu schnell.«
Ich sah ihn schockiert an. So weit hatte ich gar nicht gedacht, dass man das auch so verstehen konnte. »Eigentlich ... wollte ich dich nur als Freund dabeihaben. Ich muss schon so viel mit ihm bereden, ich will ihm das mit der Band und dem College sagen. Und dachte, wenn er sieht, dass du ... Aber wenn du willst, dann sag ich ihm auch, dass wir ...«
Peter beugte sich zu mir herüber und hauchte mir einen Kuss auf die Lippen. »Natürlich komm ich auch als Freund mit. Wir müssen ja nicht mit der Tür ins Haus fallen. Ich wollte dich nur aufziehen.« Er legte den Arm um mich und zog mich noch etwas näher an sich.
Genüsslich kuschelte ich mich an. Fast hätte Dad mir die Stimmung versaut, doch jetzt stieg sie wieder.
Eine Weile saßen wir so da, während Peter mir über den Rücken streichelte. Dann brach er die Stille: »Wenn du deinem Dad von der Band erzählen willst, sollen wir dann deinen Vertrag gleich mitnehmen und ihm den zeigen, wenn es sich ergibt?«
Verwundert sah ich zu ihm auf. »Meinen was?«
»Deinen Vertrag. Damit du auch mal zu deinem Geld kommst. Da du noch nicht 18 bist, muss dein Dad unterschreiben.«
Doch das war gar nicht das, weshalb ich nachgefragt hatte. Denn das war mir schon klar. Mich interessierte eher etwas anderes. »Zombie meinte, du müsstest vorher noch einiges mit Phantom klären.«
»Das sollte geklärt sein. In den nächsten Tagen kommt dann hoffentlich alles mit der Post. Ich kann euch zwar solange noch keinen fertigen Vertrag geben, aber dann kann er sich schonmal den vorläufigen anschauen und Änderungswünsche äußern.«
»Kann ich ihn auch sehen?«
»Nein, das wird über deinen Kopf hinweg entschieden«, behauptete Peter, grinste dabei aber. »Klar, aber erst morgen. Ich hab ihn noch nicht fertig, weil ich das gerade erst endgültig klären konnte.«
Dann hatte er wohl mit Phantom telefoniert. Das schien zu passen. Ich war mir trotzdem nicht sicher, ob es so einfach werden würde, eine Unterschrift zu bekommen. »Und wenn Dad ihn nicht unterschreibt? Er ist total dagegen, dass ich meine Zeit mit Musik verschwende.«
»Dann müssen wir ihn wenigstens dazu bekommen, dass du mit uns zusammen den Staat verlassen darfst.«
Verwundert sah ich ihn an. Warum das denn?
Er bemerkte den Blick und führte aus: »Dann können wir die Konzerte schon Anfang nächsten Jahres nachholen, die wir absagen mussten. Das Geld würde ich dann, wie bisher auch, zurücklegen und du bekommst es dann, sobald du 18 bist und den Vertrag selbst unterschrieben hast. Aber es wäre schöner, wenn er sich darauf einlassen würde. Dann könnten wir auch vorher noch ins Studio und du kommst früher zu deinem Geld.«
Die Vorstellung klang wirklich gut, aber dennoch hatte ich meine Zweifel.
Leise grummelte mein Magen. Peter grinste mich an. »Was hältst du von Burgern?«
»Klingt gut.« Peter und ich standen von der Couch auf, zogen uns an und machten uns auf den Weg in einen kleinen Imbiss in der Nähe.
»If I could make a wish
What would it be
Love, truth, eternity?
A wish so small and though divine
One wish will make you mine«
Persephone – Wishful